C luzets Konvoi, bestehend aus drei blutroten JAC -Sattelzügen, war gut vorangekommen und hatte den langen Weg von den zerklüfteten Gebirgen Afghanistans hinunter in die grüne Vegetation Tadschikistans fast hinter sich gebracht. Aber je weiter sie nach Nordwesten fuhren, desto trockener wurde die Landschaft, bis sie schließlich die ausgedörrten Ränder der schier grenzenlosen Kizilkum-Wüste erreichten, eine höllische, staubtrockene Mondlandschaft, die sich entlang der E40 von Usbekistan bis Kasachstan erstreckte. Da sie bei Nacht fuhren, fühlte es sich an, als seien sie auf dem Meeresgrund unterwegs, wo ringsum nichts als undurchdringliche, bedrückende Dunkelheit herrschte.
In Beineu hatten sie einen Tankstopp eingelegt und waren sofort weitergefahren; die Stadt lag nun schon rund dreißig Kilometer hinter dem Konvoi. Der Zeitplan war eng; sie mussten die Strecke in weniger als 48 Stunden hinter sich bringen. Ein Teil der Extrazulage, die Cluzets Leute erhielten, hing davon ab, dass sie es schafften, rechtzeitig am Ziel zu sein. Noch früher wäre besser, aber daran war jetzt nicht mehr zu denken. Verspätet anzukommen wäre problematisch; zu spät wäre fatal.
Die endlosen Meilen, das ständige Röhren der großen Dieselmotoren und die Hitze in der Kabine lullten den früheren Fallschirmjäger in eine Tagträumerei von einer senegalesischen Frau, die er mal gekannt hatte. Anscheinend befand sich auch der chinesische Fahrer in einem halbhypnotischen Zustand, denn weder er noch Cluzet bemerkten das Stahlband, das quer über der schmalen, zweispurigen Asphaltstraße lag: eine Nagelsperre. Aber dafür hörten sie das Knallen, als die beiden großen Vorderräder platzten. Der Fahrer schreckte hoch und rammte den Fuß mit aller Kraft auf das Bremspedal, als die ersten Reifen auf den spitzen Stahlnägeln förmlich explodierten, gefolgt von den nächsten sechs Reifen. Der Anhänger geriet heftig ins Schlingern, als der gesamte Sattelzug unter donnerndem Lärm schleudernd zum Stillstand kam.
Aus seinen Ohrhörern hörte Cluzet das Geschrei seiner Männer in den beiden anderen Trucks, die alle wissen wollten, was los war.
Bevor Cluzet antworten konnte, leuchtete ungefähr einen halben Kilometer voraus eine Reihe gleißend heller Scheinwerfer auf.
Cluzet hob sein Fernglas an die Augen. Trotz der blendenden Helligkeit glaubte er die Umrisse eines »Technical« ausmachen zu können, eines kleinen Pick-ups mit einem auf der Pritsche montierten Maschinengewehr. Drei Mann, vermutete Cluzet. Ein Mann am MG , einer am Steuer und wahrscheinlich ein dritter im Fahrzeug.
Eine weitere Scheinwerferreihe leuchtete rechts von Cluzet auf, etwa auf drei Uhr, und dann noch eine weitere auf der linken Seite, auf neun Uhr, alle ungefähr einen halben Kilometer entfernt. Cluzet schwang das Fernglas in beide Richtungen. Alle drei Fahrzeuge sahen gleich aus.
Cluzet wollte einen Befehl bellen, aber der Deutsche im hintersten Truck unterbrach ihn. »Hinter uns ist noch einer.«
Sie waren umzingelt.
Die vier Technicals näherten sich langsam, bis sie in ungefähr 60 Metern Entfernung anhielten.
»Was willst du machen, jefe ?«, kam die Stimme des Spaniers aus Cluzets Ohrhörer. Die beiden anderen Trucks hatten noch rechtzeitig anhalten können; ihre Reifen waren noch intakt.
