Kapitel 30 

A aron«, sagte Mr Shaw. »Würdest du uns bitte einen Moment allein lassen?«

Aaron schien nicht geneigt, Sloane mit seinem Vater in einem Raum zu lassen, und allein das sprach Bände über die beiden.

»Aaron«, wiederholte Mr Shaw mit betont freundlicher Stimme. Der ältere Mann hatte eine starke Ausstrahlung. Ich wusste, noch bevor Aaron es tat, dass er sich dem Wunsch seines Vaters beugen würde.

Du kannst ihm nicht widerstehen , dachte ich, als ich Aaron gehen sah. Niemand kann das.

Als Aaron gegangen war, richtete Mr Shaw seine volle Aufmerksamkeit auf uns. »Ich möchte einen Moment mit Sloane allein sein«, sagte er.

»Und ich hätte gern ein Kleid aus Regenbögen und ein Bett voller Welpen, die nie alt werden«, erwiderte Lia. »Daraus wird nichts.«

»Lia«, sagte Judd sanft, »verärgere nicht den Casino-Mogul.«

Ich verstand Judds Tonfall so, dass er ebenfalls keineswegs die Absicht hatte, Sloane mit ihrem Vater allein zu lassen.

»Mr Hawkins.« Besagter Mogul kannte zu meiner Überraschung Judds Nachnamen. »Wenn ich mit meiner Tochter reden will, dann rede ich mit meiner Tochter.«

Sloanes Gesichtsausdruck war schmerzhaft transparent, als er das Wort Tochter aussprach. Für ihn war es lediglich ein Ausdruck von Besitzverhältnissen. Sie konnte nicht anders, als zu hoffen – verzweifelt zu hoffen –, dass es ein Ausdruck von Zuneigung sein könnte.

»Sloane«, sagte Judd und ignorierte Shaws Dominanzgehabe, »möchtest du zurück in dein Zimmer?«

»Sie möchte«, sagte Shaw und betonte jedes Wort, »mit mir sprechen. Und wenn Sie nicht möchten, dass ich interessierten Kreisen erzähle, dass Ihre Agentenfreunde in der Renoir-Suite Teenager besucht haben, dann lassen Sie Sloane machen, was sie will.«

Wir hätten unsere Operationsbasis abseits des Strip errichten sollen, wurde mir klar. Unterhalb des Radars, außer Reichweite ...

»Cassie und Lia bleiben.« Sloanes Stimme klang dünn. Sie räusperte sich und versuchte es erneut. »Sie können gehen«, sagte sie mit erhobenem Kinn zu Judd. »Aber ich möchte, dass Cassie und Lia bleiben.« Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, sah Sloanes Vater seine Tochter wirklich an. »Die Rothaarige kann bleiben«, sagte er schließlich. »Der Lügendetektor geht.«

In diesem Moment wurde mir klar – Sloanes Vater weiß von Lias Fähigkeiten. Er weiß nicht nur, dass es eine Verbindung zwischen uns und dem FBI gibt. Er weiß alles. Wie ist das möglich?

»Sloane.« Judds Stimme war so ruhig, als würde er am Küchentisch sitzen und sein morgendliches Kreuzworträtsel lösen. »Du musst nichts tun, was du nicht tun willst.«

»Schon gut«, sagte Sloane und trommelte nervös mit den Fingern auf ihren Oberschenkel. »Ich komme schon klar. Gehen Sie einfach.«

Sloanes Vater wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Tochter – und mir – zuwandte. Offensichtlich hatte er mich nicht als Bedrohung wahrgenommen. Vielleicht war ihm aber auch klar, dass Judd Sloane hier niemals allein lassen würde und ich das kleinere Übel war.

Die Tatsache, dass er Lia hinausgeworfen hatte, ließ mich fragen, welche Lügen er zu erzählen gedachte.

»Du siehst gut aus, Sloane.« Shaw setzte sich hinter den Schreibtisch.

»Ich bin zwölf Prozent größer als das letzte Mal, als Sie mich besucht haben.«

Shaw runzelte die Stirn. »Hätte ich gewusst, dass du in Vegas bist, hätte ich andere Vorkehrungen für deine kleine … Gruppe getroffen.«

Andere Vorkehrungen im Sinne von weiter weg von ihm und den Seinen.

Um Sloane die Antwort zu ersparen, fragte ich: »Sie wissen, was unsere Gruppe tut. Woher?«

»Ich habe Freunde beim FBI. Ich bin derjenige, der Sloane für Agent Briggs’ kleines Programm vorgeschlagen hat.«

Sloane blinzelte rasch, als hätte man ihr gerade einen Eimer Wasser ins Gesicht geschüttet. Michaels Vater hatte ihn an das FBI verkauft, um für sich selbst Immunität bei Wirtschaftsverbrechen zu erlangen. Sloanes Vater wollte offenbar nur, dass sie weit weg war und sich von seinem Sohn fernhielt.

»Du musst dich von meiner Familie fernhalten.« Shaws Stimme klang trügerisch sanft, als er sich wieder auf Sloane konzentrierte. Er klang wie Aaron, weich und beruhigend, aber seine Worte waren unmissverständlich. »Ich muss an Aarons Mutter denken.«

»Und an das kleine Mädchen.« Die Worte kamen aus Sloanes Mund.

»Ja«, sagte Shaw. »Wir müssen an Cara denken. Sie ist noch ein Kind. Sie kann doch nichts dafür, oder?«, fragte er, und sein Ton war immer noch so sanft, dass ich ihn am liebsten so hart geschlagen hätte wie Michael den Mann am Pool.

Sloane konnte auch nichts dafür.

»Sag mir, dass du mich verstehst, Sloane.«

Sloane nickte.

»Ich möchte, dass du es laut aussprichst.«

»Ich verstehe«, flüsterte Sloane.

Shaw stand auf. »Du hältst dich von Aaron fern«, wiederholte er. »Es wäre wünschenswert, wenn du deine Freunde vom FBI ermutigen würdest, dasselbe zu tun.«

»Wir untersuchen einen Serienmord«, sagte ich und brach mein Schweigen. »Sie können den Ermittlern nicht vorschreiben, mit wem sie reden dürfen und mit wem nicht.«

Shaw richtete seine Augen auf mich – sie hatten das gleiche Blau wie die von Aaron, das gleiche Blau wie die von Sloane. »Mein Sohn weiß nichts, was von Nutzen sein könnte. Das FBI verschwendet seine Zeit mit ihm genauso wie mit der lächerlichen Idee, dass ein Killer, der sich bisher der Verhaftung entziehen konnte, seinen nächsten Mord auf Teufel komm raus im Großen Ballsaal des Majesty begehen würde.«

»Das ist kein lächerlicher Gedanke.« Sloane erhob sich. Ihre Stimme zitterte. »Sie können es nur nicht sehen. Sie verstehen es nicht. Aber nur weil Sie etwas nicht verstehen, heißt das nicht, dass Sie es ignorieren dürfen. Man kann nicht einfach so tun, als gäbe es das Muster nicht, und hoffen, dass es verschwindet.«

So wie dein Vater tut, als gäbe es dich nicht , übersetzte mein Gehirn. Die Art, wie er dich ignoriert.

»Das reicht, Sloane.«

»Das ist nicht lächerlich.« Sloane schluckte und drehte sich zur Tür um. »Sie werden schon sehen.«