22

Soley

Wie­der er­wach­te ich al­lein. Ich brauch­te ein paar Se­kun­den, we­ni­ge Atem­zü­ge, um mich zu ori­en­tie­ren. Die ed­len dunk­len La­ken, so weich und an­schmieg­sam wie eine zwei­te Haut. Das lu­xu­ri­öses­te al­ler Bet­ten in die­sem Haus.

Ru­rik.

Doch ich nahm kei­ne Prä­senz au­ßer mei­ner wahr. Als ich mich auf­rich­te­te, tas­te­te ich im­pul­siv nach mei­ner Mit­te. Ich war wund, wen über­rasch­te das nach die­sem Sex-Ma­ra­thon? Kei­ne See­le. Röte schoss mir in die Wan­gen. Ich biss mir auf die Un­ter­lip­pe, schob mich flu­chend aus dem Bett. Es war so ty­pisch für die Mor­g­onstir­nas, dass sie mich in ih­rem Kä­fig sit­zen lie­ßen. Ir­gend­wann wür­de ich da­hin­ter­kom­men, war­um sie ver­schwan­den und auf­tauch­ten, wie es ih­nen be­lieb­te, wie sie es für sich als rich­tig emp­fan­den. Dass sie kei­ne Hei­li­gen wa­ren, war mir mehr als klar, und mit mei­ner un­still­ba­ren Sehn­sucht nach dem Ver­bo­te­nen konn­te ich mich mit ih­nen auf ein Trepp­chen stel­len.

Un­si­cher tapp­te ich ins Bad, hob auf dem Weg dort­hin das Shirt auf, das ich in der Nacht zu­vor an­ge­zo­gen hat­te. Durst mel­de­te sich, und Hun­ger. Ich bog zu der Kom­mo­de ab, auf der Ge­trän­ke stan­den. Ge­neh­mig­te mir ein gro­ßes Glas Was­ser. Bes­ser.

Im Bad dusch­te ich mich, dann ent­schied ich mich ge­gen das Shirt und durch­wühl­te Ru­riks be­geh­ba­ren Klei­der­schrank. Na­tür­lich gab es dar­in nichts für Mäd­chen, also wähl­te ich wie­der ei­nes der schlich­ten Shirts, es ging mir bis zur Hälf­te der Ober­schen­kel. Mei­ne Haa­re hat­te ich ent­wirrt und zu ei­nem neu­en Zopf ge­floch­ten. Da be­merk­te ich, dass mein Ma­gen ve­he­ment knurr­te. Ich wür­de nach un­ten ge­hen, in die Kü­che. Mar­thas Mum wür­de schon nicht tot um­fal­len, wenn sie mich nur mit ei­nem Shirt be­klei­det sah.

Gut ge­launt ver­ließ ich das Zim­mer, ging ba­r­fuß den Gang ent­lang, als mir Fen be­geg­ne­te. »Oh.«

»Gu­ten Mor­gen, klei­ne Son­ne. Oder eher gu­ten Nach­mit­tag. Ich woll­te dich ge­ra­de zum Es­sen ab­ho­len.« Da schwank­te ich, hielt mich in­stink­tiv mit ei­nem Arm an der mir nächst­ge­le­ge­nen Wand fest. »Du musst et­was es­sen und was an­de­res an­zie­hen.«

Be­sorgt nahm er mich an der Hand, wir gin­gen den Gang ent­lang, bis wir bei sei­nen Räu­men an­ka­men. Im Schran­kraum such­te er mir eine lan­ge graue Jeans her­aus und ein schwa­r­zes, bau­schi­ges Top mit tie­fem V-Aus­schnitt, das sich edel an­fühl­te. Wahl­los reich­te er mir schwa­r­ze Un­ter­wä­sche. Ich zog al­les an, ki­cher­te, mir war wie­der schwin­de­lig.

