Auch wenn ich selbst nicht zugegen war, so habe ich doch eine recht klare Vorstellung davon, wie der Besuch von Rudolph bei seinem Freund Londo in Bürglibach verlief.
Rudolph war ein Zauberer und ein ziemlich mächtiger dazu. Da er äußerst schlau war, war er allgemein als Rudolph der Gewitzte bekannt. Sein hohes Alter hatte ihm den Rücken gekrümmt, sodass er stark nach vorn gebeugt ging. Da deswegen sein spitzer Zaubererhut nicht stolz zum Himmel zeigte, wie es an und für sich gedacht war, sondern beinahe in Gehrichtung, erinnerte Rudolph geradezu verblüffend an einen Haken auf zwei Beinen.
Londo aus der Familie Twock und Rudolph kannten sich schon viele Jahre. Allerdings war Londo kein Zauberer, ja noch nicht einmal ein Mensch. Er war ein Halbling, was bedeutet, dass er halb so groß war wie ein Mensch, halb so stark wie ein Zwerg und halb so schlau wie ein Elb. Jedoch aß er wesentlich häufiger als die Genannten, nämlich zweimal zum Frühstück, zweimal mittags und zweimal zu Abend. Wirklich ausgleichen konnte er damit die erwähnten Unzulänglichkeiten jedoch nicht.
Londo wohnte in Bürglibach. Auf den ersten Blick stellte sich das kleine Dorf dem ortsfremden Besucher als eine auffällig dichte Ansammlung von Hügeln beiderseits eines schmalen, glucksenden Bächleins dar. Ein zweiter Blick offenbarte quietschbunte, kreisrunde Türen und ebenso runde Fenster in den Hügeln, die in Wirklichkeit die Wohnstätten der Halblinge waren. Durch die Türen konnte man sie betreten und durch die Fenster wieder hinausklettern, wenn man das unbedingt so halten wollte. Die Hügel waren von Stollen durchzogen und beherbergten mannigfach Speisekammern, Schlafräume und Wohnzimmer, Küchen, Weinkeller und Gästezimmer. Auf den Hügeln grasten friedlich Schafe und pickten braune Hühner nach Körnern, Würmern und Schnecken. Bisweilen ließ sich ein kleiner Geier zwischen ihnen nieder, um die Schafsköttel feinschmeckerisch zu entfernen. Manchmal schaute auch ein Wiesel vorbei, um etwas Ähnliches mit den Hühnern zu tun.
Fast am Ende des Halblingsdorfes gab es einen Weiher, der von einer Quelle an seinem Grund gespeist wurde und sein Wasser an den bereits erwähnten Bach abgab. Die meisten Menschen hätten Bürglibach als idyllisch bezeichnet. Und tatsächlich war es ein Ort, den man gerne besuchte, aber genauso gerne wieder verließ.
Als Rudolph seinen alten Freund besuchte, saß dieser gerade beim Essen. Er könnte jedoch genauso gut soeben seine lange, bis zum Boden reichende Tonpfeife angezündet oder sich die Locken seiner stark behaarten Halblingsfüße gekämmt haben. Doch bleiben wir der Einfachheit halber dabei: Er nahm das Mittagessen zu sich, und zwar das erste.
Londo begrüßte seinen Besucher freudig: »Zu Diensten, Rudolph! Nimm Platz und falls du gerade hungrig bist, so fülle dir gerne ein Schälchen. Heute gibt es bei mir leckeren Hurlimasch!«
»Ebenfalls zu Diensten, Londo Twock, aber ich habe bereits gespeist«, erwiderte Rudolph der Gewitzte und krallte die Finger unruhig in sein langes, weißes, mit Zaubersymbolen besticktes Gewand. Aus Erfahrung schlau geworden, aber teilweise auch seinem Alter geschuldet, war er stets etwas zurückhaltend, wenn ihn seine nichtmenschlichen Freunde zum Essen einluden. Vorsicht war ihm längst zur zweiten Natur geworden.
»Aber ich will mich gerne zu dir setzen, Londo«, fuhr er fort, lehnte seinen Zauberstab gegen eine Wand und griff nach einem Stuhl, der umgehend unter Gepolter in seine Einzelteile zerfiel. Rudolph zog die Augenbrauen hoch, legte den übrig gebliebenen Teil der Rückenlehne mit einem verlegenen Altmännerlachen beiseite und griff zum nächsten Stuhl. Dessen Zustand war nicht viel besser als der seines Vorgängers. Zwar fiel er nicht sofort auseinander, doch stand für Rudolph den Gewitzten außer Zweifel, dass es nicht sehr schlau wäre, sein Gewicht dem trügerischen Möbelstück anzuvertrauen. Missbilligend blieb er stehen und sah seinem Freund still und vorwurfsvoll beim Essen zu. Londo schien das Gepolter gar nicht aufgefallen zu sein! Zufrieden schaufelte er sich Löffel um Löffel des dunklen Breis in den Mund, den er Hurlimasch genannt hatte und für Rudolphs alte Augen aussah wie ein Gemenge aus rohen Erbsen, gehäckselten Tannenwurzeln und zerquetschten Engerlingen in einer Soße aus Ohrenschmalz.
Plötzlich fiel dem Zauberer auf, dass jedes Mal, wenn Londo den Löffel in sein Schälchen tauchte, die Platte des Esstisches sich schwankend von links nach rechts schob und wieder zurück. Nun platzte Rudolph der Kragen! »Londo aus der Familie Twock! Dein Volk steht im Rufe, handwerklich geschickt zu sein, doch was muss ich bei dir erleben? Das Gegenteil, mein lieber Freund! Ich finde keinen Stuhl, auf den ich mich zu setzen wagte. Dein Tisch schwankt erbärmlich wie Schilf im Sturm, wie ein Blatt im Wind, kurzum, bewegt sich am Rande einer Katastrophe! Leim, Londo! Nägel, Londo! Leim und Nägel! Wohin ich auch schaue, überall in deiner Wohnstatt herrscht an beidem ein arger Mangel! Wie kannst du nur so leben?«
Während dieses Ausbruchs stapfte Rudolph aufgebracht in Londos Speisezimmer umher, wobei er noch vieles entdeckte, das er lautstark beanstanden konnte.
Ich kenne nur zwei Arten von Geschöpfen, denen es nichts ausmacht, wenn man ihnen während des Essens mit schnarrender Stimme vorwurfsvolle Vorträge hält. Die einen sind Halblinge, die anderen Höllenhunde. Der Grund ihrer jeweiligen Gelassenheit ist durchaus unterschiedlicher Natur. Nur so viel: Bei der einen Art hat sie mit stiller Vorfreude zu tun.
Londo der Halbling blieb also gänzlich unbeeindruckt von Rudolphs Predigt. Nachdem er sein feines Hurlimasch verspeist hatte, trug er das Geschirr in die Küche und setzte einen Tee auf. Wieder zurück, wählte er treffsicher einen Stuhl aus, der Rudolphs Gewicht aushielte. Jener ließ sich vorsichtig darauf nieder, nörgelte aber noch eine ganze Zeit lang weiter.
Londo ließ ihn reden. Zufrieden grunzend klopfte er mehrmals auf seinen vollen Bauch, dann stopfte und entzündete er sein Pfeifchen. Rudolph, dessen Grummeln inzwischen etwas seltener und leiser geworden war, ähnlich wie bei einem abziehenden Gewitter, sah darin sogleich einen Anlass für erneutes Aufbrausen.
»Londo aus der Famile Twock!«, sagte er streng. »Habe ich dich nicht oft genug vor den Gefahren des Rauchens gewarnt? Sagte ich dir nicht, dass dieses unselige Laster zu rasselndem Atem, schwerem Keuchen und holprigem Husten führe und obendrein zu ungesund grauer Haut? Weißt du denn nicht, dass es dir die Zähne bräunt und sie morsch macht, bis sie schließlich ausfallen?«
Unerwartet stutzte er: »Was riecht hier eigentlich so seltsam, Londo Twock?«
Diese kurze Unterbrechung nützte Londo für eine bedeutsame Frage: »Rudolph, mein alter Freund, was führt dich eigentlich zu mir?«
Die Miene seines Besuchers wurde sofort ernst, um nicht zu sagen, todernst.
»Gut, dass du fragst, Londo, denn es gibt fürwahr einen wichtigen und dringlichen Grund!«
Er griff in sein Gewand und brachte etwas zum Vorschein, das ihm schon viel zu lange schwer auf dem Herzen gelegen hatte. Bevor er aber noch irgendetwas erklären konnte, fiel er tot um, was nicht sehr schlau war. Doch wie bereits erwähnt, war Rudolph der Gewitzte nicht nur ein mächtiger Zauberer, sondern auch ein uralter.
