Kapitel 21 - Alex 

Alex ließ Maggies Hand nicht los. Er zog sie mit sich durch die Nebenstraßen Calaris . Mit leeren Augen stolperte sie ihm nach, klammerte sich an seine von Blut und Schweiß feuchte Hand. Sie waren über die Drahtseile ungehindert bis auf das Dach eines Hochhauses der Hauptinsel gekommen. Durch das Treppenhaus waren sie endlich wieder auf den Boden gelangt. Als sie sich durch eine Hintertür auf die Seitenstraße neben dem Haus gestohlen hatten, waren auf den Straßen bereits etliche Polizeiwagen im Einsatz. Immer wieder suchten sie hinter Müllcontainern oder in Hauseingängen Schutz, um den bemannten Wagen nicht in die Arme zu laufen. Ihr Ziel war die Lilac Street.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchten die flackernden Schilder der Clubs vor ihnen auf. In den frühen Morgenstunden waren nur noch vereinzelte Besucher in den Etablissements unterwegs. Alex nahm einem betrunkenen Pärchen eine Jacke ab und hüllte Maggie darin ein. Unter der großen Kapuze versteckte er ihre roten Haare. Liebevoll strich er über ihr Gesicht. Einige Tränen hatten Spuren im Schmutz auf ihren Wangen hinterlassen. Ausdruckslos blickte sie Alex an, während er wütend seine Kiefer aufeinanderpresste. Sie würden alle dafür zahlen!

Er ergriff wieder ihre Hand und zog sie weiter mit sich. Vor einer Bar blieb er stehen. Der massige Türsteher begrüßte ihn mit einem Handschlag. Der Mann wies mit seinem Kopf in die Richtung der Hauptstraße, auf der erneut die Lichter der Polizei aufleuchteten. »Alles gut bei euch? Das war eine ordentliche Explosion vorhin. Die Cops sind ziemlich in Aufruhe.«

Alex zog die Nase hoch und spuckte auf den Boden. Sein Blick fixierte den Mann vor ihm. »Sagen wir mal so. Wäre mir lieber, wenn wir drinnen darüber weiterreden könnten.«

Die Augenbrauen des Kolosses hoben sich. Doch er gab mit einem Kopfnicken den Weg frei. Alex bugsierte Maggie an dem Mann vorbei durch die Tür, die mit schweren Eisenbeschlägen verziert war. Ein Raum mit schummrigem Licht empfing sie dahinter. Zigarettenrauch hing in der Luft und die Musik einer altmodischen Musikbox waberte über die Köpfe der wenigen Besucher.

Alex ging zielstrebig auf den Tresen an der Kopfseite des Raumes zu. Über der aus Brettern gezimmerten Bar hing gelangweilt die Barkeeperin. Alex beugte sich zu ihr. »Ist er da?«

Sie blickte von ihrem Smartphone auf und musterte ihn. Ihr Blick fiel auf Maggie, die Alex hinter sich hergezogen hatte. Ihre rauchige Stimme wies auf eindeutig zu viele Zigaretten hin. »Und wer genau will das wissen?«

»Ein Freund, der Hilfe braucht«, war Alex’ knappe Antwort.

Langsam beugte sie sich vor und funkelte ihn zornig an. »Ich glaube nicht, dass der Chef Freunde hat.«

»Alex!« Ein tiefer Bass dröhnte über die Musik. Alex stieß sich mit einem feixenden Blick zur Barkeeperin vom Tresen ab und ging auf Zane zu, der in der Tür zum hinteren Zimmer stand. Sein dicker Bauch wackelte unter einem Lachen, sodass Alex befürchtete, die Knöpfe seines roten Seidenhemdes würden dem nicht standhalten. Er ergriff die ausgestreckte Hand des Mannes. Leise klirrten Zanes viele Goldringe, als Alex zupackte. »Zane!«

»Was für eine schöne Überraschung! Hast dich lange nicht mehr blicken lassen!«

»Viel zu tun.«

»Das glaube ich! Die Ärsche da oben wischen sich ja nicht von selbst.« Unter einem neuen Lachen klirrten die Reihen der goldenen Ketten um seinen Stiernacken. Seine Pranke hieb auf Alex‘ Schulter ein. Zane hatte schon immer eine besondere Art von Humor. Alex schluckte einen Konter herunter. Er brauchte die Hilfe des Mannes. »Ich muss mit dir sprechen. Unter vier Augen.«

