30

Soley

»Wo bin ich?« Mein Kopf häm­mer­te, mir war schlecht.

»Ent­füh­rung soll­te dir doch nicht neu sein, So­ley?«

Die­se Stim­me, sie klang ver­traut, aber ich konn­te nicht aus­ma­chen, wo­her sie kam. Der Raum war rie­sig. Eine Bi­blio­thek? Ein Schloss?

»Will­kom­men in mei­nem Reich, So­ley Blom.«

War­um wuss­te die­ser Mann mei­nen Na­men?

Wo­her kann­te ich sei­ne Stim­me?

Schmerz­er­füllt griff ich mir an die Stirn. Ich war be­täubt wor­den, wie­der. Dies­mal spür­te ich, dass ich eine Über­do­sis er­hal­ten hat­te. Mir war schlecht.

Da hör­te ich Schrit­te, je­mand kam von der Em­po­re zu mir? Es war so dus­ter in der Hal­le. Ich rich­te­te mich auf der Chai­se­loun­ge auf, oder was das auch im­mer für eine Art Couch war, auf der man mich ab­ge­legt hat­te. Un­ter­drück­te einen Brech­reiz, fuck, war mir schlecht. So­gar Sit­zen und At­men wa­ren an­stren­gend.

»Uns ist un­ser letz­ter Abend ge­nom­men wor­den, das möch­te ich ger­ne nach­ho­len.«

Wie bit­te? Ich zit­ter­te, be­ob­ach­te­te mei­ne schnee­wei­ßen Hän­de, die ich un­kon­trol­liert vor mein Ge­sicht hielt, um mich ir­gend­wie zu schüt­zen. Mei­ne letz­ten Er­in­ne­run­gen ka­men nur schlei­chend zu­rück. Pa­nik hielt mein Herz um­fan­gen, wäh­rend mir so übel war wie noch nie zu­vor in mei­nem Le­ben.

Da trat er nä­her vor mich und mir fiel es wie Schup­pen von den Au­gen. »Erik?« Was mach­te er hier? Wo war ich? Gott, mir war im­mer noch so übel.

»Ja, So­ley. Ich habe dich raus­ge­holt. Jo­nas hat es für mich er­le­digt. Du bist bei mir in Si­cher­heit.«

»Was? Wo raus­ge­holt?« Ich konn­te ihm schwer fol­gen. Mein Schä­del ex­plo­dier­te ge­fühlt.

»Dei­ne Pein beim Mor­g­onstir­na-Clan ist vor­über. Mor­gen wird sich ein Arzt ein Bild dar­über ma­chen, was dir al­les, ähm … pas­siert ist.«

»Wie bit­te, Erik? Mir ist nichts pas­siert. Es war al­les gut, wie­so … wir … Jo­nas …«

»So­ley, bit­te wi­der­sprich mir nicht, das kann ich nicht lei­den.« So viel Käl­te in sei­ner Stim­me.

»Wo bin ich hier?«

»Du bist in mei­nem Schloss, und hier bleibst du auch!«

Hat­te er den Ver­stand ver­lo­ren? »Nein, ich will zu­rück.«

»Ich glau­be, dir ist die Trag­wei­te nicht be­wusst, So­ley. Mein Name ist Erik Be­los­sel­ski, ich bin der äl­tes­te Sohn ei­nes Fürs­ten der rus­si­schen Un­ter­welt.«

»Und jetzt?« Lang­sam nerv­te mich sein Ge­ha­be.

»Nie­mand nimmt mir mein Ei­gen­tum weg.«

Da klick­ten die Räd­chen in mei­nem Kopf, trotz des Elends dar­in er­fass­te ich je­des Wort. Ich hat­te nur kurz auf die Toi­let­te ge­hen wol­len im Club, das da­vor war mein letz­tes Ge­spräch mit Erik ge­we­sen.

»Ähm, Erik, das …«

»Du ge­hörst mir, ich habe dich aus­ge­wählt, So­ley.«

Er sag­te es so ein­dring­lich, dass mein Wi­der­stand äu­ße­r­lich ver­puff­te und in­ner­lich an­wuchs. »Was ist mit den …?«

»Dei­nen Ent­füh­rern? Sie er­hiel­ten die ge­rech­te Stra­fe. Ich habe sie mit ei­ner Art Feu­er­wa­l­ze über­rannt.« Er ki­cher­te, kran­ker Typ.

