Epilog

 

 

Neil streckte die Arme über den Kopf, als er aus seinem kurzen Nickerchen erwachte. Ben griff in seinen Schoß hinunter und strich Neil die Haare aus dem Gesicht. »Gut geschlafen?«

Neil grinste. »Ich hab nicht geschlafen. Ich hab nur meine Augen ausgeruht.«

»Ach, wirklich? Also habe ich mir das laute Schnarchen aus deinem süßen Mund nur eingebildet?«

Neil rieb mit dem Hinterkopf über den Schritt von Bens Jeans und kicherte. »Musst du wohl.«

Ben fuhr mit den Fingern durch Neils Haar. »Lässt du dir das schneiden, bevor du am Montag wieder zur Arbeit gehst?«

Neil griff nach oben und begann, Bens Hemd aufzuknöpfen. »Magst du den Skaterboy-Look etwa nicht?«

Ben stöhnte auf, als Neils Finger ihren Weg zu seiner Brustwarze fanden. »Was glaubst du wohl?«

Neil zwickte so fest Bens Nippel, dass es einen Stromstoß direkt in Bens Schwanz schickte. »Warum schneidest du sie mir dann nicht?«

»Ich?«

»Klar. Deine eigenen hast du dir doch auch selbst geschnitten, ich sehe keinen Grund, warum du mir meine nicht schneiden könntest. Ich vertraue dir. Ich weiß, du würdest dich nicht mit einem Typen mit verkackter Frisur bei der Einweihung zeigen wollen.«

Ben beugte sich herunter und küsste Neil träge und innig. »Ich wäre stolz darauf, dich an meiner Seite zu haben, egal, wie die Umstände sind.«

Neil stemmte sich hoch und setzte sich rittlings auf Bens Schoß. »Wo wir gerade über Arbeit sprechen: Hast du dich mit Hearn über den Job im Jugendzentrum unterhalten?«

»Das hab ich. Er meinte, einen weiteren Freiwilligen könnten sie immer gebrauchen.«

»Also...«, hakte Neil nach.

»Also werde ich ein paar Tage in der Woche hingehen, während du auf der Arbeit bist.« Er verriet Neil nicht, dass die Möglichkeit bestand, dass er bald eine bezahlte Stelle als Leiter des Zentrums bekommen könnte. Sein Treffen mit Hearn und Nate war gut verlaufen. Nate hatte Bens jahrelange Erfahrung in der Koordination von Militärmanövern hervorgehoben und auch, dass das ein großer Vorteil sein könnte, wenn man ein Gebäude voller Kinder und Freiwilliger managen musste. Er wollte sich jedoch keine zu großen Hoffnungen machen. Das Wichtigste war, seine Beziehung zu Neil weiterzuentwickeln.

»Ziehen wir das jetzt durch oder was?«, fragte Neil und riss Ben aus seinen Gedanken.

Ben legte die Hände auf Neils schlanke Hüften und drückte seinen Schwanz gegen Neils süßen kleinen Cowboyhintern. »Ich bin bereit.«

Neil lachte und rieb sich an der harten Wölbung in Bens Jeans. »Ich meinte zwar den Haarschnitt, aber das hier ist auch in Ordnung für mich.«

Ben warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. »Ich weiß nicht, ob wir Zeit für beides haben. Es sei denn, du willst mich reiten, während ich dir die Haare schneide?«

Neils Augen wurden groß. »Äh... lieber nicht. Ich schätze, du wirst dich entscheiden müssen, was du mehr willst: einen Freund mit ordentlicher Frisur oder einen befriedigten Schwanz.«

Ben schleuderte Neil auf die Couch und warf sich über ihn. »Wir kommen vielleicht ein bisschen zu spät zur Einweihungsfeier, Skaterboy.«

 

***

 

Mit der einen Hand auf einem Gehstock und der anderen an Bens Arm reihte sich Neil in die Schlange aus Menschen ein, die den steinernen Bogen zum neuen Rodeogelände passierten, das passenderweise in Cattle Valley Memorial Arena umbenannt worden war.

Neils Augen brannten, als er um die Ecke bog und einen ersten Blick auf die neue Tribüne werfen konnte. »Beton«, flüsterte er.

»Hast du was gesagt, Baby?«, fragte Ben.

