Kapitel 32 - Brietta 

Sie hasste es hier unten. Brietta biss die Kiefer aufeinander und schluckte ein Aufwallen der Trance hinunter. Die Gänge vor ihr zogen sich ins Endlose. Die fensterlosen Wände, das flackernde Licht der Neonröhren, das stete Brummen der Maschinen und das Rauschen in den Rohren. Alles sah gleich aus. Dazu diese unsägliche Hitze! Eine Schweißperle lief ihr den Rücken hinunter. Vorhin schien die Idee der alten Kampfanzüge, die die Rebellen irgendwoher besorgt hatten, keine schlechte zu sein. Jetzt verfluchte sie die Panzerung. Sie zog am Kragen und schnaubte leise.

»Keine Sorge. Je weiter wir an den Rand der Insel kommen, umso kühler wird es werden.« Maggies Stimme erklang hinter ihr. Brietta hatte ihre beiden Teamkameraden nicht davon abhalten können, sie zu den Ladehallen zu begleiten.

»Wenn ich dann noch etwas Sauerstoff bekomme, ist es fast wie Urlaub«, knurrte sie als Antwort, woraufhin Alex hinter ihr gluckste. Brietta schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf, wandte ihren Blick wieder nach vorne und musterte den schmalen Rücken des Mannes, der vor ihr lief. Dieser Mason war nicht sonderlich redselig. Aber sowohl die Trance als auch ihr Bauchgefühl hatten ihr gesagt, dass sie ihm vertrauen konnte. Sie mochte ihn. Obwohl sie nicht genau sagen konnte, wieso. Vielleicht war es sein Gesicht oder zumindest der Teil, der nicht von dem hochgestellten Kragen seines Mantels verdeckt wurde. Die Narben waren sicherlich nur ein Vorgeschmack darauf, was der Stoff verdeckte.

Der drahtige, hochgewachsene Mann hatte angeboten, ihnen einen Weg zu den Ladehallen der Shuttles zu zeigen. Er blieb abrupt vor ihr stehen. Er hockte sich vor ein Gitter, das auf Kniehöhe in die Wand eingelassen war, und lauschte für einen Moment in die Dunkelheit. Dann nickte er zufrieden und zog Werkzeug aus seiner Manteltasche. Mit dem passenden Ende löste er die Schrauben und zog das Gitter von der Wand. Während er sich wieder aufrichtete, wies er mit einer Hand in den Schacht hinein. »Ungefähr auf der Hälfte des Weges findet ihr eine Klappe. Die führt in eine Abstellkammer. Wenn ihr aus der Kammer links abbiegt, kommt ihr zu den Ladehallen.«

Bevor Brietta reagieren konnte, hatte sich Alex bereits an ihr und Maggie vorbeigeschoben und warf sich mit einem dankenden Kopfnicken an Mason in den Schacht hinein. Kopfschüttelnd blickte Brietta ihm hinterher und trat an den Eingang heran. Da schob sich Masons Hand in ihr Blickfeld. Sie stockte und richtete sich wieder auf. Eine solche Geste hatte sie nicht vom ihm erwartet. Sein gesundes Auge blitzte ihr entgegen. Sie zögerte, griff dann aber zu.

»Es hat mich gefreut, dich endlich einmal persönlich zu treffen. Mein Bruder Bruce hat in seinen Erzählungen nicht übertrieben.« In seiner Stimme war ein stolzes Lächeln zu hören.

Bei dem Klang des Namens brannte die Narbe auf ihrer Wange auf, sodass sie Masons Hand losließ und sich ins Gesicht griff. Ihre Fingerspitzen fuhren über die warme Haut. Sie hatte Bruces Rolle in dem Ganzen nicht verstanden. »Ich wusste nicht, dass Bruce aus den Katakomben stammt.«

Ein raues Lachen drang hinter dem Kragen hervor. »Das tut er auch nicht. Wir beide sind Kinder der Oberfläche.«

Erstaunt schnaubte Brietta auf und musterte Mason und seine Narben erneut. Sie wies mit dem Zeigefinger auf ihr Auge. »Eine Strafe der Gründungsfamilien?«

