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Luanda, Angola

E s war das neueste und exklusivste Luxushotel in der Hauptstadt – die mittlerweile wegen der vielen Öleinnahmen erstaunlicherweise zu den teuersten Städten der Welt zählte –, erbaut von einem chinesischen Unternehmen für chinesische Investoren. Bei europäischen und amerikanischen Expats erfreute es sich großer Beliebtheit, auch wenn ihre Zahl derzeit wegen des Regimewechsels abnahm. Die Mehrzahl der Gäste waren chinesische Manager. Hier wurden Geschäfte gemacht und Kontakte geknüpft. Nur wenige Angolaner konnten sich das Hotel leisten.

Nahezu alle Köpfe drehten sich in Richtung der jungen Angolanerin gemischter Abstammung, als sie die weitläufige Lobby durchschritt. Grüne Augen, karamellfarbene Haut, dichte blonde Locken und ein straffer, kurvenreicher Körper, der mit schwereloser Eleganz dem privaten Expresslift zustrebte, der zu den Penthouse-Wohnungen hinaufführte.

Sie schwenkte eine Schlüsselkarte vor der tastenlosen Rufeinrichtung, und Sekunden später öffneten sich die verspiegelten Aufzugstüren.

Sie war mittlerweile Stammgast.

Das vertraute Gesicht des chinesischen Security-Manns mit dem markanten Kinn begrüßte sie mit einem knappen Nicken, als sie in die Kabine trat. Sobald sich die Türen geschlossen hatten, legte er den Stoppschalter des Aufzugs um. Dann tastete er die wohlproportionierte Figur mit einem Handmetalldetektor ab. Sein kalter Blick suchte in ihren Augen Anzeichen von Täuschung oder Angst, fand aber keine.

Zur eigenen Belustigung ließ sie ein verführerisch anzügliches Lächeln aufblitzen, löste damit aber keine Reaktion bei dem stahlharten Wachmann aus. Er durchsuchte ihre Handtasche. Schlüsselkarte, Lippenstift, Pfefferminzbonbons und drei in Goldfolie verpackte Kondome.

Er sprach in das Mikrofon, das an seinem Handgelenk befestigt war.

Der Aufzug fuhr zügig nach oben.

Die Türen öffneten sich im fünfzehnten Stock. Ein zweiter Sicherheitsmann mit Knopf im Ohr empfing sie mit einem Nicken und ohne zu lächeln. Er trat beiseite.

Sie rauschte an ihm vorbei zu der Doppeltür aus Mahagoni. Ein dritter Wächter öffnete einen Flügel, und sie ging hinein.

Auf dem glänzenden Fußboden aus Carrara-Marmor des großen Wohnbereichs blieb sie stehen. Sie spürte den Luftzug, als die schwere Tür hinter ihr geschlossen wurde. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne wurden vom blauschwarzen Atlantik verschluckt, der die ganze Breite des Panoramafensters einnahm.

Fan Min, der CEO von Sino-Angola Energy, erhob sich von der runden, roten Ledercouch in der Mitte des Zimmers, ein Zahnpastalächeln im Gesicht. Der Neunundfünfzigjährige trug eine schwarze Hausjacke, eine schwarze Seidenhose und rote Samtpantoffeln. Sein schlecht gefärbtes schwarzes Haar war mit Pomade nach hinten gestriegelt.

Er fragte sie auf Portugiesisch mit schwerem Akzent, was sie trinken wolle. Sie antwortete, Cola-Rum. Er goss ihr und sich ein Glas voll. Sie dankte ihm. Er nahm seine blaue Pille. Sie lächelte. Seine dunklen Augen glitten über ihren Körper, während sie trank.

Sie sagte, sie habe eine Überraschung für ihn. Er strahlte wie ein Kind an Weihnachten. Sie zeigte ihm die neuen Kondome, die sie mitgebracht hatte. Drei, verpackt in Goldfolie. Etwas ganz Besonderes.

Ein Lächeln legte seine Augenwinkel in Falten.

Ein ganz besonderes Vergnügen, versprach sie.

Genau wie ihr aufgetragen worden war.

»Lindo maravilhoso«, sagte er und schenkte ihr noch einen Drink ein.

Sie setzten sich zusammen auf die rote Ledercouch. Schiffslichter schwebten wie Sterne im Schwarz des Atlantiks dahinter.

