D ie herrschaftliche zweistöckige Villa im Tudor-Revival-Stil stand auf einem Hügel im exklusiven Wohnviertel Kalorama Heights; hügelabwärts grenzte das Anwesen an einen Park. Die massiven Mauern aus handbehauenem Naturstein und das antike gusseiserne Tor waren eher dekorativ als funktional, passten jedoch perfekt zum Gesamtbild der Fünf-Millionen-Dollar-Residenz. Für ihre persönliche Sicherheit vertrauten Senatorin Dixon und ihr Ehemann Aaron Gage auf die diskreten Dienste einer privaten Sicherheitsfirma, die das Anwesen mit ehemaligen Soldaten von Spezialeinheiten rund um die Uhr bewachten.
Nachdem die aus Guatemala stammende Haushälterin das Geschirr des späten Abendessens – chilenisches Wolfsbarschfilet mit Erbsen-Minz-Püree – abgetragen hatte, goss Dixon zwei Fingerbreit Scotch on the rocks für sich und ihren Ehemann ein, die sie in der intimen Atmosphäre von Aarons Bibliothek zu sich nahmen.
»War ein langer Tag«, seufzte Dixon, ließ sich neben Aaron auf das Sofa fallen, legte die Füße auf seinen Schoß und trank einen Schluck.
»Und wurde sicherlich noch länger, als Arnie van Damm auftauchte«, schmunzelte Aaron Gage, während er ihr mit seinen starken Händen die Füße massierte.
Mit seinen zweiundsiebzig Jahren war Gage sechzehn Jahre älter als seine Frau, aber der Finanzguru hielt sich fit, indem er sich täglich der Folterroutine auf seinem fünfzehntausend Dollar teuren »Total Body«-Crosstrainer unterwarf. Das Ehepaar besaß mehrere Wohnsitze in verschiedenen Teilen des Landes, und in jedem Haus stand eine solche Fitnessmaschine.
Als sie sich kennenlernten, war Dixon, die ihren Master of Business Administration am Wharton College gemacht hatte, Vizepräsidentin für Marketing in einer kleinen Firma gewesen, die kurz zuvor von Aarons Unternehmen übernommen worden war. Gage hatte gerade eine schmerzhafte und schmutzige Scheidung hinter sich und war daher nicht an einer neuen Beziehung interessiert. Dixon jedoch war ledig, attraktiv und brillant, und die Chemie zwischen ihnen stimmte von Anfang an perfekt. Sie fanden ihren Spaß miteinander und aneinander, nicht nur in der Vorstandsetage, sondern auch im Schlafzimmer. Vom ersten Tag an entwickelte sich zwischen ihnen eine unglaublich starke Partnerschaft, die sich für beide als ausgesprochen nützlich erwies.
»Schlau von dir, nicht in die Politik zu gehen«, sagte Dixon nach einem weiteren Schluck.
»Alles ist Politik«, erwiderte Gage und drückte beide Daumen in ihr Fußgewölbe. »Und bei allem geht es um Finanzen. Ich werde nur besser bezahlt. Willst du über etwas Bestimmtes sprechen?« Er griff nach seinem Glas.
»Arnie war sauer – nicht einfach nur verärgert, sondern richtig wütend. Das heißt, dass auch Ryan wütend ist, und das macht mir eine Menge Angst.«
»Angst? Dir? Seit wann macht dir irgendetwas Angst?«
»Seit ich beschlossen habe, selbst POTUS zu werden.«
»Ryan nähert sich dem Ende seiner Amtszeit, er ist schon jetzt eine Lame Duck. Und er hat sich eine Menge Feinde gemacht. Darüber haben wir doch schon öfters gesprochen.«
»Aber er lässt sich nicht von irgendwelchen Ruhestandsplänen ablenken. Er ist immer noch völlig auf seinen Job fixiert, scharf wie ein Laserstrahl. Ich will nicht seine nächste Zielscheibe werden.«
»Warum solltest du auch? Du hast alles richtig gemacht. Ein Dutzend Anwälte von den besten Kanzleien hier und im Ausland haben alles auf Herz und Nieren geprüft und abgesegnet. Unsere Sache ist luft- und wasserdicht. Ryan kann gegen den Wind schreien, so laut er will. Das kann uns scheißegal sein.«
Dixon trank einen weiteren Schluck Whisky. »Ich mache mir nicht Sorgen um mich selbst.«
Das Schweigen hing über ihnen wie Nebel.