Genau zur selben Stunde als Londo aus der Familie Twock den alten Freund verlor und mit entsetzt aufgerissenen Augen auf seinen Leichnam starrte, stand ich beim dunklen Herrn Oflugur Madur, oder kurz: Dunkler Herr, wie er sich seit etwa einem Zeitalter nur noch nannte. Gesellschaft leisteten ihm seine drei Trochtvalliri.
Eine solch präzise Zeitangabe legt stets den Verdacht nahe, dass sie nicht ganz der Wahrheit entspricht und vielleicht etwas beschönigt ist. So ist es auch in der Tat, doch klingt es weitaus gewichtiger, als wenn ich erwähnte, dass diese schicksalsschwere Begegnung bereits vier Monate und zweieinhalb Tage zuvor, vielleicht auch eine Woche früher oder später stattgefunden hatte. Bleiben wir also des besonderen dramatischen Effektes wegen einstweilen dabei: Es war nicht nur zur selben Stunde, sondern auch in derselben Minute, ja haargenau in der gleichen Sekunde!
Den Dunklen Herrn stellt man sich am besten als tiefschwarze Wolke vor, in der ein einzelner Funke wie ein Stück glühender Kohle leuchtete. Dieses dunkelrote Glimmen war Überbleibsel einer lange zurückliegenden und wahrscheinlich um ein Haar tödlichen Verletzung. Vermutlich war ein Zauberschwert für die Wunde verantwortlich gewesen oder eine Zauberlanze oder ein Zauberpfeil. Aufgrund meiner langen Existenz als Illurandir erkannte ich jedenfalls sofort, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war und daher verzichtete ich zunächst auf die rituelle Begrüßung. Ich schwieg und widmete mich den drei Trochtvalliri.
Sie sahen aus, als hätten sie die letzten paar Jahrhunderte in einem Salzbett verbracht. Ihren Körpern schien jeder Tropfen Feuchtigkeit entzogen zu sein und ihre rostbraune Haut spannte sich über Dörrfleisch und Knochen. Es gab nichts Rundes mehr an ihnen zu entdecken, nur Ecken und harte Kanten. Ihre Augen waren so tief in den Höhlen versunken, dass der Gedanke, die Hilfe eines Fährtensuchers in Anspruch zu nehmen, um sie zu finden, nicht völlig abwegig erschien. Ihre Lippen waren zurückgezogen, sodass sie ständig die Zähne entblößten, jedoch nicht in einem endlosen Lachen, denn dazu zeigten die Mundwinkel viel zu freudlos nach unten. Sie trugen Rüstungen und auf dem Kopf Helme mit kleinen Kronen und waren mit Schwertern und Geißeln bewaffnet. Alles in allem verströmtem sie einen Furcht einflößenden Dunst vermischt mit ständiger Übellaunigkeit.
Alle drei waren beritten. Die Leiber ihrer Pferde waren mit Schabracken bedeckt, die mit dem Bildnis eines vom Blitz gespaltenen Turms verziert waren, dem alten Wappen der verlorenen Zwillingsstädte Aton Achet und Aton Gror! Auch die Köpfe der Rösser waren fast gänzlich unter Kapuzen verborgen, sodass man im Wesentlichen nur noch Beine, Schweif, Augen, Mäuler und Ohren der Gäule sah. Das reichte jedoch aus, um zu erkennen, dass sie nicht völlig in der Wirklichkeit verankert waren, denn je nachdem, wie man auf sie blickte, ob direkt oder aus den Augenwinkeln heraus, erschienen sie als gewöhnliche Tiere oder als belebte Skelette.
Ein viertes Pferd stand gezäumt und gesattelt, aber reiterlos neben diesen dreien.
Kommen wir nun zu mir. Ich war nicht immer ein Illurandir oder – wie der ungebildete Volksmund völlig unkorrekt daherfaselt – ein Dämon. Ich wurde aus eines Weibes Schoß als Mensch geboren, was man mir noch immer ansieht – größtenteils jedenfalls! Doch irgendwann während meines Lebens tat ich etwas, das zu meiner Zeit als schwere Sünde galt. Ich will nicht weiter darauf eingehen, aber dennoch nicht verhehlen, dass mein damaliges Vergehen heutzutage fast überall als harmlose Schrulle gilt. Doch so ist das Wesen ewiger Verdammnis: Ist man einmal verdammt, so ist man immer verdammt!
Die meisten Beschwörer verbergen ihr geringes Selbstwertgefühl hinter einem Schwall unflätiger Beleidigungen. Kaum ist der Illurandir, Dämon oder Geist erschienen, den sie mit ihrer Zauberkraft herbeigerufen haben, geht es schon los: Gehorche, eklige Ausgeburt der Schattenhöllen, tausendfach Verfluchter, schmieriger Schleimbolzen, wurmiger Kackfladen … bla bla bla ….
Der Dunkle Herr war anders! Wie es einem künftigen Herrscher der Welt gut zu Gesicht stand, verzichtete er auf solche Beleidigungen und schwieg. Jedoch war bei ihm der Begriff »drückende Stille« mehr als nur ein Sprachbild, sodass ich mich rasch geschlagen gab und mich so tief es ging verbeugte. »Nenne deinen Wunsch, Dunkler Herr, damit ich ihn dir erfülle und so rasch wieder verschwinde, als wäre ich nie da gewesen!«
»Diene mir gut, Illurandir, und ich werde dich reich belohnen«, antwortete er. »Ich will dich zu einem meiner Trochtvalliri erhöhen, damit du mir für alle Zeiten dienst und in meinem Namen über einen der dreizehn Stämme der Menschheit herrschen wirst!«
Seine nächsten Worte richtete er an alle. »Der Zauberer Rudolph der Gewitzte stahl, was mir gehört, nämlich das Zepter von Trocht. Er hielt sich für schlau, doch ich will meine dreizehn Knechte entsenden, damit sie es wiederbeschaffen. Also reite ein jeder von euch in eine andere Richtung des Himmels und suche!«
Ich ging zu dem vierten Pferd, das offensichtlich für mich bestimmt war und mich sofort zu beißen versuchte. Da fiel mir etwas auf. »Dunkler Herr, wo sind deine anderen neun Diener?«
»Wir hatten einige Ausfälle, sodass es nötig ist, Lücken zu füllen. Allein deswegen bist du hier«, antwortete er mürrisch, während die Trochtvalliri zornige und reichhaltig variierte Schnarchgeräusche von sich gaben, was wohl ihre Art des Sprechens war. »Nun zögere nicht länger! Finde meinen Feind und entreiße ihm oder demjenigen, dem er es gab, was mir gehört!«
Ich schwang mich auf das Geisterpferd, sah den drei diensteifrig davonreitenden Trochtvalliri hinterher und dachte: Wen immer der Dunkle Herr für die noch freien neun Plätze anwerben würde, es konnte eigentlich nur besser werden!
Wie es sich ergab, stieß ich bald auf Rudolphs Fährte. Ich folgte ihm einige Wochen lang bis nach Bürglibach und wartete außerhalb des Dorfes auf ihn. Sorgfältig plante ich, wie ich mit ihm verfahren wollte, denn schließlich war er ein mächtiger Zauberer! Doch nach ein paar Tagen gelangte ich zu der Einsicht, dass mein Warten sinnlos war. Er würde das Dorf nicht wieder verlassen! Was war vorgefallen? Offensichtlich hatten ihn seine falschen Halblingsfreunde umgebracht, womöglich zerstückelt und irgendwo verscharrt. Bei Letzterem war ich mir nicht ganz sicher, da ich den Eindruck hatte, dass der kleine Geier, der sich fast täglich auf den Hügelhäusern niederließ, von Mal zu Mal fetter wurde!
Mit wenig Mühe fand ich heraus, welches Haus Rudolph zuletzt auf eigenen Beinen betreten hatte, und beschloss, seinem Bewohner einen Besuch abzustatten. Hierbei machte ich von einer Fertigkeit Gebrauch, über die die anderen Diener meines künftigen Dunklen Herrn nicht verfügten: Ich materialisierte samt Pferd in Londo Twocks guter Stube! Eines hatte ich jedoch nicht bedacht. Bekanntlich sind Halblinge nur halb so groß wie Menschen. Völlig naheliegend ist daher, dass auch ihre Wohnräume nicht sonderlich hoch sind.