Zane zog eine Augenbraue in die Höhe. Das Grinsen auf seinen Pausbacken wurde eine Spur feister. »Sicher. Kommt rein! Lexi, bring was Anständiges zu trinken für mich und meine Gäste«, wies er die Barkeeperin an. Diese schnalzte abschätzig mit der Zunge und sah zu, wie Alex gemeinsam mit Maggie im Hinterzimmer verschwand.

Bei jedem Besuch wurde Alex aufs Neue von dem Prunk im Hinterzimmer erschlagen. Zane staffierte nicht nur sich, sondern auch sein Büro liebend gerne aus. Dunkles Holz an den Wänden, goldene Statuen und Lampen nahmen Alex förmlich die Luft.

Zane trat hinter den wuchtigen Tisch aus Mahagoni und setzte sich mit einem Ächzen in den gepolsterten Drehstuhl. Er ließ sich zurücksinken, sodass der Stuhl unter seinem Gewicht bedrohlich knarzte. Er ließ die beiden nicht aus den Augen, während Alex Maggie vorsichtig auf einen der anderen Sessel bugsierte. Er zog ihr die Kapuze vom Kopf. Mit einem prüfenden Blick nahm er ihr Gesicht in eine Hand. Die Leere in ihrem Blick machte ihm große Sorgen. Dahinter tobte ein Kampf der Trauer, den er nur allzu gut kannte. Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange. Als sie ihn für einen Augenblick fixierte, lächelte er sie an und flüsterte ihr zu: »Das wird schon.«

Die Bedienung hatte in der Zwischenzeit die Drinks gebracht. Seufzend griff Alex nach einem der Gläser und trank die dunkle Flüssigkeit in einem Zug aus. Sein Gesicht verzog sich. Das brannte wie die Hölle! »Verdammt, Zane! Dein Zeug wird auch immer mieser!«

Er stellte das Glas wieder auf den Tisch und ließ sich in einen der Sessel fallen. Mit zwei Fingern massierte er seine Schläfen. Staub rieselte in seinen Schoß. Er musterte seine dreckige Kleidung. Die beiden mussten ein elendes Bild abgeben. »Ich brauche deine Hilfe. Wir müssen für einige Zeit von der Bildfläche verschwinden.«

»Dann sind die Cops hinter euch her?«

»Die Ärsche vom Rat wollen uns etwas anhängen.«

»Ah, richtig! War diese Moore nicht dein Leutnant? Die Kleine muss es ja faustdick hinter den Ohren haben, wenn sie sich traut, zu desertieren.«

Alex schnaubte und blähte seine Nasenflügel. »Wir hatten damit nichts zu tun.«

»Schade …« Zane murmelte seine Antwort in sein Doppelkinn. Er griff nach einem Glas und schwenkte die Flüssigkeit einmal, bevor er daran nippte.

Alex ignorierte den Kommentar. Sie mussten die Sache schnell klären. Er griff in seine Jackentasche und zog ein Bündel Credits daraus hervor. Er warf das Geld auf den Tisch. »Ich zahle auch für deine Hilfe.«

Zane leckte sich Tropfen seines Drinks von den Lippen und grunzte genüsslich, während er das Glas weiter kreisen ließ. Über den Rand des Glases hinweg betrachtete er die Scheine. Dann schnalzte er mit der Zunge und nahm einen weiteren Schluck. »Ich will dein Geld nicht, Junge!«

»Was soll der Scheiß?« Alex bleckte die Zähne. Sie hatten keine Zeit für dämliche Spielchen! Er hieb mit einer Faust auf die gepolsterte Armlehne und rutschte auf dem Sitz ein Stück nach vorne. Sein Zeigefinger erhob sich zitternd. »Ich dachte, wir wären quitt. Ich habe dir damals geholfen und du hast es mir ermöglicht, in das Programm der Divisionen einzusteigen. Win-win. Das waren damals deine Worte.«

