Drei weitere Tage waren vergangen, an denen wir nur zum Essen das Bett verlassen hatten, die Welt völlig ausgeblendet hatten. Wobei »Bett« nur ein Oberbegriff war, denn Fenrir hatte mich in jedem Raum gefickt, den wir gemeinsam betreten hatten.
Diese dunkle Energie zwischen uns nahm langsam überhand und ich verfiel dem Wunsch, ihn ständig an mir spüren zu wollen. Jedes Mal, wenn er mich nahm und mich sein Umfang überdehnte, wollte ich mehr, er machte mich abhängig. Konnte man mit seinem Entführer eine Art kranken Honeymoon erleben? Bestimmt gab es auch dafür Therapien. Ich hatte keine neuen Antworten erhalten, Fen hatte mir jegliche Skepsis erfolgreich aus dem Hirn gevögelt. Alles an uns löste sich in Leidenschaft auf, wenn wir zusammen waren, unsere Körper riefen sich, wollten eins sein. Nur dann fanden wir Ruhe im Herzen des anderen, so fühlte es sich zumindest an.
Für Fen war es neu, dass er eine Frau immer wieder begehrte, das hatte er mir gestern Nacht gestanden, nachdem er mich hart an einer Wand auf dem Gang gefickt hatte. Seine Stimme, wie er mir diese Worte flüsternd zugeraunt hatte, das war immer noch in meinem Kopf. Und von dem Sex würde ich blaue Flecken zurückbehalten. Trotzdem hatte ich dieses Gefühl genossen, den Schmerz gemischt mit der Lust. Für mich war alles neu, außerdem machte Sex wirklich Spaß, viel Spaß, ich war unersättlich geworden.
Ich musste mich kurz von all dem Testosteron etwas entspannen und wollte schwimmen gehen. Das Wetter war wunderbar dafür und ich hatte immens Sehnsucht nach Sport.
Völlige Ruhe lag über dem weitläufigen Garten, als ich die breite Terrasse betrat. Die angenehmen direkten Sonnenstrahlen, obwohl es bald Abend werden würde, erwärmten meine Haut wohltuend, es war im Haus kühl gewesen. Ich legte mein Badetuch auf eine der Liegen, streckte mich durch. Trug einen lächerlich knappen goldfarbenen Bikini, wer den wohl ausgesucht hatte? Innerlich verdrehte ich die Augen, aber sei es drum, ich seufzte und lief barfuß zu einem Bereich, wo ich seicht ins kühle Nass waten konnte, dann tauchte ich ein.
Das Wasser im See klärte meine Gedanken. Erfrischte und beflügelte mich. Zug um Zug, Herzschlag um Herzschlag. Weit draußen im See kehrte ich um, schwamm zurück zum Ufer. Ich würde heute um mein Smartphone verhandeln. Ewig konnte Fen nicht meine Sekretärin spielen, egal, wie amüsant er das fand, irgendwann war es mal genug mit meinem Freiheitsentzug. Zu diesem Gedanken gesellten sich allerdings Verlust und die Angst, dass er meiner überdrüssig werden könnte, mich wegschickte. Wenn ich daran dachte, zog sich mein Herz zusammen, und das lag nicht an den kühlen Temperaturen des Seewassers.
Eine Bewegung auf der Terrasse zog meine Aufmerksamkeit auf sich, das konnte nur Fenrir sein, sonst war keiner im Haus. Ich hatte zum Schwimmen die Stunde gewählt, wenn die Hausbediensteten die Villa bereits verlassen hatten. Vermutlich war ich zu lange fort aus seiner Reichweite gewesen. Vielleicht vermisste er mich? Er hatte den restlichen Tag nach unserem, wie sollte ich das nennen, Sex-Marathon mit Verwaltungsarbeiten verbracht und mir Zeit für mich gegeben.
»Wir müssen uns unterhalten.«
Seine Stimmlage war mehr Befehl als freundliche Aufforderung. Der Wind trug seine Worte zu mir ins Wasser. Fen stand auf der südlichen Veranda seiner Villa, die Hände hatte er hinter seinem Rücken verschränkt. Ich trat aus dem See auf den Kiesstrand, Fenrir beobachtete jeden meiner Schritte. Er sah besorgt aus und etwas Düsteres lag in seinem Blick.