Jemand anderes hätte womöglich schallend gelacht, wenn von einem Augenblick auf den anderen ein Geisterpferd mit angelegten Ohren, gesenktem Hals und stark gegrätschten Beinen in seinem Wohnzimmer gestanden hätte. Zumal, wenn er dann den Reiter entdeckt hätte, der eingeklemmt zwischen Pferderücken und Zimmerdecke auf seinem Tier hing und dagegen ankämpfte, nicht zerquetscht zu werden. Ich versuchte noch, die Situation mit einem beeindruckend schaurigen Gruß zu retten, doch in meiner gegenwärtigen Lage brachte ich nur ein erbärmliches »Londo Twock, ich bin … chr, chr, chr« heraus. Wie gesagt, jemand anderes hätte es mit Humor genommen, doch Londo fiel zum Glück in Ohnmacht. Das gab mir Gelegenheit, wieder zu verschwinden und ohne Pferd zurückzukehren.
Da Londo noch immer ohne Bewusstsein war, räumte ich den Tisch ab, an dem er gerade sein zweites Mittagessen eingenommen hatte, brühte einen Tee auf, setzte mich zu ihm und wartete. Doch als Londo zu sich kam und mich sah, wurde er augenblicklich erneut ohnmächtig. Das wiederholte sich mehrere Male und der Tee war schon ziemlich kühl, als mein Gastgeber einsah, dass er mir auf diese Weise nicht entkommen konnte. Als feststand, dass er nun ein wenig länger wach bliebe, füllte ich eine Tasse mit Tee, warf mit einer kleinen, silbernen Zange zwei Klümpchen Zucker hinein, rührte mit einem Löffelchen um und reichte sie ihm. Londo starrte mich währenddessen an, als hätte er noch nie jemanden mit Tentakeln statt Armen und Händen und einigen Dornen hier und da gesehen. Sein Verhalten war schon beinahe peinlich! Um die unangenehme Spannung aus der Situation zu nehmen, schlug ich einen leichten Plauderton an: »Ich habe leider keine Kekse gefunden!«
»Zweite Vorratskammer links«, antwortete Londo tonlos. Damit erschien mir der Entspannung Genüge getan.
»Ich weiß übrigens, was ihr Halblinge während der letzten Tage getan habt«, fuhr ich fort. »Ihr habt Rudolph den Gewitzten um die Ecke gebracht, in kleine Würfel zerschnippelt und verfüttert ihn nun schälchenweise an den Geier. Eigentlich ziemlich schlau!«
Londo spie den Tee aus, von dem er gerade genippt hatte, und kreischte: »Nichts davon ist wahr! Rudolph war mein Freund. Er starb, weil er alt war, und wir haben ihn im Feuer bestattet, wie er es sich gewünscht hätte.«
»Der Zauberer starb eines natürlichen Todes?«, fragte ich verwundert. Dieser abwegige Gedanke war mir noch gar nicht gekommen. In den Kreisen, mit denen ich gewöhnlich Berührung hatte, war diese Spielart des Sterbens ziemlich unüblich und vor allem Menschen vorbehalten, die es nie zu etwas gebracht hatten. Doch Londo schien die Wahrheit zu sagen.
»Hat dir der Zauberer vielleicht eine wichtige Mitteilung gemacht?«, erkundigte ich mich.
Londo blickte betreten zu Boden. »Er meinte, ich solle aufhören zu rauchen.«
»Soso, aha«, erwiderte ich. »Hat er dir vielleicht einen geheimnisvollen Gegenstand anvertraut?«
Mein Gegenüber sah mich verständnislos an. »Was für einen Gegenstand denn? Er hat sich sehr aufgeregt, weil meine Möbel etwas wackelig waren und mir dann seinen Hammer geliehen … oder wollte es jedenfalls gerade tun, als er starb. Aber einen geheimnisvollen Gegenstand hatte er nicht dabei.«
Unversehens stieg Londo auf seinen Stuhl, stampfte auf ihm herum, wackelte mit den Hüften und machte ein paar kleine Tanzschritte. Dann kletterte er auch noch auf den Tisch. Seinem Teegeschirr zuliebe verzichtete er auf ähnliche sportliche Übungen und sprang gleich wieder herab.
»Jetzt ist alles wieder wie neu«, verkündete er zufrieden. »Ich habe Rudolphs letzten Wunsch erfüllt und alles in meiner Wohnung frisch verleimt, vernagelt und verfugt.«
»Einen Hammer, sagtest du?«, fragte ich, hellhörig geworden.
Londo senkte die Stimme und erwiderte in vertraulichem Tonfall: »Unter uns: Eigentlich ist es kein guter Hammer, aber man soll über die Toten nichts Schlechtes sagen und einem geschenkten Gaul schaut man auch nicht ins Maul. Er hat ja seinen Dienst getan! Wenn du wünscht, so zeige ich ihn dir. Aber ich muss ihn erst holen, denn jetzt, da ich ihn nicht mehr benötige, benutze ich ihn als Türkeil.«
Er eilte davon und kam alsbald mit einem Gegenstand zurück, der zweifellos das Zepter von Trocht war: schwarz schimmernd, entfernt keulenförmig, an einem Ende hammerkopfartig verdickt und am anderen in einer Spitze mündend, die zweifellos dafür gedacht war, während eines Rituals in lebendes, zuckendes Fleisch gerammt zu werden. Vorsichtshalber brachte ich etwas Abstand zwischen mich und Londo.
»Du kannst ihn ruhig anfassen«, sagte er freundlich, streckte mir das Zepter entgegen und trat einen Schritt auf mich zu. Geschwind wich ich etwas weiter zurück. Londo stutzte und trat abermals näher. Erneut bewegte ich mich rückwärts. Ein verschlagener Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Macht dir das etwa Angst? Macht dir das Angst?«
Feixend stieß er mit dem Zepter nach mir und rief bei jedem Stoß heiser: »Ha! Ha!«
»Angst ist mir unbekannt!«, belehrte ich ihn und achtete darauf, nicht von ihm berührt zu werden. »In deinem ganzen Dorf gibt es nichts, was mir Schaden zufügen könnte. Nichts und abernichts!«
Als hätte ich das Schicksal herausgefordert, traf mich im selben Augenblick ein mörderischer Schlag in den Rücken. Wie sich zeigen sollte, war ich versehentlich auf Rudolphs Zauberstab getreten, der immer noch an der Wand gelehnt hatte!
»Nun hör auf, sonst ist es mit unserer Freundschaft ganz schnell vorbei!«, knurrte ich gereizt, da es mir einige Anstrengung abverlangte, mir den wahrlich höllischen Schmerz nicht anmerken zu lassen.
»Ich habe doch nur Spaß gemacht«, verteidigte sich Londo. »Wer kann denn ahnen, dass du solche Angst vor einem gewöhnlichen Hammer hast?«
»Ich habe keine Angst, doch wenn du mir zu nahe kommst, muss ich dir … den Hammer … abnehmen, so wie es mir mein Dunkler Herr befohlen hat. Die Konsequenzen dürften dir nicht gefallen! O nein!«
»Welcher Dunkle Herr?«, fragte Londo sogleich.
Ich entschied mich für brutale Offenheit: »Hältst du es etwa für Zufall, dass ich nur wenige Tage nach dem Ableben Rudolphs hier erscheine? Ganz gewiss hast du dir schon Gedanken gemacht, warum ich hier bin?«
Ein kurzer Blickt genügte, um mir zu zeigen, dass diese Annahme falsch war.
»Was will denn dein Dunkler Herr mit Rudolphs Hammer?«
»Frage lieber, was geschieht, wenn er ihn erst einmal besitzt. Er wird die ganze Welt beherrschen und auf eine Weise verändern, dass du sie nicht wiedererkennen wirst!«
Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was der Dunkle Herr wirklich vorhatte. Ich ging einfach vom Üblichen aus. Londo schien mir mein Unwissen aber anzusehen, da er kein bisschen beunruhigt war. Ich musste wohl deutlicher werden! Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, diesem Halbling die Schreckensvision einer Welt ohne zweites Frühstück, zweites Mittagessen und zweites Abendessen zu skizzieren, doch dann entschied ich mich für etwas Konventionelleres: eine Welt, deren Himmel durchgehend von schwarzen Wolken bedeckt war, in der auch mittags Zwielicht herrschte, es abwechselnd Asche und Pech regnete und fortwährend ein leises Nagen zu hören war. Die Darstellung geriet mir so gut, dass ich anschließend einige Zeit benötigte, um herauszufinden, in welchem seiner zahlreichen Schlaf- und Gästezimmer sich Londo unter dem Bett verkrochen hatte.
