Verflucht! Mir ging die Kraft aus. Alle eher zierlichen Möbelstücke, die ich mithilfe anderer Regale oder sonstigem Dekokram hatte von der Wand reißen oder kaputtschlagen können, lagen in Trümmern um mich herum verteilt.
Dem großen Holzbett hatte ich bedauerlicherweise nichts anhaben können, lediglich das viel zu fein wirkende Bettzeug hatte ich zerstört, in Fetzen gerissen. Das hatte mir ein wenig Befriedigung verschafft, ich war so verdammt wütend. Überall lagen Federn und Stoffreste herum, aber ich fühlte mich besser. Das war wie ein Ventil gegen die Hilflosigkeit. Der Arsch hatte mich einfach entführt! Er war gestört, mit Sicherheit. Ich saß inmitten meines Werks am Boden, ärgerte mich über meine Dämlichkeit, allein zur Toilette gegangen zu sein und nicht auf die warnende Stimme meiner Mutter gehört zu haben. Aber Ana würde mich suchen, es gab sicher jemanden, der mich gesehen hatte. Das musste so sein.
»Bist du langsam fertig?«
Ich erschrak, legte aber sofort eine perfekte Maske aus Gleichgültigkeit auf, eine Scharade, um ihn ja nicht an mich heranzulassen. Der große Mann aus dem Club, dieser düstere Engel, trat in den Raum ein. Sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und Verblüffung an.
Trotzig begegnete ich seinem Blick. Stand auf, lehnte mich mit am Rücken verschränkten Armen gegen die nächstbeste Wand. Dort hatte ich jetzt ausreichend Platz, immerhin zwei hoffentlich sehr teure Bilder hatte ich zerrissen.
»Lass dein Spielzeug fallen.«
Wie bitte? Woher wusste er, was ich vor ihm versteckt hielt? Es war doch ganz klein. Böse funkelte ich ihn an. Noch mehr Argwohn legte ich in jeden meiner Atemzüge.
»Du Arschloch, lass mich gehen.«
»Ich wiederhole mich ungern, Soley.«
Er verwendete meinen Namen als wären wir Bekannte, das war echt seltsam. Fauchend verdrehte ich meine Augen, ließ den spitzen Holzpflock fallen. Innerlich hatte ich ihn bereits damit aufgespießt, wie mit einem Zahnstocher. Das war mein perfekter Plan gewesen, aus einem der Bilderrahmen hatte es sich so ergeben, und jetzt sollte ich ihm meine Waffe einfach aushändigen?
Sein Blick war so hart, duldete keinen Widerspruch und ich kickte ihm den Pflock direkt vor die Füße. Er trug keine Anzugskleidung wie bei unserer letzten Begegnung, sondern eine enge schwarze Hose, ein schwarzes Langarmshirt und passende Stiefel. War er auf der Jagd gewesen?
»Du kommst jetzt mit.«
»Nein.«
»Noch ein Nein, Soley, bevor du dir einen Überblick über deine Situation verschafft hast, und du wirst dir eine Woche lang wünschen, du hättest die Einrichtung deines Zimmers nicht zertrümmert. Was übrigens sinnlose Energieverschwendung war, denn du bleibst hier. Das ist bereits entschieden.«
Ich knurrte ihn an, dann ging ich an ihm vorbei, ich hielt es mit dem Irren in keinem Raum mehr aus. Er nahm mich an meiner Schulter zurück.
»Du wirst bis auf Weiteres in meinem Zimmer wohnen. Und denkst du auch nur daran, dort meine Einrichtung zu zerlegen, wird das Konsequenzen haben.«
Er war echt das Letzte. Ungeheuerlich. Er regte mich maßlos auf, aber wenn ich einen Fluchtweg aus diesem Anwesen finden wollte, war es wohl gut, dass ich das Zimmer wechseln sollte. Also musste ich irgendwie kooperieren.
Aber ich hatte keinen Bock, war überfordert. Und es war anstrengend, dieses Pokerface aufzusetzen, eine unsichtbare Mauer als Selbstschutz, das war neu für mich. Dieser Affe war die erste Bedrohung in meinem Leben. Ich raffte all meinen Mut zusammen und bot ihm die Stirn.