»Ja, ich komme schon. Aber ich brauche noch einen Moment im Bad.« Als ich ihn passierte, nahm mich seine Dominanz gleich wieder in Beschlag. Dieser Testosteronüberschuss war einschüchternd, doch ich straffte meine Schultern, ging tropfend an Fen vorbei, schnappte mir ein anderes Badetuch von einer der Liegen – er hatte mich so verwirrt, dass ich nicht wusste, wo meins war – und huschte die breiten Stufen hinauf ins Haus.
Drinnen umfing mich Stille, ich wendete mich nach links und ging die kleinere Treppe hinauf in den ersten Stock. Sie war mir sympathischer als die protzige Haupttreppe. Als ich endlich Fens Räume erreichte, fröstelte ich bereits, aber ich duschte kurz warm, zog mir frische Sachen an, wählte enge weiße Jeans und ein weinrotes tief ausgeschnittenes Seidentop mit Flügelärmelchen. Die Unterwäsche hatte ich davor im gleichen Farbton ausgesucht. Es war ein dekadentes, bestimmt sündhaft teures Spitzen-Set. Langsam sickerte es in meinen Verstand, dass Geld in der Familie Morgonstirna nicht nur eine untergeordnete Rolle spielte, sondern es war wirklich egal, was etwas kostete. Fenrir war steinreich, jenseits meiner Vorstellungskraft, ich war nur ein gewöhnliches Mädchen aus der Mittelschicht.
Als Schuhe nahm ich wieder die Riemchensandalen. Für die High Heels konnte ich mich nicht erwärmen, fand es lächerlich, damit in diesem Haus herumzulaufen. Meine Haare föhnte ich, dann teilte ich sie vor dem Spiegel in Strähnen ab, nahm den Lockenstab und drehte sie vereinzelt damit auf. Für alle hatte ich keine Zeit, aber so sah es ein bisschen verspielt aus und nicht, als wäre mir meine Erscheinung vollkommen gleich. Mein Gesicht ließ ich jedoch frei von jedem Make-up. Auch das hatte Fen für mich besorgen lassen, aber ich brauchte keines. Das hatte mir Fen nicht nur gesagt, es stimmte auch. Zuhause verwendete ich maximal Kajal, hier verzichtete ich sogar darauf. Mir war von Natur aus problemlose Haut geschenkt worden.
Ich wollte ihn nicht noch länger warten lassen, ging wieder nach unten. Direkt am Treppenabsatz stand er. Mein Entführer, der Mann, der mich hier festhielt und dem ich doch nicht entkommen wollte. Es war wohl ein klassisches Stockholm-Syndrom, wie es im Buche stand, wie passend dazu, dass wir in Schweden waren. Bei dem Gedanken verdrehte ich kurz meine Augen, wollte mich damit von meinem pochenden Herzen ablenken, denn Fen sah mich immer noch so düster an, als würde er mich gleich übers Knie legen wollen.
»Setzen wir uns raus?«
Okay, raus. Wohin »raus«? Ich nickte nur, nahm seine Hand, die er mir entgegenhielt. Händchenhalten. War auch neu und riskant, denn jede seiner Berührungen schickte Funken aus Begehren durch mich. Sein Griff war fest, warm, versprach mir Sicherheit. Transportierte trügerische stille Botschaften, denn Fen war gefährlich. Ich wusste das und kämpfte doch ständig gegen meinen Verstand an. Noch immer wollten Teile von mir ihn in Fetzen reißen und die anderen sich an ihn schmiegen. Das war irre.
Die Sonne wechselte in den typischen Midsommar-Modus, als wir auf der Terrasse in breiten, gepolsterten Holzsesseln Platz nahmen. Wein in einem Kühlbehältnis und passende, unfassbar elegante Gläser standen bereit. Aber vom Personal war nichts zu sehen, die waren doch vorhin gegangen? Hatte er das kredenzt?
Ein paar Atemzüge verstrichen, Fen sah mich einfach nur an. Dann richtete er eine harmlose Frage an mich. »Darf ich dir Wein einschenken, Sol?«
»Ja, gerne.«
Es war Weißwein, dazu gab es Wasser aus Kristallgläsern. Nobel ging die Welt zugrunde.
