Nachdem Sunja die Küche aufgeräumt hatte, sagte sie ihrer Mutter gute Nacht und zog sich in die abgeteilte Nische zurück, die sie und ihre Mutter als Schlafzimmer mit den Dienstmädchen teilten. Bisher hatte Sunja sich immer mit den anderen zusammen hingelegt, aber im vergangenen Monat war sie so müde gewesen wie nie zuvor, und sie konnte nicht warten, bis alle mit der Arbeit fertig waren. Das Aufwachen war auch nicht leichter; starke Hände schienen sich auf ihre Schultern zu legen und auf die Matratze zu drücken. Sunja zog sich in dem kalten Zimmer schnell aus und schlüpfte unter die dicke Steppdecke. Der Fußboden war warm, und Sunja bettete ihren schweren Kopf auf das schmale Kissen. Ihr erster Gedanke galt ihm.
Hansu war nicht mehr in Busan. Am Morgen, nachdem sie ihn auf dem Strand hatte stehen lassen, bat sie ihre Mutter, an ihrer Stelle zum Markt zu gehen, weil ihr, so behauptete sie, schlecht sei und sie in der Nähe des Aborts bleiben müsse. Eine Woche lang ging sie nicht zum Markt. Als Sunja ihre alte Aufgabe wieder übernahm und für das Logierhaus einkaufen ging, war Hansu nicht mehr da. Jeden Morgen, wenn sie zum Markt kam, hielt sie nach ihm Ausschau, aber vergeblich.
Auf dem Ondol-Boden wurde ihre Strohmatratze gewärmt; den Tag über war ihr kalt gewesen. Endlich schloss sie die Augen und legte die Hände auf die leichte Wölbung ihres Bauches. Noch konnte sie das Kind nicht spüren, aber ihr Körper veränderte sich. Der geschärfte Geruchssinn fiel ihr am meisten auf und war am schwersten zu ertragen: Wenn sie zwischen den Fischständen auf dem Markt ging, wurde ihr schlecht, am schlimmsten war der Geruch von Krabben und Langusten. Ihre Arme und Beine fühlten sich geschwollen an, wie Schwämme. Sie wusste nichts über Schwangerschaft. Was in ihr wuchs, war ihr Geheimnis – geheimnisvoll auch für sie selbst. Wie das Kind wohl aussehen würde? Über diese Dinge hätte Sunja gern mit ihm gesprochen.
Seitdem Sunja ihrer Mutter die Schwangerschaft gestanden hatte, mieden beide dieses Thema. Sorgenfalten hatten sich um den Mund ihrer Mutter eingegraben, wie ein Stirnrunzeln, das für immer blieb. Am Tage ging Sunja getreulich ihrer Arbeit nach, aber abends, wenn sie sich zur Ruhe legte, fragte sie sich, ob er an sie und an das Kind dachte.
Hätte sie sich bereit erklärt, seine Geliebte zu bleiben und auf seine Besuche zu warten, hätte sie ihn behalten. Wann immer er gewollt hätte, wäre er zu seiner Frau und seinen Töchtern in Japan gefahren. Aber diese Regelung war ihr unmöglich vorgekommen; und selbst jetzt, trotz ihrer derzeitigen Schwäche, schien ihr das ausgeschlossen. Sie vermisste ihn, aber sie konnte sich nicht vorstellen, ihn mit einer anderen Frau zu teilen, die er ebenfalls liebte.
Wie dumm sie gewesen war! Warum hatte sie geglaubt, ein Mann in seinem Alter und in seiner Position hätte nicht Frau und Kinder? Dass er ein ungebildetes Bauernmädchen heiraten würde, war tatsächlich eine verrückte Vorstellung. Reiche Männer hatten Frauen und Geliebte, manchmal lebten sogar alle zusammen im selben Haushalt. Aber sie konnte nicht seine Geliebte sein. Ihr verkrüppelter Vater hatte ihre Mutter geliebt, die in noch größerer Armut aufgewachsen war als die meisten; er hatte sie verehrt. Zu seinen Lebzeiten hatten sie immer, nachdem die Logiergäste gegessen hatten, zu dritt als Familie um den niedrigen Esstisch sitzend gegessen. Ihr Vater hätte mit den Männern essen können, aber das wollte er nicht. Bei Tisch achtete er darauf, dass seine Frau genauso viel Fleisch und Fisch auf dem Teller hatte wie er. Im Sommer kümmerte er sich nach seinem langen Arbeitstag um das Melonenbeet, weil seine Frau so gern Melonen aß. Jeden Winter besorgte er neue Baumwollflocken, mit denen ihre Jacken frisch gefüttert wurden, und wenn es nicht für alle reichte, behauptete er, seine Jacke brauche nicht neu wattiert zu werden.