»Ich gehe sicher mit keinem namenlosen Psycho in sein Zimmer.«
»Ach, mein Name interessiert dich?« Ich amüsierte ihn anscheinend königlich, er schmunzelte und lächelte fast nonstop in meiner Gegenwart. »Ich heiße Fenrir.«
Das ließ er einfach so stehen, fixierte mich mit seinen tiefblauen Augen. Ich atmete ein paar Mal durch. Klar, dass der Psycho einen ausgefallenen Namen hatte.
Erst, als ich nickte, ließ er meine Schulter los. Schweigend folgte ich ihm. Seinen Griff spürte ich noch an mir, als wir den dunklen Gang entlanggingen. Niemand begegnete uns. Es war so eine verdrehte Situation. Waren wir allein in der riesigen Villa? Wo waren wir? Und wie spät war es?
Nach einigen Metern erreichten wir auf demselben Gang eine Tür. Er öffnete sie und ließ mich eintreten, schloss sie dann behutsam hinter uns.
War klar. Schwarz, Gold, Glas, Kristalle. Sein Club spiegelte sich in Kleinformat in seinem Schlafzimmer.
»Wofür bekomme ich diese Strafe?«
Meine Stimme war belegter, als ich befürchtet hatte, er schüchterte mich in seinem privaten Refugium mehr ein. Das war wahrscheinlich natürlich, aber ich wollte ihm keinen einzigen Trumpf geben, nichts, womit er mich weiter quälen könnte.
Zuerst sah er mich an, als redete ich in einer ihm fremden Sprache, aber dann atmete er durch. »Für deinen Widerstand, deine Skepsis. Du hast einfach Nein zu mir gesagt.«
Ich musste mehrmals blinzeln. Der ganze Zirkus, diese Straftat wegen meines Neins? Zur Hölle noch mal, der Typ gehörte therapiert.
»O je, und jetzt ist dein Ego angeknackst? Du bist doch krank. Ein paar Therapiestunden würden dir nicht schaden. Dafür könntest du all dein Geld ausgeben anstatt für den Schnickschnack hier.«
Noch im selben Atemzug wusste ich, dass diese Worte ein Fehler gewesen waren. Wollte mir auf die Zunge beißen, aber ausgesprochen war ausgesprochen. Und es hatte irgendwie gutgetan, zu sagen, was ich dachte. Vielleicht rettete es meinen Verstand oder meine Seele, denn zu der Angst, dem Ungewissen gesellte sich in seiner Gegenwart etwas Dunkles, das ich kaum benennen konnte. Eine Art Lust an der Hausforderung, eine seltsame Neugierde auf das Warum vielleicht? Ein Mann, der wohl alles auf der Welt haben konnte, hatte mich entführt. Ich wollte wissen, wieso. Hatte er wirklich nur ein Problem mit seinem Ego?
Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Wann war ich diesem Fenrir zum ersten Mal begegnet? Gestern oder vorgestern? Zeit für eine Bestandsaufnahme: Ich trug noch meine Kleidung aus dem Club. Keine Ahnung, wie lange ich durch das Betäubungsmittel ausgeknockt gewesen war. Aktuell war ich sogar barfuß. Verloren blickte ich auf meine dunkelrot lackierten Fußnägel. Meine Schuhe hatte ich in dem zerstörten Zimmer gelassen. Ich war unglaublich müde und musste dagegen ankämpfen. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass innere Stärke in solchen Situationen lebenswichtig war.
Fenrir ballte seine Fäuste. Rang mit sich. Er hatte sogar schöne Hände, tätowierte Finger. Warum interessierten mich seine Tätowierungen?
»Du gehst jetzt duschen, dann sehen wir weiter.«
Ich verschränkte meine Arme vor meinem Oberkörper. War auf Konfrontation aus, dem gewappnet. Der hatte doch einen Knall! Ich ging bestimmt nicht vor seinen Augen duschen.
»Nein. Ich gehe nich–«
»Das reicht. Genug.«
Jedes seiner Worte erreichte Stellen meines Verstands, die mir unbekannt waren, mich gleichermaßen verunsicherten und doch in allem bestätigten, wie ich ihm gegenübertrat.
Mein Entführer hob mich in der Sekunde darauf hoch, als wöge ich nichts, bugsierte mich in sein Bad. Als ich über seiner Schulter lag, konnte ich nur daran denken, wie gut er roch. Wahrscheinlich verfielen ihm die Frauen für gewöhnlich wegen seines Dufts, der Arsch kaufte sich bestimmt die teuersten Parfums auf diesem Erdball. Amber und Sandelholz, aber angenehm frisch, nicht zu schwer. Fuck, das war so lecker, mir lief die Spucke im Mund zusammen, das war verkehrt, das war krank. Was passierte mit meinem Hirn? Er war zwar ein attraktiver Mann, aber geisteskrank, das durfte ich nicht vergessen.
