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Washington, D.C., Oval Office, Weißes Haus

M r. President«, sagte Senatorin Dixon und lächelte wie bei einem Essen der Handelskammer.

Dixon war eine sehr attraktive Frau, wie Präsident Ryan schon bei früheren Gelegenheiten bemerkt hatte, doch ihre Arroganz schmälerte diesen Eindruck in seinen Augen erheblich.

»Senatorin, ich weiß es zu schätzen, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.« Präsident Ryan deutete auf einen Stuhl. Sie nahm stattdessen auf einem der langen Chesterfield-Sofas Platz. Er bot ihr nichts zu trinken an.

»Es muss dringend sein, Jack, also bin ich gleich hergekommen. Ich stehe Ihnen gerne zu Diensten.«

Du bist eher hergekommen, um für Vorhänge Maß zu nehmen, dachte Ryan. Freu dich bloß nicht zu früh.

Er setzte sich auf einen Stuhl, einen Aktenordner in der Hand. Der Stuhl verschaffte ihm eine leicht erhöhte Position. Was nicht heißt, dass er die jetzt benötigt hätte.

»Wo ist denn Ihr Schoßhund, Arnie? Mir wird direkt etwas fehlen, wenn er nicht aufs Leder sabbert und an meinen Absätzen nagt.«

»Wir haben ein Problem, über das ich mit Ihnen sprechen möchte, und zwar unter vier Augen.«

Dixon deutete mit dem Finger zur Decke. »Dann wird unser Gespräch also nicht aufgenommen?«

»Niemals, ohne dass vorher um Erlaubnis gefragt wird, und heute frage ich nicht. Alles bleibt unter uns.«

Dixons Miene hellte sich auf. »Ich bin ganz Ohr.«

Ryan schlug den Ordner auf und reichte ihr einen daumendicken Bericht. »Auf der ersten Seite finden Sie eine Kurzzusammenfassung.«

Dixon nahm das Dokument vorsichtig in die Hand, die Augen fest auf Ryan gerichtet.

»Wie wär’s, wenn Sie es mir kurz zusammenfassen? Das können Sie doch so gut.«

Ryan verkniff sich ein Lächeln. Sein Sohn Jack hatte ihm vor knapp einer Stunde, als sein Flugzeug landete, den Inhalt kurz zusammengefasst. Er und Gavin hatten eine erstklassige Dokumentation zusammengestellt, in der jedes Detail bis ins Kleinste aufgeführt war. Er war auf beide verdammt stolz.

»Dann komme ich gleich auf den Punkt. Ihr Sohn, Christopher Gage …«

»Stiefsohn.«

»… steht mit einer international agierenden, kriminellen Organisation in Verbindung, die unter dem Namen Eisernes Syndikat bekannt ist. Außerdem kooperiert er mit einem chinesischen Staatsbürger namens Hu Peng, dessen Vater Direktor einer staatlichen Bank und hochrangiger Parteifunktionär ist. Die beiden betreiben einen bandenmäßigen, europaweiten Drogenhandel mit Chemikalien zur Heroinherstellung, weiterverarbeitetem Heroin und Methamphetaminen. Sie haben ihr Treiben durch diverse Scheinfirmen getarnt, die von BRI -Handelsverträgen profitieren, die Pengs Vater mit ausgehandelt hat.«

Sie blätterte durch die Seiten, las Zahlen.

»Das ist eine faszinierende Geschichte – klingt nach einem Roman von Clive Cussler. Aber selbst wenn sie stimmt, was hat sie mit mir zu tun? Ich stehe in keiner geschäftlichen oder finanziellen Beziehung zu meinem Stiefsohn. Wenn er sich irgendetwas von dem, was Sie vorbringen, hat zuschulden kommen lassen, dann ist das sein Problem, nicht meines.«

»Ach übrigens, wo steckt Christopher eigentlich? Wir haben ihn zu erreichen versucht, können ihn aber nicht ausfindig machen.«

»Ich habe keine Ahnung. Wie gesagt, seine Geschäfte sind seine Sache und gehen mich nichts an.«

Ryan lehnte sich zurück und legte, zufrieden lächelnd, die Fingerspitzen aneinander.