»Ich habe zu laut geäußert, dass ich nicht zufrieden mit deren Politik bin.«

Ein böses Lachen rollte in ihrer Kehle, während sie seine Worte mit einem Kopfnicken quittierte. Sie wischte sich eine Schweißperle von der Stirn. Sie zögerte, ihre nächste Frage zu stellen. Aber dann nahmen ihre smaragdgrünen Augen den Mann vor ihr in Visier. Vielleicht war dies die letzte Chance, sie überhaupt stellen zu können. »Wusste Bruce von den Plänen des Generals?«

»Er wusste, dass er etwas mit dir vorhatte. Bei dem Mann konnte das nichts Gutes bedeuten. Mein Bruder und ich stehen auf der gleichen Seite. Jedoch haben wir andere Mittel gewählt. Statt mit mir an der Front in den Katakomben zu kämpfen, ist er der Meinung, dass man das System nur von innen heraus zerstören kann. Daher hat er versucht, dir die richtigen Dinge mit auf den Weg zu geben.« Sein Nicken wies auf die Narbe auf ihrer Wange, auf der noch immer ihre Finger ruhten. Sie strich darüber. Mit einem letzten Gedanken verklang der Schmerz darin. Bekämpfe mich! Stürze mich! Auch Bruce hatte ihre Gabe erkannt. Auch er hatte versucht, sie für seine Zwecke einzusetzen. Ihr Hass gegen ihn und die Familien sollten die Katakomben befreien. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und ihre Hand wanderte hoch zu der Holzperle in ihren Haaren. »Richte Bruce aus, dass ich ihm für seine Lektionen dankbar bin. Sag ihm, dass er Recht hatte. Ich bin zu etwas Größerem geboren.« Mit diesen Worten nickte sie Mason ein letztes Mal zu und schwang sich in den dunklen Schacht hinein.

Ihre Seite brannte. Die Schmerzmittel des Docs halfen zwar, konnten aber nicht den gesamten Schmerz ausschalten. Sie blendete das Stechen aus und schob sich immer weiter entlang des Belüftungsschachtes. Hinter ihr konnte sie Maggie schnaufen hören.

Brietta atmete erleichtert auf, als sich Alex’ Umrisse vor ihr aus dem Halbdunkeln schälten. Licht fiel durch die Schlitze eines Gitters in der Seite des Ganges. Sie schloss zu ihm auf und nickte ihm zu. Er vergewisserte sich mit einem Blick durch das Gitter, dass die Luft rein war. Erst dann ließ er die Klappe mit einem leisen Scheppern auffallen. Mit den Füßen voran schob er sich aus dem Schacht. Brietta wartete sein leises Pfeifen ab, bevor sie sich ebenfalls durch die Öffnung schob. Schwungvoll ließ sie sich in die Kammer hinunterfallen. Wie Mason gesagt hatte, war dies eine Abstellkammer, sodass sie neben einem Putzwagen landete. Auf ihren Pfiff hin kam auch Maggie durch die Luke. Kaum hatte sie den Boden erreicht, trat Alex an die Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Er warf einen prüfenden Blick dahinter. Als er sich mit einem Kopfnicken zu ihnen umdrehte, schlossen die beiden Frauen den Helm ihrer Anzüge. Hinter Alex trat Brietta auf den Gang hinaus. Sie wandte sich nach links und nahm wie gewohnt die Position an der Spitze ihrer Gruppe ein. Leise brodelte die Trance in ihren Adern. Dass der Gang sich leer vor ihr erstreckte, verstärkte ihr ungutes Gefühl. Wieso war es hier so verlassen? Sie wischte ihre Zweifel beiseite, als hinter der nächsten Abbiegung das Tor zu den Ladehallen sichtbar wurde. Die vertrauten Warnschilder auf den geschlossenen Rollläden ließen ihren Gang schneller werden.

Das Tor war wenige Meter von ihr entfernt, da schrillte plötzlich die Trance in ihrem Hinterkopf auf. Abrupt fuhr sie herum und blickte in die erstaunten Gesichter zweier Wachen, die in ihren Gang einbogen. Das Gespräch der beiden Männer erstarb augenblicklich. Irritation zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab, hielt jedoch nicht lange an. Einer der Männer streckte seinen Rücken durch und bellte ihnen seine Anweisung entgegen. »Ihr da! Ausweisen!«

Brietta reagierte nicht auf ihn, sondern machte den letzten Schritt auf das Tor zu. Mit einem Schlag auf den Knopf an der Wand betätigte sie die Mechanik der Türöffnung. Augenblicklich setzten sich die Ketten in Bewegung und die Rollläden öffneten sich langsam.