Doch dann wur­de mir be­wusst, was er ge­sagt hat­te. Gro­ßer Gott. Er­neut flu­te­te Angst mei­nen Kör­per, ließ mich wie pa­ra­ly­siert den­ken, ich krall­te mei­ne Fin­ger in mei­ne Han­din­nen­flä­chen, bis es schmerz­te. »Sind sie tot?«

»Wäre wohl für alle die bes­te Lö­sung, aber meis­tens ha­ben sol­che Wöl­fe mehr Le­ben als jede Kat­ze. Är­ger­lich.«

Er sah so aal­glatt aus. Schön, aber so kalt, er hat­te kei­ne See­le, da war al­les vol­ler Schwär­ze. War­um war es mir im Club nicht auf­ge­fal­len?

»Ich möch­te nach­hau­se.«

»Das hier ist jetzt dein Zu­hau­se, So­ley.«

»Ich habe also einen Kä­fig ge­gen den an­de­ren ge­tauscht?«

Mei­ne Wor­te wa­ren vol­ler Bit­ter­keit. Ganz lang­sam kam er nä­her, zog mich rup­pig hoch, griff in mein Haar, fass­te mir an die Wan­ge. Jetzt konn­te ich den Brech­reiz nicht mehr un­ter­drü­cken. Aber ich gab mein Bes­tes, ihn durch At­men zu kom­pen­sie­ren.

»Das ist An­sichts­sa­che, So­ley Blom.«

So­gar sei­ne Fin­ger wa­ren kalt. Er sprach Eng­lisch mit mir, wo­für ich dank­bar war. Aber sei­ne Un­be­hol­fen­heit, das, was er mir in Stock­holm von sich ge­zeigt hat­te … Es war nur Fas­sa­de ge­we­sen.

»Wer bist du wirk­lich, Erik?«

Eine ein­zel­ne Trä­ne lief aus mei­nem lin­ken Au­gen­win­kel. Erik sah es, kam noch nä­her, sei­ne Zun­ge schnell­te vor und er leck­te die Trä­ne auf.

»Die ist frisch, das hat noch kein Mor­g­onstir­na be­rührt.«

Ein Schau­er durch­fuhr mich. Ich konn­te mei­nen Ekel kaum zu­rück­hal­ten. Ja, ich hat­te Fen für krank ge­hal­ten, zu Be­ginn. Aber das war nichts ge­we­sen ge­gen­über den kal­ten, bit­te­ren Emo­ti­o­nen, die Erik um­ga­ben. Ich stand zum ers­ten Mal ei­nem ech­ten Wahn­sin­ni­gen ge­gen­über.

Er war ein schö­ner, ge­pfleg­ter Mann, strahl­te Macht und Do­mi­nanz aus. Doch er war auch ein Schau­spie­ler, und er wür­de mich so­fort sei­nen Hun­den zum Fraß vor­wer­fen, wenn es sei­nem Vor­teil dien­te. Ich spür­te so viel Bö­ses an ihm.

Dann brach­te er einen Schritt Ab­stand zwi­schen uns, hielt aber mein Kinn fest wie in ei­nem Schraub­stock. »Zu­erst lernst du, zu ge­hor­chen, So­ley. Dann se­hen wir wei­ter. Mir kommt es so vor, als wärst du dort kei­ne Ge­fan­ge­ne, eher eine Art Gast ge­we­sen. Das ge­fällt mir nicht. Du musst wis­sen, wo dein Platz ist.« Er ließ mich los, als hät­te er sich ver­brannt.

»Lass mich ein­fach ge­hen, Erik.« Mei­ne Stim­me war we­ni­ger ge­fes­tigt, als ich sie klin­gen las­sen woll­te.

»Nein.«

»War­um?«

»Weil ich dich ha­ben will. Du gibst dich mir nicht hin, also neh­me ich mir, was mir zu­steht.« Jetzt zit­ter­ten so­gar mei­ne Bei­ne, blö­der Kör­per. Er sah mir an, dass er mich ängs­tig­te. »So, ich fin­de, un­ser klei­nes Tref­fen war doch wun­der­bar.«

Wie bit­te? Er war so ge­stört. Eine klei­ne Pau­se trat ein, kei­ner sprach. Nur sei­ne Mund­win­kel ver­zo­gen sich spöt­tisch nach oben. Als wüss­te er, dass mir sein nächs­tes Wort einen To­dess­toß ver­set­zen wür­de. Ich er­schau­der­te.

»Ana?«

Hat­te er wirk­lich Ana ge­sagt? O Gott, Ana. Mei­ne Ana?