Da sah ich glänzende dunkle Fliesen, schwarz, wieder klar. Er hatte es definitiv nicht so mit Farben, vielleicht ein Kindheitstrauma, das müsste ich ihm bei Gelegenheit unter die Nase reiben. Noch bevor ich erfassen konnte, wo wir überhaupt waren, prasselte das Wasser eiskalt, dann gemäßigt aus Regenbrauseköpfen über uns herunter. Fenrir hatte wirklich das Wasser angestellt. Irre, der Kerl war einfach bereit für die Klapse. Meine Haare, meine Kleidung, alles sog sich voll.
Meinen, wie hatte er ihn genannt, Widerstand … Den würde er zu spüren bekommen! So leicht war ich nicht zu haben, für niemanden, egal, wie gut er roch oder wie stark er meinen Verstand vernebelte. Darauf konnte der große böse Wolf Gift nehmen.
Er stand mir gegenüber, in der überdimensionalen, natürlich luxuriösen Dusche. Sein schwarzes Shirt und die Hose waren bereits nass, eingeweicht. Mir blieb kurz die Luft weg, das durfte ich nicht zulassen. Er sollte nicht so eine Wirkung auf mich haben! Ich blinzelte angestrengt unter den Wasserstrahlen in seine Richtung, mir offenbarte sich ein wahrgewordener Frauentraum. Ein definierter Oberkörper zeichnete sich unter den nassen Klamotten ab, mehr, ein Brustkorb zum Anlehnen, Arme, die einen halten konnten …
So, Hirn … hör auf!
»Zieh deine Sachen aus oder ich schneide sie dir vom Körper.«
Er knurrte diese Worte. Herrgott, sein Ego war ein einziges Testosteron-Gemetzel.
Missgelaunt, wie in Zeitlupe und mit Trotz in meinen Augen, zog ich den Jumpsuit aus und mein Top über den Kopf. Schon war ich fast nackt, ich trug keinen BH, nur einen einfachen Baumwollslip. Wurde auch den los und sparte nicht mit Versuchen, ihn mit grimmigen Blicken zu töten. Ließ alles achtlos in der Dusche fallen. Sah nach links, wählte ihn demonstrativ ignorierend ein Duschöl, seifte mich langsam und genüsslich ein, blendete seine Anwesenheit erstaunlich gut aus, als gehörte der Bereich mir allein. Stellte mir vor, ich wäre die Herrin über alles hier. Dieses Spiel gönnte ich mir. Sortierte dabei meine Gedanken, ehe ich wieder das Wort an ihn richtete.
»Hast du in deinem Käfig auch etwas, womit ich meine Haare waschen kann?«
Giftete Fenrir dabei an und sammelte weiterhin all meinen Hass in meinen Blick. Er reichte mir wortlos eine Flasche, deren Inhalt ich nicht lesen konnte, aber es schäumte, als ich mir ein wenig davon auf die Handinnenfläche drückte.
Während ich meine Haare bearbeitete, die brauchten einfach viel Zeit, entledigte er sich nach und nach seiner Klamotten. Der tickte doch wirklich nicht richtig! Ich wendete mich anstandshalber, auch wenn das lächerlich war, denn dieser Wolf besaß keinen Anstand, von ihm ab, stand mit dem Rücken zu ihm.
Da spürte ich seine direkte Präsenz hinter mir – und das ängstigte mein Herz mehr, als ich mir eingestand, denn zeitgleich vibrierten zarte Funken von etwas Unbekanntem irisierend zwischen seiner Brust, die mich beinahe berührte, und meinem Rücken.
»Wenn du jetzt mit mir Sex hast, kommt das einer Vergewaltigung sehr nahe, Fenrir. Bist du das? So ein Monster?« Absichtlich zischte ich ihm die letzten Worte inklusive seines Namens bissig entgegen.
»Das würde ich nie tun.«
Bei allem, was einem heilig war, seine Stimme, das warme Timbre darin … Ich durfte nicht vergessen, wer er war.
