All die hellen Farben, die sich durch die unzähligen Spots, Lichter und Kristalle der gigantischen Deckenlüster an den Wänden des dekadenten Nachtclubs brachen, ließen mich staunen und innehalten. Euphorie ergriff mich, an der Hand meines smarten Dates, diesem hübschen Urlaubssouvenir, wieder entlockte mir meine Begleitung ein Lächeln. Er kribbelte unter meiner Haut, dieser Nervenkitzel, das luxuriöse Flair der Reichen und Schönen. Ich fühlte mich nicht, als wäre ich zwanzig, sondern mindestens fünfundzwanzig Jahre alt, reifer und erwachsener.
So exzellent, beinahe abenteuerlich, hatte ich mir den ungezwungenen Sommerurlaub in Stockholm mit meiner besten Freundin Ana nicht vorgestellt. Aber wir waren schließlich nur einmal jung, und diese Freiheit, fernab des Kontrollzwangs meiner Mum, fühlte sich aufregend gut an, diese kleinen Regelbrüche ließen meine Fingerspitzen prickeln. Das Sehnen nach dem Verbotenen machte süchtig, ich wollte mehr von dieser Art des Lebens kosten.
Ich wagte mir gar nicht vorzustellen, wie viel Eintritt Erik für uns vier bezahlt hatte. Er und sein Bruder Jonas waren uns vor zwei Tagen mittags in einem schicken Restaurant begegnet. Zufällig, und doch waren sie Feuer und Flamme für ein Wagnis mit fremden Mädchen gewesen. Ana fixierte sich sofort auf Jonas. Sie sprach von einem lockeren Urlaubsflirt, er eher schon von Hochzeit, es machte Spaß, ihnen zuzusehen. Wir lachten so viel wie schon lange nicht mehr und ließen uns von der guten Laune all der unternehmungslustigen Schweden um uns herum anstecken.
So fingen Erik und ich im Restaurant ein Gespräch an, während unsere Begleitungen turtelten. Zuerst spürte ich an ihm eine befremdliche, düstere Aura, aber ich tat es als Nachhall von Mums Vorsichtsmaßnahmen ab. Vielleicht war er kein Draufgänger, sondern eher schüchtern? Er war nett und sehr höflich, auch wenn er mir sein wahres Alter erst nach mehrmaligem Nachfragen verraten wollte. Er war zehn Jahre älter als ich. Es war ihm nicht anzusehen und überrumpelte mich kurz, Erik war ein richtiger Mann.
Da wir uns nach anfänglicher Sprachproblematik gut unterhielten, ließ ich mich auf seine Gesellschaft ein. Wir sprachen beide besser Französisch als Englisch, und ich konnte keinen Brocken Schwedisch. Obwohl es Papas Heimatland war, hatte ich die Sprache nie gelernt. Erik sagte, er sei aus Russland, Schwedisch sei ihm wenig vertraut, aber seine Mutter sei Französin. Wir waren eine wilde Mischung aus Spaß, Freiheit und dem Drang, Unvergessliches erleben zu wollen. Und es reizte mich, dass er älter war. Kein Junge mehr, der nicht wusste, was er wollte, sondern ein richtiger Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand, maßgeschneiderte Kleidung und eine glänzende, echte Rolex trug. Ich gab nach und ließ mich regelrecht von der Opulenz des Luxus blenden. Diese Welt war mir unbekannt, und als ich mich bei unserem zweiten Doppel-Date in einer edlen Designer-Boutique wiederfand, musste ich erst mal schlucken. Wir wurden behandelt wie Prinzessinnen, ich konnte damit kaum umgehen. Ana ließ sich von Jonas einladen. Ich bestand darauf, selbst zu zahlen, was mein Urlaubsbudget sträflich schmälerte, Erik aber extrem amüsierte.
Schließlich verabredeten wir uns erneut, für freitagabends. Anas Herz pochte dabei so wild wie meines, das sah ich ihr an, wir erlebten knisternde Augenblicke und großes Kopfkino für uns. Die gesamte wunderschöne Atmosphäre des Midsommars in Schweden ließ uns leichter als sonst spontane Entscheidungen treffen.
Wir brachten den halben Tag mit dem Styling für den Abend zu. Ana trug für den Anlass eines ihrer neuen, wirklich kurzen, schwarzen Spitzenkleidchen mit tiefem Rückenausschnitt, dazu hohe rote Pumps. Sie wirkte sexy und verrucht.
Jonas verfiel ihr direkt, ließ ihre Hand ab der Hotellobby keine Sekunde los. Ab und zu bemerkte ich, wie sein Daumen über die zarte Haut ihres Handrückens strich, mir gefiel der Gedanke, dass er sich um sie kümmerte. Ihre schulterlangen blonden glatten Haare hatte sie mit Extensions zu verdammt echt wirkenden Zöpfen geflochten und ihre hellbraunen Augen mit Smokey Eyes dramatisch betont. Sie war bildschön, und Jonas betete meine Freundin bedingungslos an.
Bei Erik war ich mir noch nicht sicher. Ab und zu schrillten nach wie vor die Alarmglocken, die mir meine Mum über Jahre anerzogen hatte. Teilweise besah er mich, als wäre ich eine leckere Beute oder eine Trophäe. Das irritierte mich, er war mir fremd, und solche Blicke machten mich unsicher. Auch wenn ich die Erfahrung mit ihm spannend fand, über Händchenhalten war es noch nicht hinausgegangen. Ich brauchte etwas Zeit, vor allem wollte ich mich auf jemanden komplett einlassen können. Dieser schnelle, direkte Kontakt war mir neu. Aber zuerst: tanzen, frei sein. Die Musik rief mich. Für den Anlass führte ich mein neues Outfit aus unserem Einkaufsnachmittag in Stockholm aus.
