D as FBI nahm Beau Donovan in Gewahrsam. Er unternahm keinen Versuch, sich der Festnahme zu entziehen. Er leistete keinerlei Widerstand.
Das musste er auch nicht.
Du weißt, wir haben keine Beweise. Du hast dir deine Verteidigungsstrategie schon zurechtgelegt.
Du wirst es genießen.
Zum Zeitpunkt der Festnahme trug Beau keine Waffe bei sich. Dank des Stromausfalls hatte ihn niemand in der Nähe der Leiche beobachtet. Dafür bist du zu clever. Ich hatte genug Zeit im Kopf unseres UNSUBs verbracht, um zu wissen, dass Beau einen Plan hatte, wie er die Waffe loswerden würde. Du hast nicht damit gerechnet, verhaftet zu werden, aber was macht das schon? Sie können dir nichts beweisen. Sie können dir nichts anhaben.
Nichts kann dir jetzt etwas anhaben.
»Zweiundsiebzig Stunden.« Sloanes Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. Die Videoübertragung war unterbrochen worden, aber sie starrte immer noch auf das schwarze Display und sah Aarons Leiche, so wie ich mit geschlossenen Augen die blutbespritzte Garderobe meiner Mutter sehen konnte. »In den meisten Bundesstaaten können Verdächtige bis zu zweiundsiebzig Stunden festgehalten werden, bevor Anklage erhoben wird«, stammelte Sloane weiter. »In Kalifornien sind es achtundvierzig. Bei … Bei … Bei Nevada bin ich mir nicht sicher.« Ihre Augen quollen über vor Tränen. »Ich sollte mir sicher sein. Ich sollte es sein. Ich kann nicht …«
Ich ließ mich neben sie auf den Boden gleiten. »Es ist okay.«
Sie schüttelte den Kopf – wieder und wieder. »Ich habe meinem Vater gesagt, dass das passieren wird.« Sie starrte weiter auf das leere Display. »Zwölfter Januar. Der Große Ballsaal. Ich habe es ihm gesagt und jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Sind es achtundvierzig Stunden in Nevada oder zweiundsiebzig?« Sloane wedelte mit zitternden Händen in der Luft. »Achtundvierzig oder zweiundsiebzig? Achtundvierzig oder …«
»Hey.« Dean kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hände in seine. »Sieh mich an.«
Sloane schüttelte nur den Kopf. Ich sah hilflos zu Lia, die nicht von Sloanes Seite gewichen war.
»Wir werden ihn schnappen«, sagte Lia, ihre Stimme war so leise wie Sloanes, aber sie klang unheilvoll und tödlich.
Irgendwie drangen die Worte so tief in Sloanes Gehirn ein, dass das jüngere Mädchen aufhörte, den Kopf zu schütteln.
»Wir werden Beau Donovan an die Wand nageln«, fuhr Lia leise fort, »und er wird den Rest seines Lebens in einer Zelle schmoren, während die Wände auf ihn zurücken. Ohne Hoffnung. Ohne Ausweg. Nichts als die Erkenntnis, dass er verloren hat.« Lia sprach jedes dieser Worte mit hundertprozentiger Überzeugung aus. »Wenn wir es in achtundvierzig Stunden schaffen müssen, dann schaffen wir es in achtundvierzig Stunden, und wenn es zweiundsiebzig sind, dann schaffen wir es trotzdem in achtundvierzig. Weil wir gut sind, Sloane, und wir kriegen ihn .«
Langsam beruhigte sich Sloanes Atem. Schließlich blickte sie Dean an, während ihr die Tränen über die Wangen strömten.
»Ich war Aarons Schwester«, sagte sie. »Und jetzt bin ich es nicht mehr. Ich bin nicht mehr seine Schwester.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich brachte die Worte nicht heraus. Du bist noch immer seine Schwester, Sloane , wollte ich sagen. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, hörte ich, wie die Haustür geöffnet wurde. Einen Augenblick später erschien Michael auf der Schwelle zum Wohnzimmer.
Plötzlich erfasste mich die ganze Dimension der Situation mit voller Wucht. Es hätte Michael erwischen können. Wenn wir Vegas nie verlassen hätten, wenn Beau den Plan nicht geändert hätte, hätte es Michael treffen können. Daran durfte ich nicht denken. Aber ich tat es trotzdem. Michaels Kehle, durchtrennt mit einem Messer. Michael, mit einem Schlag ausgelöscht …
Michael blieb stehen, den Blick auf Sloane gerichtet. Er bemerkte die Tränen auf ihrem Gesicht, ihre gebeugten Schultern und tausend andere Hinweise, die ich nicht einmal wahrnehmen konnte. Als Naturtalent konnte Michael seine Fähigkeit nicht abschalten. Er konnte nicht aufhören zu sehen, was Sloane fühlte. Er sah es, er fühlte es, und ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er dachte: Es hätte besser mich treffen sollen.
»Michael.« Sloane stammelte seinen Namen mit erstickter Stimme. Sekundenlang starrte sie ihn nur an. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Du darfst nicht noch einmal weggehen«, fuhr sie ihn an. »Michael. Du darfst mich nicht auch noch verlassen.«
Michael zögerte einen Moment, dann trat er einen Schritt vor und noch einen und sank neben uns auf den Boden. Sloane schlang ihre Arme um ihn und klammerte sich an ihn, als ginge es um ihr Leben. Ich spürte die Wärme ihrer Körper. Ich fühlte, wie sich ihre Schultern vor Schluchzen krümmten.
Und alles, woran ich denken konnte, während ich mit ihnen auf dem Boden kauerte, war, dass Beau Donovan dachte, er hätte gewonnen. Er dachte, er könnte nehmen und töten und Leben zerstören, und nichts und niemand könnte ihm etwas anhaben.
Du hast falsch gedacht.