»Wir müs­sen wohl bes­ser auf dich ach­ten.«

»Ja, füt­tert mich und gebt mir zu trin­ken. In rau­en Men­gen bit­te.« Ich streck­te ihm die Zun­ge her­aus. »Mir feh­len noch Schu­he. Du hast hier nur Schu­he, die für ein Bor­dell tau­gen.« Dar­auf­hin zog er sei­ne Au­gen­brau­en fra­gend in die Höhe. »Mein Ernst, Fen.« Das Ge­spräch amü­sier­te mich. »Sei nicht so be­sorgt um mich, gro­ßer bö­ser Wolf. Kauf mir or­dent­li­che Schu­he, das ist viel wich­ti­ger.«

»Wir kau­fen nach­her Schu­he, die dir zu­sa­gen, für heu­te wä­ren High Heels trotz­dem … wirk­lich schön.«

Fra­gend, bei­na­he bit­tend, reich­te er mir ein Paar schwa­r­ze, edle Sti­let­tos, sie sa­hen aus, als wä­ren die Riem­chen aus Spit­ze ge­fer­tigt. Dazu mör­der­ho­he Ab­sät­ze. Das Lau­fen dar­in war zum Glück noch nie ein Pro­blem für mich ge­we­sen.

»Was suchst du noch?«

Er kram­te in sei­nem rie­si­gen Schrank. »Das.« Eine flau­schi­ge, schwa­r­ze Wes­te.

»Wer hat die Sa­chen ei­gent­lich für mich be­sorgt?«

»Liam.«

»Liam?«

»Ja.«

»Ihr seid ge­stört.«

»Dan­ke.«

Er selbst nahm sich eine Art le­ge­res Ja­ckett. Da be­trach­te­te ich ihn für einen Mo­ment. Fen trug schwa­r­ze Jeans, ein schwa­r­zes Hemd, die Ja­cke war auch bei­na­he schwa­rz. Al­les an ihm war im­mer dun­kel. Dann blick­te er mich an. »Ich wür­de heu­te sehr ger­ne mit dir et­was an­de­res ma­chen, als hier zu sein.«

»Wie?« Ich run­zel­te mei­ne Stirn.

»Magst du Au­tos?«

»Ähm, na ja.«

»Hast du einen Füh­rer­schein?«

»Ja.«

»Sehr gut. Ich fah­re zwar, aber ich woll­te es ein­fach wis­sen.«

»Was für ein Spiel ist das wie­der, Fen? Du weißt doch al­les über mich. Wie geht’s mei­nen El­tern, heu­te schon mit ih­nen ge­tex­tet?« Mein letz­ter Satz war bis­sig aus mir ge­kom­men, die­se Scha­ra­de nerv­te und zerr­te an mei­ner See­le, ir­gend­wann woll­te ich mich wirk­lich bei Mum und Dad mel­den, per­sön­lich. Sie muss­ten doch auch mal miss­trau­isch wer­den?

Fen seufz­te, blieb mir wie so oft eine Ant­wort schul­dig, nahm mei­ne Hand, das war ir­gend­wie schräg. Wir ver­lie­ßen sei­ne Räu­me, gin­gen über den brei­ten Gang, die Trep­pen hin­un­ter in die Haup­t­hal­le, von der aus der Wohn­be­reich und an­de­re Räu­me ab­gin­gen, wen­de­ten uns nach rechts, nach drau­ßen. Die Son­ne stand hoch am Him­mel, mein Ma­gen knurr­te mitt­ler­wei­le pro­tes­tie­rend.

Wir lie­fen ein paar Me­ter wei­ter, blie­ben vor ei­nem gro­ßen, fla­chen Ge­bäu­de ste­hen, even­tu­ell ei­ner Ga­ra­ge? Aber da­vor stopp­ten wir bei ei­nem schnit­ti­gen dun­kel­grau­en Lam­borg­hi­ni. Per­plex blieb ich vor dem Wa­gen ste­hen. Der kos­te­te ga­ran­tiert mehr, als ich in mei­nem ge­sam­ten Le­ben ver­die­nen wür­de.

»Er ist ein we­nig schmut­zig, das war Ru­rik ges­tern. Aber ich dach­te mir, be­vor er ihn kom­plett zu Schrott fährt in ir­gend­wel­chen Ren­nen, fah­re ich ein­mal mit ihm.«

Ga­lant öff­ne­te Fen mir die Bei­fahrer­tür und ich stieg ein. Wow. Die­ses Auto war ja mal ein Ham­mer! »Urus Gra­phi­te« leuch­te­te ganz kurz auf dem Dis­play in dem mo­der­nen Cock­pit auf, als Fen ein­stieg. Als er den Lam­borg­hi­ni star­te­te, drück­te es mich re­gel­recht in den le­der­nen Sitz. Krass.

