Kapitel 52 

M ichaels Einsatz war als letzter Ausweg geplant. Um zwei Uhr morgens schien es unsere einzige verbleibende Option zu sein.

Sooft ich das Profil auch durchging, es änderte sich nichts. Die ritualisierten Elemente der Verbrechen machten es schwierig, auch nur die grundlegendsten Aspekte der Identität des UNSUBs zu bestimmen. Ertränken. Verbrennen. Durchbohren. Erdrosseln. Die Methoden verrieten nichts über den Killer, außer dass er in einer bestimmten Reihenfolge vorging.

Jung oder alt? Auf jeden Fall war er intelligent, aber gebildet? Schwer zu sagen. Wenn wir es mit einem Täter zwischen einundzwanzig und dreißig Jahren zu tun hatten, würde ich sagen, dass diese Person eine ähnliche Rolle erfüllte wie Webber für Deans Vater. Ein Lehrling. Sofern ein jüngeres UNSUB diese Morde beging, wollte es sich beweisen. Es spielte sich auf und suchte Anerkennung – es war begierig danach. Wenn das UNSUB älter war, würde es sich nicht als Lehrling betrachten. Für ein älteres UNSUB ginge es weniger um Anerkennung als um die Demonstration der eigenen Dominanz. Wenn es diesen Plan perfekt ausführte, würde es sich über die Sekte erheben – wahrscheinlich aus einer Machtposition heraus.

Du willst Macht – entweder weil du schon auf den Geschmack gekommen bist und mehr davon willst oder weil du dich schon zu lange machtlos fühlst.

Ich wandte mich gedanklich wieder den Opfern zu. In den früheren Fibonacci-Fällen war die Viktimologie eines der Unterscheidungsmerkmale gewesen, anhand derer wir die Killer auseinanderhalten konnten. Da muss es etwas geben , dachte ich immer wieder. Ich muss etwas übersehen haben.

Ertränken. Erwürgen. Die Opfer waren jung, weiblich. Die grausameren Tode waren den Männern vorbehalten.

Du tust Frauen nicht gerne weh. Ich dachte darüber nach. Natürlich tust du es, wenn es dem übergeordneten Ziel dient. Aber wenn du die Wahl hättest, würdest du es lieber sauber und unblutig machen. Das brachte mich dazu, über die anderen Beziehungen des UNSUBs nachzudenken. Eine Mutter? Eine Tochter? Eine Liebe?

Meine Schläfen pochten. Was noch? Ich konnte nicht aufhören, ich durfte nicht nachlassen. Uns blieben noch fünf Stunden, bevor Michael zum Majesty aufbrechen würde. Egal, wie schwer bewacht er sein würde, egal, wie viel wir wussten, dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.

Zwölfter Januar. Der Große Ballsaal. Das Messer.

Ich musste weitermachen. Ich musste nachdenken. Ich musste herausfinden, was wir übersehen hatten.

Denk nach. Wir suchten jemanden, der hochintelligent, organisiert und charmant genug war, um das Vertrauen von Menschen zu gewinnen. Alexandra Ruiz. Das Mädchen in Torys Show. Michael. Das UNSUB hatte mindestens drei Leute hypnotisiert.

»Cassie.« Michaels Stimme unterbrach meine Gedanken. »Geh ins Bett.«

»Mir geht’s gut«, erwiderte ich.

»Lügnerin.« Lia lag halb schlafend auf der Couch. Sie öffnete nicht einmal die Augen, während sie mit mir sprach. Sie war die Vernehmungen noch einmal durchgegangen, auf der Suche nach allem, was ihr beim ersten Mal entgangen sein mochte.

Sloane starrte schon seit Stunden auf das Muster.

»Briggs und Mullins rufen die Kavallerie«, sagte Michael. »Nicht weniger als ein Dutzend bis an die Zähne bewaffnete Agenten werden jeden meiner Schritte überwachen. Sobald sie ein Messer sehen, geht der Unbekannte zu Boden.«

So sollte es ablaufen, aber trotzdem sollte dieser Plan nur die allerletzte Möglichkeit sein.

Viktimologie , dachte ich. Vier Opfer. Ich konnte nicht aufhören. Nicht, bis am nächsten Morgen die Agenten kamen, um Michael abzuholen.