Neil schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an. Anstelle von verbogenem Metall und der schreienden Opfer stand hier nun eine solide gebaute Tribüne aus Beton mit professioneller Stadionbestuhlung. Neil nickte schließlich und deutete in Richtung Tribüne. »Sie ist schön.«

Ben schlang einen Arm um Neils Taille und küsste ihn auf die Schläfe. »Ja, das ist sie. Willst du eine Weile hier unten bleiben?«

Neil lehnte sich an Ben und saugte die Kraft seines Geliebten auf. »Würde es dir was ausmachen?«

»Ganz und gar nicht. Ich bin für dich hier. Was immer du brauchst.« Ben führte Neil zur Seite, damit sie nicht im Weg standen.

Neil drehte sich um, barg das Gesicht an Bens Brust und versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen. Die Momente nach dem Zusammenbruch waren das reinste Chaos gewesen. »Wir haben uns an dem Tag gestritten. Ich hab nicht mal bei ihm gesessen.«

Ben rieb Neil über den Rücken. »Gavin?«

»Ja. Er wollte Dinge, für die ich noch nicht bereit war. Ich vermisse ihn, aber ich bin froh...« Neil hielt inne, als ihm plötzlich klar wurde, was er gerade zugeben wollte.

Ben zog sich so weit zurück, dass er Neils Kinn anheben konnte. »Was?«

Vertrauen . Neil erinnerte sich daran, was beim letzten Mal passiert war, als er nicht ganz ehrlich zu Ben gewesen war. »Ich bin froh, dass wir uns gestritten haben. Ich bin froh, dass ich nicht bei ihm gesessen habe. Ich bin froh, dass ich nur mit ein paar Kratzern aus der Sache rausgekommen bin. Ich habe Gavin verletzt, weil ich ihm gesagt habe, dass ich ihm vielleicht nie die ernste Beziehung geben kann, die er wollte, und hinterher war ich erleichtert, dass ich das gesagt habe.«

Neils Augen brannten, als Tränen seine Sicht verschleierten. »So was hätte nicht hier passieren sollen, nicht in Cattle Valley. Wir sind hierhergezogen, um sicher zu sein, und dann hat sich alles verändert. In einem Moment haben wir noch gejubelt und im nächsten...« Neil schüttelte den Kopf. »Ich dachte, ich würde mich nie wieder sicher fühlen.«

»Schhh«, machte Ben beruhigend und bedeckte Neils Gesicht mit Küssen. »Du lebst und du bist in Sicherheit.«

Neil nickte und wischte sich über die Augen. »Ich weiß.« Er deutete auf die Tribüne. »Und sie sind es auch. Kannst du die Schuldgefühle in ihren Augen sehen?«

Ben musterte die wachsende Menge einige Augenblicke lang. »Eigentlich sehe ich mehr Trauer als Schuldgefühle, und hier und da jemanden, der glücklich ist, am Leben zu sein.«

Neil versuchte zu sehen, was Ben sah. So viele vertraute Gesichter, von denen er wusste, dass sie an jenem Tag beim Rodeo gewesen waren.

»Es ist schön, dich hier zu sehen«, sagte Ezra und zog Neil von Ben weg in seine Arme.

Neil schaute zu Ben, um sicherzugehen, dass ihn diese Geste nicht verärgerte. Ben lächelte, und Neil erwiderte Ezras Umarmung. Sie hätten Ezra an diesem Tag auch fast verloren. Obwohl er immer noch Schuldgefühle mit sich herumtrug, weil er überlebt hatte, war er froh, dass Ezra hier lebendig neben ihm stand.

Ezra löste sich von ihm und zerzauste Neil die Haare. »Bleibst du hier unten oder gehst du hoch?«

Obwohl die neue Tribüne stabil aussah, konnte Neil sich nicht dazu durchringen, sich dort oben hinzusetzen. »Ich glaube, ich bleibe hier, damit ich nicht im Weg bin.«

Ezra drückte verständnisvoll Neils Schulter. »Wir wissen beide, dass du nicht im Weg sein würdest, aber tu, was du tun musst. Das Wichtigste ist, dass du hier bist.«

Wyn trat vor und umarmte Neil kurz, bevor er die Treppe hinaufging, um sich einen Sitzplatz zu suchen.

»Alles okay?«, fragte Ben und legte einen Arm um Neils Taille.

»Es macht dir doch nichts aus, wenn wir hier unten bleiben, oder?« Ob es nun richtig oder falsch war, er konnte es einfach nicht über sich bringen, sich zu seinen Freunden zu gesellen. Er ertappte einige Leute, die er kannte, dabei, wie sie ihn beobachteten. Hatten sie Angst, er würde zusammenbrechen, wie an jenem Tag?

