13. Kapitel
„Also, wenn Sie mich fragen, hab ich der Sache keinen Moment getraut. Linda und Daniela konnten sich von Anfang an nicht ausstehen und auf einmal standen sie Arm in Arm vertraut am Steg und taten so, als wäre vorher nichts geschehen. Linda war eher ein einfaches Hausmütterchen, ging in dieser Rolle vollkommen auf. Und Daniela, die war eine Geschäftsfrau durch und durch. Nur auf Karriere aus, gnadenlos, rücksichtslos. Sie hätten sie damals mal bei diesem Elternabend sehen sollen. Ausgerechnet mit Linda sollte sie einen Ausflug organisieren. Daniela ist beinahe explodiert, wie ein Rohrspatz hat sie geschimpft und sich endlos aufgeregt.“
Linda betrachtete die Polizistin prüfend und diese hielt ihrem Blick stand. „Stehe ich im Verdacht, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben?“
Gabriele Heidner wiegte ihren Kopf hin und her. „Na sagen wir mal so. Die Situation, in der wir Sie vorgefunden haben, lässt alle möglichen Rückschlüsse zu. Je eher Sie mit uns zusammenarbeiten, umso besser, würde ich mal sagen.“
Fragend schaute sie Linda an und holte ein kleines Diktiergerät aus der Tasche. Diese nickte zustimmend.
„Sobald Sie sich außerstande sehen, meine Fragen zu beantworten, oder Sie sich gesundheitlich nicht mehr dazu in der Lage sehen, geben Sie bitte Bescheid.“
Erneut nickte Linda.
„Gut, Frau Trautner. Fangen wir an. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Frau Jahnke bezeichnen?“
„Unsere Kinder sind enge Kindergartenfreunde. Sie verstanden sich vom ersten Tag an prima. Wir beide eher nicht. Ich glaube, wir sind einfach zu verschieden. Daniela ist immer ein wenig arrogant, tut so, als wäre sie etwas Besseres. Besonders mich ließ sie das deutlich spüren.“ Linda zögerte. „Doch in den letzten Tagen hat sich unser Verhältnis verändert. Eigentlich habe ich die gesamte Organisation des Ausfluges bereits mit ihrem Mann besprochen. Aber plötzlich meldete sie sich bei mir, bat mich um ein Treffen. Ich muss sagen, ich war mehr als erstaunt, ging aber hin.
Daniela bot mir an, mit mir zusammenzuarbeiten. Für einen Tag wollten wir ein Team sein, um es den anderen Müttern im Kindergarten zu zeigen.“
„Aus welchem Grund wollten Sie etwas zeigen?“
„Es hat vor einigen Tagen einen Vorfall gegeben. Ich war zu späterer Stunde noch allein unterwegs, joggen im Wald.“ Linda räusperte sich. „Als ich nach Hause kam, waren Ihre Kollegen und ein Krankenwagen vor Ort. Meine Tochter Marie war nachts erwacht, hatte das Haus verlassen und wäre beinahe vor ein Auto gelaufen. Seitdem kursierten diverse Gerüchte über mich im Kindergarten. Also ich meine, über mich als Mutter. Das Verhältnis zu den anderen Müttern war nicht mehr so wie früher. Na ja, und das Verhältnis von Frau Jahnke zu den anderen Eltern war noch nie sehr gut.“
„Ich verstehe, also haben Sie sich zusammengetan. Haben Sie bei Ihrem Treffen auch über private Dinge gesprochen oder ging es ausschließlich um den Ausflug?“
Linda dachte an den Morgen an der Elbe. Wie sie zusammen einen Joint geraucht hatten. „Sie hat ein wenig von sich erzählt, über ihre Arbeit und wie viel Verantwortung sie trägt. Unter anderem meinte sie zu mir, sie würde gerne noch einmal irgendwo von vorn beginnen, ihre Firma verkaufen, alles hinter sich lassen. Sie meinte, das hätte sie noch niemandem erzählt, nur mir.“
„Und das hat sie ausgerechnet Ihnen anvertraut, obwohl Ihr Verhältnis alles andere als innig war?“ Eine steile Falte tauchte auf Gabriele Heidners Stirn auf.
