Wir saßen auf Anas Bett, hatten es uns gemütlich gemacht. Heilung bestand auch aus Banalitäten. Wir schauten lustige Serien und aßen Popcorn. Manche Tage waren heller als andere. Ana wurde in ganz langsamen Schritten wieder ein kleines bisschen sie selbst. Das standen wir gemeinsam als Freundinnen durch.
Der Herbst tauchte Schweden in die buntesten, wärmsten Farben. Heute hatten wir die endgültige Entwarnung bekommen, dass Ana keine Krankheiten durch ihre Zeit in Moskau zu befürchten hatte. Rurik hingegen war ohne Ergebnisse aus Russland zurückgekehrt. Er wollte bald wieder fliegen. Liam war wahnsinnig unruhig und wortkarg. Die beiden verbrachten mehr und gleichzeitig weniger Zeit mit uns. Liam und Rurik teilten seltener die Nächte mit mir und Fen. Sie schlugen die Zeit im fallen sins tot. Vor allem Rurik litt, viele Stunden verbrachte er im Kraftraum oder vor seinem elektronischen Equipment. Auch er wollte Esme wiederhaben, falls Ana keiner Doppelgängerin begegnet war.
»Erde an Sol …« Ich blinzelte. Sah meine Freundin an. »Und du fickst wirklich mit allen dreien? Du bist verdorbener, als ich je gedacht hätte.«
»Willst du ernsthaft mit mir darüber sprechen?«
»Ich kann nicht ewig wie eine alte Jungfrau leben. Ich war auch keine, als sie mich entführten.« Ana zuckte mit ihren schmalen Schultern. »Es war nur wirklich … Ich finde keine Worte dafür, dass Männer so sein können. So brutal und gefühllos. Doktor Olsson musste mich nähen, ich war aufgerissen, wie es Frauen oft nach Geburten sind.« Sie knirschte mit ihren Zähnen und ein paar Herzschläge lang legte sich wieder Melancholie in ihren Blick. »Willst du das überhaupt hören?«
»Ana, ich bin deine Freundin. Wir sind wie Schwestern. Ich will immer alles von dir wissen.«
Daraufhin schenkte sie mir wieder ein seltenes echtes Lächeln. »Diese Männer waren nicht zimperlich, Erik und Jonas benutzten mich, wie es ihnen gefiel. Ich sage dir, dafür bekommen sie noch ihre Abreibung.« Sie blickte mich einen Wimpernschlag lang finster an, und doch erhellte sich gleich darauf wieder ihr Blick. Das lag sicher auch an den Tabletten die sie bekam um das Erlebte besser verarbeiten zu können. »Aber bei dir … Wer war der Erste?« So ein krasser Themenwechsel, doch ich wollte es ihr beantworten.
»Fenrir.«
»Okay. Wusste ich irgendwie. Er ist immer so besorgt um dich.«
»Findest du?«
»Ja, das ist doch schön, dass er alles für dich tun würde, wie ein Held.« Da kicherte sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten. Ich griff nach ihrer Hand, kuschelte mich enger an sie. »Ich will alle Details. Das lenkt mich ab. Sonst komme ich wieder zu viel zum Denken. Doktor Olsson hat meine Medikamente halbiert, das ist seltsam, ich hab ihm aber gesagt, dass ich nicht in Verzweiflung verfallen will. Also musst du die Medikamente kompensieren, heitere mich auf.«
Ja. Ich musste das für sie mittragen. Ana war meine allerbeste Freundin, und dass sie nach Moskau nicht komplett zerstört war – das war ein Geschenk. Beide hatten wir so einiges erlebt, auch ich kämpfte mit vielen verschiedenen Emotionen und Flashbacks die mich mal mehr, mal weniger heimsuchten. Wir mussten uns diese Zeit zur Regeneration geben. Es bestand Hoffnung. Und solange man hoffte, konnte die Finsternis nicht siegen. Dafür würde ich mit all meinem inneren Licht sorgen.