Da kam sie auf mich zu, vor Er­leich­te­rung wä­ren mir mei­ne Bei­ne fast weg­ge­knickt. Aber mit je­dem Schritt, mit dem sie sich mir nä­her­te, ver­zwei­fel­te al­les in mir noch ein Stück mehr.

Das war zwar Ana, aber sie war es auch nicht. Was zur Höl­le war mit ihr pas­siert? Es war, als wür­de sich mir eine wun­der­schö­ne Hül­le nä­hern. Das war nicht mei­ne Freun­din. Nie­mals.

Sie trug einen De­si­g­ner-Ho­se­n­an­zug, dazu hoch­ha­cki­ge Pumps. Und … ein Hals­band. Einen fun­keln­den Reif aus Me­tall mit Stei­nen? Di­a­man­ten? Ich hat­te kei­ne Ah­nung, eine Öse war dar­an be­fes­tigt, als könn­te man sie an­ket­ten? Ihre lan­gen Haa­re hat­te sie nach hin­ten ge­bun­den.

»Ana? O Gott, Ana.«

Doch sie igno­rier­te mich. Ihr Blick lag ein­zig auf Erik. »Ja, Mas­ter?«

Mas­ter?

»Bit­te bring un­se­ren Gast auf das Zim­mer, das für ihn vor­be­rei­tet ist.«

»Na­tür­lich, Mas­ter.«

Ima­gi­när fiel mir die Kinn­la­de run­ter, kipp­te ein­fach weg. Da sag­te er noch mehr.

»Ach, be­vor ich es ver­ges­se.«

Was ver­ges­sen? Be­vor ich rich­tig dar­über nach­den­ken konn­te, hat­te er schon einen me­tal­li­schen Ge­gen­stand von ei­nem klei­nen Bei­stell­tisch­chen ge­nom­men, ich zuck­te zu­rück, als er ganz nahe kam, und dann … klick­te es.

»Wun­der­schön.«

Er hat­te mich eis­kalt er­wi­scht. Ich war kurz vor dem Hy­per­ven­ti­lie­ren, griff an mei­nen Hals. Ein me­tal­le­nes Band lag dar­um, ich spür­te klei­ne Er­he­bun­gen, das muss­ten die­se Stei­ne wie bei Ana sein. Dar­un­ter trug ich noch mei­ne Ket­te von Fenr­ir. Gott sei Dank hat­te sie mir kei­ner ge­nom­men. Sie scher­te hier wohl nie­man­den. Die­ses Schmuck­s­tück wur­de un­be­wusst zu mei­nem An­ker, ich muss­te mich an ir­gend­was fest­hal­ten.

»Du bist doch krank!«

Al­les in mir strotz­te vor pu­rem Ent­set­zen. Pas­sier­te mir das ge­ra­de wirk­lich? Ich sah ihn an und fleh­te in­ner­lich dar­um, die Macht zu ha­ben, ihn al­lein durch mei­nen Blick zu tö­ten.

»Sagt die, die sich wie eine läu­fi­ge Wöl­fin von den Mor­g­onstir­nas fi­cken ließ. Von al­len drei­en. Ekel­er­re­gend.« Was? Wo­her wuss­te er das? »Aber kei­ne Sor­ge. Mor­gen wer­den die Ärz­te che­cken, ob du sau­ber bist, und vor al­lem, ob kei­ne Schwan­ger­schaft vor­liegt. Denn das ist ein Pri­vi­leg, das mir ge­bührt. Nicht die­sen räu­di­gen Wöl­fen.«

Mir blieb bei­na­he die Luft weg. Nie­mals wie­der wür­de ich den­ken, dass Fen men­tal an­ge­knackst war, denn er hier, die­ser kran­ke Wich­ser … Er war voll­kom­men geis­tes­krank.

»Komm bit­te mit.«

Anas ru­hi­ge Stim­me hol­te mich aus die­sem Mo­ment des Irr­sinns. Sie bot mir einen Aus­weg an, fort von die­sem Wahn­sin­ni­gen und sei­nen ma­ka­b­ren Plä­nen.