„Ich konnte es erst selbst nicht begreifen. Aber genauso drückte sie sich aus.“
„Versuchen Sie, sich an die letzten Minuten mit Daniela Jahnke zu erinnern. Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“
Linda versuchte, ihre Erinnerungen herbeizuzaubern. Das Buffet war eröffnet worden, alle stürzten sich auf das gute Essen. Ihr war schlecht gewesen, sie hatte sich zu Anna gesetzt und dabei Daniela von der Ferne gesehen. „Sie lief nach vorn, zu einem der Aussichtspunkte. Daniela hatte ein Handy in der Hand und winkte mir zu. Ich nahm an, sie wollte telefonieren.“
„Und dann?“
„Sie war eine ganze Weile weg. Ich weiß noch, dass ich sie gesucht habe. Der Veranstalter hatte eine Frage und ich war mir unsicher, was zu tun war. Doch sie war einfach nicht zu sehen. Irgendwann sprach mich meine Freundin Anna an. Sie hatte meine Besorgnis wohl gespürt.“
„Wie lange schätzen Sie, war Frau Jahnke da schon fort?“
„Bestimmt mindestens eine Stunde. Vielleicht sogar ein wenig länger. Sie war während des gesamten Essens verschwunden.“
„Und was geschah dann?“ „Ich lief also los, unter den Bäumen entlang, schattig war es dort, der Wind rauschte.“ Linda versuchte, den Moment vor ihr inneres Auge zu holen. Sie schloss die Augen, versuchte, sich zu konzentrieren, doch da war nur Schwärze. „Daniela kam mir entgegen. Keine Ahnung, ich weiß nicht, was dann geschah.“
„Lassen Sie mich Ihnen helfen. Von der Ferne wurde eine Auseinandersetzung zwischen Ihnen beiden beobachtet, in der Nähe der Festungsmauer. Daniela Jahnke schrie sie an, aber sie stießen sie zurück, schlugen ihr sogar ins Gesicht. Sie kämpften miteinander, dann versuchte sie, vor Ihnen zu fliehen. Aber Sie setzten ihr nach. Dann verschwanden Sie beide aus dem Blickfeld der anderen.“
Linda starrte die Polizistin mit großen Augen an. Dann kniff sie die Augen zusammen und versuchte, sich das eben Gehörte vorzustellen. Doch da war nichts, nur gähnende Leere. Es schien, als hätte ihr Körper diese entscheidenden Minuten von seiner Festplatte gelöscht. Das Nachdenken strengte an, und vor Schmerzen verzog sie das Gesicht.
Die Schwester, die ihre Unterhaltung von jenseits der Scheibe mit verfolgte, klopfte an das Glas und bedeutete, das Gespräch abzubrechen.
Gabriele Heidner nickte. „Gut, Frau Trautner, da wäre noch eine letzte Frage.
Einige Väter fanden Sie nach einer ganzen Weile ohnmächtig im Wald, mit einer ziemlich schweren Kopfverletzung. Das war in der Nähe einer Ruine. Man brachte Sie dann ins Krankenhaus. Bei der anschließenden Untersuchung wurde ein starkes Beruhigungsmittel in Ihrem Blut gefunden. Können Sie mir dazu etwas sagen? Das gefundene Mittel ist ein extrem starkes Opiat, nicht einfach so frei erhältlich. Es ist ein Mittel, was zu schweren Halluzinationen führen kann.“
Linda schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern. „Ich weiß noch, ich hatte Kopfschmerzen und mir war übel. In der Tasche habe ich nach meinem Migränemittel gesucht. Aber anscheinend hatte ich das Medikament daheim liegen lassen. Ich erinnere mich, Daniela gefragt zu haben. Doch sie meinte, sie würde nie Tabletten nehmen und wäre auch nie krank.“
„Also haben Sie keine Tabletten auftreiben können?“
Kevin fiel ihr schlagartig ein. Sie sah sich mit ihm am Tisch sitzen, er schob ihr eine Schachtel über den Tisch. Aber nein, das konnte unmöglich sein. „Keine Ahnung, ich glaube nicht, kann mich aber nicht erinnern.“ Sie schüttelte den Kopf. War es möglich, dass ihr Mann damit zu tun hatte?
Prüfend schaute die Polizistin sie an und lächelte dann.
