Talk oder Debatte: Vom Verschwinden der Entscheidungsrede
Uwe Pörksen
Das Parlament ist zum Aschenputtel geworden. Es sitzt in der Hinterküche und liest Erbsen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins ausufernde Kröpfchen. Währenddessen fahren seine Stiefschwestern in strahlendem Outfit allabendlich, Woche um Woche, Monat nach Monat zu Hofe, um sich auf dem Bildschirm in Szene zu setzen und die Politik des Landes zu repräsentieren. Sieht so die Realität aus?
Es ist wahr: Wenn von Politik die Rede ist, steht das Parlament nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Seine Rolle ist auffällig unauffällig, zu einem Zeitpunkt, in dem es die in der Geschichte der Bundesrepublik weitestreichenden Entscheidungen trifft oder auch erlebt, dass diese Entscheidungen an ihm vorbeigeführt werden.
Was ist die Ursache? Ein Verlust der Redekultur? Es ist nicht übertrieben, von einem Verschwinden der argumentierenden Entscheidungsrede und Debattenkultur zu sprechen. Norbert Lammert, der Präsident des Deutschen Bundestages, weist beharrlich auf das Schattendasein der Volksvertretung hin. Ich meine nicht den Bereich der Tagespolitik, sondern die Rolle und Rede in einer herausragenden Entscheidungssituation, in der eine neue Handlungsabsicht auf der Tagesordnung steht. Hier klaffen allerdings seit Jahrzehnten Lücken. Es fehlte an der Voraussetzung.
1989 gab es Pläne in beiden Deutschlands, wie man einander hätte auslöschen können; für den Fall des gemeinsamen Aufbaus existieren keine bekanntgewordenen Konzepte. Kann man im Ernst behaupten, dass die Einführung des Euro durch die Volksvertretung vorbereitet wurde, dass das Parlament sich Zeit genommen hat für politische Phantasie?
1998 stand in der FAZ ein Manifest der Wirtschaft: »Der Euro kommt zu früh.« Der Text war in der Sache weitsichtig, aber in der Sprache so wenig überzeugend und griffig, dass er wirkungslos blieb.
Gerhard Schröders 2003 gehaltene vielgenannte Rede »Agenda 2010« hatte einen harten politischen Kern, war aber durch eine Wahlniederlage in Niedersachsen und miserable Umfragewerte der Sozialdemokraten veranlasst und insgesamt eine Hauruck-Rede, weder in der Sache noch in der Sprache durchgearbeitet.
Die Wende in der Energiepolitik, ein Jahrhundertthema, wurde kein Thema einer eingehenden Grundsatzrede – sie vollzog sich als Bekehrung mit schweren Nachwehen. Eine vorsorgliche Entwicklung alternativer Energien in einem vergleichsweise bescheidenen finanziellen Rahmen war zum Beispiel in Baden-Württemberg jahrzehntelang durch bestellte Gutachtertätigkeit verhindert worden.
Der Übergang der allgemeinen Wehrpflicht zur Anwerbung einer Berufsarmee, ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Bundesrepublik, wurde als Verwaltungsakt eingeführt.
Und haben wir im Jahr der Eurokrise eine Parlamentsrede gehört, welche die Situation auch nur halbwegs erklärt und klärt, die parallele globale Praxis erhellt, Phantasie für die Zukunft entwickelt und die Gegenargumente gegen die auf der Tagesordnung erscheinenden Lösungsvorschläge ernst nimmt, sie stark macht, um sie zu widerlegen? Vielleicht war das Zögern klug? Aber es dauert an. Dass unsere langfristig entscheidenden politischen Fragen keine öffentlichen Kontroversen erzeugen, sondern in Wahlkämpfen umgangen werden, dass in der vielleicht brisantesten Epoche der Bundesrepublik der langweiligste, stupideste Wahlkampf geführt wurde, ist diese künstliche Ruhe eine Vorbereitung auf das, was kommt?
