Mit den Mitteln der Langzeitbelichtung kann es uns gelingen, Momente, die das Auge in ihrer Ausdehnung nicht erfassen kann, festzuhalten und so den Verlauf der Zeit sozusagen im Bild zu puffern. Jede Belichtungszeit, die länger als eine Sekunde beträgt, speichert Erlebtes. Langzeitbelichtungen wirken anmutig, elegant, sie halten für mich die Zeit an, sie wirken episch, oft sphärisch und magisch. Für mich haben diese Fotos oft eine erhabene Eleganz. Ich kann mit meinen Augen so nicht sehen, deshalb erfreue ich mich später an den Zeitdokumenten, die für mich zwei Minuten meines Lebens in einem Foto einfrieren. Um Langzeitbelichtungen umzusetzen, gehen Sie wie folgt vor.
Um länger belichten zu können, ohne dass das Bild überbelichtet wird, müssen Sie entweder die Blende schließen und/oder die ISO-Werte auf das Minimum der Kamera reduzieren (das kann im besten Fall ISO 100 oder ISO 50 sein – lesen Sie dazu im Handbuch Ihrer Kamera nach).
Damit fällt also weniger Licht durch das Objektiv, und das Sensorsignal wird auch nicht mehr verstärkt. In der Dämmerung und bei wenig Licht reichen diese Maßnahmen noch aus, um die Belichtungszeit zu verlängern. Doch bei hellerem Tageslicht kommen Sie mit diesen Einstellmöglichkeiten an die Grenzen. Dann brauchen Sie etwas zum Abdunkeln vor dem Objektiv – ein Glas, das weniger Licht durchlässt.
Spät am Abend bei Dahn.
Pentax K-1 ∙ 24 mm ∙ f/13 ∙ 20 s ∙ ISO 500
(Raik Krotofil)
Ein Neutraldichtefilter oder Graufilter (auch »ND-Filter« – »ND« steht für »Neutral Density«) besteht aus grauem, oder besser gesagt: dunklem Glas, das abhängig von seiner Stärke die Lichtmenge reduziert und darin einer dunklen Sonnenbrille gleicht. Diese lichtreduzierenden Filter gibt es in unterschiedlichen Stärken, die in den gleichen Belichtungsstufen gemessen werden, die Sie schon von den Belichtungszeiten und Blendeneinstellungen Ihrer Kamera her kennen – nur die Notation ist etwas anders.
Als übliche Dichten haben sich ND 0.9 (ND8), ND 1.8 (ND64) und ND 3.0 (ND1000) Filter etabliert. Der ND 1.8 reduziert die vorhandene Lichtmenge um 6 Blendenstufen (eine Blendenstufe entspricht also 0.3 ND). Da Blendenstufen die Lichtmenge in Zweier-Potenzen verdoppeln bzw. halbieren, verringert so ein ND 1.8- Filter die einfallende Lichtmenge um den Faktor 26, die Belichtungszeit muss also so verlängert werden, dass auf dem Sensor die 64-fache Lichtmenge gesammelt wird (bei einem ND 0.9 entsprechend – Faktor 23 –, auf das Achtfache, bei einem ND 3.0-Filter – Faktor 210 – auf das 1024-fache). So erklären sich also auch die Zahlen in den Klammern oben.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, ich brauche ohne montierten Filter eine Belichtungszeit von einer Sekunde. Für eine korrekte Belichtung mit dem 1.8er-Filter käme ich also auf 64 Sekunden. Mit dem ND 3.0-Filter müsste ich 1024 Sekunden lang belichten.
Blendenstufen, am Beispiel einer Ausgangsbelichtungszeit von 1 s. Blendenstufen unterscheiden sich in Zweierpotenzen (erste Zeile), d.h. jeder Schritt nach rechts verdoppelt die Lichtmenge, jeder Schritt nach links halbiert sie.
Tiefe Wolken ziehen oft sehr schnell.
Pentax K-1 ∙ 15 mm ∙ f/16 ∙ 20 s ∙ ISO 100
(Raik Krotofil)
Da man in der Regel die Blendenstufen jenseits der 1 Sekunde Belichtungszeit nicht unbedingt im Kopf und beim Fotografieren auch selten die Muße für Potenzrechnung hat, empfehle ich Ihnen die App »NDTimer«. Hier stellen Sie einfach die Ausgangsbelichtung sowie die ND-Stärke Ihrer Filter ein und erhalten die nötige Belichtungszeit in Minuten:Sekunden-Notation.
Ich selbst benutze ND-Filter der Marke Haida in Form von Einschubfiltern für den Haida-Filterhalter mit einer Nennstärke von 1.8 Stops (ND 64) bzw. einer Lichtreduktion von 6 Blendenstufen, sowie einen ND 3.0 mit 10 Blendenstufen. Der Bildaufbau geschieht ohne den ND-Filter, ebenso wie die Belichtungsmessung. Fokussiert wird vor der Montage des ND-Filters, denn durch das dunkle Glas hat der Autofokus es schwer, scharfzustellen.