»Ich will den Hammer nicht mehr«, wimmerte er. »Du kannst ihn haben!«
»Wenn ich ihn an mich nähme, dann träte genau das ein, wovor du dich fürchtest«, erinnerte ich ihn. »Londo Twock, nur du kannst diese schlimme Zukunft verhindern und die Welt retten! Also kriech wieder unter dem Bett hervor! Lass uns gemeinsam nachdenken! Vielleicht fällt uns ja etwas Gescheites ein.«
Mit viel gutem Zureden gelang es mir schließlich, Londo wieder in sein Wohnzimmer zu locken. Ich setzte einen frischen Tee auf und da ich nicht wusste, ob es womöglich schon wieder an der Zeit war für seine nächste Mahlzeit, legte ich ein paar Kekse neben die Tasse. Ich wusste ja inzwischen, wo er sie aufbewahrte. Londo hielt mit beiden Händen einen Keks und knapperte lustlos und schweigend an ihm herum. Damit er nicht vergaß, warum wir uns zusammengesetzt hatten, eröffnete ich das Gespräch: »Was könnte man denn wegen dieses … Hammers … unternehmen?«
Mir war durchaus bewusst, dass ich auf einem sehr schmalen Grat wandelte und genauestens auf jedes meiner Worte achtgeben musste. Es gibt schließlich Regeln, an die ich mich zu halten habe. Regeln und Auslegungen.
»Ich will den Hammer nicht, du willst ihn auch nicht, also geben wir ihn jemandem anderen«, schlug Londo vor.
»Aha! Interessant«, meinte ich. »Und wem geben wir das Zep… den Hammer?«
»Jemandem, der eine weite Reise plant. Also keinem Halbling, denn wir reisen nicht gerne. Einem Menschen vielleicht. Einem Händler. Jemandem, der in ein fernes Land will und dort dann den Hammer verkauft oder verliert!«
Ich nickte anerkennend. »Ein sehr guter Vorschlag! Aber stellen wir uns für einen Augenblick vor, der Händler verkauft den Hammer. Der Käufer verkauft ihn wieder und der nächste Käufer ebenfalls und so weiter und so fort … Solange, bis der Hammer wieder hier ist. Was dann? … Das wäre doch nicht gut. Aber vielleicht fällt uns noch etwas Besseres ein.«
Londo grübelte. »Wir vergraben den Hammer ganz tief in der Erde, wo ihn niemand finden kann.«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag«, lobte ich ihn. »Doch stellen wir uns nun vor, einige Zwerge kämen vorbei. Wie du weißt, graben sie bei ihrer Suche nach Gold und Silber allerorts ihre Stollen wie Maden im Käse und manches Mal legen sie dabei etwas frei, was besser begraben bliebe. Bestimmt hast du von den Zwergen von Dvergaria und dem Drachen Ambrosius gehört? Tausend Jahre lang schlief er friedlich unter dem Berg, bis ihn die Zwerge mit ihrem Buddeln aufweckten. Einmal wach, war er dann nicht mehr ganz so friedlich und die Geschichte endete auch etwas traurig für die Zwerge. Immerhin haben sie danach niemals wieder jemanden im Schlaf gestört. Übrigens eine recht interessante Moral, wenn man es aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet.«
Londo schüttelte mit furchtsam aufgerissenen Augen den Kopf.
»Man kann nicht alles kennen«, tröstete ich ihn. »Was fällt uns denn sonst noch ein, was wir mit dem Hammer anstellen könnten?«
»Ich hab’s!«, rief er erfreut. »Wir verstecken ihn an einem Ort, wo ganz bestimmt keine Zwerge hinkommen. Wir werfen ihn in einen tiefen See!«
»Schlau!«, erwiderte ich anerkennend. »Sehr schlau. Das löst zweifellos das Zwergenproblem. Aber stellen wir uns nun vor, ein Fisch verschluckte den Hammer und jemand angelte danach den Fisch?«
Londo hob lachend das Zepter in die Höhe. »So große Fische gibt es überhaupt nicht.«
»Natürlich gibt es so große Fische«, belehrte ich ihn. »Warum denn nicht?«
»Weil es sie nicht gibt!«
»Aber klar gibt es sie!«
»Auf keinen Fall!«
Da ich keine Zeit mit einem läppischen Streit vertrödeln wollte, beschwor ich kurzerhand das Trugbild eines Weißen Hais in Londos Wohnstube. Eines sehr hungrigen Weißen Hais! Londo gab ein kurzes Quieken von sich und war so schnell verschwunden, dass ich mir einen Augenblick lang unsicher war, ob ich mich vielleicht vertan und kein Trugbild herbeigerufen hatte, sondern einen echten Hai. Da ich mich mittlerweile einigermaßen in Londos Wohnung auskannte, fand ich ihn sehr viel schneller als beim letzten Mal.
»Komm unter dem Bett hervor, Londo Twock«, forderte ich ihn auf. »Wir haben Wichtiges zu bereden.«
»Ist der Fisch weg?«, antwortete mir ein zaghaftes Stimmchen.
Ich schlug einen versöhnlichen Ton an. »Er war überhaupt nicht wirklich da! Wo denkst du hin? Dem armen Tier wäre ein Besuch bei dir sehr schlecht bekommen. So ein Hai muss doch schwimmen. Er muss ständig schwimmen! Schwimmen! Aber wie du jetzt weißt, gibt es wirklich sehr große Fische. Ganz nebenbei: Es gibt auch verdammt große Angler! Nun komm wieder zurück. Zweifellos werden wir noch mehr hervorragende Einfälle haben.«
Londo tat sich etwas schwer mit der Rückkehr in sein Wohnzimmer und sah sich sehr gründlich um, bevor er wieder am Tisch Platz nahm. So als befürchtete er, der Hai könne sich hinter einer Truhe oder einer Vase versteckt halten.
Ich ließ Londo Gelegenheit, wieder zu sich selbst zu finden. Friedliche Stille kehrte in sein Hügelhaus ein und eine ganze Zeit lang hörte man nichts außer seinem Schlürfen des Tees, dem Knarren unserer Stühle und einem gelegentlichen Schmatzen, wenn ich spielerisch einen der Saugnäpfe meiner Fangarme vom Tisch löste.
Urplötzlich brüllte Londo: »Ich hab’s! Wir machen den Hammer kaputt!« Ohne ein weiteres Wort schleuderte er das Zepter gegen die nächste Wand. Erwartungsgemäß trug es keinen Kratzer davon. Von der Wand konnte man das nicht behaupten. Doch so leicht gab sich Londo nicht geschlagen! Er rannte mit dem Zepter aus der Wohnung und bald darauf hörte ich in der Ferne lautes Hämmern. Es gab also auch einen Schmied in Bürglibach!
Ich war froh, Londo endlich auf die richtige Fährte gebracht zu haben. Er war eben ein Halbling! Ein Mensch wäre vermutlich viel früher zu dem Entschluss gelangt, den unerwünschten Gegenstand zu zerstören. Es wäre vielleicht nicht sein erster Gedanke gewesen, aber spätestens der zweite, gleich nach dem, das Zepter zu behalten, um selbst von seiner Macht Gebrauch zu machen.
Nach zwei Stunden kehrte Londo zurück. Wirklich verwundert war ich nicht, dass das Zepter noch immer unbeschädigt war.
»Man kann den Hammer nicht zerstören«, behauptete Londo.
»Wir können ihn nicht zerstören«, verbesserte ich ihn. »Aber vielleicht fällt uns jemand ein, der uns dabei behilflich sein könnte?«
»Rudolph hätte sicher eine Antwort gewusst!«, erwiderte er niedergeschlagen.
Dem wollte ich nicht widersprechen. Ganz bestimmt sogar hatte Rudolph der Gewitzte einen schlauen Zaubererplan ausgeheckt. Doch leider hatte er es vorgezogen, tot umzufallen, bevor er ihn enthüllen konnte!
»Das hilft uns jetzt nicht weiter«, antwortete ich. »Wer fällt uns denn noch ein, abgesehen von Rudolph?«
»Elben«, rief Londo aus. »Sie sind sehr schlau und können uns sagen, was wir tun müssen!«
»Ja, Elben sind sehr schlau«, stimmte ich zu. »In der Regel sogar schlauer, als gut für sie ist. Doch gibt es in dieser Gegend überhaupt Elben?«
»Es gibt den Elbenwald, einige Tagesmärsche entfernt.«
»Und du warst dort schon einmal, Londo?«
»Nein, aber jedes Kind weiß, dass im Elbenwald die Elben wohnen! Warum hieße er sonst so?«
Die Richtung, in der sich unser Gespräch entwickelt hatte, gefiel mir überhaupt nicht! Denn kurz gesagt, gibt es gewisse Animositäten zwischen Elben und Angehörigen meiner Art. Doch da die Auswahl möglicher Ratgeber und Gehilfen begrenzt schien, fand ich mich schweren Herzens mit einer Reise zum Elbenwald ab.
»Am besten brechen wir gleich morgen in aller Frühe auf«, schlug ich vor.