»Ausweisen, habe ich gesagt!« Die beiden Wachmänner hatten ihre Waffen gezogen und rannten auf die drei zu. Als Maggie sich zu Boden warf, um in den schmalen Spalt zu rollen, eröffneten die Wachen das Feuer. Leise fluchend, duckte Brietta sich in die Nische in der Wand. Sie konnte nur zusehen, wie die Männer Maggie ins Visier nahmen. Die rote Mähne verschwand in den Funken der abprallenden Kugeln. Brietta griff zu der Waffe in ihrem Holster. Sie hatte die Pistole noch nicht einmal erhoben, da hörte sie bereits das vertraute Sirren von Alex’ Messern.

Im nächsten Moment sackte einer der Männer im Laufen zu Boden. Der fallende Körper brachte seinen Kollegen ins Stolpern. Er brauchte zwei Schritte, bis ein Messer in seinem Hals ihn gänzlich aufhielt.

»Kommt schon!« Maggies Stimme erklang durch das Rattern der Rollläden zu ihnen. Immerhin schien es ihr gut zu gehen. Brietta duckte sich unter dem Metall hindurch und warf ihrer Freundin einen prüfenden Blick zu. Diese grinste sie an. »Alles gut! Sie haben mich nicht erwischt.« Ihre Worte galten Alex, der mit geweiteten Augen auf sie zustürzte, als er ebenfalls unter dem sich öffnenden Tor hervorkam.

Mit dem Griff ihrer Pistole zerstörte Brietta die Toröffnung auf ihrer Seite. Augenblicklich blieben die Rollläden stehen. Das laute Knirschen des Metalls hallte zwischen den Reihen der Shuttles wider. Das war sicherlich nicht sonderlich unauffällig gewesen. Aber sie durften jetzt keine Zeit mehr verschwenden.

»Beeilung!« Alex und Maggie im Rücken, machte Brietta sich auf den Weg zu einem der Flugschiffe in der ersten Reihe. Die Sohlen ihrer Schuhe quietschten auf dem glatten Boden der Halle. Das Geräusch verklang gespenstisch unter den hohen Decken. Vereinzelt war das Knacken von Motoren oder das Piepen eines Kontrollsignals zu hören.

»Ich kümmere mich um die Startcodes!« Alex verschwand im Kontrollraum, wo er einen der diensthabenden Soldaten aufschreckte. Brietta war gerade dabei, die Türsicherungen des Shuttles zu knacken, da zischte die Trance ihr zu. Die Dringlichkeit in der Stimme ließ sie innehalten. Sie trat einen Schritt zurück und blickte die Reihen der Schiffe entlang. Sie konnte Bewegungen in der Ferne ausmachen. Die Trance schärfte ihre Sicht, sodass sie Soldaten am anderen Ende der Halle ausmachen konnte. Die Männer schoben beladene Paletten in den Laderaum eines Shuttles. Bei dem Anblick schwappte die Trance aufgeregt gegen ihren Verstand. Etwas daran gefiel ihr ganz und gar nicht. Augenblicklich setzte sich Brietta in Bewegung.

»Brietta!« Sie ignorierte Maggies Zischen hinter sich und pirschte sich immer weiter durch die Halle. Als sie näher kam, konnte sie erkennen, was die Soldaten verluden. Zornig zog sie die Luft zwischen den Zähnen ein und ballte die Hände zu Fäusten. Sprengstoff. Die Männer beluden das Schiff mit Unmengen an Sprengstoff! Bei dem, was ihr die Trance dann zuflüsterte, weiteten sich ihre Augen.