„Gut, ich denke, wir belassen es für heute dabei. Sobald Ihnen noch etwas einfällt, bitte ich Sie, sich bei mir zu melden.“
Linda grübelte, bis am Abend ihre Mutter kam, um sich zu verabschieden. Voller Sorge saß diese vor ihrem Bett. „Wie war das Gespräch mit der Polizei?“
„Keine Ahnung, ich weiß nicht, ob sie mir glauben. Aber dieser Moment auf dem Königstein ist einfach wie ausgelöscht.“
„Es wird alles wiederkommen, da bin ich sicher.“ Dann schwieg ihre Mutter und schien nach den nächsten Worten zu suchen. „Und mit dir und Kevin, ist da alles in Ordnung? Ich frage nur wegen dieser Geschichte mit dem Jugendamt.“
Erschrocken schaute Linda ihre Mutter an. „Er hat es dir erzählt.“
„Nein, natürlich nicht. Ich habe den offenen Brief zufällig auf dem Küchentisch entdeckt. Und, na ja …“ Ihre Mutter zögerte. „Ich kann das gar nicht glauben. Jugendamt, wo du doch eine so tolle Mutter bist.“
Linda fixierte fest die Tür gegenüber dem Bett und versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Der Versuch misslang und am Ende heulte sie wie ein kleines Mädchen. „Ach Mama, ich hab irgendwie alles falsch gemacht. Und ich bin auch keine gute Mutter und schon gar keine gute Ehefrau.“ Am liebsten hätte Linda alles erzählt, aber ihre Mutter hatte schon genug Sorgen, mit der Pflege ihres, seit einem Schlaganfall, kranken Vaters.
Deswegen lächelte sie tapfer. „Aber wir kriegen das bestimmt hin, Kevin und ich, ganz sicher.“
Mutter drückte sie noch einmal ganz fest an sich. „Mach keine Dummheiten und melde dich, wenn irgendwas ist.“ Dann ging sie zur Tür, drehte sich noch einmal um und winkte ihr zu. Und in diesem Moment wünschte Linda, sie wäre wieder ein kleines Mädchen, würde ein Pflaster aufs Knie geklebt bekommen und alles wäre tatsächlich wieder gut.
Am nächsten Morgen wurde Linda auf die Normalstation verlegt. Sie bekam ein Einzelzimmer, mit einem wunderbaren Blick auf einen alten Baum. Seine knorrigen Äste schienen sich beinahe bis in ihr Zimmer schieben zu wollen. Sie bat eine Schwester, das Fenster zu öffnen und lauschte dem Rauschen der Blätter.
Es erinnerte sie augenblicklich an den Tag des Ausfluges. Auch da hatten Blätter gerauscht, ein kühlender Wind war durch die Zweige gestrichen. Doch so sehr Linda auch nachdachte, der Nebel des Vergessens blieb.
Am Vormittag suchte sie ein Psychologe auf. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß er neben ihrem Bett. „Sie hatten einen schweren Unfall, Frau Trautner. Ihr Kopf war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, da sind solche Erinnerungslücken nicht ungewöhnlich.“
„Ich grüble die ganze Zeit nach, habe die halbe Nacht nicht geschlafen, aber es will mir einfach nichts einfallen.“
Der Mann notierte etwas in ihrer Krankenakte und schüttelte dann den Kopf. „Das ist nicht gut, Sie brauchen Ihren Schlaf, Ihr Körper braucht den Schlaf. Sie müssen gesund werden, zu Kräften kommen. Ich werde den Kollegen empfehlen, ein leichteres Schlafmittel zu verordnen.“
Linda stöhnte auf. „Muss das denn sein?“
„Es muss, Sie brauchen Ruhe. Das ist das Allerwichtigste. Und was die Erinnerung betrifft: Ich bemerke bei ähnlichen Fällen immer wieder, dass diese umso eher wiederkommt, umso weniger man danach sucht. Also versuchen Sie, sich zu entspannen. Und Sie werden sehen, plötzlich wird Ihnen alles wieder einfallen.“
Im Laufe des Tages wurden weitere Untersuchungen gemacht und die Ärzte zeigten sich mit ihrer Genesung mehr als zufrieden. Gegen Mittag durfte Linda das erste Mal aufstehen. Am Arm einer Schwester lief sie auf wackligen Beinen vom Bett zum Schrank und wieder zurück. Danach brauchte sie eine kleine Pause. Doch ihr Lebenswille war geweckt. So schnell wie möglich wollte sie hier raus.