»Meine Brüder kehren heim, Sol.«
»Super, Familientreffen. Du hast zwei, nicht wahr?«
Langsam konnte ich mich damit zum Thema Esme vorarbeiten. Er verzog seinen schönen Mund bei meiner Antwort, dachte bestimmt an mein verbotenes Gespräch mit der Köchin. Die wenigen Antworten, die ich ihr hatte entlocken können, und später Marthas Informationen.
Er hob sein Weinglas, prostete mir zu. Ich erwiderte seine Geste, nahm einen kleinen Schluck von dem Wein, wartete ab, was er mir eigentlich sagen wollte.
»Sie werden dich für sich beanspruchen.«
Ich spuckte beinahe den Wein aus. »Wie bitte?«
»Es ist üblich, dass wir uns Frauen teilen. Was meinen Brüdern gehört, steht auch mir zu, und umgekehrt.« Er meinte das ernst, sah mich vollkommen ruhig an und irgendwie … verdorben.
»Entzückend.« Der war doch komplett irre. »Aber ich glaube nicht, dass das …«
»Du entscheidest das nicht, Sol. Ich müsste es dir nicht einmal sagen, sie werden es dir zeigen.« Oh, jetzt präsentierte er mir wieder seine herrische Seite.
»Ich«, was er konnte, konnte ich schon lange, »bin nicht euer Spielzeug.«
»Nein, das bist du nicht, malen’koye solnyshko . Aber sie werden um dich werben, nichts unversucht lassen.«
»Und du lässt das zu?«
»Es ist immer so zwischen mir und meinen Brüdern. Wenn wir Lust darauf haben, teilen wir uns eine Frau.«
»Das ist pervers.«
Er grinste dreckig, mein kleiner Widerstand amüsierte ihn köstlich. »Du wirst ihnen verfallen, du bist hungrig nach Sex, hast wohl viel aufzuholen.«
Das war sogar für seine Verhältnisse frech, so auf meine Jungfräulichkeit anzuspielen. »Wer sagt das?«
»Ich kenne dich mittlerweile, Sol. Und sei gewiss, ich werde keine Einwände erheben, wenn sie dich mit ins Bett nehmen, das ist wie ein Brüderkodex bei uns.«
»Fein, das entscheide nämlich wirklich ich.« Wütend schob ich meinen Sessel zurück, wollte gehen.
»Wohin des Weges, Sol?« Natürlich war er wieder da, natürlich hielt er mich wieder am Handgelenk fest.
»Ich habe genug. Ich möchte nach Hause.«
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, bereute ich sie. Sie waren gelogen, denn meine Finsternis, der ich mich an jedem Tag hier mehr anvertraute, war extrem neugierig auf die beiden. Mein Gehirn konnte die Information, alle drei haben zu können, kaum verarbeiten.
»Bitte, kein Problem. Wann soll dich mein Fahrer wohin bringen?«
War das sein Ernst? Wieder die gleiche Floskel wie damals beim Frühstück? Und warum störte es mich, dass er mich einfach so losließ? Ich zögerte, blieb mitten auf der Terrasse stehen.
»Das ist es. Wenn ich dich jetzt freigebe, dann kommt dein Herz nicht damit klar. Fast könnte man meinen, du magst mich.«
Er wirkte so selbstsicher, schenkte sich Wein nach. Setzte sich wieder und sah mich an, als gehörte ihm die ganze Welt. Und das Widersprüchlichste daran: Mir gefiel sein Gehabe. Dass er einfach so seinen Anspruch auf mich klarstellte, das Ursprüngliche. Fuck, diese Erkenntnis erhitzte mich.
Gespielt trotzig ging ich wieder zu ihm, setzte mich ebenfalls. Nahm die Flasche aus dem Kühler, machte mir das Glas randvoll.
»Keine Antwort von meiner kleinen Sonne?«
Ich bedachte ihn mit einem Todesblick, doch was mich am meisten ärgerte: Er. Hatte. Recht. Es. Würde. Mich. Killen. Wenn. Er. Mich. Einfach. So. Freigab.