Die Entscheidungsrede ist grundsätzlich immer noch das geeignetste Mittel, eine Situation zu klären und eine neue Politik zu entwickeln, sie einzuleiten. Die oben angeführten Beispiele zeigen aber, dass es auf den langfristig brisanten Feldern seit Jahrzehnten an der Voraussetzung, der Vorbereitung und Entwicklung von Politik fehlt. Das gilt auch für die Schuldenkrise.
Sind die Medien verantwortlich für das Zurücktreten des Parlaments? Der Beruf des Politikers ist mittlerweile mörderisch. Die vorauseilende Geschwindigkeit der Nachrichten über neue Entwicklungen oder Entschlüsse macht ihn zum Spielball, entzieht seiner Rede den Boden. Die Beschwichtigungsrede ist eine eigene Gattung geworden.
Die politischen Formate, die der Politik zugestanden werden und auf welche sie sich einlässt, sind zumeist keine und obendrein entwürdigend: ich meine den Gang zum Pult mit einem 4–20-Sekunden-Satz, das nicht selten überhebliche Interview, dieses Verhör durch ein simuliertes Volksempfinden.Die kleine Auswahl von im Fernsehen voraus gemeldeten Mark- und Merksätzen, wenn von einer Bundestagsdebatte berichtet wird. Das Hochspielen von Uneinigkeit innerhalb einer Partei, weil es um Unterhaltung geht, um das Drama, nicht um Klärung, die doch nur durch Uneinigkeit zustande käme und das Ferment der Demokratie ist.
Unsere Politik lebt von der Umfrage in den Mund. Sie nutzt die Umfrage als Machtinstrument. In der Regie der Medien dagegen hat sie vor allem Unterhaltungswert, ist sie das Abfragen einer Plus-minus-Stimmung, das auf politikleere Weise Politik macht: Stimmungsforschung. Das Politbarometer – ein Stimmungsspiegel. Die Entsachlichung der Politik, die Entpolitisierung durch scheinbar politische Formate, ist dominant.
Das beliebte Ranking, die in Prozenten ausgedrückte Beliebtheitsstaffel der politischen Köpfe, lässt besonders deutlich erkennen, wie politisches Denken und Urteilen zum Verschwinden gebracht wird. Es geht um Wettkampf, um Punkte, das politische Feld wird zu einer Sportveranstaltung, Politik zu Volkssport.
Gilt das auch für die politische Talkshow? Sie ist zu einem unterhaltsamen Vorspiel der Politik geworden, so sehr, dass ein großes, interessiertes Publikum seine Wahrnehmung der aktuellen politischen Landschaft, seine Gesichtspunkte, die Argumente und das innere Engagement vor allem aus ihr zu beziehen scheint.
Grundlage ist auch beim Showtalk Unterhaltung und Wettkampf. »Wetten dass« ist offenkundig ein universelles Stimulans. Harald Schmidt hat kürzlich geraten, Talkshows sollten sich die Fußball-Bundesliga zum Vorbild nehmen, also das Design des seit langem erfolgreichsten Fernsehprodukts.
Der Wettkampf ist vielschichtig. Da es inzwischen an sieben Wochentagen Talkshows gibt, steigert sich der Kampf um die Einschaltquote, und das erwünschte brisante Thema beginnt man schon jetzt mit der Laterne zu suchen. Auch die Zahl fernsehgerechter politischer Stars oder Experten im weiteren Sinn scheint begrenzt zu sein. Wir befinden uns vermutlich im Rokoko der Talkshows.
Die Dramaturgie ist die des Wettkampfs und Thesentheaters. Die Talkmaster inszenieren eine Erörterung über ein Thema. Sie brauchen, um Quoten zu machen, ein stimmungsträchtiges Thema, also keineswegs ein politisch über den Tag hinausweisendes. Das kann unterhaltend und belehrend sein, meinungsbildend und engagierend wirken, aber Politik ist etwas grundsätzlich Anderes, in ihr gelten andere Kategorien.
