Am Freitagabend war die Junker-Bank praktisch ausgestorben. Lediglich vier Frauen bewegten sich zwischen dem Foyer und den Büros. Sie trugen die Arbeitskleidung der Pulirapida AG und hatten sich die Arbeit aufgeteilt. Als Vorarbeiterin war es Katia Paolucci nicht schwergefallen, sich das Büro des Direktors und seiner Sekretärin zu sichern.
Normalerweise kümmerten sich andere Personen um die Reinigung der Junker-Bank. Aber in dieser Woche waren die Schichten ein wenig durcheinandergeraten. Das kam kurz vor Weihnachten öfters vor.
Katia hatte nicht verstanden, was Contini vorhatte. Vor allem hatte sie nicht verstanden, was Continis Freund wollte. Ein sympathischer Kerl, der darauf bestanden hatte, sie zu treffen, und ihr einen geheimen Auftrag anvertraute. Katia hegte den Verdacht, dass Contini davon selbst nichts wusste.
»Es ist ein Notausgang«, hatte er ihr augenzwinkernd erklärt.
Dabei handelte es sich bloß um ein Tablett auf einem Tischchen neben dem Schreibtisch. Drei Tassen und ein Milchkännchen. Wie konnte das ein Notausgang sein? Vielleicht hing es mit der anderen Bitte von Continis Freund zusammen, aber Katia schaffte es nicht, einen Zusammenhang herzustellen.
Sie tat jedoch alles, worum man sie gebeten hatte.
In den letzten Jahren hatte Katia meistens im Büro gearbeitet. Sie hatte nichts dagegen, mal wieder die Arbeit vor Ort zu kosten. Die Leute denken, Putzen sei eine dumpfe Tätigkeit, aber wer helle ist, kann dabei eine Menge lernen. Nach Sonnenuntergang verändern die Flure einer Bank ihr Gesicht. Die Gemälde an den Wänden wirken älter, die Möbel abgenutzter. Katia hatte das Gefühl, den letzten Sommertag in einem Ferienhaus zu verbringen.
»Katia!«, rief eine ihrer Kolleginnen vom unteren Stockwerk. »Hier bin ich fertig. Soll ich die Toiletten im Ersten machen?«
»Okay«, rief Katia zurück. »Ich komme auch gleich!«
Die Schreibtische waren leer. Die Clean Desk Policy der Bank gestattete es nicht, dass Papiere offen liegen blieben. Dennoch mangelte es in manchen Räumen nicht an Unordnung: Aschenbecher auf Fensterbrettern, Bananenschalen im Papierkorb. Als habe ein Zauber die Welt angehalten und das Leben ausgelöscht. Katia versuchte zu erraten, was für ein Typ der Direktor war. Sicher ein ganz gewissenhafter: In seinem Büro lag alles an seinem Platz.
Was Contini wohl vorhaben mochte! Katia arbeitete seit Jahren mit ihm zusammen, aber normalerweise vertraute er ihr nur kleine, einfache Arbeiten an. Unterlagen abfotografieren oder den Abfall durchstöbern. Noch nie hatte sie einen Plan zeichnen oder gar Gegenstände in eine Bank einschleusen sollen.
Katia bückte sich, um eine Büroklammer vom Teppichboden aufzuheben. Sie legte sie auf den Schreibtisch, neben einen Stapel weißen Papiers. Dann zog sie den Staubsauger über die Türschwelle, wandte sich um und warf einen Blick zurück in den Raum. Alles in Ordnung. Sie schaltete das Licht aus. Im bloßen Licht der Straßenlaterne wirkte das Büro noch altertümlicher. Als sei der Computer nur eine Schreibmaschine, und mit ein bisschen Phantasie konnte man sogar ein Tintenfass mit Gänsefeder erkennen …
Was für eine merkwürdige Vorstellung!
Katia schloss die Tür.
»Das Büro ist fertig!«, rief sie in Richtung Toiletten. »Brauchst du meine Hilfe?«
Am Samstag früh ging Salviati zum Fluss Tessin. Es war die Stelle, wo ihm beim Angeln die Idee gekommen war. Damals waren die Böschungen grün, und um die Felsen schwirrten die Mücken. Jetzt sah der Fluss wie ein graues Band aus, das hier und dort von weißen Wellenkämmen durchbrochen wurde. Salviati hatte eine geschwungene Pfeife im Mund. Er setzte sich ans Ufer und lehnte sich an eine Steinmauer.