»Überhaupt nicht.«

Neil zeigte auf einen Bereich, der noch weiter vom Gedränge entfernt war. »Stellen wir uns da drüben hin.«

Auf der gegenüberliegenden Seite der Tribüne war eine Nische, die wie geschaffen für Neil schien. Mit Ben und seinem Stock als Stütze ging er hinüber, wo sie außer Sichtweite des Großteils der schnell anwachsenden Menge sein würden.

Ben küsste Neil auf die Stirn. »Kommst du hier einen Moment allein zurecht?«

Neil nickte, weil er dachte, Ben müsste auf die Toilette. »Ich komm klar.«

Erst als Ben wegging, bemerkte Neil die große, in Stoff gehüllte Anzeigetafel auf der gegenüberliegenden Seite der Arena. Wahrscheinlich standen dort die Namen der vier Verstorbenen, eine ständige Erinnerung an die Tragödie.

Er hörte die Menge applaudieren und bemerkte eine kleine Gruppe von Männern, die sich auf die provisorische Bühne in der Mitte der Arena begaben.

»Hier, Baby«, sagte Ben und klappte einen Metallstuhl auf.

Neil schüttelte den Kopf. »Du zuerst. Ich setz mich dann auf deinen Schoß.«

Ben nickte und ließ sich auf dem Stuhl nieder, wobei er Neil auf seinen Schoß zog. Neil lehnte sich an Bens Brust und beobachtete, wie Nate an das Mikrofon trat.

»Für diejenigen unter euch, die mich nicht kennen: Ich bin Nate Gills, stolzer Bürgermeister von Cattle Valley. Ich denke, es ist angemessen, dass wir den Tag mit einem Gebet beginnen. Bitte erhebt euch und schenkt Reverend Casey Sharp eure Aufmerksamkeit.«

Neil stand auf, zusammen mit der Menge. Er spürte Bens Hand tröstend auf seinem Rücken.

Nate trat zurück, und Reverend Sharp nahm seinen Platz am Podium ein. »Lasst uns alle unser Haupt neigen.«

Neil war nie besonders religiös gewesen, aber er neigte den Kopf, als Casey begann:

»Unser lieber himmlischer Vater, hilf uns...«

Mehr hörte Neil nicht, bevor seine Gedanken abzuschweifen begannen. Vor dem Zusammenbruch hatte er ganz naiv geglaubt, die schlimmsten Momente seines Lebens hätte er bereits hinter sich. Der Missbrauch in der Kindheit, der Mord an seiner Mutter und, verheerender als alles andere, der Tag, an dem Ben ihn aus der Tür hinaus und aus seinem Leben gestoßen hatte. Aber die Ereignisse vor einem Jahr ließen ihn erkennen, wie wenig Kontrolle er hatte. Sein Leben lag überhaupt nicht in seiner Hand. Sicher, er konnte den Missbrauch, den Mord und den Verlust der einen Person, die ihm alles bedeutete, hinter sich lassen, aber er hatte keinen Einfluss darauf, ob er lebte oder starb.

Ein Moment, jeder Moment konnte alles verändern. Warum war Gavins Seite der Tribüne zusammengebrochen und nicht seine? Warum war Gavin tot, aber die Frau, die neben ihm gesessen hatte, nur leicht verletzt?

Neil wusste, dass diese Fragen niemals beantwortet werden konnten. Warum? Weil sie, ungeachtet dessen, was alle dachten, nicht die Kontrolle hatten. Neil warf einen Blick über seine Schulter zu Ben. Sein Partner lebte dafür, die Kontrolle zu haben. Neil fragte sich, wie Ben wohl reagiert hätte, wenn sie ein Jahr zuvor zusammen auf der Tribüne gesessen hätten. Hätte Bens Wunsch nach Kontrolle darunter gelitten?

Ben legte eine Hand um seine Taille und zog ihn noch fester an seine breite Brust.

Neil seufzte. Nein . Ben hätte noch härter darum gekämpft zu beweisen, dass er es wert war, die Führung zu übernehmen. So ein Mann war er eben einfach.

Neil wusste, dass der Lebensstil, an dem Ben so hoffnungsvoll festhielt, eine Illusion war. Es erforderte genauso viel Kraft zu folgen wie zu führen, beides verlangte uneingeschränktes Vertrauen. Das Etikett, das Ben dem Lebensstil, in dem seine Eltern ihn großgezogen hatten, verpasst hatte, war zu simpel. Es bezog sich nicht auf die beteiligten Menschen als Individuen, sondern warf sie in zwei Kategorien. Neil war keine Kategorie. Die Erfahrungen, die er gemacht hatte, hatten ihn zu dem gemacht, was er war: zu einem Mann, der sich oft vor dem Unbekannten fürchtete, sich aber selten davon runterziehen ließ.