Sie leerte ihr zweites Glas Cola-Rum, während er mit langen, zarten Fingern ihre glatte Haut streichelte und dabei immer wieder »Belezhina« flüsterte wie ein Mantra.

Bei ihrem dritten Glas lächelte sie ihn zwischen den Schlucken an. Als seine erwartungsvolle Miene sich verfinsterte, entschuldigte sie sich und verschwand im Badezimmer.

Er zog sich ins Schlafzimmer zurück. Seine Männlichkeit spannte die Seide seiner Hose. Er ließ Musik von Céline Dion laufen. Stellte lauter.

Sie hörte es durch die Badezimmerwand. Sie drückte die Klospülung. Bekreuzigte sich, bevor sie die Tür öffnete. Sie versuchte, das Bild ihres jungen Ehemanns aus ihrem Kopf zu verbannen.

Er würde es nicht verstehen. Er war ja fast noch ein Kind.

Es war gutes Geld.

Lobito, Angola

Die Hafenstadt rund vierhundert Kilometer nördlich von Luanda schlief zu dieser späten Stunde, ausgenommen die drei chinesischen Wachleute – PLA -Soldaten in Zivil –, die rings um die Baustelle Streife liefen, um sie vor Dieben zu schützen. Die Raffinerie Lobito-1 sollte in sieben Monaten in Betrieb gehen. Sie wäre erst die zweite Raffinerie im zweitgrößten Ölförderland südlich der Sahara, das verrückterweise achtzig Prozent seines Bedarfs an raffinierten Erdölerzeugnissen importierte. Das Lobito-1-Projekt würde erheblich dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und gleichzeitig die Taschen der korrupten Politikerkaste Angolas füllen.

Chinesische Ingenieurbüros und Baufirmen waren mit der Durchführung des Projekts betraut, das mit dem Export von angolanischem Rohöl und Gold finanziert wurde. Trotz der erdrückenden Arbeitslosigkeit und bitteren Armut in diesem Land, in dem fast vierzig Prozent der Bevölkerung von weniger als 1,25 Dollar am Tag lebte, erlaubten die Politiker in der Hauptstadt den Chinesen, für den Bau der Raffinerie Lobito-1 eigene Arbeitskräfte mitzubringen und damit die Zahl der dreißigtausend bereits im Land beschäftigten Chinesen – und die von einer Million in ganz Afrika – um weitere dreihundert zu erhöhen.

Angola war Chinas wichtigstes Investitionsziel und Exportpartner Nummer eins in Afrika, und der Grund waren die scheinbar unerschöpflichen Ölvorkommen im Land und vor der Küste der ehemaligen portugiesischen Kolonie.

Die angolanischen Ölvorräte waren so begehrt, dass sie sogar den Kalten Krieg in den Hintergrund gedrängt hatten. Im grausamen angolanischen Bürgerkrieg, der zwanzig Jahre lang tobte, wurden amerikanische Ölfirmen, die im sozialistischen Angola Erdöl förderten, von kommunistischen kubanischen Truppen vor Angriffen durch antisozialistische Rebellen geschützt, die wiederum die amerikanische Regierung unterstützte.

Ihre Loyalität galt nur dem Geld.

Das Lobito-1-Projekt war ein bedeutender Schritt nach vorn, sowohl für die chinesischen Strategieplaner wie auch für die angolanischen Kleptokraten in Luanda. Abgesehen von den großzügigen Entwicklungsgeldern, die größtenteils den Weg in die Taschen maßgeschneiderter Anzüge von Regimeangehörigen fanden, bevorzugte der neue angolanische Präsident chinesische Investitionen, da sich China nicht in die Politik lokaler Regierungen »einmischte«. Westliche Politiker stellten zu viele Fragen zu Einkommensungleichheit, Korruption, Geldwäsche, Vetternwirtschaft, Umweltverschmutzung und anderen lästigen Themen, vor denen die Chinesen die Augen verschlossen.

Aus Empörung über die Habgier der angolanischen Regierung, den räuberischen Neokolonialismus Chinas und die daraus resultierende Ausbeutung der leidenden Bevölkerung formierte sich eine Rebellengruppe, die Nova Frente de Libertação de Angola (NFLA ), die Neue Front zur Befreiung Angolas.