Der Talkabend ist ein Wettkampf von Spielern, die als Experten auftreten. Das Wesen des Experten ist spezielle – in manchen Fällen auch generelle – Zuständigkeit auf einem Sachgebiet. Er befolgt einen Katalog von Sacherschließungsregeln, beruft sich auf Sachlogik, Kenntnisse und Tatsachen, Erfahrungen mit Erfolgen und Misserfolgen, auf Fehlurteile in der Vergangenheit. Experten drängen auf Lösungen, neigen zur Engführung und Berufung auf Sachzwänge – nicht zufällig verwenden inzwischen fast alle Talkshows das Stimulans, abweichende Stimmen oder ausgewählte Tatsachen einzublenden. Die Klärung einer strittigen Frage ist das Thema und bestimmt das Ethos, das Verhalten. Hier liegt die Parallele zur Politik.
Aber die politische Debatte ist ein Diskurs von Handelnden, die den Ernstfall zu bedenken und zu entscheiden haben und als Faktoren des Geschehens in einem mehrschichtigen Spannungsfeld stehen: dem der Entscheidungssituation, des Sachverstands und der politischen Leitbegriffe.
Das erste ist die komplexe Situation. Ob wir an Gesundheitspolitik oder Bildungspolitik, Finanzpolitik oder Verkehrspolitik denken: die Analyse der Situation, ihres Bedarfs, der Vergleich mit den anzusetzenden realen und idealen Normen, der angemessene Vorschlag, sein Für und Wider werden vorrangig von dem Interesse aus diskutiert, das ein Abgeordneter und seine Partei vertreten und wahrnehmen.
Das zweite ist die Ebene der Sachkunde, der Orientierung eines Vorhabens an dem Rahmen, den die Möglichkeiten und Grenzen der Sachwelt abstecken. Hier ist Expertenwissen gefragt – es wird in der Regel dasjenige bevorzugt, das den eigenen Gestaltungswillen unterstützt.
Die dritte Ebene ist die der Leitbegriffe, in einem älteren Begriff das der politischen Tugenden, an denen Politik sich ausrichtet und die ihr Handeln lenken. Sie sind ein Spannungsfeld, auf dem sich sofort die Frage der Balance und Entscheidung zwischen polaren Möglichkeiten einstellt. Zum Beispiel: Die »Grundregel der Gerechtigkeit« kann verschieden akzentuiert werden: Wenn der Gerechtigkeitssinn so weit geht, dass er Gleichheit erzwingen will, gefährdet er die Freiheit der Individuen, ihre Entwicklung, Initiativen und Erfolge. Wenn die Freiheit allein oben steht, vernichtet sie die Gerechtigkeit.
Orientiert man sich allein an »Wohlstand« und »Wachstum«, so stehen die Umwelt, die Nachbarn und Nachkommen auf dem Spiel. Jeder Leitbegriff ruft seinen Gegenspieler auf den Plan.
Ist der Gesichtspunkt die »Fürsorge« für Kinder und Alte, Kranke, Schwache und vom Wagen Gefallene, so setzt der Erhalt dessen, was für das Ganze benötigt wird, dem Grenzen, und so weiter.
Politik besteht im Austragen gegensätzlicher Bewertungen. Ihre Entscheidungen beruhen nicht nur in hohem Grad auf verschiedenen Wertmaßstäben, sie unterscheiden sich auch dadurch vom wissenschaftlichen Bereich, dass sie handelnd auf die Zukunft gerichtet und daher nur zum Teil rational entscheidbar sind. Phantasie und Intuition, Haltungen, Ahnung und Sympathie haben einen anderen Stellenwert.
Die Abfolge »Problem → Lösung« ist hier der seltenere Fall. Talks sind Vorspiele, die den Kern des Politischen verfehlen. Das Expertengespräch ist eine Engführung. Helmut Schmidt und Peer Steinbrück schrumpften seinerzeit in der Talkshow mit Günther Jauch zu verkleinerten Experten (symbolisch genug lag ein falsch stehendes Schachbrett auf dem Tisch zwischen Ihnen). Es ging um nur einen Punkt: Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten zu machen, und das mit nur einem Argument: »er versteht etwas von Wirtschaft.« Wäre es nicht der Mühe wert, einmal die Kategorientafel der Gesamtverantwortung dem Leistungsradius des Experten entgegenzustellen?