Der Vertrag mit den inguschischen Söldnern, die ihn als Schutztrupp von Kashgar begleitet hatten, war erfüllt, denn er hatte nur bis zur usbekischen Grenze gegolten. Der Schutztrupp hatte sich in den Bergen Tadschikistans als recht nützlich erwiesen, aber hier draußen auf der endlosen Wüstenebene mussten Cluzet und seine Männer allein zurechtkommen. Mit dem Spanier und dem Deutschen als Beifahrer in den beiden anderen Trucks standen ihm zwei gute Männer zur Verfügung, doch leider waren sie nur mit 9-mm-Pistolen bewaffnet. Drei Pistolen gegen vier Maschinengewehre plus mögliche Automatikwaffen, die die gegnerische Seite vielleicht mitführte, außerdem womöglich noch eine oder zwei RPG s … nein, die Chancen für Cluzets Konvoi standen nicht zum Besten.
Cluzet schaute zu seinem Fahrer hinüber, der mit zitternder Hand versuchte, sich mit dem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. »Was willst du machen, Chef?«, wiederholte Cluzet die Frage des Spaniers auf Mandarin, aber der Chinese war vor Angst zu keiner Antwort fähig.
»Du hast recht, wir sind am Arsch.« Rasch flüsterte Cluzet in sein Mikro: »Alle bleiben in den Trucks. Keine Dummheiten, okay?«
Aus dem direkt vor ihm stehenden Technical stieg ein Mann aus, dessen Gesicht im grellen Gegenlicht nicht zu erkennen war. Aber an seinen Umrissen sah Cluzet, dass der Mann eine Pistole aus dem Gürtel zog und sie lässig an einer Seite herabhängen ließ. Die unbekümmerte Haltung des Banditen sagte Cluzet, dass es sich um einen erfahrenen, vielleicht sogar arroganten Mann handelte, der vollkommen überzeugt schien, dass dieser Überfall genau wie all seine vorherigen erfolgreich sein würde.
Cluzet schaute den Fahrer an. »Ich oder du?«
»Du«, stieß der Fahrer zwischen nervösen Zügen an seiner Zigarette hervor.
»Okay, dann also ich.« Cluzet seufzte dramatisch, als hätte es jemals eine andere Antwort auf die Frage geben können. Er stieß die Beifahrertür auf und stieg aus.
Draußen trat er in das Scheinwerferlicht seines Trucks und näherte sich langsam dem Anführer der Banditen, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Die Hände hielt er ausgestreckt vor sich, um zu zeigen, dass er weder bewaffnet noch gefährlich war, was aber eher so aussah, als wolle er den anderen von sich fernhalten.
Sie trafen sich auf halber Strecke zwischen den Fahrzeugen. Jetzt, aus der Nähe, waren die Gesichtszüge des Wegelagerers besser zu erkennen. In dieser Gegend waren seit Jahrhunderten mächtige Imperien aufeinandergeprallt; es war, als hätten die unzähligen Kämpfe tiefe Spuren in seinem düsteren Gesicht und seinen mandelförmigen Augen hinterlassen. Sein langes Haar und sein Schnurrbart waren eher braun als schwarz – ein typischer Eurasier mit slawischen und mongolischen Vorfahren.
»Was willst du?«, fragte Cluzet in passablem Russisch.
»Was glaubst du wohl, Arschloch?«, gab der andere in amerikanischem TV -Serien-Englisch zurück.
Er hob die Pistole und zielte auf Cluzets Gesicht.
Cluzet hob die Hände ein wenig höher. »Hey, jetzt mal langsam, Cowboy. Du kannst haben, was du willst.«
»Ich will alles.«
»Das dürfte ein kleines Problem sein.«
»Für mich nicht.« Der Angreifer grinste lässig und entsicherte die Waffe mit dem Daumen. »Ich brauche euch alle nur zu töten, dann nehme ich alles.«
»Yeah , so könnte es laufen. Aber bevor du mich tötest, darf ich noch beten?«
Der Mann grinste, wobei ein Goldzahn aufblitzte. »Natürlich. Ich bin selbst ein gläubiger Mensch. Aber mach’s kurz.«
Cluzet kniete nieder, hob die Arme noch höher, schloss die Augen und brüllte auf Englisch: »Oh, Michael! Du großer Erzengel hoch oben im Himmel! Wenn du mich hören kannst, dann tu, was ich dir sage, und bestrafe diese gottlosen Heiden mit heiligem Zorn, jetzt sofort, solange ich noch bete, du gottverdammter Hund …«
Die Erde erbebte, als die vier Technicals gleichzeitig in gewaltigen Feuerbällen verschwanden, getroffen von HJ -10 »Red Arrows«, chinesischen lasergelenkten Panzerabwehrraketen mit Infrarot-Zielsuche, die von einer ferngesteuerten CH -4-Rainbow-Drohne abgefeuert wurden. Die Drohne war ein chinesischer Nachbau der ikonischen amerikanischen Predator-Drohne.
