Kapitel 10 - Cito 

Warm schien an diesem Tag die Sonne auf Elysium herab. Cito saß im Morgenmantel an der gläsernen Tafel im Esszimmer seines Apartments und nippte an einer Tasse Kaffee. Mit der anderen Hand scrollte er auf einem Tablet durch Dokumente. Mit einem genervten Seufzer legte er das Gerät auf den Tisch. Er lehnte sich in seinem gepolsterten Sessel zurück und rieb sich das glatt rasierte Kinn. Diese Moore nahm seine Gedanken eindeutig zu stark in Beschlag.

Er stützte seinen Kopf auf eine Hand und blickte auf die glänzenden Fassaden der Hochhäuser. Sam. So hatten ihre Kameraden sie gestern genannt. Mehrere Runden des scheußlichen Gesöffs, das sie Bier nannten, hatten ihre Zungen gelockert. Er selbst hatte unbemerkt einige Gläser an sich vorbeigehen lassen. Ein klarer Verstand war oberste Priorität bei seiner Arbeit.

Sam. Er schnaubte unwillkürlich, während sein Blick in der Ferne verschwamm. Sie hatte ihn von Anfang an fasziniert. Die Gefahr, die sie ausstrahlte, hatte ihn gereizt. Wie ein wildes Tier, das er zähmen wollte. In die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht versunken, strich er mit dem Daumen über seine Lippen. Sie war ein seltenes Exemplar, das ihm gehören sollte. Doch seit ihrem Verschwinden wurde er das Gefühl nicht los, dass es ein Fehler gewesen war, dieser Faszination nachzugehen. Mit einem wütenden Knurren nahm er einen weiteren Schluck Kaffee.

»Berater Cito?« Das leise Räuspern seiner Hausdame erschreckte ihn so sehr, dass er sich an dem heißen Getränk verschluckte. Einige Tropfen befleckten seinen seidenen Morgenmantel. Er tupfte die Flüssigkeit hastig ab.

»Ja?«, fauchte er die Bedienstete an.

Mit hochrotem Kopf kniete sich die Frau in dunkelblauer Uniform neben ihn, um ihm bei der Entfernung der Flecken zu helfen. »Entschuldigen Sie … Ich wollte nicht …«

»Lassen Sie das.« Er stieß genervt ihre Hand weg. »Was gibt es?«

»General Titus wünscht Sie zu sprechen.« Am ganzen Leib zitternd, erhob sie sich und trat mit gesenktem Kopf von ihm weg.

Der hatte ihm noch gefehlt! Cito unterdrückte ein wütendes Zischen und atmete tief durch, um seine Nerven zu beruhigen. Er knirschte mit den Zähnen und signalisierte seiner Hausdame mit einem Wink, dass der Gast eintreten solle. Dass der alte Mann hierher kam, musste etwas zu bedeuten haben.

Eifrig verbeugte sich die Frau vor Cito und eilte aus dem Esszimmer. Es dauerte nicht lange, da erschien sie wieder in der Tür. Bevor sie den General ankündigen konnte, schob dieser sie ungeniert zur Seite und betrat den Raum allein. Unbeirrten Schrittes durchquerte er das Zimmer, bis er am Kopf des Tisches neben Cito ankam.

Dieser begrüßte ihn knapp und bot ihm mit einer Handbewegung den Stuhl zu seiner Rechten an. »General! Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«

Während Titus seine Kappe abnahm und auf dem Stuhl neben Cito Platz nahm, beantwortete er die Frage mit einem zackigen Kopfschütteln.

»Etwas anderes?« Cito blickte seinen Sitznachbarn fragend an.

Der General schüttelte erneut den Kopf. Dieses Mal genervter.

Cito lächelte seine Hausdame an. »Danke, Fräulein! Das wäre dann alles.«

Mit einem lakonischen Kopfnicken verließ die Frau den Raum, schloss die Tür hinter sich und ließ die beiden Männer allein.

