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In Aberdeen befand sich einer der betriebsamsten Fischerei- und Handelshäfen in Großbritannien, und ganz gleich, wie oft die Kaianlagen im Victoria Dock oder im Albert Basin vergrößert wurden, niemals schien genügend Platz für alle Schiffe und Boote vorhanden zu sein. Eine Rauchwolke hing über der Stadt, weil der gewöhnliche Seewind, der die schmutzige Luft aus ihrem Zentrum wehte, eingeschlafen war. Der Gestank der städtischen Papiermühlen war so erstickend wie Jauche, und der sonst hellgraue Granit der repräsentativen Bauten der Stadt bot, gezeichnet von Ruß und Asche, einen trübseligen Anblick.
Bell war daran gewöhnt, dass London stank und unter einer Dunstglocke aus Kohlenrauch und Industrieabgasen lag, aber eine Küstenstadt wie diese erfreute sich meistens einer angenehmeren Atmosphäre. Er vermutete, dass nach seinem Aufenthalt in der kalten, reinen Arktis jede noch so winzige Spur menschlichen Eindringens in die Natur bei ihm einen Schock auslöste. Der Gedanke brachte ihn zum Grinsen – über sich selbst. Er hatte sich so lange an Bord aufgehalten, dass er den Gestank von Walöl, der sich in jedem Winkel des Schiffes festgesetzt hatte und an jeder Faser seiner Garderobe klebte, gar nicht mehr wahrnahm und als störend empfand.
Die Hvalur Batur
war gezwungen, außerhalb der Hafenmole und abseits des dichten Schiffsverkehrs, der über den River Dee in den Hafen gelangte, zu ankern.
Nach einem Besuch des Hafenmeisters, um mit Kapitän Fyrie zu verhandeln, war es dem Chefingenieur zusammen mit Bell gelungen, das Schiff zu verlassen, ohne dass die Bergleute es bemerkten. Er musste für Isaac Bell mehrere Telegramme versenden und den Lloyds-Repräsentanten davon benachrichtigen, dass demnächst eine Schadensforderung für das Walfangschiff eingereicht werden würde.
Erst bei Anbruch der Dunkelheit näherte sich ein anderer Hafenmeister in einem Motorboot, um ihnen mitzuteilen, dass ein Liegeplatz für sie reserviert sei. Fyrie hatte die Erlaubnis, ihn ohne Hilfe eines Hafenlotsen anzusteuern. Er überließ es Bell, den Bergleuten zu erklären, dass aufgrund eines Tuberkuloseverdachts eine kurzzeitige Quarantäne über das Schiff verhängt worden sei.
»Mir wäre es egal, wenn es auf dem Kai von pestkranken Elfen nur so wimmeln würde«, schimpfte Walter Schmidt. »Mir reicht es hier.«
Schmidt stammte von deutschen Immigranten ab, daher war sein Akzent nicht zu überhören. Er war ein Hilfsarbeiter, und wenn auch nicht ausgesprochen groß und schwer, so verfügte er doch über eine unglaubliche Ausdauer. Alle an Bord waren sich darin einig, dass er härter arbeitete als alle anderen in der Mine. Auch saß er nach Feierabend gerne in der Kantine und unterhielt seine Arbeitskollegen mit einer Ziehharmonika. Er sang derart zu Herzen gehende Lieder, da machte es überhaupt nichts aus, dass sie ausschließlich deutsche Texte hatten. Ihr Thema – Liebe und Verlust – war universell und wurde von allen verstanden.