Dabei wollte ich doch frei sein?
Wieder berührte er düstere Seiten in mir, zeigte mir, dass mir meine Vergangenheit, mein bisheriges Leben nicht so wichtig waren wie dieser »Urlaub« hier mit ihm. Diese aufgezwungene Zeit.
Aber ich wollte das Gespräch in eine andere Richtung lenken. Nur wir beide, bevor der Moment durch jemand anderes unterbrochen wurde. »Wie heißen deine Brüder?«
Das entlockte ihm ein Lächeln, ein seltenes echtes. »Liam und Rurik, aber das weißt du doch schon.«
»Wie alt sind sie?«
»Liam ist dreißig Jahre alt und Rurik ist mit sechsundzwanzig unser Baby.«
»Okay.« Das klang wie die Aufzählung von Details eines Lebenslaufs, es nervte, dass ich ihm alles aus der Nase ziehen musste. Ich seufzte und sah ihn verstimmt an.
»Warum ist das wichtig, Sol?«
»Also bist du der Älteste?« Ich gab nicht nach.
»Ja.«
Wieder einsilbig, das hielt ich nicht mehr aus. Ich setzte alles auf eine Karte. »Der Stammbaum in der Halle …« Da verfinsterte sich sein Blick. »Mir wurde bisher nur von Brüdern erzählt, wenn überhaupt. Du geizt mit Informationen über deine Familie.«
Die gefährliche Ruhe war beinahe körperlich spürbar. »Ja? Was willst du dazu wissen?«
Mein Herz klopfte so stark. »Wer ist Esme? Und warum fehlen deine Brüder auf dem Stammbaum?«
Zuerst dachte ich, er würde gar nicht reagieren, doch dann erhielt ich zumindest auf meine zweite Frage eine Antwort. Auch wenn er sie mir nur widerwillig schenkte, mich mit dunklen Blicken bedachte.
»Wir sind nicht blutsverwandt. Ich bin der Letzte aus meiner Blutslinie. Mehr musst du nicht wissen. Ich habe dir zwar gesagt, dass du dich in der Villa frei bewegen darfst, aber die Halle der Ahnen ist tabu. Bitte geh nicht wieder dorthin.«
Ich schluckte. Wenn er sogar ein »Bitte« dransetzte, musste es ihm wirklich wichtig sein. Aber: Sie waren nicht verwandt? War das sein Ernst?
Weitere Antworten. Ich wollte mehr wissen. Aber ich wagte es nicht, mehr zu fragen, Fenrirs Blick war eine Mischung aus Schmerz und seinem Wunsch, mich für meine Spionage zu bestrafen. Männer wie er hielten nur treue Seelen um sich, dessen war ich mir sicher.
»Es war nicht meine Absicht, zu spionieren.« In dem Augenblick tat mir meine Streunerei wirklich leid.
»Ja, ich weiß.«
Esme musste ihm sehr nahegestanden haben, oder ihm nahestehen, keiner sagte, dass sie tot war. Ich war mir sicher, dass sie seine Schwester war. Wobei – warum waren die beiden nicht blutsverwandt? Ich verstand das Rätsel nicht einmal ansatzweise. Er beschützte sogar ihren Namen. Irgendwann würde ich erfahren, was passiert war, und weshalb er mir so wortkarg antwortete. Der kunstvolle Stammbaum aus Farbe und Holz hatte sich tief in meine Netzhaut eingebrannt, war dort für immer verankert. Er reichte weit zurück. Und in Fenrirs Reihe stand Esme neben ihm, ich hatte es mir nicht eingebildet.
»Hey, Fen, du hast was zum Trinken. Wunderbar.«
Die angenehme, melodische Stimme eines jungen Mannes erklang aus dem Garten. Und er nannte ihn Fen, wie ich. Fenrirs Lächeln gefror kurz, kehrte aber sofort wieder zu ihm zurück. Dann sah ich, wer auf uns zukam. Mir blieb die Spucke weg.
»Ich kenne dich. Du bist der Wauwau.« Aus Reflex stand ich auf, das war der Typ, der mich im Club angesprochen und zu Fenrir gebracht hatte!