»Was soll das?« Maggie kniete sich neben sie unter den Rumpf eines Shuttles. Ihre Augen funkelten sie wütend an. Sie legte ihre Hand auf Briettas Unterarm und wollte sie zurückziehen. Ohne ihren Blick von den Männern zu nehmen, schüttelte Brietta ihre Hand ab. »Die wollen den nördlichen Stützpunkt in die Luft sprengen.«

»Wie bitte?«

»Wenn sie die Anlage in die Luft sprengen, kann sie nicht in damasische Hand fallen.«

Bei ihren Worten erschien Alex in ihrem Rücken. Er pfiff leise durch die Zähne. Er hockte sich zu ihnen, während er die Paletten musterte, die unaufhörlich in das Shuttle geladen wurden. »Autopilot auf Kollisionskurs und man kann so einiges damit wegpusten!«

»Aber auf dem Stützpunkt sind auch Leute von uns.« Maggie schüttelte den Kopf.

»Als ob das die Familien kümmern würde.« Brietta knirschte mit den Zähnen. Die Trance weitete ihre Pupillen und kreiselte in ihrem Blut. Sie musste sich beherrschen, nicht augenblicklich das Feuer auf die Soldaten zu eröffnen. Die Explosion dieser Menge an Sprengstoff wäre riesig. Sie konnte davon ausgehen, dass sich sowohl Aithne als auch Colin innerhalb des Radius befinden würden. Sie unterdrückte bei dem Gedanken ein wütendes Keuchen.

»Was nun?« Alex’ Augen musterten Brietta aufmerksam und er hielt ihr die Disc mit den Startcodes hin. Sie musterte für einen Moment das Gerät in seiner Hand. Dann schob sie es von sich weg. »Nehmt die Codes und haut damit ab. Ich kümmere mich um das Ding.« Sie wies mit dem Kopf auf das Schiff hinter ihr. In Maggies Gesicht stand der Protest geschrieben. Bevor dieser seinen Weg über ihre Lippen finden konnte, nahm Brietta sie in die Arme. »Danke. Für alles!«

Mit diesen Worten löste sie sich wieder von ihr. Auch Alex umarmte sie rasch. »Wehe, du brichst ihr das Herz!«

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und huschte die letzten Meter zum Shuttle. Sie schaffte es, sich ungesehen hinter dem vorderen Fahrgestell des gegenüberstehenden Flugschiffs zu verstecken. Vor ihr ging mit einem leisen Sirren die seitliche Tür des Laderaumes auf. Heraus trat ein Mann in der Uniform eines Piloten. Er hob seinen Blick zum hinteren Teil des Shuttles und trat an die Laderampe heran, wo ein Soldat mit Tablet in der Hand die Sprengstoffverladung überwachte. »Seid ihr fertig?«

»Noch ein Container. Dann können wir die Kiste losschicken.« Der Mann an der Rampe blickte von seinem Tablet auf. Der Pilot betrachtete die letzte Palette, die an ihnen vorbei in den Laderaum geschoben wurde.

»Ist im Cockpit so weit alles eingestellt?«

»Der Autopilot wird das gute Stück direkt in den nördlichen Stützpunkt steuern.«

Wütend biss sich Brietta auf die Lippe. Die Trance hatte Recht behalten. Ihre Hand wanderte zu der Pistole in ihrem Holster. In dem Moment gingen die Alarmsirenen der Ladehalle an. Wild blinkten die Warnsignale an den Wänden und das Klacken der Notverriegelung der vielen Tore war durch die schrillen Sirenen zu hören. Anscheinend waren die beiden toten Wachen gefunden worden.

»Was zum …« Erstaunt hoben der Soldat und der Pilot die Köpfe. Bevor die beiden realisieren konnten, was geschah, trat Brietta aus ihrer Deckung hervor und tötete den Soldaten mit einem gezielten Kopfschoss. Als der Mann zu Boden sackte und Blut, Gehirn und Knochensplitter in die Luft stoben, schrie der Pilot erschrocken auf. Er sprang zur Seite. Aber weit kam er nicht. Eine Kugel aus ihrer Waffe tötete auch ihn. Keine Sekunde später kletterte Brietta durch die seitliche Tür in das Innere der Shuttles und schloss sie hinter sich. Die Rufe der anderen Soldaten verhallten in einem Poltern aus der Richtung der Laderampe.