Die NFLA hatte alle ihre bisherigen Aktionen auf die weit im Norden gelegene Exklave Cabinda konzentriert, wo die Bewegung entstanden war und ihre Bemühungen darauf richtete, korrupte angolanische Beamte einzuschüchtern und Maßnahmen der Regierung mit gewaltfreien Mitteln zu durchkreuzen.

Bis jetzt.

Das Holzboot war alt, aber robust, genau wie der Fischer, der den knatternden Honda-Außenborder bediente. Seine sehnigen Arme waren straff wie Taue und nach wie vor in der Lage, das fünf Meter lange Fischerboot auf den Atlantik hinaus zu rudern, doch die Ladung, die er heute Nacht unter der gewachsten Segeltuchplane beförderte, machte den Zweitaktmotor unverzichtbar.

Eine Coleman-Laterne baumelte träge hinter dem Heck, ein unwiderstehlicher Köder für die Fische, die im öligen Wasser der Lobito-Bucht lauerten. Im Hafen, wo er den Bauarbeitern morgens Fische verkaufte, die er nachts gefangen hatte, waren sein Zahnlückenlächeln und sein graustoppeliges Gesicht ein vertrauter Anblick. Nur wenige wussten, dass sich unter seinem zerschlissenen Hemd Narben von Schusswunden verbargen, die er sich im Bürgerkrieg zugezogen hatte. Und noch weniger wussten von der Makarow-Pistole, die unter einem öligen Lappen in seinem Boot lag, eine Kriegsbeute, die er einem jungen kubanischen Leutnant abgenommen hatte, den er zwanzig Jahre zuvor mit eine Machete in Stücke gehackt hatte.

Seine schwieligen Hände stellten den Motor ab, als das Boot im frühmorgendlichen Dunkel hinter das verrostete Wrack eines ehemaligen Fischkutters glitt, der im flachen Wasser auf der Seite lag. Er vertäute sein Boot an dem Wrack und löschte die Laterne, bevor er die Segeltuchplane zurückschlug.

Fünf Angehörige eines NFLA -Kommandotrupps glitten vom Boot ins Wasser, wobei sie ihre AK s in Brusthöhe hielten. Trotz der Wärme verhüllten Sturmhauben ihre Gesichter. Der Letzte von ihnen legte dem alten Mann eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Obrigado, vovô.«

Danke, Großvater.

Sie wateten zu einer niedrigen Betonmauer mit Maschendrahtzaun, während der Honda-Motor im Dunkeln davontuckerte, drückten sich dagegen und warteten geduckt.

Der Truppführer gab mit der Hand ein stummes Kommando, dann flüsterte er ein zweites in sein Kehlkopfmikrofon. Dreißig Sekunden später ertönte über ihnen das Knirschen chinesischer Stiefel. Im nächsten Moment ertönte oben das Zischen von heißem Blei, das, mit einer Unterschallpatrone aus einem Präzisionsgewehr abgefeuert, wie ein Betonklotz gegen die Brust des Wachmanns prallte und ihn in den Dreck warf, in dem Zigarettenkippen verstreut lagen.

Erneut gab der Truppführer ein Zeichen, und seine Nummer zwei richtete sich auf und schnitt mit einem langen Bolzenschneider ein sauberes Loch in den Zaun. Der Anführer kletterte hinauf und schlüpfte in geduckter Haltung hindurch. Die anderen folgten.

Sorgfältig hinter den im hell erleuchteten Hof gestapelten Stahlrohren und -trägern Deckung suchend, schlichen die Männer fünfzig Meter nach Norden zu einer Reihe von Wohnwagen, die mit annähernd hundert chinesischen Stahlarbeitern vollgepfercht waren. In den Wagen brannte kein Licht.

Der Truppführer hob seine schallgedämpfte Pistole. Das 9-mm-Geschoss durchschlug die Schädeldecke des im Halbschlaf befindlichen Wachmanns, sodass Blut und Knochen gegen die Stahltür spritzten.

Der schallgedämpfte Schuss war das Signal für die anderen. Sie sprangen vor und warfen Handgranaten und geballte Ladungen durch die Fenster. Dann rannten sie so schnell sie konnten an den Unterkünften vorbei, bevor die ersten Granaten explodierten, und weiter in Richtung Nordzaun.

Die letzten Schreie der Arbeiter, die in den lodernden Trümmern lebendig verbrannten, hallten durch die warme Nachtluft, als die Männer zwischen den Betonhütten der schäbigen Favela in den kargen Hügeln oberhalb der Stadt verschwanden.