Geschichten aus dem Newsroom:
Wer dreht eigentlich die Medienmühle des politischen Diskurses?
Carsten Brosda
Geschichten von Journalisten und Redaktionen gehören seit Jahrzehnten zum festen Inventar unserer Populärkultur. Ob »Citizen Kane« oder »Network«, »Die Unperfekten« oder »The Newsroom« – fiktive Storys über die Medien und ihre Macher und wie sie ihre Entscheidungen darüber treffen, mit welchen Themen sich die Öffentlichkeit beschäftigen solle, faszinieren und regen an. Die jüngste Auseinandersetzung liefern Tom Rachman mit seinem Buch »Die Unperfekten«, einem melancholischen Blick zurück auf die Geschichte einer untergegangenen Tageszeitung, und Aaron Sorkin mit der TV-Serie »The Newsroom«, der Geschichte einer beinahe idealtypischen Fernsehredaktion, die tagtäglich versucht, eine Nachrichtensendung auf den Sender zu bringen, die diesen Namen verdient. Immer wieder geraten dabei die berufsethischen Ideale in »Newsroom« unter den Druck ökonomischer und machtpolitischer Realitäten. Gerade deshalb lernt der aufmerksame Zuschauer eine Menge darüber, wie Nachrichten entstehen, unter welchen Zwängen Berichterstattung generiert wird und welche Spielräume die prominenten Fernsehgesichter tatsächlich noch haben.
Derartig unterhaltsame Aufklärung ist wichtig, da gesellschaftliche Kommunikation heutzutage in der Regel medienvermittelte Kommunikation ist. In modernen, komplex ausdifferenzierten Gemeinwesen braucht es Medien als kommunikative Vermittler, um Öffentlichkeit für gesellschaftliche Diskurse
1 herstellen zu können. Medien sind nach wie vor entscheidende Gatekeeper zur gesellschaftlichen Diskursarena und damit auch Institutionen der Wissensproduktion und Wissensvermittlung, durch deren Leistungen sowohl interne Verständigung als auch externe, gesellschaftliche Bedeutung ermöglicht wird.
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Deshalb müssen sich politische Akteure, die eine neue Sichtweise auf ein gesellschaftliches Thema in der Debatte etablieren wollen, auch mit den Wirkweisen der Medien auseinandersetzen. Sie müssen begreifen, wie sie Themen aussuchen, vermitteln und bewerten. Und sie müssen verstehen, wie sie ihre eigenen kommunikativen Deutungsangebote in den Medien prominent platzieren können, wenn sie nicht nur den kurzfristigen Kampf um Aufmerksamkeit, sondern auch den längerfristigen Kampf um Deutungshoheit erfolgreich bestehen wollen. Die Medien formulieren einen guten Teil der Spielregeln, nach denen diese Konflikte ablaufen, während Journalistinnen und Journalisten dabei sowohl als Mit- als auch als Gegenspieler auftauchen können, um dann letztlich auch noch die Rolle des Schiedsrichters zu reklamieren und den Endstand zu verkünden. Wer das bei der Erarbeitung einer Kommunikationsstrategie nicht differenziert mit berücksichtigt, wird auf dem Platz der Öffentlichkeit manche böse Überraschung erleben.
Medien haben einen großen Einfluss darauf, ob und wie Politik wahrgenommen wird. In aller Regel wird ein Deutungsangebot heutzutage erst dann gesellschaftlich relevant, wenn es die mediale Aufmerksamkeitsschwelle genommen hat und breit vermittelt und diskutiert werden kann. Dabei werden mediale
Framing-Effekte wirksam, die die gesellschaftliche Rezeption medial vermittelter politischer Themen auch normativ prägen. Frames werden hier verstanden als kommunikativ wirksame Deutungsrahmen, die bestimmte Aspekte eines Themas entweder selektiv hervorheben oder vernachlässigen. »So kann ein Thema gerahmt werden, indem bestimmte Unterthemen fokussiert, Wertbezüge hergestellt, historische Parallelen genannt, internationale Vergleiche angestellt oder allgemeine Trends und Entwicklungen als Erklärungen herangezogen werden.«
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Diese Frames sind anders als kurzfristige Meinungen tief in kulturell und sozial fundierte öffentliche Strukturen eingelassen. Sie akzentuieren Themen inhaltlich und rahmen den Argumentations- und Emotionshaushalt politischer Debatten. Sie lassen sich in aller Regel auf wenige zentrale gesellschaftlich festverankerte politische Grundkonfliktlinien wie das Verhältnis zwischen Markt und Staat in der Wirtschaftspolitik zurückführen.
4 Oftmals werden gerade diese Grundkonflikte als
Narrative in aktueller Kommunikation wirksam. Mediale Kommunikation reicht zurück bis zum Geschichtenerzählen am Lagerfeuer und wird daher bis heute als gesellschaftlich wirksames Storytelling interpretiert. Diese Geschichten brauchen Konflikte, Helden und Bösewichte. Um das aktuelle Geschehen in solch ein narratives Gerüst zu bringen, nutzen Medienmacher regelmäßig klassische Geschichten und Erzählmuster.