»Das geht auf keinen Fall!«, widersprach Londo heftig. »Kein Halbling verreist, ohne zuvor ein Fest auszurichten und das ganze Dorf dazu einzuladen! Selbstverständlich schwingt dabei die Hoffnung mit, dass er während des Festes wieder zur Vernunft kommt und zu Hause bleibt. Aber so ist es nun einmal Brauch.«
»Kein Fest!«, entschied ich. »Niemand darf von meiner Anwesenheit und unserem gemeinsamen Vorhaben erfahren.«
»Wieso?«, erwiderte Londo streitlustig und stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Ist dir die berühmte Fabel von der toten Ratte ein Begriff?«, antwortete ich. Doch was fragte ich überhaupt noch? Londo kannte die Fabel natürlich nicht! Also erzählte ich sie ihm kurz.
»Es war einmal eine tote Ratte. Nacheinander kamen zu ihrem Leichnam Mutter Ameise und Mutter Grille, Gevatter Fuchs, Gevatter Rabe und Gevatter Igel. Die Ameise wollte die Ratte fressen. Der Fuchs wollte die Ratte ebenfalls fressen und auch der Rabe wollte ein Stück von ihr abhaben. Der Igel gab sich bescheiden mit der Grille zufrieden. Und die Moral von der Geschichte: Es gibt immer eine Ameise, einen Fuchs und einen Raben und die Grille wäre dem Treffen besser ferngeblieben.«
Das überzeugte Londo. Am nächsten Morgen schlich er sich unbemerkt aus Bürglibach davon. Die Sonne war gerade über den Horizont gekrochen, hatte aber den Nebel über dem namensgebenden Rinnsal noch nicht vertreiben können. Tau hing schwer an den Gräsern.
Ich erwartete meinen Gefährten außerhalb des Dorfes. Da mein Pferd keinerlei Notiz von ihm nahm und zufrieden damit schien, wenn es hin und wieder nach mir schnappen konnte, hätten wir sogar gemeinsam auf ihm reiten können. Theoretisch jedenfalls. Doch solche Nähe wäre mir fahrlässig erschienen, und ich hatte auch den Eindruck, dass Londo meinem Reittier nicht traute, da er während der ersten Stunden immer wieder schnell den Kopf zu ihm wandte, um es anzustarren.
Wir reisten tags und rasteten nachts. Ich wählte unseren Weg mit Bedacht und ohne ausführliche Erklärungen abzugeben, da ich meinen Gefährten nicht mit der Eröffnung verschrecken wollte, dass es gleich mehrere Parteien gab, denen ich wegen aktueller oder vergangener Anlässe nicht unbedingt über den Weg laufen wollte. Völlig überraschend für mich war, wie leicht er es hinnahm, einige seiner Doppelmahlzeiten ausfallen lassen zu müssen. Ich hatte mit erheblichem Widerstand gerechnet! Einzig auf sein abendliches Pfeifchen wollte er nicht verzichten.
»Erst wenn mein feines Tabakskräutlein im Pfeifenkopf glimmt und überall blaue Ringe schweben, fühle ich mich so richtig wohl!«, pflegte er zu sagen.
Tabak – na ja! In Wirklichkeit war sein feines Kräutlein eine raffinierte Mischung aus Bilsenkraut, Mutterkorn und einigen speziellen Pilzen der Umgebung, verfeinert mit zermahlener Muskatnuss und zerkrümelten Eukalyptusblättern. Ich ließ Londo jedoch in dem Glauben, sein kleines Geheimnis nicht durchschaut zu haben, zumal er beim Rauchen oft schwermütig wurde, wenn ihm wieder einfiel, welche Vorhaltungen ihm Rudolph deswegen gemacht hatte. Man kann jedoch sagen, dass wir beiden Gefährten, als wir am fünften Tag unserer Reise den Elbenwald erreichten, ganz gut zusammengewachsen waren.
Den Elbenwald umgab eine mächtige Aura, die jeder, der feinfühlig genug war, schon aus einigen Meilen Entfernung spürte. Man konnte ihn nur zu gewissen Stunden betreten, die sich wie Ebbe oder Flut von Tag zu Tag änderten. Außerhalb dieser Zeiten gelangte man lediglich in einen sehr finsteren und dichten Wald, in dem man vergeblich nach Elben suchte.
Wir warteten am Ufer eines breiten, aber höchstens knietiefen Flusses, auf dessen gegenüberliegender Seite der Wald begann. Da Londo auf sich allein gestellt sein würde, schärfte ich ihm noch einmal ein, dass er »den Hammer« auf keinen Fall aus den Händen geben durfte, selbst wenn der Häuptling oder die Häuptlingsfrau der Elben – oder wie immer sie sich schimpften – es persönlich von ihm verlangten. Es verstand sich von selbst, dass er von meiner Anwesenheit nichts verraten durfte und sich auch keine zusätzlichen Begleiter aufschwatzen lassen sollte. »Danke, ich bin völlig zufrieden«, sollte er auf Vorschläge solcher Art antworten.
Die Stunde unserer Trennung kam kurz nach Londos zweitem Frühstück. Ich begleitete ihn bis zur Mitte des Flusses. Ab hier musste er alleine weiter! Mutig stapfte er durch das gurgelnde Wasser, in dem vereinzelt Lachse sprangen, und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen, zwischen den Bäumen. Ich blickte dem kleinen Burschen noch eine Weile hinterher. Gerade wollte ich mein Geisterpferd wieder zum Ufer lenken, als ein Brausen, Rascheln und Seufzen ertönte, das mit jedem Augenblick lauter wurde und näher kam. Eine bleiche Flut schwappte heran, begierig, mich zu verschlingen!
Hunderte von Elben brachen aus dem Wald heraus und stelzten ungelenk auf mich zu! Bei vielen entdeckte ich Bisswunden an den Wangen, Lippen oder am Hals, manchen fehlten Haare und Skalp, ein Arm oder Teile des Brustkorbs. Sie gaben Geräusche von sich, die mich stark an meine drei künftigen Mitherrscher über die Stämme der Menschen erinnerten, und waren allesamt tot. Wenn Londo diesen Gestalten in die Hände fiele, so wäre es mit ihm aus und vorbei! Trotz dieser Befürchtung zögerte ich, meinem Gefährten umgehend zu Hilfe zu eilen. Doch dann wurde mir bewusst, dass ich von diesen Elben und ihrem Elbenwald nichts mehr zu befürchten hatte. Jemand hatte gründliche Arbeit geleistet!
»Ho!«, rief ich und trieb das Pferd mitten in die Schar der untoten Elben hinein und auf den Wald zu. Anfänglich kam ich noch ganz gut voran, doch dann wurden es einfach zu viele. Sie klammerten sich in Trauben an das Pferd, wurden mitgeschleift, gerieten unter seine Hufe und ließen dennoch nicht ab. Immer mehr von ihnen strömten herbei, bissen und kratzten mich, was ohne Auswirkungen blieb, denn einem Illurandir konnten sie nichts anhaben. Auch mein Geisterpferd hätte ganz gelassen bleiben können, doch stattdessen beschloss es zu denken. Dabei folgte es einer einfachen Logik: Es war in eine Lage geraten, die ihm nicht gefiel. In diese Lage hatte es sein Reiter gebracht. Also war es angebracht, den Reiter zu bestrafen!
Ich hatte geduldig ertragen, von zahllosen untoten Elben betatscht zu werden, doch dass mich nun mein Pferd biss, und zwar schmerzhaft, war einfach zu viel! Verärgert riss ich dem unleidigen Biest den Kopf ab und schleuderte ihn so weit weg, wie ich konnte. Das hatte es nun davon! Die untoten Elben – offenbar aufgeschlossen für alles Neue – schlurften und hinkten ihm sogleich hinterher, und endlich tat der Pferdekopf, was er schon die ganze Zeit hätte tun sollen: Er biss die Elben!
Ein Geisterpferd kann man auf diese Weise nicht töten. Ich will aber anmerken, dass das meinige anschließend sehr viel umgänglicher war, womit wieder einmal bewiesen wäre, dass aller Ärger häufig vom Kopf ausgeht. Allerdings stolperte es nun ständig oder stieß irgendwo an!
Der Elbenwald war zwar geschändet, doch immer noch verzaubert, sodass es mir leichtfiel, dem Ruf des Zepters zu folgen, in dessen Nähe sich hoffentlich auch mein Gefährte aufhielt. Außerhalb des Waldes war es Vormittag gewesen, doch im Elbenwald herrschte ständige Nacht. Eine helle Nacht, denn jeder Baum und jeder Busch leuchtete silbern und am Himmel blinkten und funkelten mehr Sterne, als es nachweislich gab. Was soll man dazu sagen? Angeberische Elbenmagie eben!
