S ie feuerte zwei .380-Patronen genau zwischen die Augen des Mannes.
»Mein Gott, wie ich diesen Laser liebe!«, seufzte Dixon.
Ungefähr zehn Meter entfernt hing die Papierfigur schlaff im Zielbereich der Schießhalle. Der rote Punkt des unter dem kurzen Lauf montierten Ziellasers ihrer SIG Sauer P238 tanzte noch immer über den Kopf der Zielsilhouette.
»Gute Schüsse, Senatorin.«
»Kein Wunder, Sie haben mich ja ausgebildet, nicht wahr?«, lächelte Dixon.
Dixon und Sandra Kyle waren momentan die einzigen Schützen in der unterirdischen Schießanlage. Dixon zog das private Schießtraining mit Kyle vor, die der Aufgabe nur allzu gern nachkam. Kyle hatte früher undercover bei der U.S. Capitol Police gearbeitet und war immer, wenn sich Dixon in Washington, D.C. aufhielt, dem Büro der Senatorin zugeteilt worden. Nachdem die attraktive Afroamerikanerin in den Ruhestand versetzt worden war, hatte sie die Schießanlage erworben und sich auf Kurse zur Selbstverteidigung und zum verdeckten Waffentragen für Frauen spezialisiert. Daneben betrieb sie auch eine private Detektei.
Dixon warf das leer geschossene Magazin aus und repetierte den Verschluss zweimal, um sicherzugehen, dass die Waffe entladen war. Dann legte sie die Pistole auf die Schießablage, die Mündung auf den Zielbereich gerichtet. Erst jetzt nahm sie den Gehörschutz ab.
Auch Kyle nahm den Gehörschutz ab. Der menschenleere, lärmgedämmte Raum war der ideale Ort für ein vertrauliches Gespräch.
»Ich habe ein kleines Problem und möchte, dass Sie sich die Sache mal anschauen«, begann Dixon. Sie mochte den Geruch des verbrannten Schießpulvers, der noch in der Luft hing.
»Kann ich gerne machen.«
»Sollten Sie nicht erst einmal fragen, welches Problem ich habe?«
»Was auch immer es ist«, antwortete Kyle mit einem Schulterzucken, »ich bin Ihnen immer noch etwas schuldig.«
Dixon schüttelte den Kopf. »Sie schulden mir gar nichts. Wenn zwischen uns irgendeine Schuld besteht, dann ist sie auf meiner Seite. Sie haben mich viele Jahre lang beschützt.«
Seit Dixon zur Abgeordneten und später zur Senatorin gewählt worden war, hatte sie zahlreiche Morddrohungen erhalten, von denen die meisten nichts als Wichtigtuerei gewesen waren. Aber ein paar Mal war das Bedrohungsprofil eskaliert, und Kyle war immer zur Stelle gewesen, bei jedem Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Aber das war Kyles Job gewesen, ihre Pflicht als Beamtin der U.S. Capitol Police. Tatsächlich hatte sie jedoch nie eine akute Kampfsituation erlebt, weder als Personenschützerin für Dixon noch für jemand anders und nicht einmal bei ihrem einzigen aktiven Einsatz bei der Luftraumüberwachung in Kabul. Sie war jedoch sehr gut ausgebildet, durchtrainiert, ausgesprochen loyal und jederzeit bereit, Aufgaben zu übernehmen, die Dixon ihr gelegentlich auftrug. Bisher war es meistens darum gegangen, peinliche Informationen über politische Gegner zu sammeln, die Dixon benötigte.
Als Kyle eines Tages in Virginia angetrunken am Steuer erwischt wurde, hatte sich Dixon für sie eingesetzt und ihr damit nicht nur den Job, sondern auch ihre großzügig bemessenen Pensionsansprüche gerettet. Später hatte ihr Aaron einen zinslosen Kredit gewährt, damit Kyle die Schießanlage in Alexandria erwerben konnte. In der Tat stand Kyle damit auf ewig in Dixons Schuld, was beiden Frauen sehr wohl klar war.
Dixon drückte auf einen Schalter, und die durchlöcherte Papiersilhouette surrte flatternd an einem Stahlseil zum Schießstand heran. Nur ein paar Handbreit von Dixon entfernt kam sie abrupt zum Stillstand.
»Aggressive Schüsse, Senatorin«, meinte Kyle. »Könnte Ihr Problem etwas mit POTUS zu tun haben?«
»Ja, aber nur indirekt.«
Kyle wies mit dem Kinn auf die zerfetzte Zielfigur. »Aber nichts so Dramatisches wie das hier, hoffe ich?«
Dixon lachte. »Wollte nur meine Frustration abreagieren.«
»Solange ich nicht ins Oval Office einbrechen muss, können wir über alles reden. Worum geht es?«
Dixon öffnete die Klammern, mit denen die Zielfigur am Seil befestigt war. »Sie wissen ja, dass Ryan im Innern immer noch ein Pfadfinder ist. Er hat seine eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht.«
»Ja, ich weiß. Ich habe ihn in action erlebt.«
»Nun, aus zuverlässiger Quelle ist mir zu Ohren gekommen, dass er im Moment sehr großes Interesse an mir zeigt. Er sieht mich als politische Bedrohung, und ich bin sicher, dass er alles versuchen wird, was er nur kann, um mir irgendwelche schmutzigen Dinge anzuhängen.« Dixon breitete die Zielfigur auf dem Waffentisch aus und betrachtete sie nachdenklich.
