J ack und Liliana parkten in einem Parkhaus direkt am Ufer der Mottlau, die sich durch die Altstadt und damit mitten durch den touristischen Bezirk schlängelte.
Lilianas Smartphone summte. »Goralski ist anscheinend auf der E75 in südlicher Richtung unterwegs. Könnte sein, dass er nach Warschau will. Lässt sich jetzt noch nicht sagen.«
»Wohin er fährt, ist mir egal, Hauptsache, er ist nicht mehr in Danzig.«
Sie gingen zu Fuß zu Lilianas hiesigem Lieblingsrestaurant. Es hieß Machina und befand sich im Erdgeschoss eines hoch aufragenden Gebäudes im gotischen Stil. »Hier gibt’s die beste Pasta in der ganzen Stadt«, versprach sie.
Jack und Liliana wollten außer Sicht bleiben, weshalb sie sich für einen Tisch im Innern des Lokals entschieden, statt sich zu den Gästen im Freien zu setzen, die zwischen zwei wärmenden pyramidenförmigen Gaskaminen ihr Abendessen einnahmen. Jacks Gnocchi mit Pesto, geräuchertem Schinken und frischem Mozzarella waren die besten Gnocchi, die er jemals gegessen hatte, und das Dessert – Quitten-Tiramisu mit Amaretto – war absolut perfekt. Er ignorierte die große Auswahl von Biersorten und bestellte stattdessen eine Flasche Mineralwasser. Liliana hatte sich für Ravioli mit Spinat-Ricotta entschieden; statt eines Desserts bestellte sie ein Glas House Merlot.
Während des Essens sprachen sie die Erkenntnisse durch, die sie bisher gesammelt hatten, und versuchten, weitere Informationen damit in Verbindung zu bringen. Jack erzählte ihr alle Details über Christopher Gage und die BGS , an die er sich noch erinnern konnte. Doch im Grunde versuchte er nur, ein wenig Zeit zu schinden. Aber auch ihm war klar, dass Liliana ihm nicht mehr richtig zuhörte.
»Woran denken Sie?«, fragte er schließlich. Sie mussten nicht flüstern, denn das Lokal war gut besucht, und die Einheimischen und Touristen genossen den Abend. Die vier Frauen am Nachbartisch hatten bereits drei Flaschen Wein geleert und plauderten und lachten wie Schulmädchen.
»Ich sollte schon längst nicht mehr hier sitzen. Ich sollte Goralski noch heute Abend verhaften und verhören lassen.« Sie warf einen Blick auf ihr Smartphone. »Er fährt definitiv nach Warschau.«
»Und wenn er nicht reden will?«
Sie trank den letzten Schluck Merlot. »Glauben Sie mir, er wird reden, wenn ich mit ihm fertig bin.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Oder er erzählt Ihnen nichts als Lügen. Aber wenn er und seine Leute Profis sind, haben sie sicherlich ein gegenseitiges Meldesystem vereinbart. Wenn Sie ihn verhaften, werden seine Kumpel oder Anführer sofort wissen, dass er aufgeflogen ist. Die ganze Sache ist größer, als wir bisher wissen.«
Liliana stieß einen langen, frustrierten Seufzer aus. »Ja, Sie haben recht. Aber ich könnte wenigstens jetzt gleich einen Durchsuchungsbeschluss für das Lagerhaus beantragen.«
»Und Sie meinen, irgendein Richter wird einen Beschluss unterschreiben, nur weil Sie glauben, dass der große Typ illegal eine Waffe im Gürtel stecken hat? In den Staaten könnte man damit keinen Richter überzeugen.«
»Nein, hier wahrscheinlich auch nicht.«
»Also, ich hätte da eine Idee«, begann Jack vorsichtig. »Noch ein Glas Wein?«
»Ich sehe schon jetzt, dass mir Ihre Idee nicht gefallen wird.«
»Es ist eine gute Idee. Sie müssen mir nur vertrauen.«
»Sie wollen heute Nacht dort einbrechen, stimmt’s?«
»Ich muss«, sagte Jack. »Sie haben keinen überzeugenden und legalen Grund für einen Durchsuchungsbeschluss. In dem Lager finde ich vielleicht einen Grund.«
»Ich kann nicht zulassen, dass Sie etwas Rechtswidriges tun, Jack. Mein Boss würde mir den Kopf abreißen, wenn Sie dabei erwischt würden.«
»Ich werde nicht erwischt. Und ich begehe auch keinen bewaffneten Raubüberfall. Das ist nichts weiter als unbefugtes Betreten eines Grundstücks. Ich beschaffe Ihnen den Beweis, den Sie brauchen, um den Durchsuchungsbeschluss zu bekommen, und damit knacken wir diese Nuss. Wenn meine Vermutung stimmt, ist das Schiff genauso schmutzig wie alles andere in diesem Lagerhaus. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.«
»Aber ich komme mit.«
»Auf gar keinen Fall. Wenn wir etwas entdecken und dann irgendwie durchsickert, dass Sie illegal in das Lager eingebrochen sind, werden alle unsere Beweise verworfen.«
Liliana beugte sich ein wenig weiter über den Tisch. Das Licht der Kerzen tanzte in ihren Augen, aber ihr Blick war kalt und ernst.
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Jack. Sind Sie bei der CIA ? Beim Militär?«
Jack faltete die Hände, beugte sich ebenfalls vor und schaute sie ebenso eindringlich an. Er senkte die Stimme.
»Wenn Sie mich fragen, ob ich Klavier spielen kann, ist die Antwort nein.«
Liliana starrte ihn düster an, doch plötzlich begriff sie die Doppeldeutigkeit und musste lachen. Laut genug, dass die vier Damen am Nachbartisch herüberschauten und lächelten. Jack hob sein Wasserglas und prostete ihnen ironisch zu. »Sie hat Ja gesagt.«
Die vier Frauen schauten sich an, dann klatschten sie begeistert, hoben ebenfalls die Gläser und gratulierten auf Englisch und Polnisch.
Liliana errötete augenblicklich und starrte Jack trotz ihres gezwungenen Lächelns wütend an. »Ich habe zu gar nichts Ja gesagt!«
»Aber die Damen glauben es. Sie wissen nur nicht, wozu Sie Ja gesagt haben.« Jack stand auf. »Wir müssen los.«
Er half Liliana in ihren Mantel und winkte den lächelnden Damen zu, die ihnen noch einmal ihre Glückwünsche nachriefen.