Zanes gewaltiger Bauch bebte erneut unter einem Lachen, was die gespannten Knöpfe an seinem Hemd in Bedrängnis brachte. Er nahm einen letzten Schluck aus seinem Glas, bevor er es auf dem Tisch abstellte. Er verschränkte die Hände vor seinem Wanst und ließ seinen Blick über Maggie wandern, die immer noch apathisch im Sessel versank. »So aufbrausend kenne ich dich gar nicht, Alex. Die Kleine muss dir wirklich wichtig sein! Ich helfe euch natürlich. Aber ich will kein Geld dafür.«

Alex’ Augen weiteten sich. Er hätte es wissen müssen! Bei Zane musste man mit allem rechnen. Aber so sehr es ihm auch missfiel, sie brauchten seine Hilfe. »Was willst du?«

Erneut erklang Zanes Lachen hinter dem Schreibtisch. Er fuhr mit einem Finger eine seiner Ketten entlang und beugte sich dann nach vorne. Der Stuhl unter ihm ächzte. »Der Wind auf Elysium steht auf Veränderung. Der Tote in der Lilac Street, Verräter aus den Katakomben in den Reihen der Division. Die Familien werden sich nicht mit euren Köpfen zufrieden geben.«

»Wie meinst du das?«

»Es brodelt in den Katakomben. Die Menschen haben die Repressalien satt. Lang genug wurde ihnen ein Leben an der Oberfläche verweigert. In den Schatten der Schächte werden bereits seit einiger Zeit die Messer gewetzt. Das ist den Arschlöchern da oben nicht entgangen. Sie werden ein für alle Mal Ruhe in die Katakomben bringen wollen. Und wenn die Razzien anfangen, wird das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.«

Mit einem lauten Lachen warf sich Alex in seinem Sessel nach hinten. Glucksend fuhr er sich durch die Haare. »Das glaubst du doch selbst nicht, Zane! Dein Geschäft ist der Schmuggelhandel. Du lebst davon, dass die Familien die Leute da unten einsperren! Wieso solltest du die Hand beißen, die dich füttert?«

Zane griff nach dem letzten vollen Glas auf dem Tisch. Er zog einen kleinen Schluck des Inhalts zwischen seinen Lippen ein. Schmatzend ließ er die Flüssigkeit in seinem Mund kreisen, bevor er schluckte. Dann hob er seinen Blick zu Alex. »Ich muss auch an meine Zukunft denken. Die Veränderung ist unumgänglich. Und wenn ich den Putschisten zwei ausgebildete Soldaten aus der Division zur Unterstützung bringe, werde ich mir des Wohlwollens des neuen Systems sicher sein.«

»Das ist also dein Preis dafür, dass du uns Unterschlupf gibst? Wir sollen für die Katakomben kämpfen?« Alex schnaubte auf. Er hatte mit so einigem gerechnet, aber nicht damit. Er lachte verzweifelt auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Zwischen seinen Fingern sah er, wie Zane ihm zunickte. Alex schüttelte den Kopf, sodass Staub aus seinen Haaren aufstieg. »Nein! Das kannst du vergessen. Wir haben unsere eigenen Kämpfe auszutragen.«

Alex stand auf und wandte sich zum Gehen. Da packten Maggies Finger sein Handgelenk. Ihr Griff war fest und ihr Blick klar. Neue Tränen rannen über ihr Gesicht, aber ihre Nasenwurzel kräuselte sich unter dem Schmutz. »Wir sind dabei.«

»Maggie!« Alex kniete sich zu ihr. Erleichtert seufzte er auf. Sie war wieder bei ihm. Er ergriff ihre Finger mit beiden Händen. Sie blickte ihn an. »Wir werden auf Zanes Deal eingehen.«

»Du hast keine Ahnung, worauf du dich da einlässt!«

»Diese Wichser haben Sam und Rob auf dem Gewissen. Ich will, dass sie dafür bluten!«

Alex hatte noch nie eine solche Wut in ihren Augen gesehen. Ihr zierlicher Körper bebte unter seinen Händen und ihre Fingernägel krallten sich in seine Haut. Ihre Kiefer mahlten aufeinander. Egal, was er jetzt sagte, es würde in der Hitze ihres Zorns verbrennen. Er seufzte ergeben. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, sprach er: »Wir haben eine Abmachung.«