Nach dem, was Katia Paolucci am Abend zuvor für ihn erledigt hatte, war der Überfall unvermeidbar. Die Angestellte der Pulirapida AG hatte durch ihr Handeln Salviatis Plänen ein erstes Stückchen Realität verliehen. Wenn er die Sache nicht vorantrieb, würde sich Direktor Belloni am Montagmorgen beim Betreten des Büros ziemlich wundern. Und Katia würde in Schwierigkeiten geraten.
Aber Salviati hatte keine Bedenken. Er wusste, dass sein Plan gut war. Er hatte die Filmaufzeichnungen von Filippo Corti bis zum Umfallen studiert. Er kannte alle Angestellten ganz genau, und er hatte mehrfach in Zeitlupe die Ankunft Bellonis mitverfolgt. Außerdem hatte er Belloni angerufen, sich als Kunde ausgegeben und lange mit ihm gesprochen. Er verfügte über alles nötige Material. Zwei Stunden vor dem Überfall würde er jener Idee Gestalt verleihen, die ihm an einem Sommernachmittag, als er versucht hatte, einen Fisch zu überlisten, gekommen war.
Er hatte die Junker-Filiale in Bellinzona noch nie von innen gesehen. Er wollte kein Risiko eingehen. Salviati hatte Katia gebeten, ihm einen Plan und ein paar Fotos der Büros zu liefern. Einmal drin, würde er wissen, wo er hinmusste.
Nach der ersten Inspektion war er auch nicht mehr nach Bellinzona gekommen. Ein Dieb muss den Ort, an dem er zuschlagen wird, meiden. Er muss das Umfeld kennen, ohne dass das Umfeld ihn kennenlernt. Salviati hatte zu dem Gebaren zurückgefunden, das er sich im Lauf seiner langen Karriere angeeignet hatte. Innerhalb weniger Monate hatte er den Gärtner, der zu werden ihm gelungen war, zum Verschwinden gebracht.
Würde er es schaffen, sich ein weiteres Mal zu verändern?
Würde er in die Provence zurückkehren können? Und Lina, Filippo und Anna, Elia … würde es ihnen nach ihrem Traum von einem Bankraub gelingen, das Leben wieder in den Griff zu bekommen?
Salviati sah auf den Fluss. Er erwartete keine Antwort. Alles, was er tun konnte, war, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und blies eine Rauchwolke aus. Er spürte, dass in dem dunklen Wasser, in dem Gewirr der Zweige und dem Himmel über dem Fluss, der Schlüssel zu allem lag. Zu Forsters Geschäften und Linas Zerbrechlichkeit, zu Elias Schweigen und auch zu den Millionen, dem Geld, das absurderweise Freiheit verhieß. Salviati paffte in kurzen Zügen. Eine Bank auszurauben ist nicht schwer, dachte er, schwierig ist es, frei zu bleiben. Und um es zu schaffen, musste man diesen Schlüssel kennen, diese geheimnisvolle Sprache des Flusses, der Bäume, des Himmels … Wir werden Geld stehlen, wiederholte Anna im Stillen, wir werden wirklich Geld stehlen. Samstag, neunzehnter Dezember. Die Spannung war beinahe unerträglich. Jeglicher romantische Aspekt der Operation war verflogen. Abgesehen davon, dass der größte Teil bereits an dem Tag zunichtegemacht worden war, als der Butler versucht hatte, sie zu bestechen. Da hatte Anna endgültig verstanden, dass es sich nicht um ein Spiel handelte. Sie war aufgestanden, zur Arbeit zurückgekehrt und hatte Salviati und Contini alles erzählt. Aber Salviati hatte nicht die Fassung verloren.
»Sie sichern sich ab, das ist alles.«
»Tun wir das auch?«, hatte Contini gefragt.
Aber Salviati wollte diese Frage nicht beantworten.
Und nun, am Tag vor dem Überfall, waren Anna und Filippo so nervös wie zwei Katzen vor einem Gewitter. Filippo war kurz auf den Markt gegangen und mit einem gebratenen Hähnchen zurückgekehrt. Anna hatte ein paar Kartoffeln geschält und einen Salat zubereitet. Während des Essens hatten sie einen halben Liter Roten getrunken.
»Ich fühle mich etwas träge«, sagte er nach dem Kaffee.
»Wollen wir spazieren gehen?«, schlug Anna vor.
»Weiß nicht. Wo soll’n wir denn hin …?«
Am Ende beschlossen sie, ein wenig Sport zu treiben.