Diese Effekte lassen sich nicht eindimensional reduzieren: Nur wenn »die Medien« nicht als holistische Phalanx betrachtet werden, lässt sich die Wirkweise solcher Deutungsmuster, Frames und Narrative in gesellschaftlichen Diskursen präzise analysieren. Medienkommunikation ist letztlich das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels ökonomischer und technischer Mechanismen, kommunikativer und rezeptiver Habitus-Annahmen und gesellschaftlich fundierter Frames und Narrative. Werden diese nicht analytisch differenziert, begibt sich die Interpretation in die Gefahr, die Melange aus Misstrauen, Manipulationsvorwürfen und Verschwörungstheorien zu reproduzieren, die politische Debatten über mediale Vermittlung nur allzu häufig prägt, weil Wirkweisen nicht konkret benannt, sondern nur abstrakt vermutet werden.
Weitaus erkenntnisreicher als düster raunende Verschwörungstheorien ist eine pragmatisch nüchterne und systematische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Einflussebenen und Wirkweisen medialer Öffentlichkeit. Sie bildet die Grundlage für jeden kommunikativen Versuch, potenziell und normativ mehrheitsfähige Positionierungen und Programmen auch faktisch und wirkmächtig zur Mehrheit zu verhelfen. Im vorliegenden Text wird dafür plädiert, die folgenden Ebenen der Medienkommunikation analytisch und strukturell zu unterscheiden:
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die integrierende und strukturierende Funktion der Massenmedien auf der Systemebene,
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die Wirkweisen einzelner Mediengattungen auf der Strukturebene,
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die publizistischen Linien einzelner medialer Tendenzbetriebe und ihre institutionelle Figuration auf der Organisationsebene,
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die Soziologie der Journalistinnen und Journalisten auf der Kommunikatorebene und
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die Wirkungen der Medienberichterstattung auf der Rezipientenebene.
Diese Differenzierungen sind wichtige Voraussetzungen einer gelingenden Analyse medial vermittelter oder aber medial entstehender Machtkonstellationen. Erst auf ihrer Grundlage gewinnen politische Akteure die gewünschte Strategiefähigkeit und können ihre kommunikativen Kräfte auf die Punkte konzentrieren, an denen sie tatsächlich etwas bewirken können.
Ebene 1: Auflagen, Ratings und Profite –
das Mediensystem und seine Funktionslogik
In knappen Worten fasst Tom Rachman nach dem Untergang der Tageszeitung in seinem Buch »Die Unperfekten« noch einmal zusammen, worum es dem Medium ging: »In diesem Raum war einmal die ganze Welt gewesen. Jetzt war hier nur noch Müll. Die Zeitung – die täglichen Nachrichten von der Idiotie und der Brillanz der Spezies Mensch – hatte nie zuvor eine Verabredung nicht eingehalten. Jetzt war sie weg.« Er beschreibt hier das Versprechen der Medien, alles Wesentliche zu berichten und verbindlich zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind Medien dabei darauf angewiesen, ihre materiellen Grundlagen auch wirtschaftlich zu gewährleisten. Diesen Herzschlag des Mediensystems lernt der Zuschauer von »The Newsroom« gleich zu Beginn der Serie kennen, wenn sich der Moderator von einem Medienanalysten über die Ratings aufklären lässt, und dieser ihn bedrängt, weiter auf eine bestimmte abflauende Story zu setzen, weil diese die richtigen demografischen Gruppen in den audience flow hineinhole und damit höhere Anzeigenverkaufspreise in den Werbeunterbrechungen ermögliche.
Nachdem das Redaktionsteam dann in den entgegengesetzten Versuch einsteigt, die Nachrichten nach politischer Relevanz allein zu gestalten, sinken die Quoten, und der Druck der Eigentümer des Senders steigt. Die bange Frage nach der Reaktion des »44th floor«, auf dem die Eigentümer des Senders residieren, wird immer drängender. In einer beeindruckenden Folge werden die betriebswirtschaftlichen Debatten auf diesem 44. Stockwerk gegen das Bemühen der Redaktion geschnitten, einfach eine gute und relevante Sendung zu machen. Ein Kampf, der sich natürlich auch darum dreht, dass wenigstens diese Fernsehnachrichten, ihre Verabredung an jedem Abend noch einhalten können. Schließlich müssen teure Studios refinanziert und Renditen erwirtschaftet werden, wenn die Infrastruktur des Öffentlichen auch materiell erhalten bleiben soll.
Der Zuschauer lernt: Medien organisieren sich nach ökonomischen Gesetzen. Die Garantie öffentlicher Kommunikation auf einer abstrakten und generalisierenden Systemebene geschieht in erster Linie technisch und ökonomisch. Die Infrastruktur der Medien differenziert sich aus, weil sich Routinen der medialen Vermittlung und Kommunikation gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen verselbstständigen, um die von ihnen erwartete soziale Funktion effizient zu erfüllen: So entstehen mediale Teilsysteme (zum Beispiel das Fernsehen), die im Zusammenwirken wiederum ein gesellschaftliches (Gesamt-)Mediensystem bilden, das auf der Basis einer eigenständigen Operationslogik funktioniert. Zu dieser Logik gehören Aspekte wie die Notwendigkeit, Nachrichten und Berichte als Ware verkaufbar zu gestalten oder auch die Fokussierung auf neue und relevante Information innerhalb der Aufmerksamkeitskämpfe modernder Öffentlichkeiten. Solche grundlegenden Funktionsweisen sind meistens Ergebnis der Codierung des Mediensystems und seiner weitgehenden operativen Schließung gegenüber anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen.
