Anton zog seine Hose zurecht. Die Schmerzen hatten sich von unerträglich zu nur noch stark abgemildert. In der Auffahrt und im Garten standen Streifenwagen und Zivilfahrzeuge.
»Jetzt werde ich wohl von der Abteilung für interne Ermittlungen vernommen«, sagte Magnus. »Weil ich geschossen habe.«
Sie standen in Theo Nyhus’ Küche und sahen durchs Fenster zu, wie Stine Romberg in einen Krankenwagen geschoben wurde. Sie saß aufrecht auf der Trage. Martin Fjeld und ein paar Beamte nahmen neben der Scheune Aufstellung. Einen Augenblick später wurde das Tor zur Seite geschoben. Der Caravelle, den Hox gefahren hatte, erschien in der Türöffnung.
»Formalitäten«, entgegnete Anton. »Du hast das einzig Richtige getan.«
Magnus gab keine Antwort. Sie beobachteten, wie Martin Fjeld und seine Kollegen ihre Taschenlampen einschalteten und den Wagen anleuchteten. Die hintere Tür wurde geöffnet. Jemand lag im Wagen. Drei Uniformierte kletterten hinein und richteten den Strahl ihrer Lampen auf den Toten. Über Magnus’ Funkgerät hörten sie, wie Martin Fjeld der Einsatzzentrale meldete, dass Lars Hox tot aufgefunden worden sei.
»Und dabei hätte Hox es mir gestern am Telefon einfach erzählen können«, sagte Magnus.
»Das wäre nicht das Richtige für ihn gewesen. Er wollte nicht einfach dazu beitragen, diesen Fall zu lösen. Er wollte derjenige sein, der ihn löste.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Ich finde das gar nicht so seltsam. Er hat die letzten zwei Jahre seines Lebens in diesen Fall investiert. Und dabei ist er nicht mal in die Nähe einer Lösung gekommen, auch nicht, als er hier saß und mit Theo Bier trank. Hox wollte nicht nur Gerechtigkeit für Hedda Back und Oda Myhre – er wollte auch Gerechtigkeit für sich selbst.«
Magnus ging ins Wohnzimmer, hob das Bild auf, das auf den Boden gefallen war, als Anton den Tisch umgeworfen hatte. Das Glas war zerbrochen. Anton drehte sich zu ihm und sagte: »Dieser Amerikaner hat es aufgenommen. Theo Nyhus bekam es von ihm, als er ihn im Gefängnis besucht hat.«
»Ach, ja?« Magnus betrachtete das Foto. Der Sprung im Glas zog sich direkt über Monica Nyhus’ Hals. Ihre Zähne waren gerade und kreideweiß. »Sie sieht glücklich aus.«
»Das Gleiche dachte ich auch.«
»Aber …« Magnus warf einen Blick aus dem Küchenfenster. Das Scheunentor war wieder geschlossen worden. Fünf Polizisten standen davor. »Da ist noch was, was ich dir nicht gesagt habe.«
»Nämlich?«
»Ich habe mit Hans Gulland einen Deal gemacht. Ich war so neugierig auf diesen Amerikaner, und ich wusste ja, dass Gulland ziemlich gut ist, was Informationsbeschaffung angeht. Also habe ich zu ihm gesagt, wenn er mir was Nützliches beschaffen könnte, dann würde ich … Oder du und ich …«
Anton seufzte.
»Was müssen wir machen, Torp?«
»Ich habe ihm gesagt, dass wir ihm ein exklusives Interview für seine Website geben, wenn der Fall aufgeklärt ist.«
»Das ist ja gerade geschehen.«
»Ja, deshalb erzähle ich es dir ja auch jetzt.«
Anton stöhnte.
»Da du es ihm versprochen hast, werde ich natürlich dabei sein. Aber bitte lass dir so etwas nicht ein zweites Mal einfallen. Außerdem willst du doch nicht der Polizist werden, der zu allem seinen Senf abgibt, der sich zu allen Zeiten und Unzeiten von der Presse interviewen lässt – oder von so ’ner dämlichen Website, wie Gulland sie betreibt. Benutz die Presse, wenn sie dir was geben kann, und lass nicht zu, dass die Presse dich benutzt. Wenn du erst mal in Pension gegangen bist, wirst du noch hunderte solcher Anfragen bekommen. Da kannst du dann gerne ja sagen, weil es ohnehin keine Rolle mehr spielt, was du von dir gibst.«
»Ich weiß. Tut mir leid.«
»Sag das nicht. Denn in diesem Fall bin ich froh, dass du es nicht besser wusstest. Sonst hättest du zwei Leichen am Flussufer gehabt.«
Magnus lächelte zaghaft. »Ich habe mich nicht getraut, es dir zu sagen.«
»Wie war das? Wie viele Menschen hat dieser Amerikaner getötet?«
»Vier auf jeden Fall. Der Direktor in Huntsville glaubt, es sind noch mehr gewesen. Hoffentlich kann die Polizei in Kirkenes die Sache jetzt lösen. Immerhin haben sie mehr Informationen. Ist doch ein Grund, den Fall neu aufzurollen, oder?«
»Unbedingt.«
»Nichts wäre besser als das. Was wir über Nathan Sudlow herausgefunden haben, kann vielleicht zur Aufklärung eines Mordes beitragen.«
»Ein ermordeter Russe in Kirkenes, 1994 …«, murmelte Anton.
»Ja?«
»Dazu ist nie ein Verdächtiger aufgetaucht?«
»Soweit ich weiß, nicht. Ich glaube, die hatten gar nichts.«
»Mhm. Bis auf einen mysteriösen Amerikaner, der unter falschem Namen allein mit Hurtigruten gereist ist. Derselbe Amerikaner, der viele Jahre später für vier Morde hingerichtet wird. Die bürokratischen Mühlen mahlen langsam, Torp.«
»Du glaubst nicht, dass die das hinkriegen?«
»Die ganze Geschichte stinkt zum Himmel. Ich glaube nicht, dass dieser Mord überhaupt aufgeklärt werden soll.«