»Ich weiß, wie Sie sich fühlen müssen«, sagte Bell besänftigend. »Ich möchte auch an Land, und ich bin keine vier Monate in Russland gefangen gewesen. Aber es liegt
nicht in meiner Hand. Die schottischen Behörden lassen keine ausländischen Mannschaften ohne vorherige Quarantäne und eine anschließende gründliche ärztliche Untersuchung an Land. An dieser Bestimmung lässt sich nichts ändern, also beruhigen Sie sich. Kapitän Fyrie bemüht sich darum, dass wir mit frischen Lebensmitteln und Obst beliefert werden, damit es uns wenigstens in dieser Hinsicht an nichts fehlt. Okay?«
Warner O’Deming war der Kleinste von ihnen und gebürtiger Ire. Er hatte eine weiche hohe Stimme und etwas Koboldhaftes an sich. Nie um einen Scherz verlegen, konnte er jeder noch so tristen Situation etwas Lustiges abgewinnen. Die Männer nannten ihn Warry. »Frische schottische Verpflegung bedeutet Haggis direkt vom Metzger. Nein, danke, wenn’s beliebt. Ehe ich dieses Gekröse über die Lippen bringe, esse ich lieber eine Suppe mit den Stiefeln von Tom Price als Einlage.«
Dieser Kommentar rief allgemein brüllendes Gelächter hervor, weil innerhalb der Schar ungewaschener Männer der Geruch von Tom Price’ Füßen ganz besonders übel hervorstach.
»Tatsächlich«, fuhr der kleine Ire fort, »würde ich eher den vergifteten Fraß, den die Franzosen uns geliefert haben, bereitwillig in mich hineinschaufeln, als das hinunterzuwürgen, was die Schotten essbar nennen. Um Gottes willen, sie stellen sogar eine Wurst her, die viereckig ist und wie Pappendeckel aussieht, aber nur halb so gut schmeckt.«
Dies rief erneutes Gelächter hervor. Bell konnte erkennen, dass die Männer einfach nur froh waren, es bis in diesen Hafen geschafft zu haben. Sicher, sie wünschten sich, dass diese Odyssee ein Ende hatte, aber ein paar Tage mehr auf dem Schiff machten tatsächlich kaum einen
Unterschied. Sie waren in Sicherheit, und – in ihren Gedanken – längst schon wieder unterwegs mit dem Erz, das sie aus den Tiefen des Bednaya Mountain herausgeholt hatten.
Bell prägte sich in Gedanken diese Momentaufnahme ein: die stecknadelkopfgroßen Lichtpunkte der Hafenlampen, die durch das einzige Bullauge der Schiffskantine zu sehen waren, den matten Glanz alter Kochutensilien in der Küchenspüle, zu sehen hinter einem Türdurchgang, und den Holztisch mit seinem unentzifferbaren Durcheinander eingeschnitzter Initialen und Sinnsprüche. Farbe blätterte stellenweise von den Stahlwänden ab, und die Linoleumbahnen auf dem Deck waren in den Zonen häufigster Benutzung bis auf das blanke Metall darunter abgewetzt. Die Beleuchtung war sparsam und den acht Bergleuten, die dem Tod von der Schippe gesprungen waren, um etwas ganz Besonderes zu vollbringen, äußerst gnädig. Während sie sich über Warrys witzige Bemerkungen amüsierten, sahen sie gesünder aus als zu dem Zeitpunkt, da sie auf das Schiff gekommen waren. Sie waren krank, das ganz sicher, aber nach Bells Einschätzung sah nun jeder so aus, als läge ein frischer Glanz auf seinen Wangen und ein helleres Funkeln in seinen Augen.
Bei allen war das so, außer bei Joshua Hayes Brewster. Kein Hauch von Fröhlichkeit konnte den schützenden Schleier durchdringen, unter dem er sich verkrochen hatte. Er saß da, ungerührt und düster. Und dann machte Bell sich klar, dass diese Momentaufnahme doch nicht das war, als was sie erschien. Einer der lachenden Männer war ein Verräter und Mörder – und damit einem Judas Ischariot vollkommen ebenbürtig.
Das Bild, das er soeben in seinem Gedächtnis hatte festhalten wollen, verdunkelte sich. In Wahrheit würde er sie
alle am liebsten hinter sich lassen, sobald sein Van-Dorn-Kollege Joel Wallace erschien, aber zumindest hätte er in der Gesellschaft Brewsters und Halls nichts Unerwartetes zu befürchten, wenn er mit ihnen nach Süden reiste.
