Immer wieder blickte sie sich um. Gab es jemanden, der ihr nachsah? Jemanden, der sich später daran erinnern würde, in welche Richtung sie gegangen war? Jemanden, der bemerkt hatte, dass die Sporttasche, die sie bei sich trug, schwer gewesen war? Vielleicht würde am nächsten Tag auch jemand sagen, man habe ihr angesehen, dass sie etwas Außergewöhnliches vorhatte, dass sie etwas plante, was ihr niemand zugetraut hätte. Und es habe ja niemand ahnen können, was dabei herauskommen würde!

Als sich ein Wagen langsam von hinten näherte, war sie versucht, sich erneut umzublicken. Aber als sie hörte, dass der Fahrer das Gas wegnahm, wusste sie, dass es nicht nötig war. Es war so weit! Nun konnte nichts mehr dazwischenkommen. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, ob jemand sie beobachtete, der später eine Aussage machen würde.

Der Wagen kam neben ihr zum Stehen, sie sah einen Unterarm, der die Beifahrertür aufstieß. Die Sporttasche wäre im Kofferraum oder auf dem Rücksitz besser aufgehoben gewesen, aber sie wollte keine Zeit verlieren, warf die Tasche in den Fußraum und ließ sich auf den Sitz fallen. Als der Wagen anfuhr, zwängte sie die Füße neben die Tasche. Es war ja nicht weit. Der Weg von einem Leben ins andere konnte so kurz sein! Dass sie bequem saß, darauf kam es nicht an. Wichtig war nur, dass jetzt nichts mehr dazwischenkommen konnte.

Eine halbe Stunde später nahm sie Abschied von Sylt. Ein Abschied für immer! Noch glaubte sie, dass es in ihrer eigenen Macht stand, zu gehen und niemals zurückzukehren. Sie genoss ein letztes Mal den Blick übers Meer und vertraute darauf, dass sie irgendwann noch einmal auf dem Kamm dieser Düne stehen könnte, wenn sie den Mut dazu finden würde. Irgendwann! Trotzdem nannte sie diesen Abschied endgültig und betrachtete alles, als sähe sie es zum letzten Mal. Die gewaltige Dünenlandschaft, die jeden Menschen, der sie durchwanderte, ganz klein machte, die Möwe, die sich mit ausgebreiteten Schwingen auf den Wind legte und zu ihr herabschrie, die schneeweiße Gischt, die weit draußen ein Spiel begann, das erst in der Brandung, wenn sie sich auf den Strand warf, Ernst wurde, den Strand, der kein Anfang und kein Ende hatte und von einer Schönheit war, die sogar den hohen Betonwürfeln Westerlands ihre Hässlichkeit nahm. Den Geruch des Meeres und den Geschmack des Windes nahm sie tief in sich auf, weil sie entschieden hatte, dass es das letzte Mal war.

Dass doch nicht alles wie geplant gelaufen war, bekam sie nicht mehr mit. Der Schlag auf den Hinterkopf traf sie vollkommen unerwartet. Gewaltig war er, so gewaltig, dass sie ohne einen einzigen Laut vornüber in den Sand fiel. Eine Blutspur sickerte ins Dünengras, doch noch bevor das Blut seinen Glanz und seine Farbe verlor, warf jemand Sand darüber, viel Sand, sodass bald nichts mehr übrig war als ein rostroter Schimmer, den der Wind so lange bleichen würde, bis er nicht mehr zu sehen war.