Eine Hand hielt Fen am Lenk­rad, die an­de­re leg­te er sanft, be­hut­sam auf mei­nen Ober­schen­kel, der ihm am nächs­ten war. »Wir fah­ren un­ge­fähr drei­ßig Mi­nu­ten, zu ei­nem an­de­ren See. Ich habe dort ein Re­stau­rant für uns re­ser­viert.«

»Einen Platz im …«

»Nein. Das Re­stau­rant

»Okay. Du hast echt ein Pro­blem mit dei­nem Ego.«

Er lach­te. »Kei­ne spricht so mit mir wie du, Sol. Es wäre wirk­lich scha­de, wenn du heim wol­len wür­dest.« Dann wur­de er still. »Aber es steht dir frei. Du sollst dich nicht wie eine Ge­fan­ge­ne bei uns füh­len, oder als wärst du ent­führt wor­den.«

»Fen, ist okay. Ich bin groß. Ich … Noch ge­fällt es mir bei euch. Aber mein Han­dy wär cool.«

»Das geht lei­der nicht.« Ihm war es ernst, er sah mich an, als wäre er ein stren­ger Leh­rer und jede Ver­hand­lung zweck­los.

»War­um?« Das soll­te er mir mal be­ant­wor­ten. Be­lei­digt kau­te ich auf mei­ner Un­ter­lip­pe.

»Ich hab es nicht. Liam hat es. Er küm­mert sich ge­ra­de um die Whats­App-Nach­rich­ten mit dei­nen El­tern.«

»Aha. Und wenn sie mal te­le­fo­nie­ren wol­len?«

»Du hast schlech­ten Emp­fang.« Noch im­mer wirk­te er voll­kom­men von sei­nen Ab­sich­ten über­zeugt. Furcht­bar.

Ich ver­dreh­te mei­ne Au­gen, sie glaub­ten echt, dass sie da­mit durch­ka­men. »Aber ich kann sie dann mal an­ru­fen?«

»Ja, wenn wir dar­über ge­spro­chen ha­ben, was du ih­nen er­zählst.«

»Groß­zü­gig.«

»Du bist süß, Sol.«

»Ja, ent­zü­ckend.«

»Lass uns nicht strei­ten.« Er hob kurz be­schwich­ti­gend sei­ne Hän­de vom Lenk­rad und von mei­nem Schen­kel, um­fass­te sie aber so­gleich wie­der. Da­bei konn­te ich nicht an­ders, als sei­ne Tä­to­wie­run­gen an­zu­se­hen, die sich mir durch sei­ne auf­ge­krem­pel­ten Hem­d­är­mel prä­sen­tier­ten. Er hat­te un­fass­bar schö­ne Arme, und erst die Ver­zie­run­gen …

»Das nennst du Streit?«

Ich muss­te la­chen, griff mir aber an den Bauch. Lang­sam brauch­te ich wirk­lich et­was zu es­sen. Nach ein paar Ki­lo­me­tern und Kur­ven tat sich ein wun­der­schö­ner See vor uns auf.

»Wir sind mehr oder we­ni­ger da, aber wir müs­sen ans an­de­re Ufer.«

»Ist okay.«

»Du hast Hun­ger.«

»Ich ver­spei­se dich schon nicht.«

Es war trotz erns­ter The­men so un­ge­zwun­gen zwi­schen uns. Ich be­trach­te­te den See, er glit­zer­te, ein traum­haf­ter Tag.

Als wir we­nig spä­ter vor dem mo­der­nen Re­stau­rant park­ten, konn­te ich wie­der nur gaf­fen. Es sah aus wie ein klei­nes Schloss, wun­der­hübsch und per­fekt in Al­lein­la­ge. Per­so­nal nahm Fenr­ir den Wa­gen ab, be­glei­te­te uns hin­ein. Wir hat­ten einen Platz al­lein auf der groß­zü­gi­gen Ter­ras­se. Ein Kell­ner zog un­se­re Stüh­le zu­rück. Wir setz­ten uns.