Er hörte, wie im Korridor außerhalb der Messe sein Name gerufen wurde. »Bell? Verdammt, Mann, wo sind Sie?«
»In der Messe, Chief«, brüllte er zurück, nachdem er Ivar Ivarssons Stimme erkannt hatte. Er vermutete, dass sich die Dringlichkeit auf irgendeine Nachricht aus London bezog. Vielleicht war Wallace aus irgendeinem Grund verhindert.
»Es gibt Ärger«, keuchte der Mann, während er in die Messe stürmte.
Bell war sofort hellwach. Er sprang auf. »Was denn für Ärger?«
»Da sind Männer, die unten auf dem Kai die Fahrer des Lieferwagens mit dem Proviant belästigen.«
»Welche Männer?«
»Das konnte ich nicht feststellen«, antwortete Ivarsson. »Einfach nur Männer. Aber angesichts des Ärgers, den Sie uns seit Sandefjord eingebrockt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Leute in Bezug auf uns gute Absichten verfolgen.«
Bell schaute über den Tisch zu Brewster. Vollkommener Fatalismus lag in seinen müden Augen. Er beurteilte die Situation sicherlich genauso, wie Bell es tat. Bell angelte seine .45er aus dem Holster auf seinem Rücken und zog den Schlitten zum Durchladen mit einer mechanischen Entschlossenheit zurück, die auch den letzten Rest Lachen in seinem Innern ersterben ließ.
»Halten Sie sich bereit«, sagt er zu Brewster, aber die
anderen betrachteten die Aufforderung, als wäre sie ebenso an sie gerichtet.
Er verließ die Messe im Laufschritt, rannte durch den kurzen Korridor und die Treppe hinauf zur Kommandobrücke. Bell brauchte den Höhenvorteil, um einen besseren Blick auf das zu haben, was in diesem Augenblick auf sie zukam. Er verdrängte sämtliche Spekulationen. Dies war nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, wer oder wie es jemand auf sie abgesehen haben könnte. Wichtig war allein, dass er bereit war, darauf zu reagieren. Das Ruderhaus war dunkel und wirkte verlassen. Leise trat er auf die Brückennock hinaus, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Im grellen Schein Dutzender Lampen war der Kai mit allem möglichem nautischem Gerät übersät – Stapel von zusammengefalteten Netzen, Bojen und Schwimmer, alle möglichen Arten von Kisten und Kästen, Dutzende von Fässern sowie abgekoppelte Pferdefuhrwerke. Dort standen auch zwei Lastwagen mit offener Ladewanne – die Engländer nannten sie »Loren«.
An Heck und Bug des Walfangschiffs waren einheimische Fischerboote für die Nacht festgemacht. Einige Fischer waren auf einem der Boote damit beschäftigt, Netze zu flicken, während auf den anderen Booten alles ruhig war. Die auf dem Pier verstreut stehenden Lampen spendeten ausreichend Licht, um einen von zwei müden Pferden gezogenen Wagen zu erkennen, der sich langsam näherte. Auf der Ladefläche stand eine dunkle, mit weißen Lettern beschriftete Holzkiste. Die eisenbeschlagenen Hufe der Pferde erzeugten einen scharfen Gegenrhythmus zum Plätschern der Wellen an der Kaimauer und zum Klirren von Takelagen, die gegen Schiffsmasten schlugen
.
An den beiden Männern, die am Kopfende des Wagens auf dem Kutschbock saßen, war nichts Auffälliges. Der Kutscher, bekleidet mit einer groben Jacke und einer Schottenmütze auf dem Kopf, beugte sich tief über die Zügel. Sein Begleiter war genauso gekleidet. Das Paar erschien vollkommen normal und durchschnittlich, als habe es jedes Recht, an diesem Ort zu sein, und das schleppende Tempo des Wagens vermittelte den Eindruck gelangweilter Lohnempfänger, die ihre Arbeit so gemächlich wie irgend möglich verrichteten. Wen auch immer Ivar dabei beobachtet haben mochte, dass er die Kutscher belästigt hatte, die Leute mussten sich aus dem Staub gemacht haben.
