Nach dem Mittagessen verabschiedeten sich die beiden Frauen voneinander. Trudy machte sich auf den Heimweg, und Jona ging ins Büro zurück. Sie druckte die Datei Catania-Hotels – L.F. aus. Ihre Gedanken wanderten von Lord Fulton zu Jane Austen. Sie griff nach Stift und Papier und rief nacheinander alle fünf Tourführer an. Sie fragte zuerst, was für Leute an den Touren teilnahmen, denn sie selbst bekam die Gruppen nie zu Gesicht, die Buchungen erfolgten per E-Mail und telefonisch.
Viele englische, deutsche, amerikanische, und auffallend mehr und mehr indische Touristen, sagten sie.
Dann erkundigte sich Jona, wonach die Leute vor und nach der Tour fragten.
Restaurant- und Hotelempfehlungen. Was man sonst noch in Bath besichtigen sollte.
Jona fragte, ob die Leute erwähnten, wie sie auf Fairchilds Reisebüro aufmerksam geworden waren, denn in Bath gab es verschiedene Veranstalter von Städtetouren. Soweit Jona wusste, waren sie die einzigen, die explizit Jane-Austen-Touren anboten. Die anderen Touren waren allgemeiner. Bath-Sehenswürdigkeiten.
Zeitungsannoncen, Prospekte, Internetanzeigen, das war nicht überraschend, denn Jona war verantwortlich für Annoncen und hatte die Prospekte in Auftrag gegeben. Doch dann sagte Phoebe: Ravi. Die Touristen aus Indien erzählten von Ravi. Nicht nur englische Touristen wandten sich an ihn, sondern auch indische, die sich über England informieren wollten. Die letzte Gruppe aus Mumbai hatte eigentlich gar nicht nach Bath kommen wollen, sondern nach London. Aber Ravi hat ihnen Bath ans Herz gelegt.
»Danke, Fibi«, sagte Jona und legte auf. Sie sah auf die Uhr. In Mumbai war es viereinhalb Stunden später. Also früher Abend. Sie suchte Ravis Nummer heraus und rief an.
Ravi bestätigte, dass mehr und mehr wohlhabende Inder nach England reisten. Während sie sprachen, entwickelten sie eine Idee. Eine Zweigstelle in Indien, spezialisiert auf Luxusreisen nach England. London, Bath, Oxford, Cambridge, Newquay, Liverpool, Reading.
»Wir beide könnten die Touren führen«, sagte Ravi. »Ich komme mit den Leuten nach England, und dann legen wir los, Jona.«
Und ohne nachzudenken, ihren Widerwillen gegen das Reisen vergessend, sagte sie: »Ja.«
Sie beendeten das Telefonat mit dem Plan, Keaton in ein paar Tagen die Idee zu unterbreiten. Jona würde mögliche Reiserouten ausarbeiten. Und Ravi würde nach einem Standort suchen und überlegen, wie man das Ganze organisieren würde.
Beschwingt verließ Jona am Abend das Büro. Muriel stand vor ihrer Wohnungstür.
»Da bist du ja endlich«, sagte sie ohne eine Begrüßung. »Heute erzähle ich es ihm.«
»Was?«, fragte Jona verwirrt. Ihre Gedanken kreisten noch um die Zweigstelle in Mumbai.
»Lance. Mike. Ich treffe Lance gleich.«
»Willst du kurz reinkommen?«, fragte Jona. »Und wo ist Mike?«
»Bei seinem Vater.« Muriel sah auf die Uhr. »Ja. Ich hab noch ein paar Minuten.«
Jona holte eine Flasche Wein und zwei Gläser. Muriel trug einen engen Rock, Stiefel und perfektes Make-up.
»Du siehst wirklich gut aus«, sagte Jona.
Muriel erhob ihr Glas. »Danke. Ich hab richtig Schiss.«
»Auf dich«, sagte Jona. Sie stießen an.
»Und du kannst schon mal Koffer packen«, sagte Muriel.
»Schottland.«
Jona verschluckte sich und hustete.
»Du kannst dein Versprechen nicht brechen«, sagte Muriel.
Jona nickte. »Ich hab keinen Koffer. Und ich …«
»Jona«, sagte Muriel drohend.
»Nein … Ja …«, stammelte sie, »wenn du es wirklich tust, dann fahre ich.«
Jona umarmte Muriel zum Abschied und wünschte ihr viel Glück. Zurück im Wohnzimmer goss sie sich ein zweites Glas Wein ein. Natürlich wollte sie, dass Muriel Lance von Mike erzählte und dass Lance gut reagieren würde. Aber ein kleines bisschen hoffte sie auch, dass ihre Freundin kneifen würde. Die Vorstellung, nach Schottland zu reisen und an Lord Fultons Tür zu klopfen, ließ sie erschauern. Hatte das nicht etwas Stalkermäßiges? Schließlich hatte er sie nicht eingeladen, hatte nie direkt den Wunsch geäußert, sie wirklich kennenzulernen. Ja, er flirtete mit ihr, erzählte ihr Geschichten. Warum hatte er sie nie in Bath besucht? Zugegeben, sie hatte ihn auch nie eingeladen. Sie versuchte sich auf ihren Plan, den sie mit Ravi geschmiedet hatte, zu konzentrieren. Aber die Vorstellung des Lords, das unbestimmte Bild des Mannes, der ihr mal so vertraut war und dann wieder ganz fremd, unterbrach ihren Gedankenfluss. Sie trank ein drittes Glas und ließ ihre Gedanken frei.