»Post prandium deambulare«, heißt das Sprichwort. Filippo zitierte es ständig, und an diesem Tag machte er keine Ausnahme. Aber Anna fand, dass es merkwürdig war, sich körperlich zu betätigen, als sei nichts geschehen.
»Ich weiß nicht so recht«, meinte Filippo, während sie mit dem Auto in Richtung Magadinoebene, südlich von Bellinzona, fuhren. Anna schüttelte den Kopf:
»Es gibt keinen Sinn, weiter darüber zu sprechen. Es lässt sich nicht rückgängig machen.«
»Und wenn etwas schiefgeht?«
»Ich mag nicht dran denken.«
»Ich denk aber dran.«
Anna erwiderte nichts.
In dieser Laune war Filippo besser in Ruhe zu lassen. Er hatte seine Einstellung zu dem Überfall immer wieder geändert. Zuerst Skepsis, dann Neugier, dann eine stoische Haltung: unschöne Geschichte, aber wir müssen Jean helfen. Und jetzt eine Art düsteres Gefasstsein auf das Schlimmste.
»Jedenfalls bereue ich unseren Entschluss nicht«, fuhr Filippo fort. »Trotzdem mache ich mir Sorgen.«
»Das ist normal.«
»Können wir uns drauf verlassen, dass die beiden wissen, was auf uns zukommt?«
»Salviati ist vom Fach, und auch Contini scheint mir auf Zack zu sein.«
»Wer weiß? Ein Privatdetektiv, der eine Bank ausraubt …«
Sie parkten den Wagen in Giubiasco, im Saleggi-Quartier.
Beide trugen Jogginganzüge, er in Grau, sie in Weiß-Rosa. Beim Laufen schien Filippo ruhiger zu werden. Er fand ihre Situation nach wie vor absurd, aber er beschloss, dass es sinnlos war, sich bei Anna darüber zu beklagen. Im Augenblick kam es nur darauf an, die Augen offen zu halten und sich nicht unterkriegen zu lassen.
Ich denke wie ein Verbrecher, ging es ihm durch den Kopf, während sie den kleinen Weg am Ufer des Tessins entlangliefen. Aber wenn schon Verbrecher, dann wenigstens richtig. Es galt, das Pro und Kontra abzuwägen. Und unbeschadet aus allem herauszukommen.
»Meinst du, dass wir zu viel riskieren?«, fragte Anna, die neben ihm lief und seine Gedanken zu erraten schien.
»Na ja, schließlich stehlen wir nicht nur eine Tüte Bonbons …«
»Wir selbst machen ja gar nichts.«
»Ach nein?«, platzte Filippo heraus. »Erinnerst du dich etwa nicht mehr an diesen Typen, der dich bestechen wollte?«
»Der Butler? Was hat der damit zu tun?«
»Er ist die eigentliche Gefahr, Leute wie er!« Filippos Atem ging kurz. »Meinst du, die lassen uns in Ruhe, wenn was schiefgeht?«
»Aber …«
»Salviati zieht diesen Überfall durch, weil er erpresst wurde. Und wenn Forster am Ende den Kopf verliert? Wenn er keine Zeugen zurücklassen will?«
Filippo hielt am Wegrand, um Atem zu schöpfen. Ihm war schwindlig. Er wusste nicht, ob durch die Anstrengung des Laufens oder weil er endlich mit seinen Ängsten herausgerückt war. Es war sinnlos, sich bei Anna zu beklagen, das stimmte, aber sie sollte wissen, was auf dem Spiel stand.
Doch Anna schien optimistisch.
»Ich vertraue Jean. Ich bin überzeugt, dass er an alles gedacht hat.«
»Aber wir sind in eine illegale Geschichte verwickelt. In einen Überfall, ist dir das eigentlich klar?«
»O ja!« Anna hob die Hände. »Nehmen Sie sich, was Sie wollen, mein Herr!«
Filippo versuchte sich dagegen zu wehren, aber dann musste er lachen. Wir sind beide verrückt, wir sind beide vollkommen verrückt! Eine Frau joggte an ihnen vorbei, dann schossen zwei Radfahrer, in ihre Winteranzüge verpackt, wie leuchtende Blitze vorüber.
»Die Leute gucken schon«, meinte Filippo und unterdrückte das Lachen.
Sie setzten den Weg im Laufschritt fort. Die Straße verlief am Rand der Magadinoebene, ein Stück flaches Land inmitten des Kantons Tessin. Sah man von den Bergen im Hintergrund ab, hätten Anna und Filippo sich ebenso gut in der Poebene befinden können. Gutshöfe, Traktoren auf den gewundenen Straßen, der Damm und der Geruch nach Vieh. Im Dezember bestanden die Felder aus einer hart gefrorenen Kruste.