Bell entspannte sich. Er wurde allmählich paranoid, und Ivar jagte Schatten nach. Was er gesehen hatte, war vermutlich ein Disput zwischen einheimischen Lohnkutschern gewesen – höchstwahrscheinlich eine Gewerkschaftsstreitigkeit. Diese Männer machten immerhin Überstunden, um der Crew der Hvalur Batur
ein paar Annehmlichkeiten zu verschaffen. Leise entspannte er seine .45er, sicherte sie und verstaute sie wieder im Holster auf dem Rücken. Unten im Schiff hörte er, wie eine Luke geöffnet wurde und Kapitän Fyrie und Arn BjØrnson sich leise auf Isländisch unterhielten und Anstalten machten, die Lebensmittellieferung in Empfang zu nehmen.
Als der Wagen näher kam und sich fast auf gleicher Höhe mit dem Walfangschiff befand, fielen Bell die Ohren der Pferde auf. Beide Tieren wirkten wachsam, ihre Ohrmuscheln zuckten erst nach links, dann nach rechts. Eine Million Jahre immer nur Beute zu sein, hatte Pferden zu empfindlicheren Sinnen verholfen, und diese beiden hatten ohne jeden Zweifel Angst. Bell schaute genauer hin
und konnte jetzt erkennen, dass die Hände des Kutschers starr vor Anspannung waren. Er hielt die Pferde mit beträchtlichem Kraftaufwand zurück.
Was sich da vor Bells Augen abspielte, hätte hundert Erklärungen haben können oder keine einzige und hätte ihn innehalten und abwarten lassen sollen, wie die Ereignisse sich während der nächsten Sekunden entwickelten. Das wäre das gewesen, was die meisten Leute getan hätten – für eine oder zwei Sekunden zögern. Bell tat es aber nicht. Er handelte aus purem Instinkt.
Er zückte abermals seine Pistole, betätigte den Schlitten, noch während er sie in Anschlag brachte, und feuerte einen Schuss in den schmalen Streifen Hafenwasser zwischen Kai und Walfangschiff. Unten auf dem Hafenkai wieherten die alten Pferde aufgeschreckt, und der Kutscher musste seine Anstrengungen verdoppeln, um sie am Durchgehen zu hindern. Der Mann stieß eine wahre Flut mit schottischem Akzent gefärbter Flüche aus, die über dem Wiehern der Pferde und dem Nachhall des Schusses deutlich zu hören waren. Bell erkannte die Stimme auf Anhieb. Und das Blut in seinen Adern erstarrte zu Eis, als ihm die Bedeutung dessen klar wurde, was sich dort unten auf dem Kai entwickelte.
Foster Gly lenkte nämlich das Gespann, während neben ihm, gekleidet wie der reguläre Helfer eines Auslieferungsfahrers, Yves Massard saß. Die fünf Fischer, die Bell kurz zuvor aufgefallen waren, hatten den Wagen nicht nur aus reiner Neugier beobachtet. Sie vergaßen das Netz, das zu flicken sie vorgegeben hatten, ließen das Werkzeug fallen, das ihre Tarnung vervollständigt hatte, und rannten in Richtung Schiff. Es war ein Angriff auf breiter Front, aber Bell hatte ihren Zeitplan durcheinandergebracht. Eigentlich
hätte Gly den Angriff anführen sollen, jedoch hatte er noch immer alle Hände voll zu tun, die Zugpferde unter Kontrolle zu bringen. Und Massard hatte offensichtlich Mühe, sich auf seinem Platz zu halten, während der Wagen um eine Pyramide leerer Holzkisten herumschlingerte. Angstschweiß glänzte auf den Flanken der Pferde, während sie ihre Augen so weit aufrissen, dass man das Weiße sehen konnte, und ihre Zungen führten ein groteskes Eigenleben.
