»Finde heraus, wer sie ist.«
Liam, der seitlich neben mir stand, mich beobachtet hatte, nickte, verschwand in Sekundenbruchteilen aus meiner Umgebung und zog sich in den Überwachungsbereich zurück. Ich blieb weiterhin an meinem Platz stehen, in meiner Suite. An magische Glasscheiben gelehnt, die mir einen Blick auf den Club gewährten, aber durch die niemand mich sehen konnte. Spürte an meinem Rücken die namenlose Hure von vorhin, wie sie sich wieder um meine Aufmerksamkeit bemühte, fahrig über den Stoff meines schwarzen Shirts strich. Ich scheuchte sie wortlos weg, wie eine lästige Fliege, sie konnte mich nicht für sich gewinnen, nicht heute Nacht. Die großzügige private Lounge im fallen sins war ein Teil meiner Machtdemonstration, diente dem Prestige unserer Familie.
Meine erweiterte rechte Hand hatte sofort gewusst, wen ich gemeint hatte. Er war meinem Blick gefolgt und hatte sie auf der Tanzfläche unter all den Frauen im gleichen Herzschlag ausgemacht. Sie war besonders. Ein seltener, exquisiter Rohdiamant, wie geschaffen für meine Vorlieben. Meine Brüder und ich teilten einen Geschmack. Eine detaillierte Beschreibung war nicht notwendig.
Wie selbstverständlich ich Liam als meinen Bruder betrachtete, obwohl wir uns keinen Genpool teilten, ließ mich gedanklich abschweifen. Aber wir waren schon seit unserer Kindheit Waffenbrüder. Das hatte ein starkes, unzerstörbares Band zwischen uns erschaffen und prägte weiterhin das Leben eines jeden Morgonstirna. Da mein Vater Liam und Rurik adoptiert hatte, trugen wir den gleichen altertümlichen Familiennamen.
Ich hatte mich in meine privaten Räume zurückgezogen, verfolgte weiterhin über die raumhohen, bruchsicheren Glaselemente, die von außen wie Spiegel aussahen, das Geschehen, die tosende Menge nah unter mir. So viele ahnungslose Seelen, die sich von dem oberflächlichen Geltungsdrang nach Vergnügen blenden ließen. Es gab mir immer das Gefühl, allmächtig zu sein, wenn ich sie sehen konnte und ihnen der Blick auf mich verwehrt blieb. Auf meine Schattenwelt und die Dämonen darin.
Minuten vergingen, in denen ich den kleinen Edelstein beobachtete. Sie war so heiß, wenn sie sich bewegte, und löste damit dunkle Begierden in mir aus. Tagträumereien darüber, was ich alles mit ihr anstellen wollte. Ich hatte diese schöne junge Frau noch nie in meinem Club gesehen. Dann kehrte Liam zurück. Meine Laune war weiter gesunken. Ich hasste warten.
»Schick die Aasgeier raus.«
Ohne Antwort führte Liam meine Anweisung aus. Innerhalb weniger Atemzüge und ohne großes Aufsehen leerte sich meine weitläufige, private Suite, diese Blutegel, die mich umwarben wie Motten das Licht, und dachten, sie wären so etwas wie VIPs. Alle waren es gewohnt, stets alles zu befolgen, was ich sagte, das machte mich und meine Macht aus. Die absolute Befehlsgewalt. Erleichtert atmete ich aus. Nur meine Brüder, sonst brauchte ich niemanden und vertraute auch keinem.
»Und, was hast du herausgefunden?«
Ich nippte an meinem Whiskeyglas. Das Eis hatte sich bereits aufgelöst, es kostete mich ein Grinsen. So lange hatte ich den Bewegungen der tanzenden Schönheit in meinem Club also nachgehangen.
»Ihr Name ist Soley Blom. Sie ist zwanzig Jahre alt. Französische Staatsbürgerin. Lebt aber mit ihrer Mutter seit ihrer Grundschulzeit in Island, Reykjavík. Sie hatte schon so einige Staatsbürgerschaften, mehr als wir, das ist das einzig rechtlich Auffällige an ihr. Aber es gibt solche unruhigen Seelen. Geboren wurde sie paradoxerweise in Stockholm. Laut ihrer Schulausbildung spricht sie Englisch, Französisch und Isländisch.«
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, leerte das Glas, stellte es achtlos auf einen gläsernen Tisch zu meiner Linken, verschränkte die Arme vor meinem Körper. »Mehr Details, Liam. Langweile mich nicht. Leg dich ins Zeug.«
Er nickte, nahm wie selbstverständlich an meinem Schreibtisch Platz. Wir waren Blutsbrüder, wir teilten alles, egal ob Geld, Immobilien, Autos oder Frauen. Unsere Leben waren miteinander verwoben.