»Aber vielleicht hast du recht«, meinte Anna nach einer Weile. »Vielleicht hätten wir Jean fragen sollen, was er mit Forster vorhat.«
»Er hätte es uns nicht verraten.«
»Woher willst du das wissen?«
»Mach dir keine Sorgen, Anna. Du wirst sehen, es geht alles gut.«
Filippo liebte seine Frau. Selten hatte er sich ihr so nahe gefühlt wie an diesem Winternachmittag. Mit jedem Atemzug verwandelte sich die ausgestoßene Luft in eine Dampfwolke, mit jedem Schritt starben die schlimmen Gedanken.
»Bist du sicher?«
»Natürlich. Es geht alles gut, und eines Tages werden wir über unsere Ängste lachen.«
»Ja, und über diese verrückte Zeit …«
»Wir sind in einem Film. Aber es ist ein Film mit Happy End, dessen bin ich sicher.«
Eine Weile lang liefen sie schweigend weiter.
Herz, Beine, Lunge … durch die intensive körperliche Anstrengung verlor die Zukunft an Bedeutung. Es gab nur sie, mitten auf dem flachen Land, und diesen Weg am Fluss.
Contini legte das Floß auf den Küchentisch. Salviati betrachtete es, während er seine Pfeife anzündete.
»Was willst du mir sagen?«
»Im Sammelbecken habe ich nur dieses gefunden«, erklärte Contini. »Die anderen sind im Tresalti verloren gegangen.«
»Aha«, Salviati stieß eine Rauchwolke aus.
»Ich kann es noch nicht deuten«, fuhr der Detektiv fort. »Ich verstehe die ganze Geschichte noch nicht richtig.«
»Gibt es denn da so viel zu verstehen?«
»Nach dem ersten Glockenschlag muss ich auf den zweiten achten.«
»Hm …?«
»Das sagt Giona.«
»Ach, Giona … hast du ihm von dem Überfall erzählt?«
Contini nickte.
»War das nötig?«
»Giona wird mit niemandem darüber reden.«
»Das glaube ich.« Salviati drückte mit dem Daumen den Tabak fest. »Ihr hier in Corvesco seid Spezialisten im Nichtreden …«
»Aber Giona redet, und wie … warum kommst du nicht mit hinauf zu ihm?«
»Hinauf? Zu Giona?«
»Ja, warum nicht?«
Salviati sah ihn an und lächelte. Contini zwinkerte. Es war alles gesagt.
Zehn Minuten später liefen sie bereits durch den Wald bergauf. In diesem Jahr war noch kein Schnee gefallen, deshalb war der Aufstieg recht angenehm. An einigen Stellen begann der Tresalti zuzufrieren, an einer anderen mussten sie einen Baumstamm umrunden, der auf den Pfad gestürzt war. Als sie den Kiefernwald hinter sich gelassen hatten, schaute Salviati zum Monte Basso hinüber und sagte:
»Du hast es gut, Contini …«
Der Detektiv drehte sich um und sah ihn an.
»Mit all den Bergen ringsum hast du es leichter, Ordnung in deine Gedanken zu bringen.«
»Du wohnst doch auch in den Bergen, da unten in der Provence.«
»Ich bin zu dicht am Meer. Meine Gedanken verflüchtigen sich.«
Sie setzten ihren Aufstieg fort. Vor dem Felskamm hielt Contini inne, um den Boden zu inspizieren. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch.
»Was ist?«, fragte Salviati.
»Die alte Füchsin ist hier entlanggekommen.«
»Die, die wir neulich gesehen haben?«
»Ja. Merkwürdig, dass sie hin und wieder ihr Revier verlässt.«
»Sie wird auf Nahrungssuche gewesen sein.«
»Hm …« Contini deutete auf die Felsen und die Hochebene der Alm. »Hier gibt es nicht gerade übermäßig viel Beute.«
»Dann ist sie ohne Grund gekommen. Einfach so, weil sie unterwegs war …«
Contini lächelte über die Vorstellung der vagabundierenden Füchsin.
»Wer weiß. Könnte sein.«
Sie waren beinahe am Ziel. Und pünktlich, als sie den Tresalti überquerten, trat Giona in Erscheinung.