Seine Antwort kostete mich ein kleines, hysterisches Lachen. Klar, darauf würde er Rücksicht nehmen – aber mich einsperren oder zum Duschen vor seinen Augen zu zwingen, war okay. Mir seinen Willen aufzuzwingen, war also okay? Er war verrückt. Und Irren konnte man niemals trauen.
»Aber ich würde gerne ein bisschen mehr von dir wissen, kleine Widerspenstigkeit.«
Machte er jetzt wahrhaftig mit mir Smalltalk, nackt unter seiner beschissenen Dusche? Er könnte garantiert ein ganzes Buch über sein kaputtes Hirn schreiben, es hätte das Potenzial, ein kranker Bestseller zu werden.
»Warum? Warum hast du im Club Nein zu mir gesagt?«
Das war mein Moment. Jetzt waren wir wieder bei seinem Ego – und das würde ich in alle Einzelteile zerlegen und dann zerstören. Seelenruhig spülte ich den letzten Schaum aus meinen Haaren. Meine langen Strähnen halfen mir dabei, dass ich mich nicht komplett nackt fühlte, machten mich mutiger. Dann drehte ich mich zu ihm um und suchte seine Aufmerksamkeit.
Huch, okay, er sah so gut aus. Mein Hals trocknete aus, ein Bereich zwischen meinen Beinen wurde ganz feucht, und das nicht vom Wasser. Nicht ablenken lassen, Soley! Aber was für ein Körper. Das war doch nicht real.
Welch Ironie: Solche Männer gab es nur in Filmen oder auf Plakatwänden. Fast wollte ich ihn berühren, nur fast. Mit aller mentalen Kraft gebot ich meinen Fingern Einhalt. Er war heiß, und zwar auf eine Weise, die ich nie für möglich gehalten hatte. Bis dahin hatte ich gedacht, dass ich so einen Mann in meinem ganzen Leben niemals in echt zu Gesicht bekommen würde. Das war verrückt. Komplett abgedreht.
Aber ich sammelte all meine Schlagfertigkeit und spuckte ihm den nächsten Satz bestimmt und hart entgegen, das musste ihn weichkochen. »Ich bin eine Jungfrau, Arschloch. Keine billige Hure, die du für einen Fick in dein Bett kommandieren kannst. Kommt das bei dir an oder musst du dir das aufschreiben?« Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, eine Mischung aus Respekt, Furcht und doch allumfassendem Trotz begleitete meine Worte. Meinen Status hatte ich noch nie gegen irgendjemanden ausgespielt, aber wie sollte ich ihm sonst verständlich machen, dass er nonstop Grenzen überschritt?
Sein Blick daraufhin wäre bestimmt tausende Dollar wert gewesen. Damit hatte er einfach nicht gerechnet, es erwischte ihn unerwartet.
Instinktiv, als würde er sich an mir verbrennen, ging er einen Schritt rückwärts. Das war genau der Platz, den ich brauchte, um die bodentiefe, moderne Dusche zu verlassen. Nahm mir, als wäre ich immer noch die Ruhe in Person und die Frau dieses Hauses, von einem hohen Stapel mit dicken flauschigen Badetüchern zwei Stück. So sah er hoffentlich meine zittrigen Finger nicht. Eins für meinen Körper, eins für meine Haare. Musste zugeben, dass das Duschen gutgetan hatte, auch wenn alles in mir in Aufruhr war. Ich fühlte mich sauber, mein Kopf war viel klarer.
Ich warf einen kurzen, gleichgültigen Pokerface-Blick auf ihn. Fenrir blieb in der Dusche, wusch sich selbst, mittlerweile beschlugen die Glasscheiben, verdeckten einen Teil seines echt leckeren, muskulösen, tätowierten Körpers. Dieser Mann war ein Kämpfer, eine Maschine. Kein verwöhnter Junge. Aber er würdigte mich keines Atemzugs mehr. Vielleicht war weniger für sein Hirn übriggeblieben, dem Training geschuldet. Hörte man das nicht sogar öfter? Trainierten Kerlen mangele es an Einfühlungsvermögen? Wahrscheinlich hatte er sich irgendwelche verbotenen Substanzen gespritzt, um so einen Prachtkörper zu bekommen. Die Spritzen hatten wohl direkt seinen Verstand geschrumpft. Nur so konnte ich mir erklären, warum er Frauen entführte. Warum nahm ich an, dass er das schon mal gemacht hatte? War ein Vorurteil, aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben.