Cito bemerkte, wie ihn der General mit eisigem Blick musterte. Insbesondere den Morgenmantel begutachtete er missbilligend. Cito lächelte ihn an. »Entschuldigen Sie meinen Aufzug. Meine Aufgaben haben mich gestern Abend länger in Beschlag genommen und ich habe heute nicht mit Besuch gerechnet.« Er trank den Kaffee aus und setzte die Tasse mit einem leisen Klirren auf der Tischplatte ab. Fragend musterte er die undurchdringliche Miene des Generals. Dieser Mann war wirklich ein Eisblock. »Was kann ich für Sie tun, General?«

»Wir müssen unser weiteres Vorgehen besprechen.« Der General strich die Jacke seiner Uniform glatt, überschlug die Beine und faltete seine Hände im Schoß.

»Weiteres Vorgehen? Ich dachte, Sie und Ihre Männer würden Moore orten und sicher nach Hause bringen?«

Bei Citos spöttischem Unterton verengte sich der Blick des Generals. »Leider gestaltet sich die Angelegenheit nicht so einfach wie ursprünglich angenommen. Wir konnten Moores Position orten. Jedoch verschwand nach kurzer Zeit ihr Signal.«

Die neue Information ließ Citos Augenbrauen in die Höhe wandern. Das Signal der eingepflanzten Ortungschips setzte nur aus, wenn das Herz des Trägers stoppte und den Chip nicht mehr mit Energie versorgte. Wie ärgerlich! Er würde seine Pläne überarbeiten müssen, wenn Moore tot war. »Das ist durchaus tragisch. Aber erklären Sie Moore für tot.«

»Dass das Signal ausgefallen ist, muss nicht bedeuten, dass Moore nicht mehr am Leben ist. Es besteht die Möglichkeit, dass sie ihn entfernt hat.«

Bei den Worten des Generals horchte Cito auf. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und fuhr sich mit einer Hand über den Mund. Was hatte diese Rothaarige gestern gesagt? Moore sei freiwillig mitgegangen? Seine Stirn kräuselte sich. Sein Gefühl hatte ihn also nicht getäuscht. Da war mehr im Busch. »Wie kommen Sie auf die Idee, dass sie das getan haben könnte? Der Chip ist ihre einzige Chance, in dem Dschungel da unten von uns geortet zu werden.«

Etwas im Blick des Generals veränderte sich. Seine Mundwinkel zuckten und seine Nasenwurzel kräuselte sich. War das etwa Verärgerung? Cito beobachtete seinen Besucher aufmerksam. Dieser räusperte sich und zupfte unsichtbare Fusseln von seiner Hose, bevor er zu sprechen begann. »Weil die Berichte über Moores Herkunft falsch sind.«

Cito runzelte die Stirn und griff nach einer weißen Porzellankanne, um sich frischen Kaffee einzugießen. »Sie meinen, dass sie nicht aus den Katakomben stammt?«

Cito kannte Moores Akte natürlich. Ansonsten hätte er sie wahrscheinlich verführt, aber sicher nicht zu seiner Partnerin machen wollen. Ihr Aufstieg aus der Unterwelt bis in die hohen Ränge des Militärs war eine gute Geschichte und gab Punkte bei der Bevölkerung.

»Um genau zu sein, stammt sie nicht von Elysium.«

Cito verschluckte sich erneut an seinem Kaffee und neue Flecken gesellten sich auf seinen Morgenmantel. Er fluchte leise und tupfte die Flüssigkeit mit seiner Serviette weg. »Woher sollte sie denn dann kommen?«

»Damasia.«

Cito lachte auf und warf die dreckige Serviette auf den Tisch. Der alte Mann musste seinen Verstand verloren haben! »Und wie soll ein kleines Mädchen aus Damasia auf die Inseln gekommen sein?«