Massenmedien sind in den meisten modernen Demokratien als Teil des ökonomischen Systems institutionalisiert. Sie sind auf Profit und damit auf den optimalen Einsatz von Geld und Ressourcen ausgerichtet. Über Jahrzehnte hinweg orientierte sich die systemische Codierung der Medien daneben auch an der
One-to-many-Struktur klassischer massenmedialer Verbreitung von Information. Mittlerweile wird sie ergänzt durch die dezentralen
Many-to-many-Strukturen, die sich insbesondere auf Online-Plattformen eröffnen.
5 Sie erweitern die klassische Vorstellung von Öffentlichkeit als Kommunikation vor Publikum in Richtung dialogischer Kommunikationsformen und ermöglichen neben Produktion und Vertrieb von Inhalten auch das Entbündeln ehemals komplexer Produkte und das Kuratieren neuer Angebote aus fremdproduziertem Content. Hier entstehen neue kommunikative Möglichkeiten, weil die Hürden bis zur Veröffentlichung deutlich gesunken sind. Ein Wordpress-Blog oder eine Facebook-Seite sind mit wenigen Mausklicks eingerichtet. Einer potenziell weltweiten Wahrnehmung individueller Aussagen steht damit technisch nichts mehr im Weg. Gleichwohl ist festzustellen, dass diese Möglichkeiten der Blogs und
social Media die individuelle Meinungsäußerung zwar erleichtern, damit aber noch nicht automatisch zu mehr diskursiver Vernetzung und damit zu mehr gesellschaftlich relevanter Meinungs
bildung führen.
Derartige funktionale und technische Strukturbedingungen des Mediensystems bestimmen zwar den Rahmen politischer Diskurse, haben aber in den seltensten Fällen unmittelbaren Einfluss darauf, ob und wenn ja welches inhaltlich wirksame Narrativ sich durchsetzt. Sie wirken vielmehr über generalisierte Selektionsprogramme wie die Nachrichtenfaktoren (Zeit, Nähe, Status etc.), die sich in zahlreichen empirischen Studien immer wieder als stabile Maßstäbe medialer Auswahlentscheidungen gezeigt haben. Sie markieren letztlich die Zugangsbedingungen, die ein Thema oder ein Ereignis erfüllen muss, um auf der Ebene medialer Öffentlichkeit präsentabel zu sein. Dabei orientieren sie sich weniger an politisch-ideologischen Strategien als vielmehr an technologischen, kulturellen oder gar anthropologischen Prädispositionen, die kalkulierbare Reichweiten und damit Markterfolg bringen können. Diese Selektionslogik steht nicht selten in einem scharfen Gegensatz zu den Eigengesetzlichkeiten politischer Prozesse und nährt aufgrund der Zentralität medialer Vermittlung die Sorge, dass die Medien die Politik kolonialisieren könnten und so der Kern des Politischen aus der öffentlichen Debatte gedrängt wird.
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Ebene 2: Starke Bilder und gute Geschichten – die Strukturen einzelner Gattungen und ihre Darstellungslogik
Schon in dem mit vier Oscars ausgezeichneten Film »Network« von 1976 wird der Zwang der Darstellungsbedingungen des Mediums Fernsehen verhandelt. Die ätzende Satire nahm damals die heutigen Reality-Formate anhand einer reißerischen Doku-Soap über eine Terrorgruppe vorweg, die am Ende in einem inszenierten Coup den Moderator einer Sendung live im Studio erschießt. Ein dramatisches Narrativ wie gemacht für die seriellen Erzählformen des Fernsehens. Und in »The Newsroom« streitet sich der Moderator mit der verantwortlichen Produzentin der Sendung über die Auswahlkriterien für die Nachrichten: »But it’s good television«, wirbt er für eine Story mit spektakulären Bildern. »We don’t do good television; we report the news«, ist ihre Antwort, die die Präsentationslogik des Fernsehens verwirft, um die öffentliche Aufgabe des Journalismus hochzuhalten.
Hier wird deutlich, dass einzelne Mediengattungen spezifische Formen der Darstellung präferieren. Diese Präsentationslogiken einzelner Medien kommen in erster Linie auf der Strukturebene der Teilsysteme einzelner Mediengattungen unterhalb der systemischen Gesamtbedingungen in den Blick. Ihre Auswirkungen darauf, wie sich einzelne Interpretationsmuster etablieren, unterscheiden sich je nach Medium zum Teil erheblich. Ob ein Deutungsmuster über das Fernsehen oder über Textangebote etabliert werden soll, hat Auswirkungen nicht nur auf den Bilderreichtum der Erzählung, sondern auch auf ihre Strukturierung, ihre Dynamik oder ihre argumentative Tiefe.
So ist beispielsweise die lange Jahre dominante und zivilgesellschaftlich außerordentlich anschlussfähige Erzählung der Machtkonstellation in der Umweltpolitik als Kampf zwischen David und Goliath maßgeblich das Produkt der bildmächtigen Inszenierungen von Greenpeace, Robin Wood und anderen, die es geschafft haben, komplexe naturwissenschaftliche Informationen in einfache und vor allem fernsehtaugliche Bilder zu übersetzen.
7 Diese Interpretationsfolie des Leitmediums, das mit durchschnittlich beinahe vier Stunden Konsum am Tag immer noch das beliebteste Medium ist, ist dann auch für andere Medienzweige prägend gewesen. Umgekehrt hat sich die Etablierung des marktliberalen Deregulierungs-Frames seit den frühen 1980er-Jahren vor allem durch die Etablierung spezifischer sprachlich basierter Interpretationsmuster und damit nicht zuletzt in den Printmedien vollzogen.