Bei den Explosionen zuckte der Bandit heftig zusammen und wirbelte noch rechtzeitig herum, um sehen zu müssen, wie seine Technicals in flammenden Trümmerteilen wie brennende Steppenläufer in die Wüste geschleudert wurden.
Sofort drehte er sich wieder zu Cluzet um und wollte die Pistole hochreißen, aber Cluzet erschoss ihn, bevor er die Waffe in Anschlag bringen konnte. Das 9-mm-Hohlspitzgeschoss schlug genau auf dem breiten Nasenrücken des Banditen ein und tötete ihn auf der Stelle.
Der Spanier joggte heran, die Pistole in der Hand.
»Alles klar bei dir, jefe? «
»Alles klar.«
Cluzet stand auf, wandte sich ein wenig ab und sagte in sein Mikro: »Gute Schüsse.«
Das Lob des Franzosen galt dem leitenden Drohnenpiloten der Star Surveillance, einer legitimen Sicherheitsfirma, die auch ein stiller Partner des Eisernen Syndikats war, von dem sie für genau solche Operationen wie die von Cluzet geleitete beauftragt wurde.
»Danke, Sir.«
»Aber sagen Sie mal – haben Sie gut geschlafen?«
»Sir?«
»Sie müssen geschlafen haben. Wie hätten uns diese Hunde sonst so einfach überraschen können?«
»Sie müssen in Position gegangen sein, bevor unsere Kameras in Reichweite waren. Vorab-Aufklärung gehört nicht zu unserem Missionsprofil. Tut mir leid.«
»Na gut, aber jetzt sitzen wir hier für eine Weile fest. Halten Sie die Augen offen und warnen Sie mich, wenn sich jemand nähert. Verstanden?«
»Laut und deutlich, Sir.«
Cluzet blickte auf seine russische Fallschirmjägeruhr. Die Zeit war nicht auf seiner Seite. Er brauchte sofort acht Truckreifen, stand aber mitten in der Nacht im Niemandsland.
Der Deutsche kam herbei. Er musste Cluzets Gedanken erraten haben. »Wo sollen wir jetzt die Reifen für deinen Truck finden?«
»Ich rufe in Beineu an. Vielleicht können sie uns die Reifen nachschicken.«
»Oder wir könnten deine Ladung auf die beiden anderen Trucks umladen.«
»Das würde Stunden dauern. Und wenn die Polizei auftaucht, während wir mitten im Umladen sind?«
Aus der Dunkelheit hallte ein Schmerzensschrei herüber.
»Soll ich hier bei deinem Truck bleiben, während du mit den beiden anderen weiterfährst? Dann würde wenigstens der größere Teil der Ladung rechtzeitig ankommen, wenn wir uns beeilen.«
»Wie willst du allein dich und die Ladung verteidigen? Ich glaube nicht, dass diese Bastarde allein arbeiten.«
Cluzet hielt seine noch immer rauchende Pistole hoch, eine PAMAS G1 9-mm. Die vollständig aus Stahl gefertigte Waffe war eine in Frankreich hergestellte Lizenzfertigung der Beretta 92F, mit der er in der Fremdenlegion ausgestattet worden war. Er hatte damit noch nie ein Ziel verfehlt. »Drei Pistolen sind besser als eine, n’est -ce pas?«
»Natürlich«, nickte der Deutsche.
»Hol die Feuerlöscher aus den Trucks und lösche die Feuer. Wir machen sonst andere auf uns aufmerksam«, befahl Cluzet.
»Und was machen wir mit den Verwundeten?«
»Erlöse sie von ihren Qualen.« Cluzet legte dem anderen die Hand auf die Schulter. »Aber verschwende keine Munition an sie. Wir werden vielleicht später noch jede Kugel brauchen.«