»Du bist irre.«

»Dan­ke, Sol. Ich lade dich gern zum Es­sen ein.« Die Kar­te war rie­sig, über­for­der­te mich. »Weißt du schon, was du möch­test?«

»Puh. Ich bin ein we­nig über­fragt.«

Doch dann wähl­te ich et­was Ein­fa­ches, Leich­tes. Dazu Was­ser, ich hat­te gro­ßen Durst. Nach­dem der Kell­ner un­se­re Be­stel­lung ent­ge­gen­ge­nom­men hat­te, blick­te ich auf den See, saug­te die­se Stim­mung auf. Die spie­gel­glat­te, fun­keln­de Seeo­ber­flä­che war so rein und klar, bei­na­he grün und tür­kis in al­len Fa­rb­nu­an­cen. Dazu tum­mel­ten sich vie­le En­ten und Schwä­ne dar­auf. Der See war gi­gan­tisch. In wei­te­rer Ent­fer­nung er­kann­te ich In­seln. Eine wahr­haf­te Idyl­le. Fenr­ir ließ mich in die­sem Mo­ment ver­wei­len, ließ mir den Zau­ber des Ein­drucks.

Es war ein Ort wie im Mär­chen oder ei­ner al­ten ver­wun­sche­nen Sage. Wirk­lich. Wenn mich der böse Wolf ent­führ­te, wel­che Rol­le fiel dann mir zu? Wie ein Op­fer­lamm fühl­te ich mich nicht, eher gleich­auf mit ih­nen. Viel­leicht mehr wie eine gro­ße nor­di­sche Göt­tin aus den al­ten My­tho­lo­gi­en. Fre­ya hat­te in mei­nen Schul­bü­chern als Frau ge­gol­ten, die sich al­len Sün­den hin­gab und doch nie da­von satt wur­de. Et­was über­trie­ben, aber sie pass­te ganz gut zu mir. Ich war be­reit für mehr mit al­len drei­en, egal, wie sehr sie mich for­der­ten.

»Ich habe üb­ri­gens et­was für dich.«

Das mach­te mich neu­gie­rig. Er griff in sei­ne Ho­sen­ta­sche, hol­te ein schwa­r­zes Samts­äck­chen her­vor.

»Nur eine Klei­nig­keit, mir fehl­te die Zeit, aber als ich die­sen Gra­nat sah, da dach­te ich, der ist für dich.«

»Wie?«

Fen nahm mei­ne Hand, die ihm am nächs­ten war, leg­te das Säck­chen hin­ein. »Hof­fe, sie ge­fällt dir.«

»Ein Ge­schenk?« Lä­chelnd nahm ich das wei­che Säck­chen, öff­ne­te es und schüt­tel­te den In­halt in mei­ne rech­te Hand.

Eine Ket­te? Sie hat­ten es ja echt mit Schmuck. Es war eine län­ge­re, fein­glied­ri­ge gelb­gol­de­ne Ket­te mit ei­nem wirk­lich hüb­schen An­hän­ger, der ga­ran­tiert so groß wie eine Zwei-Euro-Mün­ze war, in ei­nem me­tal­le­nen Or­na­ment ge­fasst? Oder nein … Das war eine Son­ne, die an eine Le­bens­blu­me er­in­ner­te, mit durch­bro­che­nen Ele­men­ten.

»Der Stein in der Mit­te der Son­ne ist ein oran­ge­fa­r­be­ner Gra­nat, die drei kris­tall­fa­r­be­nen Stei­ne in den ge­füll­ten Son­nen­strah­len rund­her­um sind Di­a­man­ten, sie ste­hen für mich und mei­ne Brü­der. Du bist un­se­re Son­ne, der Gra­nat.«

»Wow. Episch. Wo hast du das ge­kauft?«

»Das habe ich ge­macht.«

»Die Ket­te?« Mir ent­glit­ten leicht mei­ne Ge­sichts­zü­ge vor Ver­blüf­fung.