Dazu trug auch der Besuch ihres Kindes bei. Am Nachmittag klopfte es und gleich darauf stürmte Marie ins Zimmer. Mit Freudentränen in den Augen drückte Linda sie an sich. Sie vergrub ihr Gesicht in Maries Haar, spürte die kindlichen Arme, die sie fest umfangen hielten und augenblicklich ging es ihr noch ein wenig besser.
Kevin setzte sich auf den Besucherstuhl und ließ sie gewähren.
„Was macht dein Kopf, Mama? Wann darfst du nach Hause? Kriegst du auch genug zu essen?“ Hunderte Fragen prasselten auf sie ein, während Marie sich neugierig umschaute.
„He, was hatten wir besprochen? Nicht so viel plappern, sonst kriegt Mama gleich wieder Kopfschmerzen“, ermahnte Kevin sie lächelnd.
„Lass sie doch, hach, ich freue mich so, euch zu sehen. Geht’s dir gut, Marie? Wie war es heute im Kindergarten?“
Unsicher schielte Marie zu ihrem Vater und der nickte unauffällig. „Schön war’s, nur ohne Jonas ist es ein bisschen langweilig. Seine Mama ist weg und er soll sehr traurig sein, hat Papa gesagt.“
Kevin musterte den Fußboden und schwieg.
„Die anderen Kinder haben gesagt, du hast seine Mama zuletzt gesehen. Weißt du nicht, wo sie hingegangen ist? Bloß, dass er nicht mehr so traurig sein muss.“
Linda schluckte die aufsteigenden Tränen nach unten und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Schatz, das weiß ich leider nicht.“
Später saß Marie am Tisch und malte. Kevin rückte ein wenig näher an ihr Bett heran und ergriff ihre Hand. „Es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe, die Vorwürfe und so. Ich hab mir halt solche Sorgen um dich gemacht. Wie du da so lagst, im Wald, so blass und mit dem ganzen Blut überall – ich krieg die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf.“
„Schon gut, es ist für uns alle nicht einfach. Ich habe gestern noch einmal die Polizei kommen lassen.“ Kevin sah sie überrascht an. „Ich will einfach nur helfen, verstehst du? Ich will, dass man sie findet.“
Die Geschichte mit den Tabletten fiel Linda wieder ein, doch seltsamerweise scheute sie sich, ihren Mann darauf anzusprechen.
„Und, ist dir noch etwas Neues eingefallen? Was denkst du, was passiert ist?“ Forschend schaute ihr Mann sie an.
„Leider nein, ich kann mich einfach nicht erinnern. Ganz ehrlich, es ist alles so unglaublich verwirrend.“
Genauso sah das ihre Freundin Anna. Denn kaum, dass Kevin mit Marie gegangen war, klopfte es erneut. Anna schob sich durch die Tür, mit einem riesigen Blumenstrauß und einem Paket, welches sie direkt auf Lindas Brust legte. Dann drückte sie sie an sich, strich über Lindas Kopfverband und bekämpfte ihre Tränen.
„Du blöde Kuh, weißt du eigentlich, was für Sorgen ich mir gemacht habe? Ich bin vor Angst fast gestorben. Erst ist Daniela weg, dann gehst du sie suchen und dann bist du auch noch weg. Wir alle haben nach euch gesucht. Die Männer haben dich schließlich gefunden, du warst mehr tot als lebendig. Auf die Intensivstation durfte ich nicht und Kevin und ich, na ja, beste Freunde sind wir nicht. Er hat mir nicht so viel gesagt, der Idiot, sorry.“ Betreten schaute Anna sie an. „Zum Glück hat deine Mutter mich ein wenig auf dem Laufenden gehalten“. Seufzend setzte sie sich auf den Stuhl, zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich ihre Nase. Dann blickte sie auf das mittlerweile ziemlich derangierte Paket auf Lindas Brust. „Da sind übrigens deine Lieblingsmohnschnecken von Bäcker Meier drin. Die Essensversorgung in Krankenhäusern ist ja nicht gerade der Hammer.“
Linda wickelte vorsichtig das Gebäck aus der Verpackung. „Guter Gott, vier Stück, wer soll das denn essen?“
Minuten später kauten die beiden Frauen friedlich vor sich hin.