In beiden Fällen gilt, dass sich die Wirkungskraft eines bestimmten Deutungsmusters erheblich erhöht, wenn es gleichsam in die Darstellungslogiken der Medien eingesickert ist und auf diese Weise eine Präsenz in der Berichterstattung auch über weitere Anlässe gesichert ist. Strategisch gelingt dies am besten, wenn sich das Deutungsmuster nicht als ideologische Interpretation präsentiert, sondern als pragmatischer Mechanismus der Reduktion von Komplexität gemäß der jeweiligen medialen Logik.
Daraus ergeben sich Omnipräsenz, Wirkung und mittelbare Effekte für die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit eines Narrativs bzw. eines interpretativ wirksamen Framings. Solange ein bestimmtes Deutungsmuster nicht wirkmächtig argumentativ hinterfragt oder aber medial dekonstruiert wird, sinkt es letztlich auf den Status einer lebensweltlich hintergründigen Selbstverständlichkeit hinab, auf die in der Medienberichterstattung jederzeit unbegründet zurückgegriffen werden kann, um ein Thema in einen bereits gelernten Kontext einzuordnen. Die stete Wiederholung dieser Annahmen ist natürlich keine Nachricht mehr, bestimmt aber den Rahmen, in dem die aktuellen Nachrichtengeschichten erzählt werden. Einmal in die »Programmierung« des Mediums eingesunken, finden sich diese Frames dann nicht nur in journalistischen Formaten, sondern genauso in Fernsehserien oder Spielfilmen, deren Plots letztlich auch Interpretation gesellschaftlicher und damit politisch re-levanter Annahmen zur Wirklichkeit der Gesellschaft darstellen.
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Ebene 3: Ethische Grundsätze und widrige Umstände – die Organisationen und ihre Tendenzlogik
»News 2.0« – diese Überschrift steht auf einem Flipchart, auf dem die Produzentin in »The Newsroom« versucht, ihrer Redaktion ethische Grundsätze und verbindliche qualitative Standards der gemeinsamen Arbeit zu vermitteln. Dass es eben nicht mehr darauf ankomme, möglichst skurrile, sondern möglichst relevante Charaktere zu präsentieren, dass es bedeutsam sei, alle Argumente in der bestmöglichen Form zu präsentieren und dass es entscheidend sei, dass die Nachrichten zu einer informierteren Wahlentscheidung beitrügen – das sind Beispiele der Agenda, auf die sich die Redakteure einigen. Auch wenn die Redaktion angesichts widriger Umstände und individuellen Unwillens zunächst einmal fulminant und vollständig daran scheitert, diese Grundsätze mit Leben zu füllen, zeigt dieses fiktionale Beispiel, dass die organisatorische Ebene der Redaktionen und Medienhäuser Handlungsprogramm möglichst verbindlich zu normieren sucht.
Auf der
Organisationsebene einzelner Verlagshäuser, Sendeanstalten oder Redaktionen lassen sich nämlich in der Tat Gestaltungsspielräume für explizit politische oder ideologische Deutungsarbeit feststellen: Am deutlichsten wird das wohl in der oft diskutierten ideologischen Auffächerung des Spektrums überregionaler Tageszeitungen von der Welt bis hin zur taz.
9 Jedes Blatt besitzt ein spezifisches publizistisches Profil, das auch in der Nähe zu bestimmten »ideologischen« Deutungsmustern zum Ausdruck kommt. Dahinter stehen Wertentscheidungen der Redaktionen oder Verlagshäuser, die bisweilen in einer »Blattlinie« oder einem Redaktionsstatut explizit gemacht werden, teilweise aber auch als unausgesprochener Hintergrundkonsens wirksam sind.
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Diese Harmonisierung individueller Weltsichten von Journalistinnen und Journalisten durch redaktionelle Strukturen korrespondiert mit Framing-Effekten und hilft dabei, die Erwartungen des Publikums nicht zu überfordern.
11 Die Vorfestlegungen einzelner Redaktionen sind dabei auch in der zeitlichen Entwicklung erstaunlich beständig. Entsprechend ist es in der Entwicklung kommunikativer Strategien nach wie vor ratsam, sich vorher mit der Linie der Redaktion – sei sie nun explizit kodifiziert oder aber implizit tradiert – intensiv auseinanderzusetzen, um zu wissen, welche Kommentatoren eher Unterstützer und welche eher Gegner eines Vorhabens bzw. eines Deutungsmusters sein könnten.
Neben derartig unmittelbar politisch wirksamen Dispositionen lassen sich auf der Organisationsebene zum Beispiel mit Blick auf Radio- oder Fernsehnachrichten auch klar zielgruppenspezifische Fokussierungen identifizieren. Wer die Tagessschau mit den RTL-II-News vergleicht, der wird schnell feststellen, dass hier Politik nicht nur sehr unterschiedlich dargestellt wird, sondern dass ihr überdies auch ein sehr unterschiedlicher Grad an Relevanz zugewiesen wird und sie im Falle der RTL-II-News auch mal gegenüber Nachrichten aus dem Milieu der medialen B- und C-Prominenz der Superstars und Dschungelkönige zurücktreten muss. Hier spielen organisatorische Strategieentscheidungen eine wesentliche Rolle, die die abstrakte Logik des Mediums in einzelne Formate übersetzen und dadurch das Handeln einzelner Redakteurinnen und Redakteure wirksam rahmen.