»Ja, al­les. Ich bin Gold­schmied. Das ist mein Hand­werk.«

»Nicht dein Ernst?«

»Doch.«

»Wow.«

»Darf ich sie dir um­hän­gen?«

»Na­tür­lich. Sie ist wun­der­schön. Dan­ke.«

»Das freut mich.« Ich war wirk­lich be­ein­druckt. Er hat­te vie­le ver­bor­ge­ne Ta­len­te.

Er kam mir ganz nahe, nahm mir die Ket­te aus den Fin­gern, leg­te sie mir um den Hals. Als er den Ver­schluss in mei­nem Nacken schloss, pri­ckel­te es ge­nau dort, wo mich sei­ne Fin­ger­spit­zen be­rühr­ten. Fenr­ir war wirk­lich ge­fähr­lich für mich, ich ver­fiel ihm, wo­bei es nicht um teu­re Ge­schen­ke ging, son­dern um die Ges­te, die Sym­bo­lik da­hin­ter.

Fenr­ir hauch­te mir einen Kuss in den Nacken, da­nach setz­te er sich mir wie­der ge­gen­über. Ich griff nach dem An­hän­ger, der sein neu­es Zu­hau­se zwi­schen mei­nen Brüs­ten ge­fun­den hat­te. Er fühl­te sich nicht kalt an, son­dern wohl­tu­end und ver­traut. Schmieg­te sich per­fekt an mich.

»Dan­ke.«

»Schon gut. Ich hab Freu­de dar­an, wenn es dir ge­fällt. Und sie steht dir.«

Sein Blick lan­de­te ge­nau in mei­nem Aus­schnitt, mir schoss Hit­ze in die Wan­gen. Dann wur­de der ers­te Gang ser­viert. Ich freu­te mich wirk­lich aufs Es­sen. Hung­rig biss ich in die fri­schen, lau­war­men Bröt­chen mit Lachs. Eine Ge­schmacks­ex­plo­si­on. Dazu der fri­sche Ru­co­la-Sa­lat mit Par­me­san. Ja, ich war nahe am ge­fühl­ten Ver­hun­gern. Zwang mich, lang­sam zu es­sen.

»Wir ha­ben nicht gut ge­nug auf dich ge­ach­tet.«

»Wir wa­ren ab­ge­lenkt.« Kau­end zwin­ker­te ich ihm zu.

»Trotz­dem ist es wich­tig, dass du aus­rei­chend isst und trinkst.«

»Ja … ist ja gut. Das war dir auch nicht wich­tig, als du mich ent­führt hast.« Da kehr­te der Kell­ner zu­rück, ich biss mir auf die Lip­pe.

Nach­dem mein ers­ter Hun­ger ge­stillt war, fühl­te ich mich wie­der mehr wie ich, nicht wie eine Pup­pe, die sie stets ohne gro­ße Wor­te al­lein­lie­ßen, wenn sie ih­ren Ge­schäf­ten nach­gin­gen. Manch­mal wa­ren die­se Mor­g­onstir­nas wirk­lich furcht­bar be­stim­mend, aber das stör­te mich er­schre­ckend we­nig. Soll­te ich es mal als Mo­ra­l­apo­stel pro­bie­ren?

»Fen, das kann so nicht wei­ter­ge­hen, du weißt das. Mit je­dem Tag wird doch euer Netz, die­ses Kon­strukt brü­chi­ger. Man wird mich su­chen.«

»Du hast nie be­son­ders gro­ßes Ver­trau­en in je­mand an­de­res ge­habt, oder?«

»Schon gar nicht in Un­ter­welt­ler.«

Über den Be­griff muss­te er la­chen. »Klingt, als wäre ich ein Vam­pir oder so.«

»Bist du ja viel­leicht auch.«

Da kam der Haupt­gang. Das ge­grill­te Ge­mü­se sah wirk­lich zum An­bei­ßen aus. Fenr­ir aß ein Steak, was sonst. Fleisch für den Wolf. Wort­witz.

Wir aßen schweig­sam, ich woll­te ihn nicht rei­zen und er mich wahr­schein­lich nicht wei­ter her­aus­for­dern. Als der freund­li­che Kell­ner ab­ser­vier­te, konn­te ich trotz­dem nicht an mich hal­ten.

