Kapitel 61

Freitag, 16. September

Irgendwo in der Ferne klingelte es.

Mit verquollenen Augen suchte seine Hand nach dem Ladekabel. Er erwischte es und zog das Handy vom Nachttisch zu sich heran. Das scharfe Licht stach in die Augen. Es war 05:58. Anton Brekke leuchtete ihm entgegen.

Magnus strich mit dem Finger über das Display, schloss die Augen, legte das Handy aufs Kopfkissen und grunzte.

»Ich weiß, wo er ist«, sagte Anton.

»Hä?«

»Du hast gesagt, dass es in der Nähe der Markierung in der Østmarka nicht mal ’ne Holzhütte gibt.«

»Gibt’s auch nicht«, murmelte Magnus.

»Doch, da ist eine.«

»Herrje, meinst du etwa diese Sporthütte? Oder die Hütte von den Pfadfindern? Die ist doch zweieinhalb Kilometer entfernt.«

»Nein, ich rede von der Hütte, die circa fünfhundert Meter von dem See entfernt liegt, an dem sich die Markierung befindet.«

»Wovon redest du?« Magnus setzte sich auf. Im selben Moment fingen die Kopfschmerzen an. Er rieb sich die Augen. Anton sagte irgendetwas, doch das Handy lag noch immer auf dem Kopfkissen. Magnus hielt es sich ans Ohr. »Was hast du gesagt?«

»Warte einen Moment. Ich schicke dir eine Mail.«

Das Handy summte. Magnus rief den Posteingang auf und öffnete die einzige ungelesene Mail. Es erschien ein ellenlanger Link, der etwa zwölf oder fünfzehn Zeilen umfasste. Magnus drückte darauf. Google Maps öffnete sich und zeigte ein Satellitenfoto der Østmarka. Der See mit der Markierung lag rechts im Bild. Die Umgebung sah genauso aus wie am Vormittag aus der Luft. Nichts anderes als Wald. Abgesehen von dem rasierten Feld, das in einem breiten Streifen rechtwinklig zu den Stromleitungen lag, die sich von Søndre Nordstrand über die Østmarka bis hinauf nach Lørenskog zogen. Magnus aktivierte die Lautsprecherfunktion.

»So, wo ist jetzt diese Hütte?«

»Geh so nahe ran, bis der Maßstab unten rechts zehn Meter anzeigt. Entspricht etwa einer Fingerspitze.«

Magnus vergrößerte die Bildansicht.

»Okay.«

»Jetzt geh zum See. Wenn er mitten im Bild ist, gehst du fünfhundert Meter nach Westen.«

»Geht das nicht schneller, wenn der Maßstab größer ist?«

»Tu einfach, was ich dir sage.«

»Okay.«

»Siehst du das Wasser? Fast wie eine Pfütze.«

»Ja?«

»Jetzt dreißig Meter nach Süden.«

Magnus manövrierte sich über die Karte und seufzte.

»Da ist keine Hütte, Anton. Nur Wald.«

»Ich bin noch nicht fertig. Zwanzig Meter nach Westen.«

»Wald, Wald und noch mal Wald. Was haben sie dir letzte Nacht gegeben? Du hast Halluzinationen.«

»Halt den Mund und benutz deine Augen. Das Satellitenfoto, was du da siehst, ist tagsüber gemacht worden. Wo geht die Sonne auf, Torp?«

»Im Osten.«

»Und wenn die Sonne im Osten scheint, wohin werden dann die Schatten geworfen?«

»Nach Westen.«

»Also guck dir den Ort an, den du vor dir auf der Karte siehst. Ich habe fünf Minuten gebraucht, um es zu finden. Aber da du die Karte jetzt genau vor Augen hast, müsstest du es eigentlich in fünf Sekunden erkennen können. Was … passt … nicht … rein?«

Magnus suchte den Bildschirm ab. Lange. Dann sah er es. Aus der Luft wirkte es wie Büsche und Unterholz, aber da, wo alle anderen Bäume lange schmale Schatten warfen, war mittendrin ein viereckiger Schatten auf dem Boden zu erkennen.

»Die ist getarnt …«

»Ja.«

»Weit drinnen«, sagte Magnus, nachdem ihm klargeworden war, dass sie mehrmals über die Hütte hinweggeflogen sein mussten. »Einen Kilometer in den Wald hinein … Das widerspricht dem, was wir früher erörtert haben. Dass sie leicht mit dem Wagen erreichbar sein muss und so weiter.«

»Zoom mal ein Stück raus, Torp.«

Magnus schob die Finger auf dem Schirm zusammen, bis der Maßstab fünfhundert Metern entsprach. Die Entfernung vom Weg bis zum See betrug einen Kilometer, aber bis zu der Hütte waren es nur knapp vierhundert Meter.

»Wieso hast du mir nicht einfach die Koordinaten geschickt?«

»Weil ich wollte, dass du deinen Kopf benutzt.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Die Deltatruppe ist schon benachrichtigt und auf dem Weg von Oslo dahin. Nimm Kontakt mit Hox auf, dann fahrt ihr sofort da hoch. Ich komme nach, so schnell ich kann.«