Ich ver­ließ mit Ana die Bi­blio­thek, das Ge­bäu­de war ex­trem weit­läu­fig. War es ein Schloss? In so ei­nem rie­si­gen Haus war ich noch nie zu­vor ge­we­sen, oder wa­ren es meh­re­re? Es reih­te sich Saal an Saal, Hal­le an Hal­le. Ich ver­lor die Ori­en­tie­rung. Düs­ter­nis und Käl­te be­glei­te­te je­den mei­ner Schrit­te, die­se fros­ti­ge At­mo­sphä­re fraß sich durch je­den mei­ner Schrit­te wie Gift in mei­nen Kör­per. Die spär­li­che Ein­rich­tung be­stand aus dunk­lem Holz, an den Wän­den sah ich eben­falls schwa­r­zes Holz als Ver­tä­fe­lung oder di­cke Wand­tep­pi­che, die ur­alt wa­ren und schreck­li­che Kriegs­sze­na­ri­en, Op­fer­ritu­a­le und Ab­schlach­tun­gen zeig­ten, mich gru­sel­te es. Ei­ni­ge Fens­ter schenk­ten dem gan­zen Ob­jekt eine die­si­ge Hel­lig­keit, aber Ana schüt­tel­te nur den Kopf, als ich vor ei­nem ste­hen blei­ben woll­te. Schließ­lich be­tra­ten wir einen mo­der­nen Lift.

»Ana? Ana, bit­te sag doch was!«

»Was brauchst du denn?«

War das ihr Ernst? Da blieb der Lift ste­hen, ich stol­per­te mit ihr mehr her­aus, als dass ich ihr or­dent­lich folg­te. Wie­der gin­gen wir end­los schei­nen­de Gän­ge ent­lang, aber die At­mo­sphä­re hier war an­ders, ele­gan­ter, er­in­ner­te mich an die gro­ßen Schlös­ser Eu­r­o­pas, die man be­sich­ti­gen konn­te. Schließ­lich blie­ben wir vor ei­ner wei­ßen Tür mit Gold­ver­zie­run­gen ste­hen. Da­von reih­ten sich zwan­zig pro Gang links und rechts ab.

Ana öff­ne­te die Tür, hielt sie mir auf. Ich be­trat den Raum, at­me­te durch, Ana folg­te mir und schloss die Tür, als wir drin­nen wa­ren.

»Ich er­klä­re dir die Elek­trik die­ses Raums. Links geht es ins Bad.«

Sie er­hell­te per Ta­blet das prunk­vol­le Schlaf­zim­mer. Und dann pas­sier­te es: In ei­nem Win­kel zwi­schen Bad und Schlaf­zim­mer zog mich Ana in eine Ecke. Gab mir ein Stück Pa­pier, drück­te es mir in die Hand, ver­bot mir aber durch eine stum­me, stren­ge Ges­te mit ih­rem Kopf, dar­auf zu re­a­gie­ren. Ihr Blick. Er war so … ver­lo­ren. Sie zeig­te mir noch teil­nahms­los und emo­ti­ons­los al­les, was ich zu dem Raum und dem Bad wis­sen muss­te, dann ging sie, schloss die Tür.

Mein Herz klopf­te bis zum Hals. Vor­sichts­hal­ber stell­te ich mich wie­der ge­nau in die Ecke, in die sie mich da­vor ge­zo­gen hat­te, fal­te­te den Zet­tel auf. Mei­ne Fin­ger zit­ter­ten so sehr, dass es mir erst im drit­ten An­lauf ge­lang.

Ver­nich­te die­se Bot­schaft nach dem Le­sen. Spü­le sie in der Toi­let­te run­ter, sonst exe­ku­tie­ren sie mich.

Das hier ist die Höl­le.

Wir müs­sen uns ret­ten, aber es sind über­all Ka­me­ras, auch im Bad. Das geht nur im Ver­bor­ge­nen. Be­reit? Dann gib auf mei­ne Zei­chen acht.

Jo­nas ist nicht nur Eriks Bru­der. Er ist sein Un­ter­ge­be­ner und er hat mich ihm »ge­schenkt« nach­dem er ge­nug hat­te. Ich muss mich an bei­den rä­chen.

Ich fal­te­te den Zet­tel wie­der zu­sam­men, ver­barg ihn in mei­ner zitt­ri­gen Hand, ging ins Bad. Setz­te mich auf die Toi­let­te, zog mei­ne Leg­gings run­ter, er­leich­ter­te mich, nahm Pa­pier, wisch­te mich ab und ent­sorg­te es zu­sam­men mit dem Zet­tel in der Toi­let­te. Drück­te die Spü­lung.

Mein Herz klopf­te bis zum Hals. Ana war we­nigs­tens im­mer noch Ana. Kurz hat­te ich Angst ge­habt, man hät­te sie ei­ner Art Ge­hirn­wä­sche un­ter­zo­gen, sie spiel­te die per­fek­te Skla­vin.

Erst dann be­merk­te ich den Ring um mei­nen Hals wie­der. Er wi­der­te mich an.