Kapitel 34

Dienstag, 13. September

Der Wind pfiff um die Ecken des alten kleinen Bauernhofs in Tistedal. Oda schloss auf und ging hinein. Sie sperrte das Unwetter aus, schlüpfte aus Mantel und Schuhen und trat in den dunklen Gang. Sie spürte die Kälte der Fliesen durch die dünnen Socken dringen, als sie in die Küche ging. Sie entzündete eine Kerze. Auf der Arbeitsplatte lagen ein Stapel Prospekte sowie eine leere Interessentenliste von der Besichtigung am Vortag. Sie faltete das Blatt und steckte es in die Tasche. Das Umschlagbild des Prospekts war an einem Sommernachmittag aufgenommen worden und zeigte den kleinen Hof aus einer gewissen Entfernung. Die Felder ringsumher waren frisch gepflügt, die Bäume kräftig und grün. So ruhig und ungestört konnte man leben, jedenfalls wenn man eine Viertelstunde von der Innenstadt entfernt wohnen wollte.

Dennoch war der alte Hof sowohl innen als auch außen heruntergekommen, was sich auf den Fotos in dem Prospekt auch nicht verschleiern ließ. Oda sah aus dem Küchenfenster auf die etwa sechshundert Meter lange Zufahrt. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass der potenzielle Käufer sie schon erwartete.

Schnell lief sie durch die Räume unten und im Obergeschoss, schaltete in allen Räumen das Licht ein und ging zurück zum Küchenfenster. Sie wartete auf ein Paar Autoscheinwerfer, die unten an der Kurve auftauchen würden, aber niemand kam. Oda beantwortete ein paar E-Mails, überflog die Onlineausgabe der Lokalzeitung und rief die Wettervorhersage für den kommenden Tag auf. Dann rief sie ihren Lebensgefährten an.

»Unterschrieben?«, meldete er sich.

»Es ist jetzt zwanzig nach, und er hat sich nicht gemeldet. Er kommt nicht.«

»Vielleicht hat er Probleme, den Weg zu finden. Das ist nicht so einfach, wenn man sich nicht auskennt.«

»Meinst du?«

»Er kommt bestimmt noch. Gib ihm Zeit bis halb neun. Wenn du bis dahin nichts von ihm hörst … tja, dann versuch, ihn anzurufen, ja?«

»Seine Telefonnummer war unterdrückt. Und, schläft sie?«

»Ich brauchte nur ein Kapitel vorzulesen. Sie war total müde heute.«

»Ich hab’s gesehen.« Von der Veranda auf der Rückseite des Hauses war ein Geräusch zu hören. »Du, ich muss jetzt auflegen. Wir sehen uns bald. Liebe dich.«

»Und ich liebe dich.«

Sie legte das Handy auf die Arbeitsplatte und trat ins Wohnzimmer. Der Regen peitschte gegen die Fenster. Ein zerbrochener Blumentopf lag auf der Veranda. Oda entriegelte die Tür und schob sie zur Seite. Im Wald gegenüber vom Haus rauschte und heulte es, als ob die Bäume miteinander sprachen. Sie hockte sich in die Türöffnung, reckte die Hand nach den Porzellanscherben, sammelte sie auf und schloss die Tür. Dann ging sie durchs Wohnzimmer in Richtung Küche. Auf dem Boden waren Wasserflecken. Schuhabdrücke.

»Hallo?«, sagte Oda.

Ein Mann kam an der Küchentür zum Vorschein. Er trug derbe Feldstiefel sowie einen Poncho mit Kapuze.

Der Mann zog die Kapuze herunter. Wasser tropfte von ihm herab. Er fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht.

»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen konnten, Oda. Das war wirklich mehr, als ich erwarten durfte.«

»Ich bitte Sie, das ist doch wohl das Mindeste«, erwiderte Oda und trat auf ihn zu. »Ich will das nur schnell wegwerfen.« Sie ging an ihm vorbei und warf die Scherben in den Mülleimer. »Wollen wir dann anfangen?«

»Wissen Sie …«, sagte er und lächelte. »Das klingt nach einer guten Idee.«