„Und du kannst dich wirklich an nichts mehr erinnern?“ Anna blies ihre Wangen auf. „Das ist ja echt krass.“
Linda schüttelte den Kopf und winkte ab. „Wie geht’s David?“ Sie hatte diese Frage einfach stellen müssen.
Anna zuckte die Schultern. „Schwer zu sagen, seit dem Tag war Jonas nicht mehr im Kindergarten. Seine Großeltern sind wohl da, so sagt man zumindest. Nach Danielas und deinem Verschwinden war er vollkommen aufgelöst. Er hat mit gesucht, so wie wir alle. Nachdem wir dich gefunden hatten, wuchs natürlich unsere Hoffnung, doch von Daniela gab es einfach keine Spur. Sie war weg, wie vom Erdboden verschwunden. Er ist dann mit der Polizei nach Dresden gefahren.“
Anna ließ das letzte Stück von der Mohnschnecke in ihrem Mund verschwinden und deutete dann auf Lindas Kopf. „Tut’s noch weh?“
„Ein wenig, ich hoffe, ich komme bald hier raus. Vor allem, da nächste Woche der Jugendamtstermin ansteht.“
„Ich hab Kevin auf dem Parkplatz getroffen. Er scheint ja plötzlich reichlich besorgt um dich zu sein. Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich mit so viel Fürsorge seinerseits nicht gerechnet.“ Anna schürzte ihre Lippen.
„Was erwartest du? Er ist mein Mann. Ich würde das Gleiche auch für ihn tun.“
„Du ja, aber er?“ Ihre Freundin verdrehte die Augen. „Ich bitte dich Linda, die letzten Jahre hat er sich kaum um dich gekümmert und plötzlich macht er einen auf besorgten Ehemann. Wer soll ihm denn das abkaufen?“ Anna lachte auf und verschränkte ihre Arme. „Das Ganze wirkt ja fast schon so, als hätte er mit der Geschichte was zu tun.“
Linda richtete sich auf. „Was willst du denn damit sagen? Macht er sich verdächtig, nur weil er mich, seine Frau, im Krankenhaus besuchen kommt? Ich glaube, du hast sie nicht mehr alle.“ Unruhig schaute sie Anna an. Ihre Worte trafen einen Punkt, den Linda nicht leugnen konnte. Es stimmte, so besorgt, wie seit einigen Tagen, hatte sie Kevin seit Jahren nicht mehr erlebt.
„Fakt ist, dass er am Anfang keine Minute von deinem Bett gewichen ist. Die ganze Nacht hat er hiergesessen.“ Ihr Zeigefinger schnellte vor und zeigte anklagend auf Lindas Brust. „Ich hab mich zeitweise um Marie gekümmert, weil er ständig ins Krankenhaus wollte und deine Mutter noch nicht da war. Und als sie dich gefunden haben, ist er beinahe zusammengebrochen und hat immer wieder gefaselt, es würde ihm alles so leidtun, er hätte das nicht gewollt. Sie mussten ihn förmlich von dir wegzerren. Frag doch mal die anderen Eltern. Alle werden dir das Gleiche erzählen.“
„Und was willst du mir jetzt damit sagen?“, fuhr Linda nach oben. „Soll ich mich ärgern, dass mein Mann für mich da war? Wäre es dir lieber, mich hätte niemand besucht? Ich danke dir sehr, dass du dich um Marie gekümmert hast. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn du jetzt gehen würdest“, sagte sie betont kühl. Gut, Anna war schon immer ein kleines Lästermaul gewesen, aber das jetzt Gesagte überschritt eine gewisse Grenze.
„Wenn du meinst.“ Anna raffte beleidigt ihre Sachen zusammen. „Aber ich glaube, du solltest langsam mal überlegen, wem du vertraust und wem nicht. Ich wüsste jedenfalls, wie ich mich entscheiden würde.“
Mit einem lauten Knall schlug die Tür hinter ihr zu.