Die »Fischer« hatten plötzlich Waffen in den Händen, die sie aus Gürteln und hinter ihren Rücken hervorzauberten. Bell gewahrte das Blinken von Messerklingen und die Umrisse von Totschlägern und Knüppeln, die Baseballschlägern ähnelten. Dass ein einziger Pistolenschuss, der über den Hafen hallte, die Aufmerksamkeit der Polizei erregte, war eher unwahrscheinlich, weil sein Knall verschiedene Ursachen hätte haben können, aber eine lange Salve aus einer .45er würde die Bobbys sicher gleich in Scharen anlocken. Bell verstaute die Pistole im Holster und rannte zu dem Laufsteg, der zur Harpunenkanone führte, von wo aus eine Stahlleiter aufs Hauptdeck hinunterführte.
Er konnte nur hoffen, dass die Bergleute den Pistolenschuss gehört hatten und kämen, um den Angriff abzuwehren.
Gly hatte auf dem Kai schon gut fünfzig Meter zurückgelegt, bis es ihm endlich gelang, das Gespann zum Stehen zu bringen. Bell ignorierte ihn und Massard und konzentrierte sich stattdessen auf die fünf Männer, die es auf den Walfänger abgesehen hatten. Sie näherten sich schnell und leise. Offenbar disziplinierte Schläger, hielten sie ihre Waffen mit lässiger Vertrautheit bereit. Sie hatten soeben
die Gangway erreicht, als innerhalb des Schiffes lautes Gebrüll aufbrandete und eine zu allem entschlossene Armee coloradostämmiger Hartgestein-Bergleute hervorbrach, um ihre Anteile zu verteidigen. Sie schwangen Knüppel und Hackbeile und zweiseitig geschliffene Lanzen, mit denen die Walfänger den Blubber von den Walkarkassen schälten. In ihren Augen funkelte die blanke Mordlust der Berserker aus der mythologischen Vergangenheit ihrer bisherigen Gastgeber.
Die fünf Männer, die Gly entweder aus Frankreich mitgebracht oder am Ort angeheuert hatte, waren absolut chancenlos. Sie hatten gerade erst die Gangway betreten, als der Gegenangriff startete. Die Gangway war zu schmal, um darauf kehrtzumachen, und so waren sie gezwungen, es mit einer Übermacht aufzunehmen. Die Bergleute kannten keine Gnade, als sie sich auf die Angreifer stürzten. Klingen bohrten sich in Fleisch, Knochen knackten unter den Knüppelschlägen von Männern, die – obgleich von Schmerzen und Krankheit geschwächt – durch ein Leben voll knochenharter Arbeit gestählt waren.
Als Bell das Getümmel erreichte, wuchtete Charlie Widney soeben den letzten Angreifer über die Schulter und ins schwarze Hafenwasser. Kapitän Fyrie und Arn BjØrnson waren auf dem Schiff geblieben, hielten sich aber offenbar bereit, jederzeit einzugreifen, wenn es sich als nötig erweisen sollte. Weiter unten auf dem Kai kletterten weitere Männer unter dem Kommando von Foster Gly und Yves Massard aus dem Proviantlieferwagen.
In der anderen Richtung parkten zwei Leyland-Lastwagen mit offener Ladefläche. Bell zeigte auf einen der Trucks und winkte Brewster. »Bringen Sie den zur Gangway.« Er drehte sich zu dem isländischen Kapitän um. »
Können Ihre Männer das Erz auf den Lastwagen aufladen?«
»Das müssen wir wohl. Los!«
»Und holen Sie bitte mein Reisegepäck aus der Kabine.« Bell zog das Messer aus der Knöchelscheide. »Folgen Sie mir.«
Er rannte zum Ende der Gangway und schlug einen Haken nach links, wo Glys und Massards Männer sich sammelten. Zahlenmäßig waren sie ausgeglichen, aber diese Männer waren groß, sahen gesund und kräftig aus und konnten es offenbar kaum erwarten, in den Kampf einzugreifen, während die Bergleute aus Colorado von der ersten Runde deutlich gezeichnet waren. Dennoch zögerten sie nicht. Bis auf Brewster, der die Anlasserkurbel des Leyland drehte, damit sie ihn für ihre Zwecke einsetzen konnten, folgten die Bergleute Isaac Bell wie ein Rudel Bluthunde.
