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D ie folgenden Tage zeichneten sich durch zähe Polizeiarbeit aus. Aufwendig, anstrengend und ohne jedes Flair von Aufregung und Abenteuer. Die Wirklichkeit sah eben ganz anders aus als die Darstellungen im Fernsehen.
Die Fahndung nach Markus Fuller blieb ergebnislos. Ralph und Sabine widmeten sich dem Aktenstudium und kauten sämtliche Unterlagen aus der Agentur Fuller & Lohmann durch. Von der Kriminaltechnik kamen immer neue Informationen, die Verbindungsnachweise von Markus Fuller und der Telefone in der Agentur, die Kontoaufstellungen einer Frankfurter Bank, die Auswertung der Spuren am Fundort von Eckard Roths Leiche. Auch die Kollegen von der Wirtschaftskriminalität schickten erste Ergebnisse, und von Petra Wielandt und Cordula Scherer traf das Protokoll der Befragung des Frankfurter Politikers Lothar Trautwein ein, die sie übernommen hatten.
Mit jedem Puzzlestück zeichnete sich ein klareres Bild ab: Zwischen Fuller, Trautwein und Roth war Geld geflossen. Markus Fuller hatte eine große Summe auf das Konto der Agentur eingezahlt und eine etwas kleinere auf sein Privatkonto, beides in bar. Vom Geschäftskonto waren anschließend Überweisungen an Trautwein und Roth erfolgt, bei Ersterem als Spende, bei Letzterem als Beraterhonorar deklariert. So hatte Fuller die Beträge, die er von Heinz Peschke und anderen, bisher nicht bekannten Schaustellern erhalten hatte, geschickt in sauberes Geld verwandelt. Insgesamt belief sich das Volumen des Betrugs auf mehrere Hunderttausend Euro, die sich im Verlauf der letzten Monate angesammelt hatten. Fuller, Trautwein und Roth hatten ordentlich abkassiert – und dafür den Tod von Marktbesuchern billigend in Kauf genommen.
Ralph Angersbach hätte kotzen können. Die Gier machte die Menschen zu Tieren.
Noch hatte es keine Festnahme gegeben; Lothar Trautwein ahnte womöglich nicht einmal, was ihm bevorstand, aber die Staatsanwältin Dr. Johanna Freier bereitete bereits akribisch die Anklagen gegen ihn und Fuller vor. Für Markus Fuller das kleinere seiner Probleme – wenn er den Fahndern ins Netz ging, musste er sich zunächst für den Mord an Eckard Roth verantworten.
Auch die Handydiebe hatten sie einzukreisen versucht. Der zuständige Staatsanwalt in Gießen hatte einer Durchsuchung der Behausungen aller Angestellten des Kettenkarussells zugestimmt, doch die Beamten hatten nichts gefunden. Sollten die Schausteller dennoch die Täter sein, waren sie zumindest vorsichtig genug, die Beute nicht in ihren Wohnwagen aufzubewahren.
Was ihnen bei alldem auch einen Tag vor dem Ende des Vilbeler Marktes noch fehlte, war ein Hinweis auf die Identität des Drohbriefschreibers.
War es Markus Fuller, der auf diese Weise von seinen korrupten Geschäftspraktiken hatte ablenken wollen? Oder waren es doch die Metzgers, die ihrer Wut auf die Vilbeler Polizei Luft gemacht hatten?
Solange diese Frage nicht geklärt war, konnten sie sich nicht entspannen.
Ralph nahm noch einmal die Kopie des Briefes in die Hand.
In diesem Jahr wird der Vilbeler Markt mit einem Feuerwerk der besonderen Art enden. Der Tod wird den krönenden Abschluss bilden. Denkt daran: Ich habe euch im Visier. Eure Tage sind gezählt. Auf den Sünder wartet das Höllenfeuer. Macht euch bereit und sprecht euer letztes Gebet. Ihr entkommt mir nicht.
Er las auch die Nachricht, die um den Stein gewickelt worden war.
Noch acht Tage. Dann wartet euer Henker. Macht euch bereit für eure Fahrt zur Hölle.
Was würde morgen, an diesem achten Tag, geschehen? Würde es zusammen mit dem großen Abschlussfeuerwerk tatsächlich einen Anschlag geben? Oder war die ganze Drohgebärde nur heiße Luft?
Sie hatten mit Kriminaloberrat Horst Schulte darüber diskutiert, und er hatte zugestimmt, ein zusätzliches Polizeiaufgebot auf dem Gelände zu postieren. Für den Vorschlag, das Feuerwerk ausfallen zu lassen, waren weder Schulte noch die Organisatoren zu haben gewesen. Die Mehrzahl der Verantwortlichen war davon überzeugt, dass keine ernste Bedrohung bestand, sondern die Briefe mit der Korruptionsgeschichte in Zusammenhang standen. Man konnte nur hoffen, dass sie recht behielten. Und, wenn nicht, dass die Polizeipräsenz einen potenziellen Gewalttäter abschreckte.
So oder so – mehr, als sie getan hatten, konnten sie nicht tun.
Morgen Abend würden sie mehr wissen.