Solche auf redaktionellen Entscheidungen beruhende Frames haben erhebliche Auswirkungen darauf, ob einzelne Medienangebote eher diskursiv und verständigungsorientiert oder aber strategisch und ökonomisch wirksam sind. Entsprechend lassen sich kommunikationsstrategisch die eigenen Bemühungen auf die redaktionellen Frames abstimmen, um eigenen Themen und Deutungen möglichst große Chancen auf Wahrnehmung und Verbreitung zu sichern.
Ebene 4: Emotionale Ausbrüche und rationale Spielräume – die Journalisten und ihre Kommunikationslogik
Höhepunkt des Films »Network« von 1976 ist die Tirade, in der der Nachrichtenmoderator seinen eigenen Selbstmord vor laufender Kamera ankündigt: Der Satz »I am mad as hell; and I can’t take it anymore« ist ein bis heute oft zitierter popkultureller Klassiker und markiert im Film den Aufstieg jenes angry man auf dem Schirm, den das deutsche Fernsehen uns heute allenfalls in der Rolle des Gernot Hassknecht der »Heute-Show« mit satirisch spielerischem Augenzwinkern zumutet. Auch »The Newsroom« startet mit einer fulminanten Suada des Moderators, der einem Auditorium voller College-Studenten erklärt, warum die USA aus seiner Sicht derzeit nicht ihr Potenzial entfalteten, das beste Land der Welt zu sein. Die Autoren erinnern hier unverhohlen an die »Mad-as-hell«-Rede von 1976, die im Film in der Lage war, das gesellschaftliche Gespräch schlagartig zu verändern. Auch 2012 braucht es offensichtlich einen emotionalen Ausbruch eines Einzelnen, der den Weg frei macht für eine erneuerte rationale Sicht auf die Dinge.
In der Auseinandersetzung mit »den Medien« ist gerade diese
Kommunikatorebene aus Sicht der Politik ohnehin die entscheidende. Schließlich sind es Mitglieder des oft als »Meute«
12 empfundenen Berliner Journalistencorps, die mit Berichten, Interviews und Kommentaren sichtbar werden. Die populäre Medienkritik findet in diesem engen Treibhaus von Politik und Medien immer wieder aufs Neue empörende Geschichten, die sich zu einem Zerfallszenario vernünftiger Öffentlichkeit verdichten lassen.
13 Bei aller plakativen Vereinfachung, die solchen Bildern vom Fingerhakeln zwischen Politikern und Journalisten auf der Berliner Vorderbühne zu eigen ist, hat die genauere Analyse des Spielraums von Journalistinnen und Journalisten Sinn.
Wenn man journalistisches Handeln als »kommunikatives Handeln«
14 unter den Systembedingungen der Massenmedien begreift, dann zeigt sich deutlich, dass journalistische Auswahl- oder Vermittlungsentscheidungen nicht quasi automatisch geschehen, sondern immer auch das Ergebnis von Bewertungen und Argumentationen einzelner Redaktionen oder Journalisten sind, die sich innerhalb struktureller Zwänge ihres Mediums bewegen, ohne ihre Freiräume vollständig zu verlieren.
15 Als kommunikativ kompetente Akteure kritisieren Journalistinnen die im gesellschaftlichen Gespräch erhobenen Geltungsansprüche. Sie zeigen Begründungen von Aussagen auf, stellen sie in Frage, ergänzen sie um Kontextinformationen und machen so inhaltliche Diskurse oftmals überhaupt erst möglich. In diesem Sinne erfüllen sie eine Aufgabe als »Diskursanwälte«. Normativ betrachtet sind sie keinen inhaltlichen Standpunkte, sondern den formalen Prinzipien des Diskurses wie Offenheit, Widerspruchsfreiheit, Wahrhaftigkeit und gleichberechtigte Anerkennung aller anderen Teilnehmer verpflichtet.
Empirisch offen ist dabei, inwiefern diese zunächst verständigungsorientierte Kommunikationshaltung von strategischen Absichten überlagert wird, die auf die Produktion und Reproduktion kommunikativ machtvoller und strategisch wirksamer Deutungsmuster zielen. Während klassische journalismuskritische Studien wertrationale berufsethische Maxime für eine daraus folgende systematische Verzerrung des Politikbilds in der Berichterstattung verantwortlich machen,
16 kommen aktuellere empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass das Gros der Journalistinnen und Journalisten nur in sehr geringem Ausmaß mit dem Beruf auch ein offensives eigenes kommunikatives Interesse verfolgt, dass zu einer gezielten und strategischen Bevorzugung einzelner Positionen oder Interessen führe.
17 Soziologische Analysen wiederum müssen auch heutzutage noch die vermeintliche Selbstverständlichkeit betonen, dass auch Journalistinnen und Journalisten keine homogene Gruppe sind, sondern ihre Arbeit von »distinkten kulturellen Orientierungen und ›Weltsichten‹« geprägt wird.
