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Soley

Ana schlief. Sie sah so bleich aus. Ganz lei­se setz­te ich mich auf den weich ge­pols­ter­ten Stuhl, der ne­ben ih­rem brei­ten Bett stand. Ihr Schlaf hat­te mehr von ei­nem Dorn­rös­chen an sich. Das lag be­stimmt auch an dem de­ka­den­ten Zim­mer, denn es war bei­lei­be kein ste­ri­les Kran­ken­zim­mer. Es man­gel­te Ana be­stimmt an nichts, doch so­bald mein Blick auf die Spu­ren an ih­rem Hals fiel, konn­te ich ein paar stil­le Trä­nen nicht zu­rück­hal­ten. Vor dem Alp­traum in Eriks Schloss hat­te ich nicht mal an­satz­wei­se ge­wusst, was so ein Hals­band über­haupt war, wozu es taug­te.

Dok­tor Ols­son hat­te mir ver­si­chert, dass sie kei­ne kör­per­li­chen Na­r­ben da­von­tra­gen wür­de. Auch hat­te er ihr be­reits vor Ta­gen Blut ab­ge­nom­men und wür­de es bald wie­der tun, da­mit wir si­cher sein konn­ten, dass ihr nichts Erns­tes fehl­te. Ana­s­ta­sia war ge­gen ih­ren Wil­len zu fast un­aus­sprech­li­chen Din­gen ge­zwun­gen wor­den, die mir das Herz zer­ris­sen. Eriks rech­te Hand hat­te sie be­nutzt wie ein Spiel­zeug. Und auch Erik selbst, laut Anas Be­richt. Die­se De­tails hät­te mir der Arzt gar nicht er­zäh­len dür­fen, aber Fen hat­te ihn … über­re­det. Für einen Leib­a­rzt der Fa­mi­lie Mor­g­onstir­na gab es kei­ne Ge­heim­nis­se.

Ana und ich hat­ten eine ge­fähr­li­che Zeit hin­ter uns. Da­mit sie von den trü­ben Ge­dan­ken nicht non­stop über­wäl­tigt wur­de, hat­te Dok­tor Ols­son ihr Me­di­ka­men­te ge­ge­ben, die er ihr in klei­nen Do­sen ver­ab­reich­te. Da­von war sie ver­ständ­li­cher­wei­se müde.

So saß ich bei Ana, wein­te, trau­er­te, woll­te den Mo­ment nicht ver­pas­sen, wenn sie auf­wach­te. Stän­dig fiel der Fo­kus mei­nes Blicks da­bei auf die Stel­le, wo ihr zar­ter Hals vom Me­tall auf­ge­scheu­ert war.

Da be­rühr­te mich je­mand vor­sich­tig an der Schul­ter. Ich zuck­te zu­sam­men. Wen­de­te mei­nen Blick nach rechts. Liam.

»So­ley, dei­ne Mum ist hier. Und auch Anas.«

Was? Wie bit­te? Ich schluck­te, woll­te Ana nicht we­cken, nick­te nur, er­hob mich und ver­ließ mit Liam das Zim­mer. Erst auf dem Gang, nach­dem er die Tür lei­se ge­schlos­sen hat­te, wag­te ich es, ihn wirk­lich an­zu­se­hen.

»Mei­ne Mum? O Gott.«

»Wir ha­ben es mit­hil­fe der Po­li­zei so ge­re­gelt, dass auch die in­ter­na­ti­o­na­len Si­cher­heits­diens­te mit­spie­len. Das Ein­zi­ge, was von dei­ner wah­ren Ge­schich­te ab­weicht, ist die Dau­er, in der du in den Fän­gen Eriks warst. Ver­stehst du mich, Sol?«

»Ja.« Ent­schlos­sen­heit flu­te­te mich. Die bei­na­he drei Wo­chen mit Fenr­ir, Liam und Ru­rik wa­ren ein Ge­schenk ge­we­sen. Die drit­te der per­so­ni­fi­zier­te Worst Case, aber es war ein klu­ger Schach­zug der Mor­g­onstir­nas. Er ga­ran­tier­te ih­nen Straf­frei­heit und schenk­te mir eine Art Ali­bi.

Mei­ne El­tern hat­ten mich nicht di­rekt ge­sucht, auch Ana nicht, aber sie wa­ren un­ru­hig ge­we­sen und dank­bar, als sich die Po­li­zei bei ih­nen ge­mel­det und mit­ge­teilt hat­te, dass wir bei­de ge­fun­den wor­den wa­ren. Es hat­te nie­mand wis­sen kön­nen, dass Ana in der Nacht ver­schwun­den war, in der mich die Jungs zu sich ge­holt hat­ten, und ich war dank­bar für ihre Lö­sung.