Die Vibes pulsierten spürbar über die durch die Lichtreflexe funkelnde Tanzfläche, wir suchten uns zuerst eine Bar im Erdgeschoss. Alles war so weitläufig, modern, luftig. Edle, steinerne Böden. Schwarz, Gold, Glas, Kristallelemente. Wahnsinn. Meine Sinne waren von dieser Fülle überfordert. In einem so gigantischen Club war ich noch nie zuvor gewesen. Eine Premiere. Kam mir beinahe underdressed vor, obwohl ich einiges für mein Outfit hingeblättert hatte: einen kurzen, khakifarbenen, sommerlich leichten Jumpsuit aus einem angenehmen, fließend leichten Stoff. Dazu trug ich bronzefarbene Riemchensandaletten, deren Schnürung bis unterhalb meiner Knie ging, und unter dem Jumpy ein Spitzentanktop in Bronze, ähnlich gefärbt wie die Sandaletten. Mir gefiel, dass die Spitze die luftigen Öffnungen des Jumpsuits durchbrach, einige dekorative Elemente offenbarte.
Clubs waren allgemein bisher nicht meine Heimat gewesen, eher kleine Diskotheken oder ab und zu ein Festival. Aber ich wollte etwas Neues abseits meines ruhigen Lebens mit meiner Mum in Reykjavík sehen. Zum Glück hatte sie schließlich nachgegeben, als ich ihr sagte, dass ich mit Ana für vier Wochen nach Stockholm reisen wollte. Natürlich auch, weil Dad hier lebte, wobei ich ihn bisher außer am Flughafen und einmal in seiner Wohnung kaum gesehen hatte. Er war beruflich als erfolgreicher Anwalt sehr eingespannt. Aber an meine Familie konnte ich noch später denken, jetzt war Zeit zum Feiern. Jeder Beat der DJs erhöhte meinen Puls. Ich liebte diese Nacht.
»Was möchtest du trinken?« Erik schenkte mir sein schönstes Lächeln, zeigte mir dabei seine perfekt weißen Zähne. Beinahe Werbeplakat-Qualitäten. Er war unerwartet muskulös, wohl ein Fitness-Freak. Ein sehr hübscher Mann, und so zuvorkommend. Funkelte mich mit seinen hellblauen Augen plötzlich, als hätte er einen Schalter umgelegt, freundlich, interessiert an. Vielleicht hatte ich mir das Besitzergreifende nur eingebildet oder es lag daran, dass er so nachdenklich wirkte, sein Smartphone oft seine Aufmerksamkeit verlangte. Er war ein Gentleman, um mein Wohlergehen bemüht. Dazu sah er in seinem schwarzen Anzug wirklich sehr gut aus, das sagte ich mir nonstop. Ich hatte Glück mit ihm. Er wirkte souverän und wie ein Mann von Welt. Groß, gut gebaut, schönes Gesicht, feine Züge. Das kurze, wohl naturblonde Haar wild zerstrubbelt als Kontrast zu seinem geschäftsmäßigen Auftreten. Für einen ungezwungenen Urlaubsflirt war er genau der Richtige. Ich redete all das meiner skeptischen Seele weiterhin ein, denn meine sensiblen inneren Antennen für Bedrohungen, die schon immer zu mir gehört hatten, wollten sich nicht beruhigen. Seinen Akzent konnte ich immer noch nicht richtig zuordnen, vielleicht war er wirklich Russe. Aus irgendeinem Grund blieb ich vorsichtig in seiner Gegenwart.
Ich wählte nach einigem Überlegen einen Wodka Lemon, sog die Eindrücke des Clubs in mich auf, während ich neben Erik auf mein Getränk wartete. Da zog Ana an einem Träger meines kurzen Jumpsuits.
»Gehen wir tanzen?«
Sie strahlte mich an, als wäre heute der beste Abend ihres bisherigen Lebens. Damit hatte sie mich, ein breites Grinsen bahnte sich den Weg aus meinem Inneren auf meine Lippen.
»Ja klar. Entschuldige, Erik, aber die Songs sind so gut! Wir sind gleich wieder da. Oder kommst du mit?«
Erik winkte ab, war wohl nicht so der Tänzer, das störte mich nicht direkt, ich hätte es nur nett gefunden, wenn er uns zum Tanzen begleitet hätte. Sein smartes Lächeln haftete jedoch an mir, ich fühlte seinen Blick in meinem Rücken, als ich Ana folgte.
Hand in Hand suchten wir uns ein freies Plätzchen auf der gut gefüllten Tanzfläche. Ich spürte mich in den basslastigen Beat ein, gab dem pochenden Drang nach, mich zu den Songs zu bewegen. Ließ dem Sehnen der Verbindung zwischen mir und der Musik freien Lauf. Ana lächelte, bewegte sich in perfekter Symbiose zu mir, dann verschwamm alles. Wir wurden eins mit den pulsierenden Rhythmen.
Es machte so viel Spaß. Fühlte sich nach Freiheit an.
Der Bass hämmerte durch meinen Körper, ich konnte nicht genug davon bekommen. So schmeckte also das richtige Leben bar aller Zwänge. Ich schloss meine Augen und gab mich dem Fühlen hin, den Farben, die hinter meinen Lidern durch die Spots aufblitzten, der Melodie. Genoss die sinnliche Atmosphäre, während ich mich in all der Funkelei wiegte und mit Ana so gut amüsierte wie noch nie zuvor.