ZEHN

Als ich die Nachttischlampe neben meinem Bett anknipste, sah ich Florian am Fenster stehen. Mit dem Rücken zu mir. Und er drehte sich nicht um.

»Wie ist es bei euch gelaufen?«, fragte ich leise, während ich mir die Schuhe auszog und die Jacke auf mein Bett warf.

Florian antwortete nicht. Er starrte unverwandt aus dem Fenster, als ob er mich nicht gehört hätte.

»Wie lange bist du schon zu Hause?« Ich ging zu ihm hin und wollte den Arm um ihn legen, da drehte er sich plötzlich um und trat zur Seite.

Seine Miene war hart – keine Spur eines Lächelns, keine Erleichterung, dass alles gut gegangen war, schon gar keine Euphorie.

»Warum warst du bei Andreas?« Seine Stimme klang kalt.

Ich runzelte fragend die Stirn.

»Er wollte unsere gelungene Aktion feiern«, antwortete ich langsam. Ich versuchte dahinterzukommen, worüber er sich geärgert hatte.

»Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht?« Insgeheim hoffte ich, dass es so wäre. »Es ist alles gut gegangen.«

Seine Miene wurde kein bisschen zugänglicher.

»Hab ich nicht!«, kam es barsch, fast schon wütend. »Andreas hat sich ja wohl gut um dich gekümmert.«

Ich schaute hinüber zu Andreas’ Fenster. Dort brannte noch Licht, aber die Vorhänge waren inzwischen zugezogen.

»Was habt ihr da miteinander …?«

»Gar nichts haben wir!«, brauste ich auf. Was unterstellte Florian mir da?! »Du hast uns beobachtet, was?«

»Ich?« Er schnappte empört nach Luft. »Du begaffst den Kerl doch andauernd!« Um Mutter und Vater nicht zu wecken, musste er sich zurückhalten, obwohl er vermutlich gern geschrien hätte.

Jetzt war es an mir, nach Luft zu schnappen.

»Ich soll Andreas begafft haben? Wie kommst du auf so einen Blödsinn?«

»Warum liegt dann mein Fernglas auf der Fensterbank? Hast du damit das Muster seiner Vorhänge studiert?« Er nahm das Fernglas und drückte es mir grob in die Hände.

Verblüfft starrte ich es an und versuchte, mir einen Reim auf das Ganze zu machen. Florian hatte mich also bei Andreas gesehen. Durch sein Fernglas, das auf der Fensterbank gelegen hatte. Von dem er glaubte, ich hätte damit Andreas beobachtet.

Langsam hob ich den Blick, konnte aber nur den Kopf schütteln, weil ich keine Worte fand.

Die Arme vor der Brust verschränkt, stand Florian mir gegenüber und wartete. Sein Gesicht lag halb im Schatten, was ihn noch grimmiger wirken ließ.

»Ich habe dieses Fernglas nie benutzt«, brachte ich schließlich heraus. »Und bis heute Abend hatte ich keine Ahnung, dass Andreas gegenüber wohnt. Er hat mich lediglich auf eine Cola eingeladen, weil er zu aufgekratzt war, um gleich schlafen zu können. Dass du schon zu Hause bist, konnte ich nicht ahnen.« Es klang nach einer Entschuldigung, dabei hatte ich absolut keinen Grund, mich zu entschuldigen.

Florian starrte mich immer noch wütend an.

»So glaub mir doch! Warum, um Himmels willen, sollte ich Andreas beobachten?«

»Warum liegt das Fernglas auf der Fensterbank?«

Darauf hatte ich keine Antwort.

»Bitte glaub mir, Florian!« Ich trat einen Schritt näher. Er wich nicht zurück.

»Warum sollte ich Andreas beobachten?«, wiederholte ich.

Er zuckte mit den Schultern, gab aber seine abweisende Haltung auf und stand nun mit hängenden Armen da.

Ich legte beide Hände auf seine Brust. »Zwischen mir und Andreas ist nichts, falls du das denkst. Wir haben lediglich Cola getrunken.

Und dann bin ich nach Hause gegangen, um auf dich zu warten.

Weil ich viel lieber mit dir feiern wollte.« Er bewegte sich nicht, ich spürte nur seine Atemzüge unter meinen Händen.

»Du glaubst mir doch, oder?«

Ein Nicken, fast nicht wahrnehmbar.

Waren nun alle Zweifel beseitigt?

Er maß mich mit einem langen Blick. Gleich würde er sagen, dass er mir glaubte … hoffte ich. Doch stattdessen beugte er sich vor und presste seine Lippen auf meinen Mund.

Ich war wie vom Donner gerührt.

Florian fasste mich sanft um die Taille und zog mich an sich. Dann öffnete er leicht den Mund, und ich erwiderte seinen Kuss. Im selben Moment begriff ich, dass es falsch war, was wir taten – grundfalsch. Es durfte nicht sein. Aber zugleich empfand ich es als richtig, als fast schon selbstverständlich. Ich liebte Florian und genoss seine körperliche Nähe. Er umfasste mich noch fester, und ich legte die Arme um seinen Hals. Eng umschlungen standen wir da.

Dann ließ er mich abrupt los und wich zurück. In seinem Blick lagen Angst und Verwirrung.

»Ich … äh … es tut mir leid«, murmelte er und lief aus dem Zimmer. Ich sah durch die offene Tür, dass er ins Bad ging.

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, suchte nach seinem Geschmack. Mein Herz klopfte wie rasend. Und in meinem Kopf rasten die Gedanken, so schnell, dass ich keinen fassen konnte.

Als Florian wiederkam, hatte ich mich für die Nacht umgezogen und lag bereits. Er ging im Dunkeln zu seinem Bett und legte sich ebenfalls hin. Keiner von uns sprach ein Wort, die Stille lastete schwer im Raum.

»Gute Nacht«, sagte ich schließlich leise.

Als Antwort kam ein Gemurmel, was wohl ebenfalls »Gute Nacht« heißen sollte.

Ich lauschte auf Florians Atem, hörte aber nichts.

Wahrscheinlich, weil er ebenso angestrengt auf den meinen lauschte.

Ich versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. In dieser Nacht war so viel geschehen … zu viel, wenn man es recht bedachte. Der Rausch unserer Aktion hatte uns die Sinne vernebelt. Am Morgen würde ich wieder klar denken können, morgen …