Seine Beziehung zu Ben wurde von Tag zu Tag stärker. Sie waren sich zwar weiterhin in bestimmten Dingen nicht einig, aber Neil hatte mit der Zeit gelernt, sorgfältig zu wählen, welche Schlacht er schlug. Ob man ein Stück Butter auf dem Tisch oder im Kühlschrank aufbewahren sollte oder nicht, war nichts, worüber er aus Überzeugung streiten konnte.

Er machte Ben keine Vorwürfe wegen seiner Ideale. Zur Hölle, mit einigen von ihnen war er sogar einverstanden. Sex mit Ben war fantastisch, egal, welches Etikett man ihm aufdrückte. Neil tat, was sich richtig anfühlte, und seinen Geliebten auf jede erdenkliche Weise zu verehren, machte sie beide glücklich.

Ben hatte die Entscheidung getroffen, sein Haus in Rapid City zu verkaufen, ohne Neil vorher zu fragen. Obwohl sich einige Leute vielleicht darüber geärgert hätten, ausgeschlossen worden zu sein, ließ Neil sich davon nicht beunruhigen. Das Wichtigste war, mit Ben in Cattle Valley zu sein. Was immer Ben glaubte, tun zu müssen, um das zu ermöglichen, war für Neil in Ordnung. Warum sollten sie über etwas diskutieren, wenn sie doch wussten, dass sie beide dasselbe Ziel verfolgten. Neil vertraute Ben. Wenn er es nicht täte, würde er jetzt nicht in seinen Armen liegen.

»Amen.« Die Menge wiederholte das Abschlusswort des Gebets und brachte Neil zurück zum Geschehen auf der Bühne.

Ben küsste Neil auf die Schulter. »Bist du okay?«

Neil nickte. Er sah auf und ließ den Blick über die Menge schweifen. Es gab Paare, die sich mit ihren ungeduldigen Kindern abmühte, Männer und Frauen, die sich die Tränen abwischten, und solche, die wie er immer noch die Schuld der Überlebenden verspürten. Ja, es war ein Jahr her, dass ihr Leben für immer verändert worden war, aber Neil hatte das starke Gefühl, dass die Aufarbeitung mehr als nur eine neue Arena erfordern würde – was seltsamerweise auch von Nate geäußert wurde, als er zu sprechen begann.

»Cattle Valley hat vor einem Jahr mehr verloren als Jim Becker, Gavin Lively, Rick Buchanon und Earl Graves. Wir haben unsere Unschuld als Gemeinschaft und als Individuen verloren. Es gibt nicht eine einzige Person in dieser Arena, die sich durch die Tragödie nicht auf die eine oder andere Weise verändert hat. Für einige von uns war es ein Jahr des Wiederaufbaus, für andere ein Jahr des Nachdenkens, aber für alle von uns war es ein Jahr, in dem wir jeden Tag aufgestanden sind und einen Weg gefunden haben weiterzumachen. Wir sind es den Männern, die ihr Leben verloren haben, schuldig, das Beste aus dem Geschenk zu machen, das uns gegeben wurde.«

Da seine Stimme vor Emotionen belegt war, verstummte Nate und wischte sich mit dem Taschentuch in seiner Hand über die Augen. »Dank einiger sehr großzügiger Sponsoren und den hilfsbereiten Mitgliedern unserer Gemeinschaft haben wir eine hochmoderne Arena bekommen, aber wir dürfen nie vergessen, wer wir vor dem Zusammenbruch waren und wer wir heute sind. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ...« Nate deutete auf die Anzeigetafel, die nun enthüllt wurde. »Ich dachte, es wäre passend, etwas von der Unschuld zu bewahren, die wir einmal hatten.«

Neils Tränen flossen in Strömen, als er auf die gleiche Anzeigetafel starrte, die schon immer da gewesen war. An dem in die Jahre gekommenen Gerät hatte sich absolut nichts verändert. Vielleicht würde die Anzeigetafel in ein paar Jahren einen neuen Anstrich bekommen. Aber jetzt gerade begrüßte Neil jeden Riss und jede durchgebrannte Glühbirne mit Freuden.

In diesem Moment wurde ihm klar, dass Cattle Valley es nicht nötig hatte, dass Gavins Name in meterhohen Buchstaben die Arena zierte. Sein Name und der Mann, der er gewesen war, würden für immer in den Herzen derer weiterleben, die Cattle Valley ihr Zuhause nannten.