Zur Zeit lautet eine wiederkehrende Formel, die Politik habe ihre Glaubwürdigkeit verloren. Wäre der Verlust der Entscheidungsrede und gründlichen Debatte ein ernstzunehmender Grund? Ich vermute ja, aber ihr fehlt zur Zeit, dass einer solchen Rede eine Entwicklung der in ihr vorgetragenen Politik vorausgeht. Adenauers Westorientierung, Brandts neue Ostpolitik waren die Resultate mehrjähriger gründlicher Diskurse. Die Bevölkerung der DDR hatte ein halbes Jahr diskutiert, bevor einer ihrer Bürger, der Thüringer Schriftsteller Uwe Grüning, am 27. Oktober 1989, 14 Tage vor dem ungeahnten Fall der Mauer, auf einer Tagung der Ost-CDU sagen konnte:
»Auf die Frage, ›was würden Sie tun, wenn Ihnen die Macht übergeben würde?‹, lässt der Schriftsteller Robert Musil seinen Helden antworten: ›Es bliebe mir nichts anderes übrig, als die Wirklichkeit abzuschaffen.‹
Ich muss gestehen, dass ich diesen Satz lange Zeit für ein Bonmot gehalten habe und herzlich über ihn gelacht habe. Das Lachen ist mir vergangen. Denn ich musste sehen, dass hier Kunst, wie so oft, wieder eine Antizipation der Wirklichkeit war.
Dieses Land wurde bis vor wenigen Wochen von einem Mann regiert, der die Wirklichkeit abgeschafft hatte. Ich war immer erstaunt, wie leicht es doch ist, die Wirklichkeit abzuschaffen. Wenn der Plan nicht erfüllt wurde, so änderte man den Plan, wenn die Wahl nicht nach Wunsch verlief, die Wahlzettel.«
Der Saal war außer sich. Grüning erlebte die stärkste geistige Erfahrung seines Lebens. Von Rhetorik seiner Auskunft nach unbeleckt, hielt er eine klassisch aufgebaute Rede: Der Aufbau hat folgende Bauelemente: 1. Einstieg, 2. These, 3. Erklärung der Situation, 4. erläuternder Seitenblick, 5. Widerlegung des Gegners und Ausformulierung der eigenen Position, 6. Schlussfolgerung, 7. Appell.
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Der Einstieg stellt die gemeinsame Plattform her durch Musils Bonmot: Wer die Macht übernimmt, muss die Wirklichkeit abschaffen.
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Es folgt der Hauptsatz, die These: Wir leben in einem Land, in dem die Wirklichkeit abgeschafft worden ist.
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Es folgt der Beweis: Grünings Erzählung und Erklärung der Situation nennt die Beispiele für eine vollständige Verfälschung der Wirklichkeit.
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Ein erläuternder Seitenblick, der Vergleich mit Parallelen: Ungarn und Prag lassen sich nicht zwingen, die DDR-Flüchtigen zurückzuschicken, wie Honecker gefordert hatte, sondern erkennen deren Recht an, lassen die Wirklichkeit zu.
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Der Redner kommt zur Widerlegung des Gegners und Ausformulierung der eigenen Position: Der inzwischen angebotene Dialog genügt nicht, die im Sozialismus unterstellte Einheit von Regierung und Volk ist eine Schimäre, wir, das Volk, wir sind die abgeschaffte Wirklichkeit.
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Grünings Schlussfolgerung geht in die Vollen: Wer wird mit Margot Honecker und Mielke verhandeln! Die Abschaffung der Gewaltenteilung war nicht die eines bürgerlichen, sondern eines Menschenrechts. Wir brauchen eine neue Struktur.
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Appell: Die Demonstrationen müssen weitergehen. Sonst schaffen wir uns selbst ab.
Eine erstaunliche Rede. Sie stand am 2. November 1989 im Thüringer Tageblatt. Sie führt vor, was die gekonnte politische Rede vermag. Die politische Entscheidungsrede ist nicht in erster Linie ein Wirkungsinstrument, sondern ein Werkzeug der Klärung einer Situation, der Entwicklung und Erfindung einer neuen Politik, der Formulierung eines neuen Gesichtspunkts und Handlungswillens und dessen Darstellung. – Ob umstürzlerisch oder auf Erhaltung bedacht: sie kann den Führungsanspruch und den Primat der Politik zurückgewinnen.