»Sie machen gute Miene zum bösen Spiel, Deborah. Ich denke, wir wissen beide, wie sehr das Ihrer Präsidentschaftskandidatur schaden wird, selbst wenn Sie vor dem Gesetz unschuldig sind, was Sie ja möglicherweise auch sind. Dieser Bericht deckt einen Sumpf auf, in dem Sie und Ihre Familie bis zum Hals drinstecken.«

»Mein Mann führt seine eigenen Geschäfte. Ich gebe eine separate Steuererklärung ab und mache sie jedes Jahr öffentlich und das seit nunmehr zwanzig Jahren. Ich habe nichts zu verbergen. Meine Angelegenheiten sind in Ordnung.«

»Dann sollten Sie Seite 37 des Berichts aufschlagen. Dort beginnt eine Aufstellung der Finanzkonten des Dixon Gage Charitable Trust, auf den Sie, wie ich weiß, sehr stolz sind.«

»Warum sollte ich das nicht sein? Wir haben wichtige Arbeit für Arme und Bedürftige auf der ganzen Welt geleistet, ganz zu schweigen von den tapferen Veteranen hier bei uns.«

»Und Christopher hat maßgeblich an der Arbeit der Stiftung mitgewirkt, nicht wahr?«

Dixon stutzte. »Ja, allerdings. Jahrelang. Er hat mir mehr als einmal gesagt, dass diese Arbeit sein Leben verändert hat.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Bedauerlicherweise hat Christopher Ihre Stiftung dazu benutzt, sein schmutziges Geld zu waschen und durch Einzahlungen Tausender fiktiver Spender Millionen von Dollar zu verdienen.«

»Ich kann nicht für die Herkunft anonymer Spendengelder verantwortlich gemacht werden.«

»Nein, aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Christopher hat das schmutzige Geld dann in ›saubere‹ Projekte geschleust, besonders in Afghanistan, wo es kaum staatliche Aufsicht gibt und die Familie Peng zufälligerweise beträchtliche Mittel investiert hat. Christopher hat bei Scheinfirmen, die insgeheim ihm und Peng gehören, Waren und Dienstleistungen für die Stiftung eingekauft, und zwar zu exorbitanten Preisen. Das Geld für all die Brunnen und Schulen, die Ihre Stiftung, wie Sie glaubten, gebaut hat, ist in Wahrheit in die Taschen Ihres Sohns und Ihres Mannes geflossen und, wie sich jetzt herausstellt, in die von mindestens einem hohen Funktionär der Kommunistischen Partei Chinas.

Selbst wenn Sie vor Gericht beweisen können, dass Sie von all dem nichts gewusst haben, wird die öffentliche Meinung Sie schuldig sprechen, und schlimmer noch, Sie werden am Ende als die Dumme oder die Gelackmeierte dastehen.«

Dixons Puls rauschte in den Keller. Der arrogante Zug um ihre mit Botox geschönten Augen verschwand.

»Nicht gerade ideale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf«, schob Ryan hinterher, nur um Salz in die Wunde zu streuen.

»Es dürfte Ihnen schwerfallen, irgendwas davon vor Gericht zu verwenden. Ich bezweifle, dass Sie auf legalem Weg an die Informationen gekommen sind.«

Netter Bluff, Senatorin. Gut, dass ich nie mit Ihnen gepokert habe.

»Das Risiko werde ich eingehen. Selbst wenn wir vor Gericht verlieren – und mein Justizminister ist vom Gegenteil überzeugt –, wird Ihr Ruf auf Jahre hinaus ruiniert sein. Und wir haben noch gar nicht richtig angefangen zu graben. Der Bericht kratzt nur an der Oberfläche.«

»Apropos Ruf. Ich habe Beweise für meine Vermutung, dass Ihr Sohn Jack, Gerry Hendley und damit indirekt auch Sie mit einer Organisation in Verbindung stehen, die fragwürdigen Aktivitäten nachgeht. Ich werde meine Informationen dazu verwenden, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Sie in die Wege zu leiten.«

»Schon wieder die Chadwick-Geschichte? Wie ist sie denn für Sie ausgegangen?«

»Chadwick ist eine Idiotin. Ich nicht, und das wissen Sie.«

Ryan zuckte mit den Schultern. »Tun Sie, was Sie wollen. Ich werde sowieso nicht ewig Präsident bleiben.«

»Eine Untersuchung durch den Kongress könnte zu dem Ergebnis kommen, dass Sie und Ihre Partner Straftaten begangen haben, für die Sie strafrechtlich verfolgt werden können.«

»Theoretisch ja, aber ich bezweifele es. Und selbst wenn es dazu kommen sollte, also mal rein theoretisch, liegt möglicherweise irgendwo in einem Safe ein Stapel von Begnadigungen, die der Präsident genau für einen solchen Fall bereits unterzeichnet hat.«

Dixon ließ geschlagen die Schultern sinken. Sie stand auf und sagte mit nun leiserer Stimme:

»Tja, damit wäre wohl alles gesagt. Ich bin bereit, mein Amt niederzulegen, wenn Sie all diesen Unsinn fallen lassen.«

»Und womit würden Sie Ihren Rücktritt begründen?«

Dixon lächelte zynisch. »Um mehr Zeit für meine Familie zu haben, natürlich. Das sagen sie doch immer, oder?«

»Setzen Sie sich, Deborah. Wir sind noch nicht fertig.«

Sein Befehlston zwang sie zurück auf das Sofa.