Ich verließ das Badezimmer und atmete mehrmals tief durch. Sah mich mit einer Spur Neugierde, die ich ihm gegenüber niemals zugegeben hätte, in seinem Reich um. Entdeckte dabei eine große, sehr edle Frisierkommode aus dunklem Holz. Wie entzückend. War wohl für seine Huren. Aber nichts stand darauf, nur die blank polierte Edelholzfläche strahlte mir entgegen.
Weil ich nicht wusste, wohin mit mir, setzte ich mich darauf, ins Badetuch gehüllt. Lehnte mich vorsichtig gegen den kühlen Spiegel. Rubbelte meine langen Haare halbwegs trocken, ließ das Badetuch einfach fallen.
Es dauerte noch etwas, dann kam er aus dem Bad. Wie ihn die Götter erschaffen hatten. Nackt. Er besaß wohl kein Schamgefühl. Wow, war er wirklich echt? Fenrir war der attraktivste Mann, den ich je gesehen hatte. Langsam, lässig, vollkommen nackt ging er auf mich zu. Bei diesem Anblick prickelte es erneut zwischen meinen Beinen. Er hatte so viele Muskeln, war dabei aber kein Muskelberg, sondern man sah ihm einfach an, dass er ein Krieger war. Heiliger Bimbam. Dazu massig Tinte, Tätowierer mussten Jahre damit zugebracht haben, ihn vom Hals abwärts zu verzieren. Ganz empfindliche Stellen hatte er dabei nicht ausgelassen, wahrscheinlich verschaffte ihm Schmerz einen kranken Kick. Ja, das musste es sein, das passte zu ihm.
Unbeirrt, zielstrebig schritt er auf mich zu und suchte meine Aufmerksamkeit. Blieb vor mir stehen, packte mich an meinen Hüften, rutschte ungefragt zwischen meine Beine. Ich keuchte leise auf. Das war unerwartet, und er drang damit schon wieder in meine persönliche Zone ein. Aber wahrscheinlich waren einem Mann wie ihm solche sozialen Aspekte egal, kannte er nicht, ich würde ihm für ein paar Extradollar wohl einen Benimmkurs zahlen müssen. Ich sollte schleunigst aufhören, in solchen Strukturen zu denken, er hier, dieser Kerl, war ein Rohling, hatte keine Ahnung von gutem Benehmen oder gar Anstand. Ich suchte, ohne mir meine aufkeimende Panik auf Grund seiner Nähe anmerken zu lassen, nach irgendetwas in meiner Umgebung, das ich ihm über den Schädel ziehen konnte. Leider war da absolut nichts, nicht mal eine Haarbürste.
»Woher hätte ich das wissen sollen, Soley?«
Wie er meinen Namen betonte, brachte Nuancen in mir zum Klingen, etwas Dunkles, und seine Art, zu sprechen, löste kleine, warme, behagliche Feuer in meinem Bauch aus. Warum beherrschte er so schnell meine Sinne? Noch dazu durfte ich nicht so böse sein. Er war klug, es war nicht gerecht von mir, ihn als Stümper zu bezeichnen. Jetzt nahm ein Teil von mir diesen Freak schon wieder in Schutz. Fuck. Das war nicht normal, diese Herumholperei meines Herzens nervte mich.
Seine Nähe, seine Wärme. Sein Geruch, dieses Holzartige mit Noten von Amber. So viel prasselte auf mich ein, während er einfach nackt vor mir stand.
»Du bist erwachsen, und erwachsene Jungfrauen sind entweder hässlich wie die tiefste Nacht oder eine Rarität, eher schon ein … Mythos.«
Er wirkte unsicher? Klar, er sollte mich gehen lassen, das konnte doch nicht so schwer sein. Aber je länger er mir so nahe war, desto mehr wollte ich mich auf dieses Spiel einlassen. Meine eigene Dunkelheit fand Fenrir aufregend und freute sich auf ein Wagnis, ein Abenteuer, dessen Ende mich zerstören würde. Mein Puls erhöhte sich unmerklich und doch konnte ich es nicht leugnen, ich reagierte auf ihn.
»Hm. Mythos widerlegt, ich sitze hier.« Ich summte beinahe, warum machte es mir nur so viel Spaß, ihn herauszufordern?