»Ich war damals Major. Eine mir unterstellte Division stöberte sie bei einem Außeneinsatz auf. Meine Männer mussten ihr körperlich stark zusetzen, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Der damalige Leutnant hatte zu der Zeit sein eigenes Kind verloren, sodass er es nicht schaffte, den Befehl zum Töten der Kleinen zu geben, geschweige denn, es selbst zu tun. Daher schmuggelte er sie an Bord des Shuttles und brachte sie auf die Inseln. Als sie ankamen, informierte er mich.«

»Und wieso haben Sie das kleine Biest nicht augenblicklich über den Rand der Inseln geworfen?« Citos Stimme war ein bedrohliches Fauchen. Die unbeirrte Gelassenheit des Generals reizte ihn bis ins Mark. Dieser Mann erzählte ihm gerade von einem Hochverrat, als wäre es ein Sonntagsspaziergang mit seiner Großmutter.

»Das Programm für die Division Omega war damals in der Probephase und ich musste als Initiator mit Ergebnissen überzeugen. Die Berichte über ihren Kampf mit meinen Männern waren beeindruckend, sodass ich neugierig wurde. Ihre Amnesie spielte mir in die Karten. Daher überzeugte ich die Behörden von der Geschichte mit den Katakomben und nahm sie in das Omega-Programm auf. In den Händen meines besten Ausbilders erbrachte sie die Ergebnisse, die ich mir erhofft hatte. Ihre Leistungen halfen dem Programm.« Mit einem gleichgültigen Schulterzucken beendete Titus seine Erzählung. Er ließ sich in den Sessel zurückfallen und musterte Cito eisig.

Dessen Gedanken rasten. Was hatte sich der alte Mann dabei gedacht? Der Berater lehnte sich nach vorne und fixierte den General mit einem wütenden Blick. »Verdammt, Titus!«

Der Mann rümpfte bei dem Tadel leicht die Nase. Aber Cito ignorierte den Unmut des Generals. Zornig schüttelte er den Kopf. Seine Stimme zitterte vor Wut. »Sie haben wissend zugelassen, dass eine damasische Frau in all unseren Kampftechniken unterwiesen wurde. Nicht nur das, Sie haben es zugelassen, dass sie in den militärischen Rängen aufstieg und damit strategisches Wissen erlangte. Wenn der Obere Kreis davon Wind bekommt, können wir beide froh sein, wenn sie uns nur in die Katakomben verbannen!«

»Und exakt deswegen müssen wir unser weiteres Vorgehen besprechen.«

Cito lachte verzweifelt auf. Eine Damasierin! Verdammte Scheiße! Er hätte sich lieber eine von den stumpfen Töchtern der Gründungsfamilien angeln sollen. Seine Kiefer mahlten, während er den General mit einem Seitenblick fixierte. »Und ich nehme an, Sie haben einen Plan?«

»Zunächst müssen wir uns darum kümmern, alle potenziellen Mitwisser auszuschalten. Da wäre das damalige Einsatzteam, das sie als Kind aufgegriffen hat. Davon ist nur noch einer übrig. Dann der Oberarzt, der Moore behandelt hat. Ihm sind zwar keine Details bekannt, aber mein gesteigertes Interesse an ihr könnte ihn misstrauisch machen.«

Cito nickte zustimmend. »Die beiden zum Schweigen zu bringen, wird keine Schwierigkeit sein. Doch da wäre noch Moores Team.«

»Ihr Team?« Fragend zog Titus eine Augenbraue in die Höhe.

»Ich habe gestern Abend mit den dreien gesprochen. Sie vermuten, dass Moore freiwillig verschwunden ist. Die drei sind clever und könnten eins und eins zusammenzählen. Und jetzt sagen Sie mir, wie wir, ohne großes Aufsehen zu erregen, drei ausgebildete Divisionssoldaten zum Schweigen bringen sollen?«

Die Mundwinkel des Generals zogen sich zusammen. Nachdenklich strich er durch seine kurzen Haare. »Vielleicht ist großes Aufsehen genau das, was wir brauchen.«

Interessiert hob Cito seinen Blick. Das klang, als hätte der Mann eine Idee.