Gages gute Stimmung verflog. Sie hatte eine alte Wunde berührt. »Ich würde mir über Christopher keine Sorgen machen.«
»Ich habe keinen Namen genannt.«
»War auch nicht nötig.« Gereizt kippte Gage den gesamten Rest Scotch hinunter.
Nach der Scheidung von seiner an Alkoholismus leidenden Ex-Frau hatte Gage das alleinige Sorgerecht für seinen einzigen Sohn Christopher zugesprochen bekommen. Dixon hatte verstanden, dass Gage nur im Zweierpack mit seinem Sohn zu haben war, aber Stiefmutter zu sein hatte ihre dürftigen mütterlichen Instinkte auf eine harte Probe gestellt. Die lästige Pflicht wurde ein wenig leichter, nachdem sie Christopher in eine Privatschule gegeben hatten.
Trotz seines hohen IQ und seiner vielversprechenden sportlichen Fähigkeiten hatte der junge Mann ein Faible für schlechte Entscheidungen und noch schlechtere Freunde entwickelt, was dazu führte, dass er von mehreren Eliteschulen verwiesen wurde. Nur teuren Anwälten und dicken Bündeln an Bargeld war es zu verdanken, dass dem schwierigen Jungen die eigentlich wohlverdienten Gefängnisstrafen erspart blieben.
Ein beinahe tödlicher, durch Trunkenheit am Steuer verursachter Unfall in seinem ersten Studienjahr hatte Christopher anscheinend endlich auf den richtigen Weg gebracht. An der Stanford Graduate School of Business legte er ein Prädikatsexamen ab, trat in den väterlichen Konzern ein und arbeitete sich innerhalb eines Jahrzehnts zum CEO von Gage Group International hoch, einer Konzerntochter mit Schwerpunkt auf Projekte der öffentlichen Infrastruktur und Logistik. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt leitete Christopher in Polen sein eigenes Unternehmen, Baltic General Services.
Aber Dixon blieb misstrauisch. Der Junge – inzwischen ein achtunddreißigjähriger Geschäftsmann, wie sie sich immer wieder klarmachen musste – war allzu oft mit knapper Not an Katastrophen vorbeigeschrammt, und Dixons Gedächtnis reichte weit zurück.
Aaron konnte jähzornig sein. Es war nicht ratsam, sich mit ihm anzulegen, und das galt sogar auch für Dixon selbst.
Sie zog ihre Füße von seinem Schoß zurück, stand auf, nahm sein Glas und ging zur Bar hinüber. »Wie läuft es in Polen?«, fragte sie über die Schulter.
»Christopher macht seinen Job gut. Im Moment sondiert er noch das Umfeld und stellt Kontakte her.«
Dixon goss Scotch in beide Gläser. »Er ist ein cleverer Junge. Du wirst stolz auf ihn sein.« Sie kehrte zur Couch zurück und reichte Aaron sein Glas.
»Ich wünschte nur, er würde sich endlich irgendwo niederlassen und heiraten. Ich möchte mit meinen Enkeln noch Ball spielen, bevor ich senil werde.«
»Vielleicht findet er eines dieser schönen, langbeinigen polnischen Mädchen.«
»Bestimmt sucht er so eifrig, wie er nur kann«, schmunzelte Aaron und trank einen Schluck.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, dachte sie.
»Ich werde ihn bitten, dort drüben vorsichtig zu sein. Du verstehst meine Position, nicht wahr?« Sie lächelte. »Unsere Position.«
Gage nahm noch einen Schluck. »Er weiß, welche Linien er nicht überschreiten darf.«
Dixon stand noch immer neben der Couch und schaute auf ihn hinab. »Auch wenn sich die Linien ständig verschieben?«, fragte sie über den Rand ihres Glases hinweg.
»Solange wir es sind, die die Linien verschieben, sollte das kein Problem sein.«
»Aber begreift er denn, was auf dem Spiel steht?«
»Er ist mein Sohn, oder nicht?«
»Gott sei Dank.« Dixon lächelte. »Danke, dass du dir meine Sorgen angehört hast. Es war ein langer Tag.« Sie leerte ihr Glas.
Auch Gage kippte den Rest. »Glaube mir, Christopher macht das gut.« Er stand auf und reckte sich gähnend. »Ich gehe schlafen. Und du?«
»Ich muss noch ein paar Papiere für die Komiteesitzung lesen, aber ich komme bald nach.«
Gage beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. »Gute Nacht.«
Als er die Treppe zum Schlafzimmer hinaufstieg, nahm er sich vor, gleich morgen früh seinen Sohn in Polen anzurufen.
Bevor es zu spät war.