Weitere Minuten vergingen, in denen ich mich einfach nicht von ihrer Erscheinung abwenden konnte. Dichtes, langes dunkelrotes Haar, beinahe braun. War das ihr Naturton? Es umspielte ihr Antlitz, wiegte wie ein Feuerschild um sie, bis zur Hüfte, wenn sie tanzte. Dazu alabasterfarbene Porzellanhaut, so makellos und einzigartig. Ich liebte unbefleckte Haut. Aus der Entfernung erkannte ich keine Tattoos, vielleicht verbarg sie welche vor jedermanns Blicken. Allein der Gedanke daran, herauszufinden, ob meine Annahme stimmte, machte mich an. Eine Anmut lag all ihren Bewegungen inne, mein Schwanz wurde prall und hart, als ich sie mir erneut in meinem Bett vorstellte. Denn genau dort wollte ich sie heute Nacht haben, je eher, umso besser. Meine Ablenkung. Sie trug beinahe zu viel an ihrem schmalen Leib und heizte dennoch mein Kopfkino an. Diese Stofffetzen störten und gehörten fortgerissen. Was versteckte sie unter diesem eher weiten Outfit? So konnte ich ihre Brüste nur erahnen.
Liam räusperte sich. Ich widmete ihm wieder meine Aufmerksamkeit. »Ja?« Befehl und Frage in einem.
»Soley Blom hat kein Vorstrafenregister, keine aktuellen Posts auf ihren Social-Media-Accounts, keine Schulden, Abitur gemacht, studiert Kunst und macht sonst nichts, außer sich mit ihrer Mutter um den kleinen Hof mit ein paar Tieren in Island zu kümmern. Sie ist … langweilig.«
»Welche Nationalität haben ihre Eltern? Muss ich etwas wissen?«
»Nein. Alles eher bieder. Unauffällig. Einzig, wie vorher erwähnt, ist die französische Staatsbürgerschaft ihre vierte Nationalität. Geboren wurde sie in Stockholm, das sagte ich schon, ist also Schwedin wie ihre Mutter, ihr Vater hat verschiedenste nordische Blutlinien in seinem Stammbaum, lebt aber in Frankreich und Schweden. Ihre Eltern dürften sich kurz nach Soleys Geburt getrennt haben. Die Familie besitzt mehrere Wohnungen. Sie haben Immobilien in Stockholm, Paris, Nizza, oh, auch in Kanada, Québec, aber ich will dich nicht mit Geografie und Häusern nerven. Wozu, für einen Fick?« Er lachte, wurde aber wieder ernst, als ich ihm einen Blick schenkte, der ihm sagte, er solle zum Punkt kommen. »Soley wuchs in Island auf, aber auch in Frankreich und Kanada. Darauf kann ich mir noch keinen Reim machen, schätze, ihre Mutter hat es nicht so mit Sesshaftigkeit.«
»Ja, wirklich reizend, langweilig. Das interessiert mich für eine Nacht herzlich wenig, du hast recht. Bring sie mir.«
Liam stand auf. Er war es gewohnt, all meine Anordnungen zu befolgen. Und jetzt verlangte es mich als Ablenkung nach der kleinen Rothaarigen.
Wie ein Spanner beobachtete ich das Aufeinandertreffen meines verlängerten Arms mit der von mir Auserwählten für diese Nacht. Ich amüsierte mich über die ersten Momente zwischen den beiden. Es irritierte und beeindruckte mich, dass sie nicht großartig auf Liam reagierte. Sie wies ihn ab? Wedelte mit ihrer Hand, als wäre er eine lästige Fliege. Tatsächlich! Der kleine Rohdiamant ließ ihn abblitzen. Wie bitte? In der Arena, wie ich die Tanzfläche nannte, hatten sowohl Liam als auch Rurik immer die Anweisung, sich an unsere Erziehung zu halten. Den Ruf tadellos zu bewahren. Aber normalerweise waren die jungen Frauen eher hungrig darauf, begierig, uns, sagen wir es so, besser kennenzulernen . Eine Einladung in meine Suite galt für gewöhnlich als Jackpot unter den jungen Frauen Stockholms.
