Jona betrat ein Abteil, in dem nur eine alte Dame saß. Kurze lockige Haare, silberfarben mit einem Violettstich. Ihre Beine waren so kurz, dass sie in der Luft baumelten. Auf dem Sitz neben ihr stand eine Katzenbox aus geflochtener Weide.

»Guten Abend«, sagte die Alte.

Jona erwiderte ihren Gruß, verstaute den Koffer auf der Ablage über den Sitzen und nahm Platz.

»Das ist Putschi«, sagte die Alte, »Und ich bin Betty.«

»Jona«, sagte Jona.

Betty sah Jona an und fuhr in vertraulichem Ton fort: »Putschi war beim Arzt. Dr. Riley ist nach Bath gezogen. Ich wohne in London. Und Dr. Riley hatte seine Praxis in London. Aber jetzt ist er nach Bath gezogen. Putschi mag keine Veränderung. Ich würde alles für Putschi tun.«

Jona lächelte und nickte verständnisvoll, sie konnte Putschis Gefühle nachvollziehen. Veränderungen waren nicht einfach.

»Fahren Sie nach London?«, fragte Betty.

»Nein.«

»Wohin geht die Reise?«, hakte Betty nach.

»Schottland«, sagte Jona.

»Plockton.«

»Mein Enkel Simon wohnt in Schottland am Loch Ness. In einem Wohnmobil. Er war so ein guter Junge, und dann hat er das Studium abgebrochen, und jetzt sitzt er da und wartet darauf, das Monster zu sehen.« Betty beugte sich näher zu Jona. »Hat ein paar Schrauben locker, der Junge. Er sagt, er sei ein Forscher. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll.«

»Hat er Nessie gesehen?«, fragte Jona.

»Er sagt, Ja.« Betty schüttelte den Kopf. »Und dann haben sie einen Film über ihn gedreht. Und ich dachte, na ja, wenn sie einen Film über ihn machen, vielleicht ist er wirklich eine Art Forscher. Die BBC.« Betty lachte einmal laut auf. »Es war ein Film über Verrückte. Leute, die Begegnungen mit Aliens hatten, ein Vampirjäger und dann Simon. Also die Welt ist voller Spinner. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll«, sagte sie wieder. »Da sitzt der Junge den ganzen Tag am See und wartet auf Nessie. Kameras um ihn herum aufgebaut. Und manchmal springt er rein und taucht unter. Er hat eine richtige Ausrüstung mit Sauerstoffflasche und allem. Touristen kommen. Nicht um das Monster zu sehen, sondern um Simon, den Nessie-Forscher zu sehen. Er hält Vorträge – das muss ich ihm lassen, er weiß wirklich alles über das Monster. Über jede angebliche Sichtung … Die Touristen geben ihm ein paar Pounds. Davon lebt er … Sein Vater wollte, dass er Architekt wird, so wie er. Väter wollen

»Haben Sie Ihren Enkel besucht am Loch Ness?«, fragte Jona.

»Nein. Putschi kann nicht so weit reisen, und ich vertraue niemandem, auf Putschi aufzupassen. Falls sie vor mir stirbt und der Junge immer noch da am See sitzt, fahre ich hin.«

»Wie alt ist Putschi?«

»Neun.«

»Wie alt werden Katzen?«, fragte Jona.

»Oh, wenn sie gesund sind, dann können sie auch achtzehn oder noch älter werden. Mein Onkel hatte eine Katze, einen Kater, um genau zu sein. Er hat einundzwanzig Jahre gelebt. Er ist überfahren worden. Wer weiß, wie alt er sonst geworden wäre.«

Und dann schwiegen beide. Jona holte einen Proteinriegel aus ihrem Jutebeutel. Ihr Magen knurrte, sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Der Riegel schmeckte nach staubiger Schokolade und Kokosnuss. In Gedanken ging Jona die Zugverbindung durch.

8 Uhr 9 Ankunft in Reading auf Gleis 13.

8 Uhr 15 Zug Richtung Manchester auch auf Gleis 13.

Sie musste nicht das Gleis wechseln. Einfach stehen bleiben und rein in den nächsten Zug.

Die Abteiltür ging auf. »Fahrkarten bitte«, sagte der Kontrolleur. Er knipste Bettys Fahrschein ab. Dann sah er auf Jonas Ticket.

»Gute Reise«, sagt der Schaffner und verließ das Abteil.

Jona hievte ihren Koffer runter.

»Der hätte Ihnen ruhig helfen können mit dem Gepäck«, sagte Betty.

»Der Koffer ist nicht schwer. Nett, Sie kennengelernt zu haben, Betty.«

»Gleichfalls, gleichfalls. Und falls Sie doch am Loch Ness vorbeikommen und Simon sehen, dann sagen Sie ihm … Sagen Sie ihm einen schönen Gruß von seiner Oma Betty.«

Jona nickte.

»Und sagen Sie ihm, dass er nach Hause kommen soll.«

»Mach ich«, sagte Jona, »auf Wiedersehen.«