 

Er hatte gehofft, dass er diese Gänge nie wieder in seinem Leben würde betreten müssen. Das Geräusch ihrer Schritte auf dem Gitterboden war ihm noch allzu vertraut. Er griff fester um Maggies Hand. Obwohl sie weit von den Maschinen im Bauch der Inseln entfernt waren, war es warm und stickig, sodass ihre Finger schwitzig wurden. In den Rohren, die die Decke des schmalen Gangs verdeckten, gluckerte und zischte es. Alex knirschte mit den Zähnen. Es hatte ihn Überwindung gekostet, durch die Falltür im Boden von Zanes Büro zu springen.

Der Zugang war gut versteckt in den Eingeweiden der Unterwelt der Inseln. Immer wieder schloss Zane vor ihnen Türen auf, nahm Abzweigungen oder zwängte sich durch Luken in die Tiefe. Auf ihrem gesamten Weg trafen sie keine Menschenseele. Wenigstens etwas! Alex schnaubte, wodurch er husten musste. Die Luft hier unten war schrecklich.

Plötzlich blieb Zane keuchend und mit hochrotem Kopf vor einer weiteren Tür stehen. Er musterte die Zeichen, die mit weißer Farbe auf die Oberfläche gemalt waren, und nickte dann zufrieden. Der Schlüsselbund an seinem Gürtel klimperte, als er ihn hervorzog und den richtigen Schlüssel suchte. Zane öffnete die quietschende Tür und baute sich mit einem triumphierenden Lächeln davor auf. Er wies mit einem Arm in den dunklen Raum dahinter. »Dann mal hereinspaziert in die gute Stube!«

Alex kannte die Lager des Schmugglers. In den vielen versteckten Kammern hortete er seine Ware, um sie schließlich den Bewohnern der Katakomben zu horrenden Preisen zu verkaufen. Der Anblick der deckenhohen vollgestellten Regale war nicht neu für Alex. Mit geschürzten Lippen musterte er die Kisten, die jeden Zentimeter des Raums einnahmen.

»Ruht euch etwas aus. Ich komme in ein paar Stunden wieder. Und denkt nicht, dass ich nicht mitbekomme, wenn hier drinnen etwas fehlt!« Mit erhobener Augenbraue fixierte Zane Alex und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Dieser winkte mit einem Augenrollen ab. »Ich habe gerade wirklich andere Sorgen, als dich zu beklauen.«

Die Augen des Schmugglers verengten sich und musterten Alex gründlich von oben bis unten. Dann schnaubte er und schloss die Tür hinter sich.

Neben Alex seufzte Maggie leise auf. Sie umschlang ihren Oberkörper und rieb beide Hände an ihren Oberarmen. Obwohl es wärmer als in den Gängen war, schüttelte ein Frösteln ihre schmalen Schultern. Ihre Erschöpfung musste noch größer sein als seine eigene. Besorgt musterte Alex sie für einen Augenblick. Dann zog er eine Matratze aus einer der Ecken hervor. Er fand einen kleinen Fleck, der nicht mit Kram zugestellt war, und ließ das Fundstück fallen. Er wies mit dem Kinn auf den Boden. »Du solltest dich etwas ausruhen.«

Maggie zog kraftlos die Riemen ihres Rucksacks von den Schultern. Achtlos fiel das Gepäckstück neben ihr zu Boden und wenige Augenblicke später rollte sie sich auf der Matratze zusammen. Sie vergrub ihr Gesicht zwischen ihren angezogenen Knien. Ihr Anblick zerriss Alex das Herz. Hilflos blickte er sich im Raum um. Schließlich griff er in ein Regal und zog etwas daraus hervor.

Als er die Decke über Maggie ausbreitete und unter ihr feststopfte, griff sie nach seinem Arm. Ihre halb offenen Augen blinzelten ihn gegen das Licht der Halogenleuchten an der Decke an. Sie sagte nichts, sondern zog ihn zu sich herunter. Als er schließlich neben ihr lag, rutschte sie näher an ihn heran und legte ihren Kopf an seine Schulter.