Liam gehörte nicht zu den Männern, die einfach so wieder gingen. Er sprach sie erneut an, und da gab sie augenverdrehend nach. Was er ihr auch immer versprochen hatte, oder womit er sie gelockt hatte, es hatte funktioniert. Die kleine Sonne folgte ihm. Mir gefiel diese Bezeichnung für sie. Ihre Freundin sah ihr kurz nach, dann verschwand sie Richtung Bar. An der stark geschminkten Blondine hatte ich sowieso kein Interesse, sie reizte mein Blut nicht und würde mir nie in Erinnerung bleiben.
Da öffnete sich die Tür und Liam trat mit einer überrumpelten Soley ein. Mein Gott, direkt vor mir sah sie noch begehrenswerter aus. Ohne die flackernden Lichter, die LED-Spots. Hier in meinen Privaträumen gab es nur gedämpftes, warmes Licht, es umfing sie wie ein unschuldiger Heiligenschein.
»Willkommen in Stockholm, Soley.« Ich sprach sie ruhig an, wendete mich ihr zu, gab ihr aber nicht die Hand, sondern verschränkte meine Arme hinter meinem Rücken. Der Klang ihres ungewöhnlichen Namens tanzte auf meiner Zunge. Ich wählte Englisch für unsere Konversation, es erschien mir für unser erstes Gespräch passend.
»Warum wissen Sie, wie ich heiße?« Sie hatte einen süßen Akzent, gefiel mir. Aber Soley war auf der Hut, besaß eine gesunde Portion Skepsis, das war gut.
»Du hast deinen Pass zur Registrierung beim Eintritt kurz abgeben müssen.« Das musste als Erklärung reichen. Ich konnte ihr nicht widerstehen, schenkte ihr das Lächeln eines Wolfs.
»Hab ich etwas falsch gemacht? Ihr Wachmann«, sie verdrehte ihre Augen wieder, was mich amüsierte, und bedachte Liam mit einem Blick, den ich schlecht deuten konnte, »sagte, ich müsse zum Besitzer des Clubs, weil es ein Problem mit meinem Ausweis gegeben hätte.«
Mein Wachmann . Das kostete mich wieder ein Lächeln. Sie nannte meinen Waffenbruder meinen Wachmann , töricht, wenn auch niedlich. Woher sollte sie es besser wissen? Ich schenkte ihr meine volle Aufmerksamkeit und Soley reagierte verdammt süß, richtig heiß.
Ich überbrückte die kurze Distanz zwischen uns, wagte es aber nicht, sie zu berühren. Sog ihren betörenden Duft ein, als ich vor meiner Wahl für diese Nacht stand. Bei den Göttern, sie roch nach einer meiner tief versperrten Kindheitserinnerungen, das war besonders und verstärkte ihre Wirkung auf mich abermals. Sie duftete nach den ersten Sonnenstrahlen, die nach einem warmen Sommergewitter zaghaft die Erde berührten. Frische, Unschuld, Süße. Verführung pur.
»Also, wenn ich Sie irgendwie verärgert habe, dann tut es mir sehr leid,. Das war keineswegs meine Absicht, ich mache nur Urlaub in Stockholm …«
Das war genug. Ich musste ihr Geschwafel beenden und sie einfach haben.
»Verbring die Nacht mit mir.«
Soley sah mich so perplex an wie ein Tier, das mir im Wald vor das Gewehr, direkt in die Schusslinie gelaufen war. »Wie bitte?« Sie war entzückend empört und wohl unschuldiger, als ich dachte.
»Bleib die ganze Nacht bei mir. Wir könnten gleich in mein Penthouse fahren.«
Sie wurde rot bis zu den Haarwurzeln. »Nein. Das geht absolut nicht, also, ich … Das kann ich nicht.«
War das ihr fucking Ernst? Sie sagte Nein? Niemand verweigerte sich mir.