»Fen, ich mag dich. Das hier ist kein Spiel für mich. Ich füh­le mich wirk­lich wohl bei dir und auch bei dei­nen … Brü­dern.«

Das letz­te Wort, ich hat­te ein klein we­nig da­für ge­braucht, um es aus­zu­spre­chen. Er hör­te mir auf­merk­sam zu, nipp­te an sei­nem kris­tal­le­nen Was­ser­glas, das im Abend­licht fun­kel­te.

»Die­ses Aben­teu­er ist mehr, als ich je er­war­tet hät­te, jen­seits al­ler Nor­ma­li­tät, und doch ver­füh­re­risch. Ihr zeigt mir Sei­ten von mir, an mir, die mir fremd wa­ren. Das, wor­auf ich seit mei­ner Tee­n­a­ger­zeit ver­zich­tet hat­te oder was ich viel­leicht nie in die­ser In­ten­si­tät er­lebt hät­te, wenn ich nicht nach Stock­holm ge­kom­men wäre.« Nach wie vor schwieg er. »Aber wir müs­sen das nor­ma­li­sie­ren.« Kein an­de­rer Be­griff fiel mir da­für ein. »Mei­ne El­tern fal­len tot um, wenn ich ih­nen sage, dass mich drei Män­ner ent­führt ha­ben.«

»Du bist un­ser Gast.« Er sah mich an, mein­te es wahr­schein­lich auch noch wirk­lich so, aus vol­ler Über­zeu­gung. An sei­nem Ge­sicht konn­te ich nichts au­ßer po­si­ti­ver Zu­stim­mung für sei­ne ei­ge­nen Wor­te ab­le­sen.

»Ja. Aber sie glau­ben, ich bin auf ei­nem Roadt­rip mit Ana. Aber wenn es stimmt, was du sagst, dann schreibt mir Ana nicht. Das ist nicht nor­mal, da ist was faul. Wo ist mei­ne Freun­din? Du hast doch Kon­tak­te über­all, such sie … bit­te.«

»Okay.« Sein Blick ver­dun­kel­te sich, log er mich an? Wuss­te er mehr? Doch der Aus­druck ver­f­lüch­tig­te sich so­fort wie­der und er bat mich um mehr In­for­ma­ti­o­nen. »Sag mir ih­ren gan­zen Na­men.«

Er­leich­tert seufz­te ich auf, ich hat­te mir die Schat­ten in sei­nen Iri­den be­stimmt nur ein­ge­bil­det. »Ana­s­ta­sia Eklöv. Sie ist fran­zö­si­sche Staats­bür­ge­rin, wie ich. Da un­se­re Müt­ter alte Freun­din­nen sind, hat sie viel Zeit mit uns ver­bracht. Wo wir zu­hau­se wa­ren, wa­ren sie zu­hau­se und um­ge­kehrt. Mei­ne Mum und ihre hän­gen an­ein­an­der, wie … Ana und ich. Gott, sie fehlt mir.«

Fenr­ir tipp­te die­se In­for­ma­ti­o­nen see­len­ru­hig in sein Smart­pho­ne. »Wenn sie noch in Schwe­den ist, fin­den wir sie be­stimmt heu­te Abend, gib mei­nem Netz­werk an­sons­ten vier­und­zwan­zig Stun­den.«

»Dan­ke.«

Da be­trach­te­te mich Fenr­ir in­ten­siv. »Das ist das auf­rich­tigs­te Dan­ke, dass du mir je ge­schenkt hast. Es tut mir leid, dass ich dei­ne Sor­ge um Ana nicht ernst ge­nug ge­nom­men habe, bis­her.«

»Ver­ge­ben.«

»Wie … groß­zü­gig.«

»So bin ich eben.«

Der Kell­ner brach­te noch das Des­sert, eine Scho­ko­la­den-Mous­se, und ich stürz­te mich re­gel­recht dar­auf, was den gro­ßen bö­sen Wolf auf­la­chen ließ. Mit Sü­ßem konn­te man mich im­mer kö­dern, und mir ge­fiel es, mit ihm Neu­es zu un­ter­neh­men, au­ßer­halb der pri­va­ten Vil­la am See.