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Ungeachtet dieser kontroversen Standpunkte ist sich die Journalismusforschung weitgehend einig, dass es Präferenzen einzelner Journalistinnen und Journalisten gibt, die sich sowohl in der Auswahl und Präsentation als auch in der Kommentierung von Nachrichten, Stellungnahmen und Ereignissen zu erkennen geben und dabei in einem Wechselspiel zu den systemischen, strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen stehen. In Kommentaren und Leitartikeln lässt sich immer wieder ablesen, dass bestimmten gesellschaftlichen Deutungsmustern ein Vorrang vor anderen eingeräumt wird und dass parallel dazu eine neue »Öffentlichkeitselite«, ein »Kommentariat«, entsteht, das prägend ist für weite Teile der journalistischen Berichterstattung.
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Diese Beobachtung korrespondiert mit der Feststellung, dass sich ein »neuer Publizisten-Typ« herausbilde, »der Rollenmuster von Journalismus, Kommunikations-Manager und gesellschaftlicher Prominenz« vereine und somit nicht nur erfolgreich Agenda-Setting betreiben könne, sondern überdies als personale journalistische Marke auch für eine spezifische Analyse des gesellschaftlichen Geschehens stehe.
20 Diese deutungsmächtigen Kommentatoren haben oftmals auch organisatorische Verantwortung für journalistische Redaktionen und Institutionen inne und sind damit in der Lage, spezifischen gesellschaftlichen Deutungsmustern zu gesteigerter öffentlicher Wahrnehmung und damit zur Chance auf öffentlichen Erfolg zu verhelfen. Sie gehören nach der Wahrnehmung kritischer Beobachter »zu einer verblüffend homogenen politisch-kulturellen Führungsschicht« und sind »Teilhaber eines dichten Kommunikationsnetzwerks von Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Kultur«,
21 dessen hegemoniale gesellschaftliche Deutungsstrukturen sie zwar nicht allein, wohl aber weitreichend und oftmals entscheidend prägen und verbreiten können.
Ebene 5: Jenseits der Bilder und Buchstaben – die Rezipienten und ihre Alltagslogik
Der Ausbruch »I am mad as hell …« führt in »Network« beinahe zu einem gesellschaftlichen Flächenbrand. In einer Zeit, in der die Medienwissenschaft starke und direkte Medienwirkungen unterstellte, ließ sich auch eine Szene glaubhaft drehen, in der Zuschauerinnen und Zuschauer an ihre Fenster treten und den Ausbruch des Moderators lauthals in die Nacht hinein verlängern. 35 Jahre später in »The Newsroom« hingegen bleiben die Zuschauer gelangweilt sitzen, wenn die Nachrichten laufen und schalten ab, wenn sie zu politisch zu werden drohen. Das Publikum bleibt trotz jahrzehntelanger Forschung immer noch das schwierigste Feld im medialen Diskurs, unwichtig ist es deshalb aber weder ökonomisch noch im Hinblick auf die Bedingungen gelingender Diskurse.
Vielleicht ist es daher auch nur eine rationale Vereinfachung der Debatte, dass die
Rezipientenebene in der Beschäftigung mit der Bedeutung der Medien für gesellschaftliche Diskurse bisweilen vernachlässigt wird, obwohl wir natürlich wissen, dass Leserinnen und Zuschauer maßgeblich über die Bedeutung eines Artikels oder einer Sendung mit entscheiden. Ob ein Kinofilm wie »Rambo III« als Ausdruck des Befreiungswillens oder eines imperialistischen Kulturchauvinismus rezipiert wird, hängt daher nicht bloß von der Intention seiner Macher, sondern auch von der wahrgenommenen Bedeutung ab. Längst unterstellt die Forschung keine eindimensionalen Wirkungen mehr, sondern geht davon aus, dass die Interpretation und Bedeutung medialer Kommunikationsangebote Ergebnis individueller oder gruppenbezogener Aushandlungsprozesse ist.
22 Dass Zuschauer aus einer Serie wie »Forsthaus Falkenau« etwas über Gesellschaftskonzepte lernen
23 oder dass Mediennutzer Google nach der Tagesschau und noch vor der Bild-Zeitung auf Platz zwei eingruppieren, wenn es um Relevanz für politische Meinungsbildung geht,
24 ist nicht unbedingt das Ergebnis intendierter Medienstrategien, sondern entspringt komplexen lebensweltlichen Rezeptionsprozessen.
Insofern sind auch Deutungsangebote und Frames in der Medienkommunikation nur dann erfolgreich, wenn sie anschlussfähig an lebensweltliche Muster sind und zur konkreten Rezeptionssituation passen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Medienkommunikation kurzfristig neue Deutungsmuster errichten kann. Vielmehr ist sie Teil der langfristigen Prozesse, die Strukturen öffentlicher Meinung prägen und stückweise verschieben. Derartige Effekte sind das Ergebnis argumentativer Verständigungsprozesse oder fortgesetzter Wiederholung eines Frames bis zu dessen beinahe unweigerlicher Verankerung im lebensweltlichen Erfahrungsschatz. Angesichts des anthropologisch nachweislich vorhandenen Hangs zur Vermeidung kognitiver Dissonanz sind solche Veränderungen auf der Rezipientenebene kommunikativ nicht leicht zu erreichen. Auf dieser Ebene sind tiefgreifend auch die Framing-Effekte verankert, die in der neurolinguistischen Politikforschung seit mehreren Jahren intensiv und unter zunehmend größerer Aufmerksamkeit diskutiert werden.