»Ja, hallo, Soley. Du hast dich mittlerweile bei Fen eingelebt? Klasse. Sieht harmonisch aus.« Er nahm sich ungefragt zwei Weintrauben, steckte sie sich in den Mund, nahm mein Weinglas. Es war noch beinahe voll, trank davon.
»Alter, was geht mit dir?«
Er war frech, wenn auch unfassbar attraktiv. Aber ich war böse auf ihn, aus vielerlei Gründen. Der Typ fläzte sich, wieder ohne zu fragen, auf einen Holzsessel, auf die Stirnseite des Tisches, zwischen mich und Fen. Er ignorierte ihn weitestgehend, scrollte auf seinem Smartphone herum.
»Du verdammter Arsch.«
»Warum? Ist doch schön hier.«
»Du warst das mit dem Tuch …«
»Nein, war ich nicht. Aber ja, sorry. Beschwer dich nicht bei mir, ich hab nur gemacht, was Fen mir gesagt hat.« Er wirkte gespielt empört, als würde ich Richterin spielen, mit ihm stimmte was nicht.
»Ich lass euch mal allein.« Meinte Fenrir das ernst? Er konnte mich doch nicht mit ihm hier sitzen lassen?
»Fen, wurde heute was gekocht? Ich hab Hunger.«
Fenrir ignorierte die Frage. »Wo ist Rurik?«
Also musste das hier Liam sein? Ähnlich sah er Fen wirklich nicht, auch wenn er auf seine eigene Weise wahnsinnig gutaussehend war. Aber nicht alle Brüder dieser Erde glichen sich. Also konnte ich nicht hundertprozentig wissen, ob es stimmte, dass sie nicht blutsverwandt waren.
»Er sucht sich einen Wagen.«
»Was?«
»Er will morgen ein Rennen fahren.«
»Dieser Idiot.«
Damit stand Fen wirklich auf, ließ mich mit meinem möglicherweise wahren Entführer allein. Aber ich war auf Konfrontation aus, diese Laune bekam er jetzt ab.
»Bist du sein braver Hund?« Ich zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Uh, das Kätzchen fährt seine Krallen aus.« Liam nahm das alles nicht ernst, mich nicht ernst. Ein verwegenes Grinsen umspielte seinen schönen Mund.
»Ich bin kein Kätzchen. Schon gar nicht deins.«
»Challenge angenommen.«
»Wie bitte?«
»Mach dich mal locker, Soley, Sol. Kätzchen? Was darf ich zu dir sagen?« War das alles für ihn ein Spaß? Er klang entspannt und wahnsinnig gut gelaunt.
»Am besten gar nichts.« Seine Art mir gegenüber empörte mich. Locker machen. Mmh.
»Wie ist es mit Fen?«
»Was meinst du?« Sollte ich wirklich mit ihm Smalltalk über meine vergangenen Tage hier am Arsch der Welt halten?
»Ich dachte, er hätte dich eingesperrt, gefesselt und, keine Ahnung, dir dein vorlautes Mundwerk mit seinem Schwanz gestopft? So etwas in die Richtung.«
»Du bist noch irrer als er. Mir reicht’s.«
Wortlos schob ich meinen Stuhl zurück, wollte ins Haus gehen. Natürlich hielt Liam mich auf. Jeder griff hier immer nach meiner Hand. Und wie das meinen Puls beschleunigte … Fuck, hatten wir die Woche der attraktiven Entführer? Das gehörte verboten.
Im Gegensatz zu seinem Bruder wirkte er freundlicher, nahbarer. Liam ängstigte mich schon seit dem Erstkontakt weniger, er war mehr Mensch als Wolf, anders als sein Bruder, der für mich den puren Anführer verkörperte.
Er roch nach einer Mischung aus frischgerösteten Kaffeebohnen, hochwertigen Lederriemen und einer Neroli-Blüte. Was würde er wohl sagen, wenn ich ihm sagte, dass er wie eine Blume roch? Diese Kombination vernebelte mein Hirn. Ich konnte einfach nicht weitergehen. Und es war wohl sein eigener Duft, ich hatte ihn im Club und in seinem Zimmer wahrgenommen, als ich mit Martha das Bett bezogen hatte. Was, wenn ich schneller dort drin landen wollte als … ja, als was? Ich konnte meine Gedanken schlecht fassen.
