M aschinen stopp!«, befahl Kapitän Woroschilow.
Wu, sein Erster Offizier, schob mit einer Hand die Doppelgriffe des Maschinentelegrafen auf die Halt-Position. Auf einem modernen Schiff wie der Baltic Princess war der Telegraf in Wirklichkeit eine Fernsteuerung, obwohl es im Maschinenraum eine identische Steuereinheit gab: zwei Griffe für zwei Maschinen. Der Telegraf sah eher wie eine kleine Rechenmaschine aus und hatte nichts mehr mit den großen, glänzenden Messingarmaturen gemein, die auf berühmten Schiffen wie der Titanic noch zu bewundern gewesen waren.
Sie lagen 20 Seemeilen nordöstlich der Stadt in der Danziger Bucht abseits der Schifffahrtsstraßen und ein gutes Stück von der Route der täglich verkehrenden Fähre Danzig–Stockhom entfernt. Jedes kommerzielle Schiff, welcher Größe auch immer, war verpflichtet, mit dem automatischen Identifikationssystem (AIS ) seine PNT -Daten (Position, Navigation, Timing) zu melden. Woroschilows Schiff hatte ein A-Klasse-Gerät der neuesten Bauart an Bord, das kaum noch die Größe eines Laibs Brot hatte und die PNT -Signale über das amerikanische globale Positionsbestimmungssystem GPS empfing und sendete. Dem Elektronischen Kartendarstellungs- und Informationssystem (ECDIS ) zufolge, das auch die maritimen Radarinputs anzeigte, befanden sich momentan im Umkreis von fünf Seemeilen keine weiteren Schiffe.
Die Ladung der Baltic Princess sollte an diesem Abend in Danzig gelöscht werden. Doch nun hatte Woroschilow die Nachricht erhalten, dass sich der Truck-Konvoi aus Afghanistan um vierundzwanzig Stunden verspäten würde. Für Cluzet mochte das ein Problem sein, aber für Woroschilow war es ein noch größeres. Der Hafen war sehr belebt und der Pier, an dem sein Schiff anlegen sollte, sehr stark ausgelastet. Er konnte nicht einfach anlegen und abwarten, bis sich Cluzet endlich blicken ließ.
Und Woroschilow konnte auch nicht einfach ausladen und vierzehn metrische Tonnen Methamphetamin in einem Lagerhaus zwischenlagern, weil die Gefahr bestand, dass die Ladung entdeckt und beschlagnahmt würde. Es war geplant gewesen, dass der Konvoi und die Baltic Princess genau gleichzeitig eintrafen. Die Ladungen sollten so schnell wie möglich ausgetauscht werden, Schiff und Trucks sollten sofort wieder abfahren. Woroschilows andere Sorge war, dass die Trucks gar nicht ankommen würden, womit die gesamte Aktion hinfällig werden würde.
Bis der Konvoi ankam, waren seine Befehle eindeutig: Die Ladung durfte nicht gelöscht werden. Deshalb parkte er sein Schiff auf offener See und wartete. Er konnte nur hoffen, dass kein übereifriger Kapitän der Küstenwache sein Schiff als verdächtig einschätzen und darauf bestehen würde, für eine Inspektion an Bord zu kommen.
Denn das würde für ihn böse enden. Allerdings auch für Woroschilow selbst.
Wo bleibt Cluzet?