Ich gelangte zu einer Lichtung, in deren Mitte sieben Linden wuchsen, deren Stämme so ineinander verschlungen waren, dass zwischen ihnen eine Grotte entstand. Ein goldenes Licht strahlte aus ihr heraus und beleuchtete eine scharf abgegrenzte Kreisfläche um die Baumgrotte herum. Innerhalb des Kreises lagen mehrere Skelette, in deren Knochen Paare von Pfeilen steckten: in den Augenhöhlen, im Brustkorb und im Becken. Auf dem Kreisrand entdeckte ich zwei sehr bemerkenswerte Exemplare toter Elben. Der Teil ihrer Körper, der sich innerhalb des Kreises befand, war vollständig skelettiert, während der andere Teil, der außerhalb lag, noch immer von verrottendem Fleisch bedeckt war. Es war nur zu offensichtlich, dass es für mich oder das Pferd sehr schädlich wäre, den Kreis zu betreten!
Ich rief laut: »Londo Twock, bist du hier?«
»Ja«, ertönte seine Stimme, aber er zeigte sich nicht.
»Was machst du gerade?«, fragte ich misstrauisch.
»Ich blättere in einem Buch.«
»In was für einem Buch denn?«
»Weiß ich nicht. Ich kann nicht lesen.«
»Ist jemand bei dir oder ist sonst noch etwas in der Grotte?«
»Beide Mal nein«, ertönte es.
Der Schluss lag nahe: So gut wie das Buch beschützt war, musste es etwas Wichtiges enthalten!
»Dann zeige dich und bringe das Buch mit. Ich kann nämlich lesen und ich glaube nicht, dass wir hier noch jemanden finden, den wir um Rat fragen könnten.«
Zaghaft trat mein Gefährte ins Freie. In seinen Händen hielt er ein Buch mit einem Einband aus Rosenblättern. Mit einem ängstlichen Blick auf die Skelette fragte er: »Wer hat das alles angerichtet?«
»Vermutlich Der Nekromant«, erklärte ich bereitwillig. »Bevor du weiterfragst: Der Nekromant ist in der Regel ein momentan noch völlig unbedeutender Nekromant, der sich zu Höherem berufen fühlt. Weltherrscher, Mann hinter dem Thron und so weiter! Die Untoten erschafft so ein Gernegroß bloß, um das Befehlen zu erlernen. Am Anfang sagt er noch: Geh und beiß! Sobald er darin Übung hat, wagt er sich an weniger offensichtliche Beeinflussungen heran, wie etwa: Wäre es nicht eine schöne Idee, ihr Untoten, diesen oder jenen zu beißen? Wer in der Zukunft eine Graue Eminenz sein will, kann schließlich nicht sagen: König, beiß! Oder: König, mach Krieg! … In meinen Kreisen sind diese Gestalten berüchtigt.«
»Dein Pferd hat keinen Kopf mehr«, unterbrach Londo meine lehrreichen Ausführungen.
»Ja, ist mir auch schon aufgefallen«, erwiderte ich. Aber ich hatte nun auch eine Frage: »Liegt in der Grotte Sand?«
Londo verneinte. »Warum fragst du?«
Ich deutete auf sein Buch, aus dem etwas herausrieselte. Verwundert klappte es Londo auf und begann sogleich heftig zu husten, als eine Staubwolke aufstieg. Ich begriff, was vorging, und rief: »Londo, zurück in die Grotte! Das Licht zerstört das Buch!«
Wieselflink rannte er zurück. »Hat es argen Schaden genommen?«, fragte ich ihn.
Eine Antwort erhielt ich erst nach einem ausgiebigen Hustenanfall. »Eine Seite ist noch übrig.«
Ich verfluchte mich. Mein eitles Verlangen, Wissen und Bildung meines Gefährten auf dieser Zepterqueste zu bereichern, hatte mich einen Fehler begehen lassen, den ich vielleicht noch lange bereuen würde! Es stand jedoch zu viel auf dem Spiel, um jetzt aufzugeben.
»Du kannst die Worte zwar nicht lesen, Londo, aber du kannst mir beschreiben, wie sie aussehen«, sprach ich.
»Das kann ich«, bestätigte er. »Mit welchem soll ich denn anfangen?«
»Mit irgendeinem, das dir auffällt. Von da an machen wir dann weiter.«
»Also gut«, stimmte er zu. »Ich sehe eine Schlange, einen langen Strich mit drei kurzen Strichen, einen Stab, einen langen Strich mit einem kurzen Strich, nochmals einen langen Strich mit drei kurzen und zwei Becher.«
Zusammen ergab das S-E-I-L-E-U-U – und gleichzeitig auch sehr wenig Sinn. Das war weder ein Wort noch ein elbischer Name. Ich hatte noch nie von einem Elben namens Seileu-u gehört! Also bat ich Londo, das Wort nochmals zu beschreiben. Vielleicht hatte er etwas ausgelassen? Doch diese Hoffnung trog, denn er wiederholte genau das, was er zuvor gesagt hatte. Ich dachte nach und kratzte dabei »SEILEUU« in den Boden. Was sollte das denn bedeuten? Urplötzlich kam mir ein waghalsiger Verdacht.
»Londo, was geschieht, wenn jemand Wasser in die beiden Becher gießt?«
Londo lachte. »Es fließt heraus und er wird nass.«
»Die Becher sind wohl umgekippt? Liegen sie auch übereinander?«
Londo bestätigte beides. Nun klärte sich alles von alleine. Die beiden Us waren keine Us und auch das vermeintliche L war wohl doch ein T. Alles zusammen ergab somit: SEITE 3.
Es wäre wohl zu viel erwartet gewesen, hätten wir schon beim ersten Versuch etwas Brauchbares herausgefunden. Doch da an der Herangehensweise nichts auszusetzen war, hieß ich Londo, sich ein weiteres Wort vorzunehmen. Nach einiger Zeit waren wir ganz gut aufeinander eingespielt. Wie sich zeigte, war es nicht nötig, jedes Wort zu entschlüsseln, um zu verstehen, was auf den beiden Seiten geschrieben stand. Vor allem auf die kurzen Wörter konnte man oft verzichten. Warum das Buch so gut beschützt gewesen war, erfuhren wir zwar nicht, doch die erhalten gebliebenen beiden Seiten erzählten eine Geschichte, die unserer ähnelte!
Sie handelte von einem Reiter, bei dem Londo und ich uns nicht einig werden konnten, ob er – wie Londo meinte – häufig kopflos handelte oder gar keinen Kopf besaß, wie es mir stimmiger erschien. Dieser Reiter hatte die Elben mit einem geheimnisvollen »bösen Ring« aufgesucht, den er zu vernichten trachtete. Die Elben hatten ihn laut eigenen Angaben »sehr gut beraten«, worauf er am nächsten Tag aufgebrochen war zum …
Was nach »zum« kam, hatte leider auf Seite fünf gestanden, die unwiederbringlich zu Staub zerfallen war. Niemand würde es je erfahren! Wir waren also an einem einzigen, fehlenden Wort nach diesem verhängnisvollen »zum« gescheitert und Schuld daran trug unser fahrlässiger Umgang mit dem Elbenbuch! Allerdings könnte man anführen, dass der elbische Chronist ruhig etwas straffer und weniger schwatzhaft hätte formulieren können. Schon eine einzige eingesparte Zeile hätte uns vor der Niederlage und die ganze Welt vor künftiger Tyrannei, Knechtschaft und Leid bewahrt!
»Sicher haben wir noch mehr gute Einfälle!«, versuchte ich, meinen Gefährten aufzumuntern. Vergebens! Denn während wir wachsam zum Waldrand marschierten, quälte er sich mit Aufzählungen wie: zum See, zum Fluss, zum Gebirge, zum Tal.
»Immerhin können wir eine Höhle ausschließen!«, stellte er zufrieden fest. »Zur Höhle!«
»Zum unterirdischen Labyrinth«, wandte ich sogleich ein.
Derweil bereitete mir das Geisterpferd nur noch Ärger! So oft stolperte es oder rannte gegen ein Hindernis, dass ich an einen Zufall nicht mehr glauben wollte. Zumal nachdem ich eben erst von einem gleichfalls Kopflosen erfahren hatte, der mühelos zu den Elben gefunden hatte und anschließend schnurstracks – und ohne zu stolpern! – zum unbekannten »Zum« aufgebrochen war. Doch wer weiß, womöglich war auf den folgenden Seiten zu lesen gewesen, dass der Reiter im Kreis ging und alle zwei Tage wieder bei den Elben vorsprach?