Aus meinem seitlichen Blickwinkel sah ich Liams Reaktion auf ihr Nein. Er grinste unter leicht vorgehaltener Hand, Sackgesicht. Das hatte es bisher nie gegeben. Noch keine Frau hatte es je gewagt, mir einen Korb zu geben.
Sie räusperte sich, rang um Fassung und zeigte mir weiterhin die kalte Schulter. »Also, wenn alles mit meinem Ausweis in Ordnung war, würde ich bitte gern wieder gehen.«
Das kleine Juwel hatte sich extrem gut im Griff, zickig konnte sie. Soley drehte sich ohne weitere Worte um, suchte den Türgriff, um meine Suite zu verlassen. Liam stand gentlemanlike von seinem Platz auf einem dunklen ledernen Sofa seitlich auf, öffnete ihr die Glastür. Eine Sekunde lang hielt sie inne, schenkte ihm einen verblüfften Blick, den ich nicht einordnen konnte, bedankte sich danach kurz höflich. Verließ ohne weitere Worte mein kleines Reich.
Als sich die Glastür schloss, nahm ich das Geräusch übernatürlich laut wahr und musste meine Gedanken ordnen. Ich kam darauf nicht klar. Fuck.
»Eine Abfuhr, Fen. Ist mal was Neues in deinem Kosmos. Wie fühlt sich das an?« Liam setzte sich wieder, zündete sich entspannt eine Zigarette an. Dabei war sein Mund schief.
Lachte er mich aus? Miesgelaunt lieferte ich mir mit ihm ein Blickduell. Aber nicht nur die bittere Erkenntnis der Abfuhr, wie er es nannte, brodelte in mir, auch die spontan spürbare Chemie zwischen ihr und ihm hatte mich gestört.
»Sie hat auf dich reagiert.« Jetzt sah mich Liam an, als hätte ich zu viel getrunken. »Ist dir das nicht aufgefallen?«
»Doch, aber ich bin halt unwiderstehlich …« Ich würde ihm das blöde Grinsen noch aus dem Gesicht schlagen. »Ich stehle dir nicht deine Beute. Du hast sie zuerst entdeckt, und du siehst, sie will nicht, das muss auch ein Leitwolf akzeptieren. Vergiss sie einfach. Such dir eine Andere. Da unten sind hunderte Weiber.« Er nahm relaxt einen weiteren Zug seiner Zigarette, der Rauch spann mystische Kringel zwischen uns.
»Ich werde ihr noch zeigen, was sie will, wo ihr Platz ist.«
Liams Blick veränderte sich, er kannte diesen Tonfall. Er bedeutete, dass die Angelegenheit für mich keineswegs erledigt war.
»Woran hast du genau gedacht, Fen?«
»Wir nehmen sie mit.«
»Ja, klar. Das ist sogar für uns unüblich.« Er schüttelte seinen Kopf und drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher neben dem Sofa aus.
»Das ist mein Ernst.«
Sekunden verstrichen, in denen er mir keine Antwort gab, sondern überlegte. Ich sah ihm regelrecht an, wie er sich innerlich wand, mit sich kämpfte. Aber dann gab Liam nach. So war es immer zwischen uns.
»Also dann, dein Wunsch sei mir Befehl. Soley Blom wird geliefert. Ich rufe Rurik an. Sein Gesicht kennt sie noch nicht. Er steht auf so einen kranken Scheiß. Du weißt, wie er tickt.«
»Und keiner rührt sie an.« Mir war es wichtig, diese Warnung zur Bedingung zu machen.
»Selbstverständlich nicht. Dein Spiel, deine Regeln. Was denkst du von uns? Du bist der Leitwolf, und wir sind keine Anfänger.«
»Bringt sie ins Landhaus.«
»Alles, wie du es sagst, Fen.«
»Und besorgt auch Klamotten, damit sie sich umziehen kann und so. Frauen mögen das, oder?«
»Dir war noch nie wichtig, was Frauen mögen. Aber ja klar, wir rauben noch ein paar Boutiquen aus.«
Er stand leise kichernd auf, als hätte ich einen guten Scherz gemacht, und verließ mit seinem Smartphone in der Hand erneut die Suite.
Ich goss mir noch einen Whiskey ein. Vielleicht würde die Nacht doch noch interessant enden.