Muriel und Jona saßen an Jonas Küchentisch und tranken Kaffee. Jonas Reise sollte am nächsten Abend um sieben Uhr dreizehn beginnen.
Wie ein Gedicht hatte sie die Verbindung – eine bessere gab es nicht – auswendig gelernt.
Der Titel des Sonetts lautete:
7 Uhr 13 Bath Spa Gleis 2 – Zug Richtung London Paddington
8 Uhr 9 Ankunft in Reading
8 Uhr 15 Reading Gleis 13 – Zug Richtung Manchester
10 Uhr 32 Ankunft in Stafford
10 Uhr 40 Stafford Gleis 3 – Zug Richtung Preston
Umsteigen in Crewe an Gleis 6
Abfahrt 11 Uhr 45 Nachtzug nach Iverness
Ankunft am Morgen um 8 Uhr 45 in Iverness
Weiter um 8 Uhr 55 nach Plockton
Ankunft in Plockton um 11 Uhr 17
Kurz hatte sie überlegt, ob es nicht doch sinnvoller wäre zu fliegen. Aber sie wollte mit einem Koffer im Zug sitzen. Die Erinnerung an Paris, an Baptiste mit etwas anderem, hoffentlich Besserem, zu überschreiben. Ihr war, als hätte sie schon zu viel versäumt, weil der Schmerz dieser ersten großen Enttäuschung sie gelähmt hatte. Ihr jeden Wagemut genommen hatte.
Jetzt buchten Muriel und sie ein Zimmer in einem Bed and Breakfast in Plockton.
Muriel hatte sich freigenommen, um den Tag mit Jona zu verbringen und sie am Abend zum Bahnhof zu begleiten.
Sie bestellten Pizza. Muriel verschlang ein Stück nach dem anderen, Jona bekam keinen Bissen herunter.
»Ich bin Ernährungsberaterin und esse Pizza und Pommes, trinke zu viel Alkohol und rauche. Und du arbeitest in einem Reisebüro und hast seit zwanzig Jahren Bath nicht verlassen«, sagte Muriel.
Die beiden sahen sich an und lachten.
Später packten sie Jonas Koffer. Eine Jeans, eine Wollhose. Drei Pullover. Grau, schwarz und rosa. Kaschmir.
Eine Bluse, einen Rock, Strumpfhose. Socken. Unterwäsche. Ein Paar halbhohe Schnürschuhe.
»Das reicht, oder?«, fragte Jona.
»Ja.«
»Als ich nach Paris gefahren bin, habe ich vierzehn Paar Schuhe und Schlittschuhe eingepackt. Es war Sommer.«
Jona schloss den Koffer.
»Was sage ich, wenn er vor mir steht?«
»Wie wäre es mit ›Guten Tag, Lord Fulton‹.«
Die beiden lachten.
»Guten Tag ist ein … ein Anfang«, sagte Jona.
Muriel druckte den Fahrplan aus und gab Jona das Bild von Lord Fultons Haus.
Sie schrieb die Nummer eines Taxiunternehmens auf und gab sie Jona.
»Was würde ich ohne dich tun?«, sagte Jona und nahm Muriels Hand in ihre.
»Was würde ich ohne dich tun?«, sagte Muriel.
Jona wurde ganz leicht. Egal was geschehen würde, sie hatte Muriel. Eine Freundin, eine wahrhafte Freundin.
Bevor sie ein Taxi riefen, ging Muriel in ihre Wohnung und packte in einen Jutebeutel eine Wasserflasche, eine Dose Cola, ein paar Proteinbars, eine Tüte Chips und ein Päckchen Skittles.
»Reiseproviant.«
Es war bereits dunkel draußen, als sie die Bahnhofshalle betraten. Am Ticketschalter kaufte Jona ihre Fahrkarte.
»Da haben Sie eine lange Reise vor sich«, sagte der schnauzbärtige Mann am Schalter.
Sie gingen zu Gleis 2.
Als der Zug einfuhr, umarmten die beiden sich.
»Ich wünsche dir ein Abenteuer, meine Freundin«, flüsterte Muriel.
Jonas Herz klopfte, aber es war keine Panik, sondern das Gefühl, verdammt lebendig zu sein.