Kapitel 37

November 1994
MS Nordlys, Tag 2

Gläser klirrten. Geräusche von Besteck auf Porzellan und das Wirrwarr menschlicher Stimmen ertönten in dem zur Hälfte besetzten Restaurant.

Per nahm die Champagnerflasche aus dem Kühler und füllte die noch halb vollen Gläser auf. »Wenn ich gewusst hätte, dass es sich hier um ein schwimmendes Pflegeheim handelt …«, er sah schnell zu Nathan und fügte hinzu: »… damit meine ich natürlich nicht Sie … Aber dann wäre ich wohl eher zu Hause geblieben.«

Nathan zog zur Antwort eine Augenbraue hoch.

»Dann hätte ich mein Geld für erstklassige Huren in Oslo ausgeben können.«

»In Kirkenes gibt es bestimmt auch russische Huren«, sagte Jaran.

»Bei meinem Glück haben die sicher allesamt Herpes im Schritt.«

»Per«, sagte Terje lachend, »du bist bald ein verheirateter Mann.«

»Bald , ja«, sagte Per und schielte zu seinen beiden Freunden, die weitaus weniger missvergnügt schienen als er. »Ist halt einfacher, Spaß zu haben, wenn es nichts kostet, oder?«

Es war Viertel nach neun. Keines der Gläser auf dem Tisch war auch nur annähernd ausgetrunken worden, bevor auch schon nachgeschenkt wurde. Die drei jungen Männer, die alle nicht älter als dreiundzwanzig sein konnten, hatten bereits einige Biere, zwei Flaschen Wein und anderthalb Flaschen Champagner intus. Nathan hatte seinen Old Fashioned kaum angerührt. Das Eis im Glas war schon längst geschmolzen. Er saß da, hielt seinen Drink in der Hand und warf immer wieder kurze Blicke auf Monica, die andere Gäste bediente.

»Haben Sie für die Reise nichts bezahlt?«

Nathan hatte die Frage an Jaran gerichtet.

»Ich habe zwei Tickets gewonnen«, erwiderte der. »Terje hat eines davon.«

»Und dann wollte Per unbedingt mitkommen«, sagte Terje. »Partytour des Jahres, wie er meinte.«

Nathan lächelte und musterte den Drink in seiner Hand.

Per führte sein Glas zum Mund. »Sie sind also Fotograf?« Er nahm einen großen Schluck. »Sind Sie bekannt?«

Nathan schüttelte den Kopf.

»Aber Ihre Fotos wurden schon in ein paar der großen Magazine abgedruckt? Oder arbeiten Sie für eine schäbige Lokalzeitung?«

»Ich bin Freiberufler.«

»Time Magazine ?« Per rülpste. »Life ? National Geographic ? Sind Ihre Fotos bei denen erschienen?«

»Ja.«

»Bei welchen genau?«

»Bei allen.«

Per runzelte die Stirn. »Im Ernst?«

»Aber es ist schon einige Jahre her. Ich hatte seit 89 eine Pause.«

»Welche Ausgabe von Time

»Abonnieren Sie die?«

»Nein.«

»Warum fragen Sie dann?«

»Wäre nur witzig, das zu sehen. An die Ausgabe ist doch mit Sicherheit irgendwie ranzukommen.«

Eine sanfte Hand senkte sich auf Nathans Schulter. Er sah auf. Monica.

»Brauchen Sie was?«

»Die Jungs hier leisten mir Gesellschaft. Haben Sie die restlichen Bilder aufgenommen?«

»Ja. Vielleicht schauen wir uns die an, wenn meine Schicht zu Ende ist? Es könnte aber spät werden.«

»Ich bin dann noch wach.«

Jaran beugte sich über den Tisch und sah zu Monica hoch.

»Monica … Was muss passieren, dass Sie auch uns einen nächtlichen Besuch abstatten?«

»Das könnt ihr einfach vergessen, Jungs«, sagte Per. »Monica bevorzugt ihre Männer so wie wir unseren Wein. So reif, dass er fast muffig ist.«

»Touché«, sagte Nathan, stellte sein Glas auf den Tisch und erhob sich. »Danke für eure Gesellschaft, Jungs. Wir sehen uns morgen.«

»Aber ganz im Ernst, Monica.« Per richtete sich auf, faltete die Hände auf dem Tisch und beugte sich leicht vor, als säße er in einer Verhandlung. »Was muss passieren, dass Sie – an einem freien Abend – eine kleine Party mit uns feiern?«

»Das wäre wirklich sehr schön, aber leider darf ich das nicht.«

»Aber Nathan …?« Per sah ihn mit strengem Blick an. »Haben Sie ihr schon so strenge Disziplin auferlegt?«

»Ich habe nicht die Erlaubnis, mit Passagieren zusammen zu trinken«, sagte Monica. »Das versteht sich doch eigentlich von selbst?«

Nachdenklich blickte Per in die Luft und sagte dann: »Wir können die Party in unserer Kabine feiern.«

Monica verdrehte die Augen und grinste.

»Sie haben das tollste Lächeln, das ich je gesehen habe«, sagte Terje. »Und das sage ich nicht einfach nur so.«