Diese Rede wurde in zwei Stunden geschrieben, sie lag in der Luft und erfüllte alle Bedingungen der Glaubwürdigkeit. Eine Rede ist glaubwürdig, wenn sie auf die Situation eine durchdachte Antwort bereithält, eine klare, entschiedene These hat und durch die eigene Person gedeckt ist. Wenn sie die Situation konkret in den Blick nimmt, ihre These durch den Blick auf die Erfahrungen ringsum erhärtet, den Gegner beim Namen nennt und die Überlegenheit der eigenen These vor Augen führt, wenn sie nicht nur den Verstand, sondern auch die Herzen der Zuhörer erobert und einen klaren Schluss zieht.
Die gegenwärtige Situation legt nahe, dass auch die Regierungen kapitalistischer Demokratien es fertigbringen, die Wirklichkeit abzuschaffen. In einer solchen ist das Parlament gefragt. Es muss in den Vordergrund rücken. Das politikleere Ranking und Umfragen und der handlungsfern inszenierte Politiktalk sind keine politischen Formate.
Was folgt daraus?
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Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das auf der Basis von sieben Milliarden Euro Steuergeld einen Freiheitsspielraum erhält, verschenkt und vernachlässigt seinen öffentlichen Auftrag, missbraucht ihn überwiegend als Entertainment. Es wäre Sache eines Gremiums des Bundestags und meinungsbildender Instanzen der Öffentlichkeit, eine Reihe brauchbarer politischer Formate mit ihm zu verhandeln und zu vereinbaren – von Staatsfernsehen ist damit in keiner Weise die Rede, sondern von der sachgemäßen kritischen Öffentlichkeit der Volksvertretung.
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Die politische Rhetorik wird nicht nur unterschätzt, sondern missverstanden. Sie gilt in erster Linie als Wirkungsinstrument, und weil von Ton und Auftritt die stärkste Wirkung ausgeht, haben diese bei der Ausbildung von Rednern das Übergewicht, zielt Coaching auf Wirkung und bleibt weitgehend äußerlich. Die Rede kann weit mehr. Ihre Vorbereitung, die Beachtung ihrer Bauelemente erschließt ein Thema, ist ein Entdeckungsvorgang. Wenn es wahr ist, dass der visuelle Auftritt und die Stimme sich neunmal so stark einprägen wie der Inhalt, dann kann Redekunst, die Inhalte zu erschließen vermag, die zehnfache Wirkung des Inhalts erreichen.
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»Wer zwingt eigentlich die Politik, sich der Normenwelt der gesellschaftlichen Großmächte zu unterwerfen? Erwartet ihr Gegenüber, die Gesellschaft, nicht geradezu das Gegenteil von ihr? Warum formuliert sie nicht ihre Gesamtverantwortung und bringt sie zur Geltung? Warum legt sie nicht offensiv die Logik ihres Auftrags, die Raison des Ganzen dar und beansprucht den Primat ihrer Gesichtspunkte – nicht durch den Machtspruch, sondern durch Konzeption und Argumentation? Wieso lässt sie sich von den Medien vorgeben, wie sie in ihnen auftritt, und lässt sich zum Beispiel ein auf das politische Kurzgebell? Warum also setzt nicht sie politisch und medial die Spielregeln der Situation? Warum verlangt sie nicht, wo die Situation dramatisch ist, die Handlungsfreiheit für ein dramatisches Umsteuern?«.
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Tipps zum Weiterlesen
Pörksen, Uwe, Die politische Zunge. Ein kurze Kritik der öffentlichen Rede, Stuttgart 2002.
Brandenburg, Earnest, »The Preparation of Franklin D. Roosevelt’s Speeches«, in: Graham, John, Great American Speeches, New York 1970, S. 169–190.
Gottscheed, Johann Christoph, »Ausführliche Redekunst«, in: Mitchell, Phillip Marshall, Ausgewählte Werke, VII. Band, 1. Teil, Berlin/New York 1975.
Hennis, Wilhelm, Politik und praktische Philosophie, Neuwied 1963.