Brietta schlängelte sich zwischen den unzähligen Containern hindurch. Durch einen schmalen Spalt erhaschte sie einen Blick auf Maggie, die die Leiche eines Soldaten von der Rampe schob. Ihre Freundin nickte ihr mit einem breiten Lächeln zu und verschwand im selben Moment in Richtung eines anderen Shuttles.

Der Knoten in Briettas Magen lockerte sich etwas. Zumindest würden ihre Freunde fliehen können. Sie hastete weiter an den Containern entlang nach vorne zum Cockpit. Der Pilotensitz knarzte, als sie sich darauf warf. Hastig überflog sie die Anzeigen und Bildschirme. Das Einschlagen von Kugeln ließ sie hochschrecken. Laute Rufe hallten durch die geöffnete Ladeluke. Bereits wenige Augenblicke später zeigte ihr einer der Monitore die Sicht der Außenkameras des Shuttles an. Was sie darauf sah, ließ sie leise fluchen. Durch die geöffneten Tore der Halle drängten sich Soldaten. In den geschlossenen Reihen konnte sie auch einige Segmente der Divisionssoldaten ausmachen. Als Maggie die Turbinen des Shuttles neben ihr dröhnend anspringen ließ, fokussierten die Soldaten ihr Feuer darauf. Sie musste die Ablenkung nutzen! Brietta riss ihren Blick von dem kleinen Monitor und widmete sich wieder der Oberfläche vor ihr. Es war einfach gewesen, die Laderampe zu schließen und die Türen zu verriegeln. Aber der Pilot hatte ganze Arbeit geleistet. Eine solche Verschlüsselung der Einstellungen war ihr bisher noch nie untergekommen.

»Fuck!« Erneut fluchte sie und ihre Fäuste hieben auf die Armaturen. Sie würde es in der kurzen Zeit nicht schaffen, den Autopiloten zu deaktivieren. Neben ihr erhob sich das Shuttle mit ihren Freunden und steuerte auf den Ausgang der Hallen zu. Unaufhörlich prasselten die Schüsse auf das Metall des zweiten Schiffes ein. Die seitlichen Turbinen richteten sich auf und das Schiff beschleunigte. Ihre Freunde verschwanden hinter einer Wand aus dunklen Wolken.

Nun lenkte sich die Aufmerksamkeit allein auf ihr Shuttle. Die gebrüllten Befehle der Leutnants drangen bis zu Brietta. Vereinzelte Kugeln prallten an der Außenseite ihres Schiffes ab. Aber ihre Angreifer waren clever genug, auf einen mit Sprengstoff beladenen Laderaum nicht das Feuer zu eröffnen. Stattdessen zog sich der Ring der Soldaten um das Shuttle immer enger. Wenn sie die Tür erreichen und eindringen würden, hätte sie keine Chance. Ihr blieb keine Zeit mehr. Sie stieß Luft zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hervor und schlug auf den Startknopf des Shuttles. Augenblicklich kamen die Turbinen zum Leben. Der Windstoß warf die ersten Reihen der vorrückenden Soldaten zu Boden. Ihre Hintermänner wichen zurück. Die betont freundliche Frauenstimme des Bordcomputers erklang im Innenraum. »Startcodes aktiviert. Autopilot aktiviert. Zielkoordinaten: Erde, nördlicher Stützpunkt.«

Ruckelnd erhob sich das Flugschiff. Die Turbinen dröhnten noch einmal auf, bevor das Shuttle beschleunigte und die Ladehallen hinter sich ließ. Die Lichter wurden von dunklen Regenwolken verschluckt, als sich das Luftschiff von Calaris entfernte. Bald herrschte eine undurchdringliche Dunkelheit vor den Scheiben des Cockpits. Die Lichter im Innenraum wurden gedämmt, als das Shuttle ruckelnd seinen Kurs einnahm.

»Scheiße!« Wütend ließ Brietta ihre Finger über die Anzeigen der Armatur fliegen. Immer verzweifelter wurden ihre Versuche, den Autopiloten auszuschalten. Doch egal was sie tat, der Bordcomputer verweigerte jeden manuellen Eingriff. Dann rauschte es in der Funkverbindung. »Du hast dich also wirklich dazu entschieden, die Hand zu beißen, die dich gefüttert hat, Samantha Moore!«

Der Klang von Citos Stimme verengte ihr für einen Moment den Hals. Sie schluckte ihren Ekel hinunter und atmete durch. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Ihre Finger flogen von Neuem über die Anzeige. Vielleicht konnte sie den Kurs ändern.