Als wir den Wald verlassen und den Fluss überquert hatten, gab ich mich geschlagen und sprach zu meinem Gefährten: »Londo Twock warte hier auf mich, denn ich muss noch einmal zurück in den Elbenwald. Solange der Gaul seinen Kopf nicht wiederhat, gibt er ja doch keine Ruhe. In meiner Abwesenheit meide Elben! Vor allem die, die etwas hilfsbedürftig erscheinen.«
Ich fand den abgerissenen Kopf schon nach kurzem Suchen auf einem stattlichen Haufen gründlich durchgekauter und nun nicht mehr ganz so untoter Elben. Ein Ausdruck glücklicher Bösartigkeit lag auf seinem langen Pferdegesicht. Zwischen seinen Kiefern steckte noch immer ein einzelner Arm. Ich zog ihn aus seinem Maul heraus und sofort fiel mir auf, dass er erstaunlich warm war für den Arm eines Untoten! Anscheinend hatte das Pferd noch einen lebendigen Elben vorgefunden! Ich blickte mich um, entdeckte aber keine Überreste, die zu dem Arm passten. Dann bemerkte ich etwas anderes: Die tote Elbenfaust hielt etwas umschlossen! Ich bog die klammen Finger zurück und stieß auf ein zusammengeknülltes Blatt Elbenpapier. Ich entfaltete es und konnte es kaum glauben, als sich herausstellte, dass es sich dabei um die verloren geglaubten Seiten fünf und sechs des zerfallenen Buches handelte! Manchmal lohnt es sich eben doch, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.
Selbstredend kamen mir viele Fragen in den Sinn. Konnte es einen solchen Zufall geben? Warum hatte der Elb ausgerechnet diese Seite aus dem Buch gerissen? Wieso zerfiel das Blatt nicht im Licht – und etliche andere. Die meisten beantworteten sich beim Lesen. Unserem kopflosen Reiter waren nur noch drei Zeilen gewidmet. Der nächste Eintrag begann mit einer umfangreichen Liste von Zutaten für einen Zauber zur Abwehr von Untoten. Die hatte der einstige Besitzer des Armes also zusammentragen wollen!
Im Grunde war das doch recht erheiternd, da ich die komplizierte Liste im Maul einer einzigen Zutat gefunden hatte, die ganz erheblich zur Eindämmung des Untotenproblems im Elbenwald beigetragen hatte.
Ich kehrte zu Londo zurück und zeigte ihm schon von ferne, was ich gefunden hatte. Im Sonnenlicht zerfiel das Blatt zwar umgehend, aber das machte nichts mehr, da ich ja wusste, was darauf gestanden hatte. Während ich dem Pferd wieder den Kopf auf den Hals setzte, fragte ich: »Londo Twock, ist dir Funkensattel ein Begriff? Dort wollte der kopflose Reiter den Ring zerstören.«
»Aber ja«, sagte er. »Ich habe schon als Kind von ihm gehört. Es ist ein Feuer speiender Berg, der vor allem nachts schaurig anzusehen ist.«
»Magma, das heiße Blut der Erde«, antwortete ich. »Darum geht es also! Wo ist der Berg?«
»Nördlich von Bürglibach soll er sein, etwa sieben Tagesreisen entfernt. Wenn ich jetzt wüsste, in welcher Richtung mein liebes Bürglibach liegt, könnte ich dir genau sagen, wo du ihn findest.«
»Keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Ich weiß, wohin wir müssen.« Tatsächlich waren wir schon ganz richtig, denn vom Elbenwald aus konnten es allenfalls noch vier Tage bis zum Feuersattel sein.
Londo hatte dem Geisterpferd von Anfang an nicht über den Weg getraut. Inzwischen hatte er gelernt, dass es auch ohne Kopf zurechtkam und sich das Vorhandensein oder Abhandensein dieses Körperteils nicht auf seine Existenz, sondern allenfalls auf seine Stimmung auswirkte oder den Grad seiner Renitenz. Das machte ihm zu schaffen! Während wir dem feurigen Berg näher und näher kamen und damit auch dem Ende unserer gemeinsamen Queste, wurde er zunehmend bedrückter. Ich versuchte, ihn mit unterhaltsamen Wissensfragen aufzuheitern. »Wusstest du, dass Hunde die besten Freunde sind, Londo Twock? Menschen haben ein eigenes Sprichwort, um ihr Verhältnis zu Pudeln, Pinschern und Teckeln zu beschreiben. Der Hund ist des Menschen bester Freund! Dasselbe gilt aber auch für Seehunde und ihr Verhältnis zu Nixen und Wassermännern! Auch mit Flughunden ist sehr gut Kirschen essen, vor allem, wenn man selbst einer ist. Möglicherweise gibt es nur eine einzige Ausnahme: Höllenhunde! Niemand hat je herausgefunden, wessen bester Freund sie sind.«
Besserung brachte das leider nicht!
Zwar schwebte keine Rauchfahne über dem Funkensattel, doch dem kundigen Betrachter erschloss sich seine Natur sofort. Er war ein Kegelberg, der sich einsam aus der Landschaft erhob. Wir erkletterten ihn, wobei ich den Kraterrand als Erster erreichte, da Londo nicht ganz bei der Sache war. »Londo Twock«, rief ich von oben zu ihm hinab. »Wer hat dir von dem Feuerberg erzählt?«
»Mein Großvater!«, antwortete er keuchend.
»Und woher hat dein Großvater die Geschichte?«
»Von seinem Großvater!«
»Und wer erzählte sie dem Großvater des Großvaters?«
»Sein Großonkel!«
»Man kann also sagen, dass schon lange kein Twock mehr in dieser Gegend war?«
»Das will ich meinen! Reisen ist bei uns nicht sehr angesehen, denn Reisende erzählen oft seltsame Geschichten, die ihnen niemand glaubt.« Der Rest seiner Worte, der etwas mit Pferden zu tun hatte ging in Genuschel unter.
Bald darauf war auch er oben angekommen. Atemlos und schweißüberströmt blickte Londo in den Krater und sah, was ich etwas früher entdeckt hatte: ein kreisrundes, saftiggrünes Tal mit Blumen, Sträuchern und jahrhundertealten Bäumen und einem glasklaren See, in dem sich das Regenwasser vieler Jahre gesammelt hatte. Dieser Vulkan hatte sein wildes Wüten schon vor langer Zeit eingestellt!
»Ein See! Genau das, was ich nach diesem beschwerlichen Aufstieg brauche«, rief Londo erfreut, kletterte eilig die Kraterwand hinab und rannte zu dem Gewässer. Mit einem Jauchzen sprang er in das kühle Nass – und mit einem mörderischen Kreischen kam er sofort wieder heraus! Ich eilte zu ihm. »Das Wasser ist kochend heiß!«, beschwerte er sich. »Ich habe mich am ganzen Körper verbrüht!«
»Das ist die beste Nachricht, die ich seit Tagen gehört habe!«, antwortete ich erfreut. Londo bedachte mich mit einem beleidigten Blick und suchte seine Kleidung zusammen, die er während des Laufens ausgezogen und von sich geworfen hatte. Aber es war tatsächlich eine gute Nachricht, denn irgendein Feuer musste das Wasser des Sees schließlich aufheizen! Wir mussten es nur noch finden.
»Ich habe etwas gefunden!«, verkündete Londo wie aufs Stichwort. Er stand vor einem Felsentor, das in die Kraterwand hineingehauen war.
»Was steht da?«, fragte er und deutete auf eine zwergische Inschrift, die am Rand des Tors entlanglief. Ich übersetzte sie ihm: »Sag was und tritt ein!«
»Was soll ich denn sagen?«, fragte Londo. Knirschend öffnete sich das Tor.
»Irgendwas reicht also«, stellte er erfreut fest und wollte eben hindurchtreten, als es dicht vor seiner Nasenspitze wieder zuschlug. »Was soll das denn?«, rief er empört. »Was da alles hätte passieren können!«
Ein schnelles Öffnen und sofortiges Wiederschließen des Tores folgte auf seine Worte. Er schüttelte den Kopf: »Was sagt man dazu? Seltsam, was?« Erneut öffnete und schloss sich das Tor. Londo stampfte empört auf und schimpfte: »Wasser auf die Mühlen von allen, die sagen, mit Zwergen stimme was nicht! Das ist wohl was Komplizierteres, was? Nun sag doch was!«
Öffnen und wieder Schließen – das ging eine ganze Zeit lang gut, dann war ein lautes Knirschen zu hören und das Tor bewegte sich nicht mehr. Zum Glück stand es gerade offen. Eine Felsenkammer und ein weiteres Tor mit Inschrift drum herum erwartete uns.
»Was steht dieses Mal darauf?«, fragte Londo. Ich übersetzte es ihm: »Sag noch mal was!«
»Was?«, kreischte Londo außer sich. Dieses Mal benötigte er nur noch halb so lange, um das Meisterwerk zwergischer Handwerkskunst zu zerstören. Es musste ein Heidenspaß sein, ihn bei einem Spaziergang durch eine der alten Zwergenstädte zu begleiten!