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Fazit
Die holzschnittartige Darstellung der verschiedenen diskursiven Wirkungsebenen der Medien zeigt, dass von einem hermetischen oder gar ganzheitlichen Verblendungszusammenhang der Medien keine Rede sein kann. Insbesondere auf der System- und der Strukturebene dominieren eigenständige Logiken der Selektion und Präsentation medialer Inhalte, die natürlich kommunikationsstrategisch klug genutzt werden können, die aber aus sich selbst heraus ideologisch agnostisch sind und allenfalls in ihrer eher affirmativen Haltung gegenüber marktwirtschaftlichen Erlösmodellen diskursiv einschränkend wirksam sein können. Auf der Organisations- und Akteurs-ebene hingegen sind ideologische Festlegungen und konkrete Diskursarbeit deutlich wahrscheinlicher, wenn sie sich innerhalb der Logik des Mediensystems bewegen. Hier finden sich sowohl einzelne Redaktionen als auch meinungsstarke journalistische Persönlichkeiten, die Debatten prägen und Frames etablieren. Wirksam werden ihre Deutungsangebote aber nur, wenn sie lebensweltlich auf der Ebene der Rezipienten anschlussfähig sind und zu bereits etablierten Wahrnehmungs-Frames passen.
Angesichts dieser Komplexität sind alle Vereinfachungsvorschläge notgedrungen unzureichend. Gleichwohl lässt sich mit einiger Begründung schlussfolgern, dass die Orientierung an einer narrativen Logik, am lebensweltlichen Storytelling, das entscheidende Wirkmuster der Medien darstellt. Diese Orientierung findet sich auf beinahe jeder Wirkungsebene in unterschiedlicher Ausprägung wieder. Mediales Storytelling betont zwangsläufig die politische Handlungsebene der Politics gegenüber Inhalten (Policies) und Strukturen (Polity); und es favorisiert personalisierbare, emotionalisierbare und visualisierbare Informationen, um politische Prozesse spannend und unterhaltsam darzustellen. Wenn also beispielsweise über eine Parlamentsdebatte berichtet wird, dann tritt neben den normativen Anspruch des Journalisten, dass er die Aussagen korrekt zusammenfasst, dass er das Beziehungsgeflecht der Redner richtig darstellt und dass er in seinen Bewertungen der Debatte und der Redner wahrhaftig ist, zugleich auch noch das Bestreben, das Geschehen als einen spannenden Antagonismus zu inszenieren, in dem es Gute und Böse, Starke und Schwache, Edle und Hinterhältige gibt. Klassische dramatische Archetypen lassen sich in der Berichterstattung als Interpretationsfolie entdecken.
Es wäre ein Fehler, dieser Orientierung am Narrativen allzu kulturkritisch gegenüber zu treten. Dazu ist die Verarbeitung von Information zu tief verankert. »Informationen für sich genommen werden, so kritisch sie auch gemeint sein mögen, unverstanden bleiben, solange sie in keine Erzählung eingebunden sind.«
26 Gleichwohl birgt die inszenierende Überformung immer wieder die Gefahr, dass sperrige Themen nicht vermittelt werden oder aber – wie im Falle der marktliberalen Erzählung des Einzelnen, der vom Moloch Staat bedroht wird – unzulässig und strategisch verkürzt werden. Letztlich droht durch diese Eigengesetzlichkeit der Verlust einer eigenen politischen Logik, die eben nicht auf den dramatischen Konflikt zweier Akteure ausgerichtet ist, sondern auf das komplexe und zähe Verhandeln verschiedenster Interessen über den besten Kompromiss. Es kommt also darauf an, dass Narrative dazu in Beziehung stehen und damit kritisierbar und argumentativ nachprüfbar bleiben.
Wie wirksam diese Prädispositionen letztlich sind, lässt sich auch daran ablesen, dass in diesem Dilemma letztlich auch die neuen Möglichkeiten gesellschaftlicher Interessengruppen stehen, sich in der Folge des digitalen Medienwandels über Webportale, Blogs und
social media direkt und unter Umgehung der Vermittler an die Öffentlichkeit zu wenden.
27 Es wird abzuwarten sein, ob sie dabei dieselben Fehler wiederholen, die zum Niedergang der Parteipresse geführt haben, oder ob sie reflexiv agieren und Kritik – auch an der eigenen Organisation – konstruktiv zulassen.
Politische Akteure, die gesellschaftliche Deutungsmuster und öffentliche Meinungen prägen oder verändern wollen, brauchen dazu Medien. Sie sind klug beraten, folgende strategische Merkmale zu beachten:
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Die Medien folgen einer eigenständigen Auswahl- und Darstellungslogik. Themen und Deutungsangebote müssen zu ihren Kriterien passen, um eine Chance zu haben, öffentlich wahrgenommen zu werden. Dieser Logik müssen sich letztlich auch eigenverantwortete Publikationen und Web-Angebote unterwerfen, weil sie nur dann im Wettkampf und Aufmerksamkeit gegenüber unabhängigen Angeboten bestehen können. Der effektivste Weg, Medienwirkung zu entfalten, ist schließlich nicht die bestechende Interpretation der berichteten Ereignisse, sondern der Einfluss darauf, welche Geschichten überhaupt erzählt werden und welche als zu langweilig oder zu komplex bewertet werden und es daher gar nicht über die Medienschwelle schaffen.