»Es wird höchste Zeit, dass wir uns in diesem Land daran erinnern, dass niemand über den Gesetzen steht, am wenigsten die Leute, die sie machen. Aus diesem Grund weise ich den Generalstaatsanwalt an, strafrechtlich gegen Ihre Familie vorzugehen, soweit dies nach geltendem Recht zulässig ist.«

»Jack …«

»Es sei denn, Sie erklären sich damit einverstanden.«

Ryan stand auf, nahm ein gebundenes Dokument vom Schreibtisch und reichte es Dixon. Er blieb stehen.

»Was ist das?«, fragte Dixon und schlug es auf.

»Ich habe genug von der Korruption, die diese Stadt belastet. Sie untergräbt das Vertrauen des amerikanischen Volkes in seine Regierung. Vertrauen ist das Band, das eine Demokratie zusammenhält, und ihr auf dem Capitol Hill macht dieses Vertrauen zunichte. Es werden viel zu viele Gesetze verabschiedet, von denen nur wenige auf Kosten der vielen profitieren.

Was ich Ihnen gegeben habe, ist ein Gesetzentwurf, der das Ziel hat, mit all dem aufzuräumen. Mit den Freundschafts-Deals, der Vetternwirtschaft, dem Drehtür-Lobbyismus und so weiter. Bringen Sie die Vorlage durch. Wenn ich sie nicht innerhalb der nächsten sechzig Tage in der jetzigen Form zum Unterzeichnen auf dem Schreibtisch habe, sehen wir uns vor Gericht wieder.«

»Und wenn ich das hinkriege? Was dann?«

»Dann vergesse ich den Bericht, den ich Ihnen gegeben habe. Dann können Sie zurücktreten und mehr Zeit mit Ihrer Familie verbringen. Was Sie danach tun wollen, liegt bei Ihnen.«

Dixon lächelte ein wenig. »Ihnen ist klar, dass ein Antikorruptionsgesetz wie dieses ein großartiges Programm für den Präsidentschaftswahlkampf wäre.«

Arnie hatte recht, dachte Ryan. Dixon war Ehrgeiz pur, selbst im Angesicht der Katastrophe.

»Sie mögen nicht auf der Gehaltsliste der Chinesen stehen, aber Sie haben den Polen-Vertrag gekippt, weil Sie nach deren Pfeife tanzen. War das viele chinesische Geld, das Ihr Mann gemacht hat, der Grund für Ihren Sinneswandel oder etwas anderes?«

»Geld? Seien Sie nicht albern. Wichtig ist das, was Sunzi mit shi bezeichnet hat. Kennen Sie den Begriff?«

»Dynamik, Vorteil … Macht.«

Dixon schüttelte ungläubig den Kopf. »Der ewige Schulmeister. Dann wissen Sie ja auch, dass die Welt sich ändert und China die Zukunft ist.«

»Meine Zukunft ist das, was wir aus ihr machen, wenn wir den Mut dazu aufbringen. Als Präsident habe ich die Aufgabe, Veränderungen zu schaffen, und nicht, ihnen hinterherzulaufen.«

Dixon hob den schweren Ordner in die Höhe. »Woher weiß ich, dass Sie den Bericht nicht doch veröffentlichen, wenn ich Ihren Gesetzentwurf durchgebracht habe?«

»Wenn alles, was in dem Bericht steht, ans Licht käme, könnte es dem Land mehr schaden als Ihnen, und offen gesagt, das sind Sie nicht wert. Und zu Ihrer Frage: Wenn Sie das Gesetz durchgebracht haben, werde ich nichts von dem, worüber wir heute gesprochen haben, gegen Sie oder Ihre Familie verwenden. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, auch wenn mich die Vorstellung krank macht.«

In diesem Moment hasste Dixon Ryan mehr als jeden anderen Menschen, den sie jemals gekannt hatte.

Aber sie nahm seine Bedingungen an.

Denn sosehr sie ihn auch hasste, so wusste sie doch auch, dass Jack Ryan ein altmodischer Patriot und in der Tat ein Mann war, der sein Wort hielt.