»Wie sehr Jungfrau bist du, Soley?« Er nahm dabei seine Hand von meiner Hüfte, umfasste mein Gesicht mit der linken Hand in einer Art Klammergriff, quetschte meine Backen leicht. »Und lüg mich nicht an.«
Himmel. Ich war eine Gefangene, das durfte ich nicht vergessen! Ich musste klar denken, aber es war zu spät. Die wilde Soley übernahm das Ruder, erfreute sich an dem Spiel mit diesen dunklen Funken.
»Alles an mir ist unberührt.«
Statt erstaunt zu sein, was ich diesem Psycho auch nicht zugetraut hätte, leckte Fenrir sich über seine Lippen, als wäre ich eine köstliche Vorspeise. Geduldig beobachtete ich ihn, und als er nichts sagte, legte ich nach, goss mehr Öl ins Feuer.
»Ich habe noch nie geküsst, geschweige denn mehr gemacht als in Büchern über die körperliche Liebe zu lesen oder in Filmen etwas davon zu sehen. Und es war bestimmt nicht mein Plan, von einem kranken Typen wie dir gegen meinen Willen, notiere dir das bitte, gegen meinen Willen , entführt zu werden, um diese grundsätzlich natürlichen Erfahrungen zu machen. Fertig.«
Er löste seinen Griff, als sickerten meine Worte wirklich mit voller Tragweite in ihn. Doch er fing sich gleich wieder und blieb frech.
»Ersteres beheben wir. Küss mich, Soley.«
Allein von seiner Anrede sammelte sich mehr Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen. Gut, dass das Badetuch alles verdeckte. Er stand vor mir, als wäre er mein Mann, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass er mir diese Frage stellte und meinen ersten Kuss von mir einforderte.
Darauf konnte er lange warten! Ich drehte meinen Kopf zur Seite, wollte trotzig sein. Als Reaktion lachte er. Das Timbre darin ließ mich beinahe schmunzeln, aber ich biss mir in meine Wangeninnenseite, bis ich Blut schmeckte.
»Dann lass mich mal eine Sache überprüfen, kleine Sonne.«
Dieser Spitzname. Wenn er mich so nannte, reagierte mein Körper ebenfalls mit einer Art Interesse, die mir fremd war. Verräterisch und gefährlich. Ich senkte meinen Blick, als ich spürte, wie Fenrir mich berührte.
Seine tätowierte Hand wanderte tiefer, verdammt, die Tattoos auf seinen Fingern waren nordische Runen. Standen ihm, ließen ihn noch dunkler und verwegener wirken. Als er bei meinem Knie angekommen war, glitten seine Finger millimeterweise hinauf, unter mein Badetuch, er berührte meine Oberschenkel, fuhr quälend langsam höher. Fand die Feuchtigkeit, die sich an den Innenseiten gesammelt hatte. Mein Puls erhöhte sich schlagartig und pochte gegen meine Schläfen. Verdattert atmete ich tiefer ein, aber ich war unfähig, seine Hand von meinem Oberschenkel wegzuschlagen. Es erregte mich, dieses verbotene Spiel mit dem bösen Wolf. Das war doch verkehrt.
»Hm, würdest du nicht schon eine halbe Ewigkeit auf dem Tisch sitzen, würde ich sagen, du bist noch feucht vom Duschen, aber so … Die Situation hier macht dich an, Soley.«
Fenrir kam mir wieder näher, küsste mich auf die Schläfe, dorthin, wo mein Puls raste, nahm seine Hand geruhsam fort, ging von mir weg. Ich spürte die Stellen, an denen er mich berührt hatte, als wären sie heißer als der Rest meiner Haut.
Er betrat einen Nebenraum, verließ dadurch mein Blickfeld. So konnte ich wieder etwas Selbstbeherrschung zusammenkratzen – und die war bitter nötig, denn innerlich focht ich einen Kampf mit meinem Schuldbewusstsein und meinem Anstand aus. Als er zurückkam, war er vollständig bekleidet. Sein ohrlanges, schwarzes Haar lag noch wild um seine makellosen Gesichtszüge, keine einzige Narbe verunstaltete es. Ansonsten war er wieder ganz der Business Man, der mir in Stockholm begegnet war. Trug seine Fassade zur Schau.