»Wie reagiert wohl der Obere Kreis darauf, wenn wir Moores Fahnenflucht bloß als Spitze eines Eisbergs darstellen? Wenn alles eine Verschwörung der Katakomben ist, um sich mit Damasia zu verbrüdern und die Familien zu stürzen?«

»Sie würden jede verfügbare Einsatzkraft schicken, um diese Bewegung niederzumachen.« Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf Citos Lippen. Allmählich verstand er den Plan des Generals. Es wäre ein Leichtes, die drei Soldaten aus den Katakomben als Mitwisser hinzustellen. Dazu noch einige Verbindungen in die Unterwelt fingieren und so einige Personen wären wunderbare Sündenböcke. »Und Sie werden Schaden von ihrem Programm Omega abwenden können, wenn wir Moore und ihre Bande als Hochverräter dastehen lassen?«

Mit einer Handbewegung winkte Titus ab. »Es wird mich zwar um ein, zwei Jahre zurückwerfen, aber wenn ich dafür meinen Kopf auf den Schultern behalte, nehme ich das in Kauf.«

»Und was ist mit Moore?«

»Der Obere Kreis wird vor allem sie tot sehen wollen, was uns sicherlich in die Karten spielt. Machen Sie sich daran und überzeugen Sie den Oberen Kreis von der Verschwörung auf den Inseln. Ich stelle derweil ein Team zusammen, um Moore aus dem Weg zu räumen.«

Cito erhob sich langsam von seinem Sessel. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging langsam die Längsseite des Tisches auf und ab. Die Bewegung half ihm beim Nachdenken. Er wägte seine Optionen ab. Titus steckte eindeutig tiefer in dieser Sache drin. Wenn aber das Ganze aufflog, wäre er ebenfalls involviert. Sein Image würde irreparable Kratzer abbekommen. Entweder als liebestrunkener Vollidiot oder als dummer Hochverräter. Beides Eindrücke, die ihm seinen Aufstieg auf den Inseln erschweren würden. Cito trat an die bodentiefe Fensterfront des Raumes. Sein Plan nahm langsam Form an. »Na schön. Ich bin dabei. Meine Männer kümmern sich um diesen Arzt und den Veteranen. Außerdem werde ich unverzüglich den Oberen Kreis über die beunruhigenden Geschehnisse und deren Hintergründe informieren.«

Titus schnaubte zufrieden, setzte seine Kappe auf und erhob sich. »Ich mobilisiere meine besten Männer. Mit dem Befehl des Kreises werden wir uns Moores Leute greifen.«

»Aber Titus!« Cito fixierte den General. »Ich erwarte von Ihnen höchste Diskretion. Bevor ich den Kreis nicht überzeugt habe und der Plan zum Zerschlagen des Aufstandes steht, darf niemand davon erfahren!«

Sein Gast nickte und tippte an den Schirm seiner Kappe. »Das versteht sich von selbst. Berater Cito.« Mit einem Kopfnicken wandte sich der General zum Gehen.

Cito erwiderte die Geste gedankenversunken. Bevor Titus durch die Tür verschwand, sprach Cito den älteren Mann erneut an. »Und General?«

Titus hielt in seiner Bewegung inne und wandte sich ihm mit einer fragenden Miene zu.

»Sorgen Sie dafür, dass Moore nie wieder einen Fuß auf diese Inseln setzt. Egal, wie!« Citos Stimme war eisig. Er würde seine Stellung nicht durch eine elende Damasierin verlieren!

»Darauf können Sie sich verlassen.« Erneut tippte Titus an den Schirm seiner Kappe und verließ endgültig den Raum.

Er hinterließ einen nachdenklichen Cito, der noch immer an den Fenstern seines Esszimmers stand und auf die Türme Calaris starrte. Ihm gefiel das nicht! Ganz und gar nicht! Und vor allem nicht, dass er mit General Titus da drin hing. Er traute dem Mann keinen Meter und war sich sicher, dass Titus nicht eine Sekunde zögern würde, ihn ans Messer zu liefern. Er musste vorsichtig sein.