»Wer da?«
»Ein Bandit und ein Polizist!«, antwortete Contini. »Auf wen schießt du zuerst?«
»Ich Ärmster«, kicherte Giona und tauchte zwischen den Felsen auf. »Da muss wohl eher ich auf der Hut sein. Dann bist du also Jean Salviati?«
Salviati nickte und schüttelte dem Eremiten die Hand.
»Und bist du der Bandit?«, fragte Giona. »Oder der Polizist?«
»Tja«, Salviati lächelte. »Ich weiß auch nicht …«
Giona deutete auf Contini.
»Er ist sowohl das eine als auch das andere. Aber kommt jetzt, wir wollen uns was zwischen die Rippen schieben!«
Der alte Eremit hatte gerade ein Reh von »einem befreundeten Jäger geschenkt bekommen«. Contini wusste, dass Giona der Wilderei nicht abgeneigt war, aber er ging nicht weiter darauf ein. Sie tranken ein Glas Grappa und plauderten über dies und das. Giona hatte das Reh mariniert, um das Fleisch zarter zu machen. Nun servierte er es als Ragout, mit würzigen Kräutern und Rotwein abgeschmeckt, zusammen mit Polenta, die im Topf auf dem Feuer bereitstand.
Nach dem Essen rauchten sie. Der richtige Zeitpunkt für Contini, um auf den geheimnisvollen Hinweis von Matteo Marelli zu sprechen zu kommen.
»Ich hatte das Gefühl, ganz dicht dran zu sein. Hin und wieder blitzt etwas in mir auf. Zum Beispiel gerade eben, als wir gekommen sind. Jedenfalls …«
»Jedenfalls räumt ihr morgen die Bank aus«, beendete Giona den Satz.
Contini nickte.
»Jetzt kann die Glocke nur noch schlagen.« Giona grinste. »Wir werden sehen, wie und wann …«
»Die Glocke?«
»Oh, es gibt immer zwei Stimmen«, antwortete Giona. »Wie bei euch beiden. Immer ein Ding und ein Dong. Aber sagt mal, habt ihr diesen … diesen Coup gut vorbereitet?«
»Ich habe getan, was ich konnte«, sagte Salviati. »Wir sind zu fünft, und jeder weiß, was er zu tun hat. Wenn der Trick funktioniert, haben wir gute Chancen.«
»Und wenn nicht?«
»Ich habe noch ein paar Ersatzpläne ausgearbeitet«, erklärte Salviati. »Aber ich wollte mit niemandem darüber sprechen. Zum gegebenen Zeitpunkt wird alles klar sein.«
»Ja«, mischte sich Contini ein, »Jean ist ein Mann voller Geheimnisse. Wir sind zwar in seine Pläne verwickelt, aber wir dürfen sie nicht kennen.«
»Auch du hast deine Geheimnisse, mein Junge!«, ermahnte ihn Giona. »Sag, ist es dir wirklich nicht gelungen, den zweiten Schlag der Glocke zu hören?«
»Ich weiß nicht … ich weiß nicht, wovon du sprichst!«
»Seltsam«, Giona begann, mit dem Schürhaken im Kamin zu stochern. »Seltsam, denn ich hatte diesen Eindruck, nach dem, was du mir in den letzten Wochen erzählt hast.«
Salviati suchte eine bequemere Haltung in dem lädierten Sessel, in dem er Platz genommen hatte. Die Anspielungen des alten Giona ließen ihn unruhig werden. Als habe er irgendetwas übersehen. Er spürte, dass sich in dieser verrauchten, mit alten Büchern und Jagdtrophäen vollgestopften Hütte eine Wahrheit verbarg. Aber wie es schien, war nicht einmal Giona in der Lage, sie zu entdecken.
»Welchen Eindruck?« fragte er ihn.
»Ich weiß nicht«, Giona schien besorgt. »Ich komme nicht drauf. Ihr beide, der Überfall, das Geld, die andern, die euch helfen, die Cortis … auf einer Seite seid ihr. Dann ist da Luca Forster, der Geld braucht, deine Tochter und Matteo Marelli … was kann passieren?«
Schweigen.
»Schwer zu sagen«, murmelte Salviati, während er seine Pfeife stopfte.
»Ja«, Giona wiegte den Kopf hin und her. »Als habe die Glocke einmal geschlagen und ein weiterer Schlag müsse noch folgen.«
»Ein weiterer?«, warf Contini ein.
Aber Giona murmelte etwas vor sich hin.
»Ja, es ist seltsam. Als wäre die Musik nicht vollständig …«