Hinter dem Tor begann eine abwärts führende Treppe, die nach wenigen Stufen in völliger Dunkelheit verschwand. Ich traute ihren Erbauern jedoch zu, dass sie demjenigen, der die Treppe benutzen wollte, nicht zumuten würden, sich durch die Finsternis zu tasten, und Vorsorge getroffen hatten. Wie wahr! Kaum belasteten wir die erste Stufe, trat eine silbern leuchtende Flüssigkeit aus den Wänden und sammelte sich in einer Rinne zu beiden Seiten der Stufen. Aber es war keine Flüssigkeit, sondern gefangenes Mondlicht! In seinem ausreichend hellen Schein stiegen wir tiefer und tiefer. Am Fuß der viele Hundert Stufen zählenden Treppe erwartete uns ein Gewirr von Gängen. Ich führte Londo auf kürzestem Weg hindurch, verkniff mir aber nicht einen kleinen Seitenhieb. »Zum unterirdischen Labyrinth«, erinnerte ich ihn. »Also war es voreilig von dir, zur Höhle auszuschließen.«
Das Labyrinth mündete in einen einzelnen, leicht abfallenden Gang. Je weiter wir ihm folgten, desto rötlicher färbte sich das bislang silberne Licht und auch die Luft wurde immer wärmer. Plötzlich verstellte uns eine mannsgroße Gestalt den Weg. Zuerst erkannte man kaum mehr von ihr als einen Schatten, doch bereits an jenem störte mich etwas, wiewohl ich nicht gleich sagen konnte, was es war. Der Kopf, erkannte ich schließlich. Die Gestalt besaß keinen Kopf!
Ich hatte nicht ganz ausgeschlossen, dass wir dem kopflosen Reiter begegnen könnten. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Halblingsgefährte umgehend auf ihn zurennen und brüllen würde: »Der kann uns helfen! Zu Diensten, Londo Twock.« Und schon gar nicht war in der Elbengeschichte erwähnt gewesen, dass der Reiter schwer bewaffnet sei.
Er trug Panzer und Schwert und griff sogleich damit an. Londo versuchte, den Hieb mit dem Zepter abzuwehren, doch die rötlich schillernde Klinge schnitt ungehindert hindurch! Hätte ich nicht blitzschnell einen Fangarm vorschnellen lassen und Londo weggezerrt, so hätte die Bezeichnung Halbling eine ganz neue Bedeutung erhalten! Allerdings berührte mich das Schwert dabei und schnitt ein Stück aus meinem Tentakel heraus! Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Stahl aus den Essen von Qalhâmúr – dagegen war auch ich schutzlos!
Erstaunlich behände schritt der kopflose Reiter auf uns zu. Als er erneut sein Schwert schwang, setzte ich alles auf eine Karte und rief: »Was!« Sofort verharrte er in der Bewegung!
»Ich werde ihm jetzt das Schwert abnehmen«, schnauzte ich Londo an. »Doch solange ich es nicht in meinen Tentakeln halte, will ich keinen Mucks von dir hören!«
Ich ging zu dem Reiter, doch gerade als ich nach dem Schwert greifen wollte, hörte ich hinter meinem Rücken ein verständnisloses »Was habe ich denn getan?«. Zum Glück zerfiel der Krieger im selben Augenblick zu Staub und dachte nicht daran, sich erneut zu erheben. Daher ließ ich die nun ungefährliche Klinge liegen und sammelte stattdessen das abgeschnittene Kopfstück des Zepters auf.
Londo hatte seine Fassung schnell zurückgewonnen. »Können wir den Hammer nicht mit dem Schwert zerhacken?«
»Ein hervorragender Einfall, Londo Twock«, lobte ich ihn. »Leider kann man fast alles, was zerbrochen oder zerschnitten war, neu zusammenfügen. Schwerter, Ringe, Reifen … darüber könnte ich dir stundenlang Geschichten erzählen. Nur die Schmelze im kochenden Blut der Erde bewirkt etwas.«
Am Ende des Ganges fanden wir im Boden ein enges Gitter. Tief unter ihm strömte blendend helles, dünnflüssiges Gestein vorbei. Londo versuchte, den Zepterstumpf zwischen die Gitterstäbe zu zwängen, doch sie waren viel zu eng beieinander. »Ich hole das Schwert, damit wir ein paar Stäbe entfernen können«, verkündete er.
»Damit wirst du nichts erreichen«, widersprach ich, »denn Schwert und Gitter sind beide aus qalhâmúrischem Stahl. Sie beschädigen sich gegenseitig nicht. Bei dem Zepter ist das allerdings eine andere Sache …«
»Zepter?«, fragte er.
Ohne Vorwarnung entriss ich ihm den vermeintlichen Hammerstiel. »Das Zepter von Trocht! So heißt dein Hammer wirklich. Doch nun ist die Zeit gekommen, unsere Gemeinschaft zu zerbrechen! Londo, ich habe dir nie verschwiegen, dass ich den Befehl meines Herrn Wort für Wort auszuführen habe.«
Londo starrte mich an wie ein waidwundes Tier, und ich erkannte, dass ihm das Konzept von Lüge und Verrat völlig fremd gewesen war!
Als ich wieder vor dem Dunklen Herrn stand, hatten sich die drei Trochtvalliri bereits eingefunden. Sie merkten gleich, dass ich erfolgreicher gewesen war als sie, und ich spürte ihren Neid. Stolz streckte ich dem Dunklen Herrn meinen Fund entgegen. »Wie du befahlst!«
Er starrte auf den Stiel des Zepters und erwiderte: »Es wurde zerstört!«
»Halb so wild«, beschwichtigte ich ihn. »Ein begabter Töpfer kann das fehlende Stück leicht ersetzen. Oder noch besser jemand, der geschickt mit Wachs modellieren kann! Wachs und ein wenig Farbe können wahre Wunder bewirken.«
Nach einem Augenblick völliger Stille explodierte genau vor mir ein Vulkan. »Das Zepter von Trocht ist zerbrochen und du rätst mir, es mit Wachs ausbessern zu lassen?«, brach es aus dem Dunklen Herrn heraus.
»Und mit etwas Farbe«, erinnerte ich ihn.
»Aus meinen Augen«, brüllte er unbeherrscht. »Aus meinen Augen! Aus meinen Augen!«
So leicht wollte ich mich nicht abwimmeln lassen. »Du versprachst mir bei Zufriedenheit mit meinen Diensten die Herrschaft über einen der Stämme der Menschen. Welcher wird es sein und wann soll ich mich ihm offenbaren?«
Dass ich auf meinen Lohn nicht verzichten wollte, reizte den Dunklen Herrn nur noch mehr. »Bei Zufriedenheit?«, wiederholte er mit überschlagender Stimme. »Aus meinen Augen! Aus meinen Augen! Geh mir aus den Augen!«
Die Trochtvalliri hatten unbeteiligt zugesehen. Ich deutete auf sie und beschwerte mich: »Im Gegensatz zu mir haben deine drei vertrockneten Vögel überhaupt nichts erreicht!« Sofort krächzten sie bedrohlich und der Dunkle Herr befahl erneut: »Geh mir endlich aus den Augen, Illurandir!«
Ich hatte aufmerksam mitgezählt! Soeben hatte er mir zum siebten Mal befohlen, mich zu entfernen, womit sichergestellt war, dass er mich nie wieder zu sich rufen konnte. Es gibt Regeln! Manche sind interpretierbar, aber diese eine ist es ganz gewiss nicht! Er würde sich leider einen anderen Dummen suchen müssen, den er für alle Zeiten in seinen Dienst pressen konnte.
»Wie du wünscht, Dunkler Herr«, erwiderte ich unterwürfig und verschwand.
Der arme Londo! Er hatte mich für einen Freund gehalten und konnte nicht verstehen, warum ich ihn derart hinterging. Irgendwann, während wir uns noch gegenüberstanden, entdeckte er den Zepterkopf, der mir scheinbar unbemerkt aus dem Gewand gefallen war. Er wollte nicht auf ihn starren, doch sein Blick wanderte immer wieder zu ihm. Um ihn nicht unnötig in der Angst schweben zu lassen, ich könne meinen »Verlust« bemerken, entfernte ich mich. Bei dem Schwert des kopflosen Reiters hielt ich inne. »Ein sehr scharfes Schwert. Achte darauf, dass du nicht versehentlich darüber stolperst, Londo Twock, und dich … oder deinen Besitz … in ganz dünne Scheiben schneidest«, ermahnte ich ihn. Als ich mir sicher war, dass er verstanden hatte, wie er die verbliebene Hälfte des Zepters in die heiße Glut bekäme, löste ich mich auf.
Ich habe mir vorgenommen, Londo irgendwann zu besuchen. Sein fünfzigster Geburtstag scheint mir ein guter Anlass dafür zu sein, aber vielleicht warte ich auch bis zu seinem einhundertelfzigsten.