Dunkle Vorahnungen

Die Schweiz hat Angst vor ihrer Schönheit. All die saubergefegten Gehwege, all die wohlgepflegten Gärten und Hecken. Bis dich eines Sonntags, während du dein Auto putzt, Beklemmung überfällt. Und wenn uns jemand übers Ohr hauen will?

Aber auch der Betrug tritt diskret in Erscheinung. Ohne Geschrei, ohne Gewalt. Schritte, die über den Teppich einer Bank gleiten, Millionen von Franken, die man, wie einen guten Wein, der Reifung überlässt. Und Forster mit seinem Tee und seinem Lächeln, Forster, der Dealerei und Hehlerei zur Alltagsroutine eines Angestellten werden lässt.

Es ist ein schwer zu begreifendes Land. Contini liebte es genau deswegen: Er bewunderte die Klarheit und Besonnenheit der Schweiz, aber auch ihre zahlreichen Geheimnisse. Hinter jeder Sache verbirgt sich eine andere, wie bei jenem Mercedes mit den getönten Scheiben. Contini erkannte gerade noch rechtzeitig Forster neben dem Fahrer. Der Wagen hatte das Kennzeichen des Kantons Appenzell. Am Steuer saß dieser Kerl, der am Tag zuvor Tee serviert und die Jalousien heruntergelassen hatte.

Der Detektiv ließ den Motor an. Dann sah er zu Salviati und sagte:

»Ich verlass mich drauf …«

Salviati nickte:

»Du gibst die Befehle.«

Sie folgten dem Mercedes bis Tesserete, wo er auf einem Hof unterhalb der Kirche hielt. Forster steuerte zu Fuß auf

Kaum hatte Forster die Eingangstür geöffnet, entfernte sich der Mercedes. Contini und Salviati nahmen seinen Platz ein. Sie warteten ein paar Minuten, dann stiegen sie aus und drehten eine lange Runde, ehe sie sich Forsters Haus näherten, wobei sie achtgaben, nie von den Fenstern aus gesehen werden zu können. Contini bemerkte, dass auf den Straßen reger Verkehr herrschte.

Flötenmusik, von Tamburinen begleitet, zog die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich. Sie kam von oben, aus der Nähe der Kirche. Contini und Salviati näherten sich, und als sie um die Ecke bogen, fanden sie sich inmitten eines kleinen irischen Festivals wieder.

Junge Männer in grünen T-Shirts, Frauen mit im Nacken geflochtenen Zöpfen. Whiskey-Verkostungen und Postkarten aus Dublin. Auf einer improvisierten Bühne spielte ein Mädchen in folkloristischer Tracht Flöte, während sich ein kräftig gebauter Typ mit Schnauzbart um die Percussion kümmerte. Contini und Salviati liefen durch die Menge wie zwei Müßiggänger. Salviati sah sich um, die Hände in den Hosentaschen. Contini probierte ein Glas Guinness Dry Stout, das angeblich beste Dunkelbier Irlands, zumindest nach Aussage desjenigen, der es verkaufte. Trotz des irischen Ambientes sah er überall die gewohnten Flip-Flops, hörte den gewohnten Tessiner Tonfall, die gewohnten Gespräche. »Das neue Auto von Soundso, ist dein Urlaub schon vorbei, oder, dieses Jahr beginnt die Fußballmeisterschaft eher …«

Contini gab Salviati ein Zeichen, das dieser ohne weitere Worte verstand. Von einer Ecke des Platzes aus ließ sich Forsters Haus perfekt beobachten.

Salviati hatte eine vage Idee. Während Contini etwas zu essen besorgte, behielt er die Fenster im Blick, das Hinein und Hinaus an der Eingangstür. Leider hatte er nicht viel

Ein Dieb in der Nacht, nach alter Tradition.

An diesem Abend wechselten sie sich ab, merkten sich jede Bewegung um das Haus herum. Gegen zwei waren alle Lichter erloschen; und soweit sie beobachtet hatten, lebten drei Personen in dem Haus: Forster, einer seiner Mitarbeiter und eine Frau, die kochte. Salviati hatte auch herausgefunden, welches die jeweiligen Zimmer waren. Zum großen Glück schlief Forster mit angelehntem Fenster.

Das irische Fest ging dem Ende entgegen.

Salviati sagte zu Contini:

»Warte hier auf mich.«

Dann näherte er sich dem Eingang, wobei er die verschiedenen Hausfassaden betrachtete, wie jemand, der nach einer ganz bestimmten sucht. Die Straßen im Dorf waren nahezu menschenleer. Ab und zu fuhr eilig ein Auto vorbei. Auch ein Kleintransporter war zu sehen, mit Holztischen und Schildern von alten irischen Pubs beladen: Old Trapper, The Red Lion, Gardner And His Friends.

Salviati warf einen Blick auf die Klingel an der Eingangstür. Die vage Idee, die er im Kopf hatte, nahm immer konkretere Formen an.

»Was hast du vor?«, fragte ihn Contini auf der Rückfahrt nach Lugano.

»Nichts.«

»Hör mal, ich habe gesehen, wie du das Haus unter die Lupe genommen hast …«

»Vorläufig heißt es abwarten, hast du gesagt, oder? Also warte ich ab!«

»Ich kenne dich, Jean. Du machst dir Sorgen um deine Tochter und hast es eilig. Was hast du vor? Zu Forster gehen und ihn bedrohen?«

»Nein, sei unbesorgt. Ich werde niemanden bedrohen.«

»Sicher.«

»Dann will ich dir mal glauben«, sagte Contini.

Er schob eine Kassette von Aznavour in den Rekorder, und sie fuhren schweigend weiter, in dem von alten französischen Chansons erfüllten Wagen.