Kapitel 38

Dienstag, 13. September

Oda erwachte ruckartig und schnappte nach Luft. Als wäre sie lange unter Wasser gewesen und käme gerade wieder hoch. Jemand hatte sie ausgezogen. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt.

Sie hatte die Augen nur für eine Sekunde geöffnet, was allerdings ausreichte, um den ganzen Raum in sich aufzunehmen. Da war ein Etagenbett. Sie lag auf einer Plastikfolie auf dem unteren Bett. Auf einem Tisch an der gegenüberliegenden Wand stand eine brennende Kerze und warf ein schwaches orangenes Licht ins Zimmer.

Oda spürte Tränen auf den Wangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben betete sie zu Gott. Betete darum, aus diesem Albtraum zu erwachen. Dass Lotte bald zu ihr ins Bett springen und Grunzlaute von sich geben würde, während sie sich zwischen ihr und dem Mann herumrollte, der niemals ihr Vater werden könnte, es aber dennoch war.

Oda lauschte ihren galoppierenden Herzschlägen und dem Regen draußen. Sie hielt die Luft an und öffnete erneut die Augen. Vorsichtig bewegte sie die Beine. Sie waren frei. Sie rutschte an die Bettkante vor, stellte die Füße auf den kalten Boden, saß ganz still und versuchte nachzudenken. Wie lange war sie schon hier? Wo war sie? Und noch wichtiger: Wo war er?

Vielleicht war er ja nicht da.

Sie stand auf, ging durchs Zimmer und trat auf die brennende Kerze zu. Die Tür war leicht angelehnt. Der Regen fiel ihr ins Gesicht, als sie den Kopf durch den Türspalt steckte.

Es war eine kleine Hütte. Sie lag mitten im Wald. Nichts als Bäume waren zu sehen. Oda schob die Tür mit dem Fuß weiter auf. Der Regen drang ein. Sie stellte einen Fuß vor die Tür, zog ihn dann aber wieder zurück. Denn vielleicht war das genau das, was er wollte. Vielleicht stand er da draußen in der Dunkelheit und wartete. Sie rückte von der Tür ab. Der Wind schlug sie zu. Das schwache orange Kerzenlicht flackerte.

Es musste hier irgendetwas geben, womit sie ihre Hände befreien konnte. Sie drehte sich um. Und erstarrte. Denn er war gar nicht draußen im Dunkeln. Er saß genau vor ihr. Auf dem oberen Bett.