»Und? Gibt es denn etwas Schmutziges, das er finden könnte?«
»Nein, natürlich nicht. Aber er wird danach suchen. Durchaus möglich, dass er etwas herausfischt, das absolut sauber ist, sich aber in Dreck verwandeln lässt, wenn es den richtigen Leuten in den Medien zugespielt wird.«
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Versetzen Sie sich mal für ein paar Minuten in seine Lage und versuchen Sie, meine Frage zu beantworten: Wenn Sie Ryan wären und wegen Ihrer hochtrabenden moralischen Grundsätze keine staatlichen Behörden wie das Finanzamt oder das FBI einsetzen dürften, um schmutziges Material aufzuspüren, das Sie gegen Ihre politischen Gegner verwenden könnten – was würden Sie dann tun?«
»Er ist selbst ein verdammt guter Analyst, wenn ich mich recht erinnere«, meinte Kyle.
»Dazu hätte er vermutlich keine Zeit.«
Kyle tippte sich mit dem rot lackierten Zeigefinger an das Kinn und meinte nachdenklich: »Es gibt da eine Firma, die von Gerry Hendley geleitet wird, Hendley Associates. Haben Sie schon davon gehört?«
»Ja, natürlich. Ein Finanzunternehmen, teuer und exklusiv. Zu seiner Zeit war Hendley auf dem Capitol Hill eine Legende – ist er eigentlich immer noch. Der Senator und ich hatten bei mehreren Gesetzen miteinander zu tun, als ich noch Abgeordnete im Repräsentantenhaus war, bevor er … na ja, Sie wissen schon.«
Kyle nickte. Sie war damals noch Streife gefahren, als sie die Nachricht hörte, dass Gerry Hendleys Frau und seine drei Kinder bei einem furchtbaren Zusammenstoß mit einem Sattelschlepper auf der Interstate 85 ums Leben gekommen seien. Die Tragödie hatte Hendley buchstäblich vernichtet; er hatte im Grunde seine erfolgreiche und vielversprechende Karriere im Senat weggeworfen. Nach einer nur halbherzig geführten Wiederwahlkampagne hatte er eine schwere Niederlage erlitten. Später hatte er sich jedoch wieder gefangen und schließlich die Finanzfirma Hendley Associates gegründet. Obwohl er den Demokraten angehörte, hatte er sich schon als Senator oft auf die Seite der Ryan-Administration gestellt, vor allem bei Fragen der nationalen Sicherheit, und war bereit gewesen, den kleinlichen Parteienwettstreit dem Gemeinwohl unterzuordnen.
»Ich war damals ehrlich froh, als er wieder Boden unter den Füßen bekommen hatte«, sagte Dixon. Sie hatte Hendley immer bewundert, und obwohl er nicht mehr im Amt war, besaß seine Meinung auf dem Capitol Hill noch immer Gewicht. »Mein Mann sagt, es sei eine erstklassige Firma. Aber was hat das mit meinem Problem zu tun?«
»Hendley beschäftigt auch einen Burschen namens John Clark. Wissen Sie etwas über ihn?«
Dixon schüttelte den Kopf. »Sollte ich?«
»Clark ist ein ehemaliger Navy SEAL und Ex-CIA -Agent. Er ist nicht mehr der Jüngste, aber definitiv immer noch ein Bursche, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Und er ist ein guter Freund von Ryan.«
»Wozu braucht eine Finanzfirma einen Ex-Spion? Als Bodyguard?«, fragte Dixon.
»Wäre meine Vermutung. Wahrscheinlich für Hendley.«
»Oder jemand anders, der dort beschäftigt ist?«
»Denken Sie an eine bestimmte Person?«
»Jack Ryan junior arbeitet bei Hendley als Finanzanalyst.« Dixon verspürte plötzlich ein Kribbeln im Nacken. Das könnte eine weitere direkte Verbindung zum Präsidenten sein. Und ein Feldagent wie Clark könnte noch etwas ganz anderes bedeuten. Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Vielleicht war Senatorin Chadwick doch auf irgendetwas gestoßen.
Kyle nickte. »Ich fange sofort damit an.«
Dixon faltete die Zielsilhouette zusammen und schob sie in ihre Handtasche.
»Wenn es Hendley Associates auf mich abgesehen hat, möchte ich das sofort erfahren. Aber bleiben Sie diskret. Ich will nicht, dass Gerry erfährt, dass Sie in seinem Umfeld herumschnüffeln. Es würde mich teuer zu stehen kommen, wenn er es herausfinden würde.«
»In Ordnung, Ma’am.«