»Entschuldige, wenn ich dich irgendwie überfallen habe. Ich war aufgeregt, wollte dich kennenlernen.«
Das Blau seiner Augen wirkte so unschuldig auf mich. Dabei ähnelte es mit den helleren Sprenkeln in der Iris dem Kristallblau von Fenrir. Alle hier hatten wunderschöne blaue Augen in den verschiedensten Nuancen. Verrückt. Ich sah zu ihm hinab und wollte … Ja, was wollte ich? Und dann wurde es mir klar.
Ihn. Mit allem, was er mir bieten konnte.
»Wozu? Damit du mich mit Fen teilen kannst?«
»Oh, Fen , so weit seid ihr beide schon, süß … Und er hat dir schon davon erzählt?« Liam grinste teuflisch. »Na, dann bist du ja, wie sagt man so schön – aufgeklärt.«
Er nahm mich fester bei der Hand, ich ließ es zu. Ich leistete keinen Widerstand. Als er mich so anfasste, reagierte mein Körper sofort auf ihn. Das war doch bitte ein Scherz?
Mit einer simplen Drehung beförderte er mich auf seinen Schoß. Ich japste auf, versteifte mich, sprang auf, als wäre ich auf einen Ameisenhaufen gefallen. Liam ließ mich los. Sah mich wieder so an, als könnte er kein Wässerchen trüben, aber auch wenn er nur der kleinere Wolf war, Raubtier blieb Raubtier.
»Danke, aber ich setze mich wieder hierhin.« Ich räusperte mich, deutete auf meinen eigenen Stuhl.
»Ist ja gut, Kätzchen.« Liam stopfte sich noch eine Weintraube in den Mund. »Erzähl mir von deiner Zeit hier.«
Wie bitte? »Warum sollte ich das tun?«
»Mir ist wichtig, dass es dir gut geht. Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, ist mir das wichtig.«
»Ja, klar, wie fürsorglich von dir.« Ich prustete, nahm mein Weinglas und trank es leer. Wow, das erhitzte mich. »Du entführst mich und dann fragst du mich, wie es mir … geht?«
Ich machte eine weitgreifende Bewegung mit meinen Armen. Liam fuhr sich mit seinen Händen über sein Gesicht, überlegte wohl, was er auf meine Ansage erwidern sollte, entschied sich aber für Schweigen, nahm ungefragt mein Glas vom Tisch, füllte es auf und trank.
»Habt ihr hier einen Mangel an Gläsern?«
»Nein. Es schmeckt nur nach dir, und das ist unfassbar lecker.« Dabei schaute er mich an, als wäre ich die schönste Frau auf diesem Planeten.
O mein Gott. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich hörte auf meinen Körper, und der war ein Verräter. Liam war wahnsinnig attraktiv. Ich musste mit meinem Verstand gegen das Pochen in meinem Unterleib ankämpfen, das jeder seiner Blicke in mir auslöste. Aber ich blieb für einen Sekundenbruchteil rational, ich war nur die Beute, und doch schlug mein Herz bei seinen Worten noch schneller.
Das war verdorben, allerdings gefiel mir dieses kratzbürstige Spiel zwischen uns beiden. Liam hatte bei meiner Entführung seine Finger mit im Spiel gehabt, obwohl er nicht derjenige war, der mich betäubt hatte. Dessen war ich mir sicher, woher auch immer. Er roch anders, ich hatte falschgelegen.
Ich war verloren, stand auf Männer, die mich entführten, also passte ich wohl zu den Psychopathen hier. Ob es wohl einen Fachbegriff für Frauen gab, denen Entführung gefiel? Bestimmt.
»Komm, Kätzchen. Erzähl mir was. Egal was, ich bin besser im Zuhören als Fen, versprochen.«
Dabei fuhr er sich mit einer Hand durch seine dichten, dunkelbraunen kurzen Haare. So standen sie noch wilder ab, das entzündete neue Funken in mir, für einen völlig anderen Mann.
Ich musste auf dem Sessel sitzenbleiben, wer wusste schon, was sonst passieren würde. Reden und Erzählen waren unverfänglich, oder?