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Rurik

»Es ist ein Feh­ler, kein Si­cher­heits­per­so­nal mit­zu­neh­men.«

Fen schüt­tel­te sei­nen Kopf über mei­ne Be­mer­kung. »Wir sind un­ser bes­ter Schutz, Bru­der­herz. Du bist ein Spiel­ver­der­ber. Was soll uns hier in die­ser Ei­n­ö­de ge­sche­hen? Ich habe kei­ne Lust, stän­dig Wa­chen um mich zu ha­ben.«

Um sei­ne Aus­sa­ge zu un­ter­strei­chen, dreh­te er sich ein­mal mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men im Kreis. So weit wir bli­cken konn­ten, war al­les nur hü­ge­li­ges Gras­land, auf wei­ten Tei­len eben. Wir hat­ten einen we­nig be­fah­re­nen Fle­cken Erde auf­ge­sucht, drei­ßig Mi­nu­ten von un­se­rem Haus ent­fernt. Das Wich­tigs­te war die brei­te as­phal­tier­te Stra­ße, auf der wir ge­fahr­los Ren­nen ab­hal­ten konn­ten, weil hier nie­mand wohn­te.

»Ich habe ein­fach kein gu­tes Ge­fühl da­bei. Aber – wenn du mir dei­nen Lam­bo über­lässt, ent­span­ne ich mich ga­ran­tiert.«

Ge­spielt ge­lang­weilt lehn­te ich an mei­nem Ford Mu­s­tang. Klar, ich lieb­te mei­nen bron­ze­fa­r­be­nen Mus­kel­protz, aber Fens neu­er Urus hat­te es mir ein­fach an­ge­tan. »Dann tau­schen wir. Wo fährt Sol mit? Ich glau­be, Liam will nicht, dass sie noch mal das Steu­er in der Hand hat.«

»Lass sie ent­schei­den. Und zwar bald. Schau mal, wie sie mit un­se­rem Bru­der tur­telt.« Ich zeig­te ihm mei­ne Zun­ge, ver­dreh­te die Au­gen und deu­te­te auf die zwei Sil­hou­et­ten, die im schrä­gen Licht der Nach­mit­tags­son­ne stan­den, auf eine neue Run­de war­te­ten.

Der Audi Q8 RS quat­tro in Schwa­rz, den sich So­ley aus­ge­sucht hat­te, war in un­se­rer Welt eher ein Ob­jekt für die Da­men­her­zen. Wir hat­ten ihn noch kei­ne drei­hun­dert Ki­lo­me­ter ge­fah­ren. Liam hat­te sie wäh­len las­sen, un­ser Fuhr­park hat­te ihr Freu­de be­rei­tet. Wir hat­ten ge­lacht, als sie uns über die Au­tos in ih­rem Zu­hau­se er­zählt hat­te, die nicht mal Ser­vo­len­kung be­sa­ßen, rich­ti­ge Klas­si­ker. Liam war leicht die Fa­r­be aus dem Ge­sicht ge­wi­chen, als Sol mit dem Audi ge­fah­ren war und ein­ge­schla­gen hat­te.

Ja, wir hat­ten zum ers­ten Mal alle zu­sam­men au­ßer­halb ei­nes Bet­tes oder Ähn­li­chem Spaß mit­ein­an­der. Es war un­ge­zwun­gen, fühl­te sich nach Leich­tig­keit und Frei­heit an. Den­noch war ich die Brem­se, der Skep­ti­ker. Da­bei konn­te ich mei­ne In­stink­te nie­man­dem er­klä­ren. Eine Be­dro­hung, die ich nicht be­schrei­ben oder be­grei­fen konn­te, lag über uns wie eine dunk­le Wol­ke, ob­wohl uns hells­ter Son­nen­schein um­gab.

Da riss mich So­leys Ge­grö­le aus mei­nen Über­le­gun­gen. Fen seufz­te, warf mir den Schlüs­sel sei­nes dun­kel­grau­en Lam­borg­hi­nis zu. Ich grins­te, als wäre Weih­nach­ten, klatsch­te ihn ab, stieg ein, fühl­te mich in den Wa­gen. Herr­lich. Er gönn­te mir die­ses Ge­fährt viel zu sel­ten.

Mur­rend nahm Fen im Mu­s­tang Platz. Liam schick­te eine Art Stoß­ge­bet mit sei­nen Hän­den in den Him­mel, mach­te ein the­a­tra­li­sches Kreuz­zei­chen. Seit wann war er gläu­big? Das konn­te nur ein Scherz sein, dann wur­de er brav So­leys Bei­fah­rer im Audi. Wir reih­ten uns ne­ben­ein­an­der ein.

»Das macht so Spaß.« So­ley hat­te die Sei­ten­schei­be run­ter­ge­las­sen.

»Ich hof­fe, un­ser Bru­der nässt sich nicht ein mit dir am Steu­er.« Fen konn­te sich so einen Kom­men­tar na­tür­lich nicht ver­knei­fen.

»Lass mich al­lein fah­ren. Raus mit dir, klei­ner Wolf.«

»Nein. Ich blei­be bei dir. Du be­herrschst den Wa­gen nicht.« Das konn­te sie ver­ges­sen, er wür­de nicht nach­ge­ben.

»Raus.« Sie zisch­te, und als sie da­mit nichts er­reich­te, setz­te sie eine Art Kätz­chen­blick auf. »Du bist un­nö­ti­ger Bal­last, ich kann das, so bin ich als Ers­te im Ziel. Ich mag ein­mal ge­win­nen, wir fah­ren si­cher bald wie­der nach­hau­se. Lasst mich es we­nigs­tens ein ein­zi­ges Mal ver­su­chen.«

»Nein.« Liam blieb stur.

Da lach­te Fen wie­der. »Raus mit dir, Al­ter, lass sie mal. So­ley kann das. Steig bei mir ein.«

»Nein.«

Aus ir­gend­ei­nem Grund war Liam auch so wach­sam wie ich, war­um ent­ging Fenr­ir die­se Un­ru­he? Wir wa­ren es ein­fach ge­wohnt, bei Ak­ti­o­nen ab­seits der si­che­ren Mau­ern von Mor­g­onstir­nagår­den Sol­da­ten bei uns zu ha­ben, die im Not­fall ein­grei­fen konn­ten. Fens klei­ne Re­vo­lu­ti­on mach­te uns ner­vös und … an­greif­bar.

Plötz­lich hör­te ich eine Au­to­tür zu­schla­gen, wur­de aus mei­nen Ge­dan­ken ge­ris­sen. Liam gab nach, stieg bei Fen ein.

»Lasst sie ge­win­nen, ein­mal. Ist doch nichts da­bei.« Ach, da­her kam der Wind. Fenr­ir woll­te sie ge­win­nen las­sen.

»Aber dann fah­ren wir zu­rück? Mir ist wirk­lich …«

»Ja, Ru­rik.«

Wir gli­chen auf sein Zei­chen un­se­re Uh­ren ab, auch So­ley mach­te mit, als hät­te sie nie et­was an­de­res ge­tan. Dann star­te­ten wir un­ser Fünf-Ki­lo­me­ter-Ren­nen.