Mit großen Augen beobachtete er sie dabei. So nahe war sie ihm noch nie gewesen. Er konnte nicht verhindern, dass ihm Röte in die Wangen schoss. Er räusperte sich und verschränkte wortlos die Arme hinter seinem Kopf. Sie war seine Kameradin und hatte gerade ein traumatisches Erlebnis durchgestanden. Er sollte sich darauf nichts einbilden! Er biss die Zähne zusammen und starrte schweigend an die Rohre an der Decke. Das gleichmäßige Gluckern darin lullte ihn ein, sodass er leicht zusammenzuckte, als Maggies leise Stimme zu ihm drang.

»Rob und ich waren die Ältesten von insgesamt sechs Geschwistern. Unsere Eltern waren immer damit beschäftigt, alle Mäuler zu stopfen. Seitdem ich denken kann, gab es nur Rob und mich.« Ihre Finger umklammerten den Fetzen von Robs Shirt, der ihre Hände beim Klettern geschützt hatte. Alex kannte die Geschichte der Geschwister. Aber er lauschte Maggie schweigend.

»Rob war damals so sauer auf mich, als ich mich ebenfalls für das Programm Omega gemeldet habe. Ich habe ihm nie gesagt, dass ich das gemacht habe, damit er nicht allein gehen muss.« Ihre Schulter bebte leicht und ihre Stimme brach unter einem aufsteigenden Schluchzen. Sie schniefte leise und rang nach Atem.

Wut schnürte Alex die Brust zu. Maggie war einer der liebenswürdigsten Menschen, die er kannte. Sie hatte stets dafür gesorgt, dass auch seine Meinung neben Robs lautem Poltern geltend gemacht wurde. Es war nicht fair, dass sie das durchstehen musste. Seine verschränkten Finger gruben sich in seinen Hinterkopf.

»Wir haben beide gewusst, dass der Dienst in den Divisionen gefährlich ist. Aber ich habe irgendwie immer gedacht, dass wir Seite an Seite bei einem Einsatz sterben würden.« Ihre Stimme war belegt durch die Tränen, die Alex’ Shirt unter ihrer Wange feucht werden ließen. Ihr Kopf zuckte, als sie hart schluckte. Sie kämpfte um jeden Atemzug.

Alex’ Wut schlug in Hilflosigkeit um. Seine Stirn zog sich zusammen und er presste seine Lippen aufeinander. Ihre Schultern bebten unter weiteren Schluchzern. Was konnte er sagen, um ihr zu helfen? »Mein Bruder ist ebenfalls tot.«

Maggies tränenvernebelter Blick hob sich zu ihm. Er wagte es nicht, in ihr Gesicht zu blicken. Die nächsten Worte fielen ihm nicht leicht. Seine Geschichte war keine glückliche. »Er hat für Zane als Schmuggler gearbeitet. Dabei haben sie ihn erwischt. Er hat sich bei seiner Festnahme widersetzt und wurde erschossen.«

»Dann hast du auch für Zane gearbeitet?«

Alex schloss die Augen und verzog seine Lippen zu einem kläglichen Grinsen. »Mein Bruder wollte mir ein besseres Leben ermöglichen. Durch seine Arbeit kam er an Lebensmittel und Medizin. Wir hatten ein eigenes kleines Zimmer und ein richtiges Bett. Aber er hat das Leben hier unten gehasst. Er hat davon geträumt, mich bei einer seiner Touren mitzunehmen und nicht mehr zurückzukommen.«

Alex fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und lachte verlegen auf. Er hatte die folgenden Worte nie laut ausgesprochen. Sie jetzt auf den Lippen zu spüren, wirkte lächerlich. »Ich weiß, es klingt dumm, aber ich wollte ihm diesen Traum erfüllen. Als Zane mir damals das Angebot machte, dass ich eine Tour für ihn mache und er mich dafür in das Omega Programm bringt, habe ich zugestimmt, ohne zu zögern.«

Maggie zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie ihren Kopf wieder an Alex’ Brust schmiegte. Für einige Zeit schwiegen die beiden und lauschten dem Stöhnen der Katakomben.