»General Titus war so dumm und hat dich unterschätzt. Dieser Fehler wird mir nicht passieren. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass es eine solche Menge an Sprengstoff braucht, um dich zu töten.« Sein Lachen rieselte kalt ihren Nacken hinunter, sodass sie ihre Schultern schaudernd schüttelte.

»Es ist zwar eine Verschwendung von Talent – und vor allem von einem so hübschen Gesicht. Aber du wirst sterben, Moore. Dort unten im Dreck, gemeinsam mit dem Abschaum.« Es rauschte und knackte in der Leitung, als diese wieder geschlossen wurde.

Heißer Zorn kochte in Briettas Adern hoch. Ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen und Tränen der Wut stiegen in ihr hoch. Ihre Nasenflügel bebten. Sie schrie aus purer Verzweiflung die Schalter vor ihr an. Egal, was sie tat, immer wieder blinkte dieser beschissene rote Balken der Ablehnung vor ihr auf dem Display auf.

Colin und Aithne befanden sich in der Nähe des Stützpunktes. Sie durfte nicht zulassen, dass dieses Schiff dort hineinraste. Sie hieb mit beiden Fäusten auf das Pult ein. Ein leises Knacken der Oberfläche ließ sie innehalten. Ein Riss durchzog das Glas der Anzeige. In diesem Moment erklang das kühle Flüstern der Trance in ihren Ohren. Die vertraute Stimme wisperte ihr eine weitere Möglichkeit zu.

Brietta lachte heiser unter einem Schluchzen auf. Wie immer hatte die Trance Recht. Dies war die einzige Möglichkeit, die ihr noch blieb, um ihre Liebsten zu retten. Mit steifen Knien erhob sie sich vom Pilotensitz und trat einen Schritt zurück. Mechanisch griff sie an das Holster an ihrem Oberschenkel und ihre Finger legten sich um das kühle Metall des Griffes ihrer Pistole. Ihr Blick schweifte über die Anzeigen und Schalter des Cockpits. Sie zog die Waffe und feuerte. Die Kugeln zerfetzten die Schaltkreise des Bordcomputers und legten das Gehirn des Schiffes lahm. Augenblicklich fielen alle Lichter im Inneren aus, sodass Brietta nur mithilfe der Trance etwas erkennen konnte.

Ein Ruck ging durch das Shuttle. Die Turbinen erstarben, da das Kontrollsystem keine Befehle mehr gab. Für eine Sekunde stand das Schiff in der Luft. Dann spürte Brietta, wie sich der Boden unter ihren Füßen neigte. Die Schnauze voran, fiel das Shuttle und sie fiel mit ihm. Sie klammerte sich an der Lehne des Pilotensessels fest. Wolken rasten an ihr vorbei. Die Warnsignale des Notsystems schrillten auf, warnten sie davor, dass sich das Luftschiff immer schneller dem Erdboden näherte.

Brietta kämpfte sich die letzten Schritte nach vorne und nahm auf dem Sessel Platz. Mit zittrigen Fingern schloss sie den Anschnallgurt um ihre Brust. Als sie das leise Klicken des Verschlusses hörte, ließ sie sich erschöpft zurückfallen. Ruhe erfasste sie und verscheuchte das Zischen der Trance aus ihrem Kopf. Das Shuttle war zu weit vom Stützpunkt entfernt und würde irgendwo im Nirgendwo auf der Erdoberfläche zerschellen. Sie würde ihre Familie retten können. Sie lächelte.

Als die Schnauze des Luftschiffes durch die Wolken brach, sah Brietta, wie die Sonne vor ihr bereits aufging. Die Strahlen der tief stehenden Sonne blendeten sie. Sie schloss die Augen und ihre Hand wanderte zu der Holzperle in ihrem Haar. Ihre Fingerkuppen legten sich um die raue Oberfläche. Ihr Geist griff nach der Verbindung zu ihrer Schwester. Wenigstens würde sie sie dieses Mal nicht im Ungewissen lassen.