Die beiden Gruppen stießen wie gegnerische Footballteams zusammen, nur war hier das Ziel des Spiels, zu verstümmeln und zu töten, anstatt nur zu rempeln und schlimmstenfalls zu Fall zu bringen. Bell schaffte es, einen Mann in den Arm zu stechen, ehe er sich unter einem geschwungenen Knüppel wegduckte. Dieser Mann wurde an der Schulter getroffen, und zwar von Walter Schmidt, der ein Flensmesser wie eine Hellebarde einsetzte. Schwarz glänzte das Blut im Licht der Kai-Beleuchtung.
Männer rangen und kämpften verbissen, schlugen aufeinander ein und benutzten ihre Waffen, wenn der Platz nicht ausreichte, um richtig auszuholen. Bell hielt nach Gly oder Massard Ausschau. Bei ihnen hätte er es riskiert, die .45er zu ziehen, um hier und jetzt das Ganze zu beenden, aber keiner der beiden zeigte sich. Jemand zielte
mit einer Kette auf seinen Kopf. Er reckte im letzten Moment einen Arm hoch, sodass sich die Kette um seinen Bizeps wickelte. Dann packte er das Ende der Kette, und er und sein Gegner zogen im gleichen Moment. Die Spannung ließ die Kettenglieder so starr werden wie ein solides Stück Eisen.
Um diese Pattsituation zu beenden, entspannte sich Bell plötzlich und ließ sich von seinem Gegner auf dessen Seite katapultieren. Er konnte sein Messer nicht einsetzen, daher glitt er an seinem Gegner vorbei, setzte einen Fuß auf den Kai und schwang seinen Körper mit aller Kraft herum. Der zusätzliche Schwung riss seinen Angreifer nach hinten, und Bell konnte ihn so weit und schnell herumziehen, dass, als er die Kette losließ, der Mann weiterstolperte und von der Kaimauer ins Hafenbecken stürzte.
Um ihn herum tobten verzweifelte Zweikämpfe. Auf dem schmutzigen Zement lagen die Opfer der Schlacht, stöhnend oder tot. Bell konnte noch immer nichts von Gly oder Massard sehen. Er wollte zum Lieferwagen rennen, um nachzuschauen, ob sie sich dahinter versteckten, aber einer der Männer rannte mit einem Knüppel auf ihn zu, und Bell wich zurück, also blieb der Mann stehen, ein Grinsen in seinem unrasierten Gesicht. Ein anderer erschien an seiner Seite – und genauso schnell, wie sich die beiden Truppen aufeinander gestürzt hatten, wichen sie wieder auseinander, als sei dies nichts anderes als ein Mannschaftsboxkampf, dessen erste Runde soeben geendet hatte, sodass die Gegner Gelegenheit bekämen, Luft zu holen.
Plötzlich drang der Klang des Nebelhorns der Hvalur Batur
durch die kurze Stille. Bell hatte mit Ragnar Fyrie zwar kein Signal vereinbart, aber es klang ganz so, als
ob die Mannschaft das Byzanium inzwischen aufgeladen habe und die Fahrt in die Freiheit beginnen könne. Wie eine Fischschule oder ein Vogelschwarm, die schlagartig die Richtung wechseln, machten die Bergleute kehrt und rannten zum Schiff zurück. Ihre Angreifer, immer noch bereit, den Kampf fortzusetzen, machten Anstalten, ihnen zu folgen.
Bell zog seine .45er und hielt sie hoch, damit die Angreifer sie sehen konnten. »Der Erste, der einen Schritt in die falsche Richtung macht, wird mit einer Kugel ins Herz bestraft!«