»Ich fahre heute Abend ins fallen sins , Geschäftliches und … Dampf ablassen. Du kannst dich hier frei bewegen. Meine Sicherheitsmänner stehen rund um die Villa verstreut, auch im Park. Also versuch gar nicht erst, abzuhauen, das würde unschön enden. Und sie sprechen nur Russisch. Sie verstehen dich nicht, egal, was du ihnen erzählst. Anderes Personal wirst du abends hier nicht vorfinden, aber du bist sicher in der Lage, dir ein Essen zuzubereiten. Die Küche findest du im Erdgeschoss.«
Es versetzte mir einen Stich, als er sagte, er würde wegfahren, um sich abzureagieren. »Kann ich was zum Anziehen haben?«
»Normalerweise würde ich sagen, nein, denn ich genieße deinen Anblick, du bist wunderschön. Aber du kannst dir ein paar Sachen aus meinem Schrank nehmen.«
»Hast du Größe sechsunddreißig da?«
Das kostete Fenrir wieder ein Grinsen. »Ja. Sieh nach. Aber wenn es dir nicht gefällt, kann ich dir Kleidung aus Stockholm mitbringen. Du musst mir nur sagen, was du bevorzugst.«
»Mmh, wenn du mir Kleidung mitbringst, kann ich wahrscheinlich auch gleich so bleiben.« Widerspenstig zeigte ich mit einer angesäuerten Miene auf das Badetuch.
»Du bist lustig, kleine Sonne. Malen’koye solnyshko. Bis später. Benimm dich. Vergiss nicht, du bist mein Gast, das muss dir nur bewusst werden, bei mir geschieht dir kein Leid.«
Ohne ein weiteres Wort wollte er gehen. Er war wirklich verrückt. So konnte er mich doch nicht stehen lassen. Und wie hatte er mich genannt?
»Warte. Was heißt … malen’koye solnyshko ?« Diese Wörter auszusprechen, war beinahe ein Zungenbrecher für mich, aus seinem Mund klangen sie melodisch.
Er lächelte, kam wieder ein klein wenig näher. »Kleine Sonne.«
Sein Blick traf mich so heiß und tief, unfassbar, das sollte so auf keinen Fall passieren. Vor allem sollte er mir nicht gefallen. Ich wollte von dem Gefühlschaos in mir ablenken, blieb ihm aber die Reaktion auf seine Übersetzung schuldig. Suchte nach anderen Fragen.
»Und wenn ich Hunger habe?«
»Wir haben eine vollausgestattete Küche, sagte ich doch. Aber unsere Haushälterin hat abends frei.«
Wer war uns ? Fenrir ließ mich mit mehr Rätseln zurück, als er auflöste. »Ihr habt eine Haushälterin? Äh, weiß sie, da–«
»Dass wir dich zu uns eingeladen haben? Natürlich. Und dass du eher … temperamentvoll bist.«
Ein weiteres Grinsen zupfte an seinen viel zu schönen Mundwinkeln. Noch immer kämpften in mir zwei Versionen meiner selbst: die ängstliche, die schreiend wegrennen wollte, und die draufgängerische, die erfahren wollte, was sie bei diesem düsteren Mann erwartete.
»Also, kleine Sonne. Bleib brav. Das ganze Haus steht dir zur Verfügung. Du kannst auch fernsehen oder Musik hören. Essen, alles, was du willst. Nur Internet oder Telefone wirst du vergebens suchen, das wäre so eine Energieverschwendung wie das Zertrümmern deiner Einrichtung. Morgen früh bin ich zurück.«
Er schloss die Tür zu seinen Räumen. Ließ mich allein. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich meine Atmung beruhigt, mein Puls normalisiert hatte. Alles in mir war in Aufruhr. Ich saß immer noch halbnackt auf diesem Frisiertisch.
Zuerst dachte ich, ich würde fliehen. Wegrennen, rein auf meinen Instinkt hören. Aber meine Beine waren wie Blei. Schließlich rutschte ich von dem Tisch, mir wurde langsam kalt, ging um Fenrirs breites Bett herum, etwas in mir war … neugierig. Langsam strich ich über die edle, anthrazitfarbene Tagesdecke.
Statt von ihm wegzurennen, wollte meine Seele wissen, was passieren würde, wenn ich blieb. Mich packte wieder eine kaum beschreibbare Neugierde auf all das hier, auf diese dunkle verborgene Welt jenseits meiner Alltagsvorstellungen. Vielleicht konnte ein Abstecher in ein wahrgewordenes düsteres Märchen nicht schaden?