»Wird es einfacher?« Ihre Stimme war ein Hauchen unter neuen Tränen.

»Wird es. Mit der Zeit.« Er legte einen Arm um sie und zog sie enger an sich. Unter seinem Kuss auf ihren Kopf wurden ihre Schultern von Schluchzern geschüttelt. »Versprochen.«

 

Das Quietschen der Tür riss Alex aus seinem Dämmerschlaf. Maggie, die ebenfalls eingeschlafen war, hob blinzelnd den Kopf von seiner Brust. Er schob sie sanft von sich, war jedoch schnell auf den Beinen und stellte sich schützend vor die Matratzen.

Zane schob sich schnaufend durch die Tür. Mit einem Tuch wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht, bevor er dem Mann hinter sich Platz machte. Hinter ihm schloss er die Tür wieder sorgfältig. Er wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zu Alex um, nicht ohne die Matratze und die Decke mit einem tadelnden Blick zu quittieren. Aber anscheinend beschloss er, nicht weiter darauf einzugehen. »Maggie, Alex, darf ich euch Mason vorstellen? Seine Männer und er … nun ja, lasst es mich so ausdrücken: Sie hegen einen gewissen Unmut bezüglich des bestehenden politischen und gesellschaftlichen Systems auf Elysium.«

Der fremde Mann nickte ihnen zu. Sein Blick ließ Alex schaudern. Denn hinter dem hochgestellten Kragen seines Mantels blickte ihm eines seiner Augen blind entgegen. Über seine linke Gesichtshälfte zog sich ein Wirrwarr aus Narben. Alex konnte nur mutmaßen, dass die vom Kragen verdeckte untere Hälfte noch schlimmer aussah. Auch wenn seine Kleidung von Flecken und Schmutz übersäht war, strahlte er eine Autorität aus, die Alex ihm anerkennen musste.

»Ihr seid also diejenigen, die die da oben so in Aufruhr gebracht haben?«

Alex schnaubte als Antwort. Hinter ihm schälte sich Maggie aus der Decke und stand langsam auf. Sie stellte sich dichter als gewohnt neben ihn.

Mason fixierte die beiden. Der Blick seiner milchigen Pupille in Alex’ Gesicht war unangenehm. Er bleckte die Zähne und ballte die Finger zu Fäusten.

»Du scheinst zumindest auf den ersten Blick nicht gelogen zu haben. Die beiden stehen gut im Futter und die Kleidung spricht für Oberfläche.« Masons Worte waren an Zane gerichtet, wobei er mit einem behandschuhten Finger auf ihre Trainingsanzüge deutete.

Der Schmuggler baute sich mit geschwollener Brust neben ihm auf und ließ seine Ringe klimpernd an den Gliedern seiner Ketten entlangfahren. »Würde ich dich je bescheißen, Mason?«

Dieser warf Zane einen Seitenblick unter hochgezogener Augenbraue zu und schnaubte gegen den Stoff seines Mantels. »Eine Versicherung wäre mir schon ganz lieb.«

»Ich kann dir auch noch die andere Hälfte deiner Fresse verunstalten, um dir zu zeigen, dass ich wirklich ein Soldat der Division bin«, wütend spie Alex den dürren Mann vor ihm an und machte einen Schritt auf ihn zu. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein?

»Alex.« Maggie legte ihre Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück. Er gab ihrem Ziehen nach und trat wieder zurück, allerdings nicht, ohne Mason noch einmal anzuzischen. Der Typ gefiel ihm nicht!

»Feuer hat der Bursche jedenfalls!«

Masons raues Lachen erstarb augenblicklich, als sich Maggie vor Alex schob und ihren Blick auf ihn richtete. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Gründungsfamilien haben mir meine Familie genommen. Dafür werden sie bezahlen. Du hast die Wahl, ob du dabei an unserer Seite oder in unserem Weg stehen willst.«

Sie zog fragend die Augenbrauen hoch und streckte ihm die Hand hin.

»Zane, du hattest Recht. Die Lady gefällt mir.« Mason zog sich den Handschuh aus, bevor er einschlug.