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Mediale Organisationen übertragen die Logik ihres Mediums in ein eigenes Programm und reichern dieses gegebenenfalls um ideologische Festlegungen an. Auch auf dieser Ebene haben Kommunikationsstrategen wenig direkten Einfluss, sondern sind erfolgreich, wenn sie die existierenden Parameter nutzen, um ihre Angebote entsprechend zu gestalten.
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Im unmittelbaren Zusammenspiel zwischen politischen Kommunikatoren und Journalistinnen und Journalisten finden die eigentlichen Deutungskämpfe statt. Hier steht das Eingangstor für das strategische Vorhaben, bestimmte Interpretationsmuster und Bewertungsschemata dauerhaft in den Medien zu verankern. Aus diesem Grund reicht eine politische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die lediglich auf das kurzzeitige Beherrschen der medialen Agenda setzt, nicht aus. Viel wirksamer sind Strategien, die rational und zugleich zugespitzt den Argumentationshaushalt öffentlicher Debatten zunächst durch neue Sichtweisen anreichern, um ihn dann durch das Entkräften bestehender Deutungsmuster gegebenenfalls auch wieder zu verengen und neu zu fokussieren.
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Erfolgreiche politische Medienarbeit entscheidet sich daher auch auf der Hinterbühne, auf der die vertraulichen Gespräche stattfinden, in denen Berichterstatter überzeugt werden müssen, um dann in der eigenen Berichterstattung empfänglich zu sein für die Argumente, die das eigene Narrativ stützen. Dabei müssen Journalisten unabhängig bleiben, um wirksam kommunizieren zu können.
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Die politische Medienarbeit auf der Hinterbühne wird nur überzeugend sein, wenn sie auf eine ausreichend empiriegesättigte sozialwissenschaftliche Forschung zurückgreifen kann, auf deren Basis die Strategiebildung stattfinden kann. Die üblichen demoskopischen Kurzschlüsse reichen dazu nicht aus. Gefragt ist vielmehr Strukturwissen über die Hermeneutik einer politisch relevanten Lebenswelt, in der sich die Anschlussfähigkeit medienvermittelter Frames und Narrative des politischen Deutungskampfes entscheidet.
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Wer mediale Frames und Narrative verändern oder neu prägen will, braucht nicht nur starke Bilder und gute Argumente, sondern in erster Linie Sorgfalt und Geduld. Allzu oft verwechselt Politik heutzutage das schnell wirksame kommunikative Knallbonbon und seinen beinahe unfehlbaren kurzfristigen Erfolg, mit der langwierigen Etablierung aus sich selbst heraus wirksamer Deutungsmuster in den Redaktionen und bei den Rezipientinnen und Rezipienten. Sie verzichtet damit auch aus Angst vor den Zwängen argumentativer Konsistenz und Rationalität auf nachhaltige Prägungen und favorisiert kurzfristige Effekte.
Diese hier zunächst vorläufigen Überlegungen zeigen: Auf der politisch-ideologischen Ebene offerieren Medien und ihre spezifische Logik nach wie vor einen Resonanzboden diskursiv-narrativer Schwingungen, der von politischen Interessenträgern strategisch in der Kommunikation genutzt werden kann. Daneben besitzen sie in weit geringerem Maße eigenständig ideologisch strategisch Prägekraft, als gemeinhin angenommen wird. Sie nehmen Deutungstrends auf und verstärken sie oder wägen unterschiedliche Angebote gegeneinander ab. Medienmacher entscheiden sich in der Regel für ein Narrativ, um Information verständlich zu machen. Daher lohnt es, den Kampf um Aufmerksamkeit auch für das eigene Narrativ in den Medien aufzunehmen, um die Grundlage mittelbar verbesserter Diskursbedingungen für progressive Anliegen zu schaffen.
Denn wer der Redaktion in »The Newsroom« in ihren Konferenzen dabei zusieht, wie sie über den richtigen Umgang der Politik beispielsweise mit Einwanderern oder ökologischen Katastrophen streitet, der bekommt einen Eindruck davon, wie wichtig es ist, das eigene Argument auch auf die bestmögliche Art und Weise in den Diskurs einzubringen, um überzeugend in der Berichterstattung aufzutauchen und letzten Endes sogar die gesellschaftliche Debatte zu prägen. Vielleicht spornt das sogar an, noch genauer hinzusehen, wer gerade die unermüdliche Medienmühle dreht – und in welche Richtung. Es mag die Chance erhöhen, nicht als politischer Don Quichotte zu enden …
Tipps zum Weiterlesen und -schauen
Die kommunikationswissenschaftliche Literatur zum Thema ist oftmals sehr sperrig und speziell. Deswegen lohnt es zur praktischen Anleitung eher, praxisorientierte Beobachtungen der Interaktion zwischen Medien und Politik zu lesen. Der Markt dieser Titel ist unübersichtlich, in jedem Fall zu empfehlen sind
Lutz Hachmeisters Beobachtungen in »Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik« aus dem Jahr 2007
Thomas Meyers systematisierende Studie »Mediokratie. Die Kolonialisierung der Politik durch das Mediensystem« aus 2001 sowie
Tom Schimmecks beißende Abrechnungen in »Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache« von 2010.
Außerdem ist es gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam, die Serie »The Newsroom« von Aaron Sorkin zu sehen, deren erste Staffel auf DVD erschienen ist, und den Roman »Die Unperfekten« von Tom Rachman zu lesen.
Literatur
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