»Du hast den besten Vater im Land«, sagte ihre Mutter oft zu ihr, und Sunja war stolz auf die Liebe ihres Vaters für sie und ihre Mutter, so, wie ein Kind aus einer reichen Familie stolz auf die vielen Säcke mit Reis oder die Berge von Goldringen sein konnte, die sein Vater besaß.
Trotzdem konnte sie nicht aufhören, an Hansu zu denken. Wann immer sie ihn in der Bucht getroffen hatte, waren der wolkenlose Himmel und das jadegrüne Meer aus ihrem Blick verschwunden, und es blieben nur Bilder von ihm, und immer war sie überrascht, wie schnell ihre Zeit miteinander verging. Was für amüsante Geschichten würde er ihr erzählen? Wie konnte sie erreichen, dass er ein bisschen länger blieb?
Und wenn er sie zwischen zwei Schutz gebende Felsen legte und das lange Band ihrer Bluse löste, ließ sie ihn gewähren, obwohl die kalte Luft ihr in die Haut schnitt. Sie verschmolz mit seinem warmen Mund und seinem Körper. Wenn er seine Hand unter ihren langen Rock führte und ihre Hüften zu sich hob, verstand sie, dass ein Mann das von einer Frau wollte. Der Liebesakt weckte ihre Sinne; ihr Körper schien seine Berührung zu wünschen, und ihr Unterleib gab seinem Druck nach. Sunja hatte geglaubt, dass er nichts tun würde, was ihr schadete.
Manchmal stellte sie sich vor, dass er, wenn sie mit einem Bündel Wäsche auf dem Kopf zum Strand kam, dort auf sie warten würde, auf dem steilen Felsbrocken bei dem klaren Wasser, und dass seine Zeitung geräuschvoll im Wind rascheln würde. Er würde ihr das Bündel vom Kopf nehmen, leicht an ihrem Zopf ziehen und sagen: »Mein Mädchen, wo warst du? Du weißt, dass ich bis zum nächsten Morgen warten würde.« Vergangene Woche hatte sie seinen Ruf so stark vernommen, dass sie am Nachmittag einen Vorwand gesucht hatte und zur Bucht gerannt war, aber natürlich vergebens. Der mit Kreide markierte Stein, den sie als Botschaft in eine Nische gelegt hatten, war nicht mehr da, und sie fühlte sich beraubt, denn sie hätte gern ein X auf den Stein geschrieben und ihn in der Nische liegenlassen, um ihm zu zeigen, dass sie gekommen war und auf ihn gewartet hatte.
Er war aufrichtig um sie bemüht gewesen. Er hatte nicht gelogen, dachte sie, aber das war ein kleiner Trost. Sunja schlug die Augen auf, als sie die Dienstmädchen in der Küche lachen hörte, bevor es wieder still wurde. Von ihrer Mutter hörte sie nichts. Sunja drehte sich mit dem Gesicht zur Innenwand und legte die Hand an die Wange, wie um seine Berührung nachzuempfinden. Wenn sie sich trafen, hatte er sie unablässig berührt, als könnte er nicht anders. Nach dem Liebesakt fuhr er mit dem Finger ihre Gesichtszüge nach, von dem kleinen runden Kinn zu den Ohrmuscheln und der breiten Stirn. Warum hatte sie ihn niemals auf ähnliche Weise berührt? Sie war nie die Erste gewesen; immer war er es, der den Anfang machte. Wie gern hätte sie jetzt sein Gesicht berührt, um sich dessen Konturen einzuprägen.
Am nächsten Morgen zog Isak sich den marineblauen Wollpullover über sein wärmstes Unterhemd und das Oberhemd und setzte sich im vorderen Zimmer an einen niedrigen Esstisch, den er als Schreibtisch benutzte. Die Logiergäste waren gegangen, und abgesehen von den Geräuschen der Frauen bei der Arbeit war es still im Haus. Isaks Bibel lag aufgeschlagen auf dem Tisch; Isak hatte noch nicht mit seinen Bibelstudien begonnen, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Im Vorraum war Yangjin mit der Kohlenpfanne beschäftigt. Er wollte mit ihr sprechen, fühlte sich aber befangen und wartete. Yangjin stocherte mit einem Schürhaken in den Kohlen und blickte in die Glut.
»Haben Sie es warm genug? Ich rücke die Pfanne zu Ihnen hinüber.« Yangjin ging in die Knie und schob sie näher.
»Ich helfe Ihnen«, sagte Isak und stand auf.
»Nein, bleiben Sie sitzen, ich schiebe die Pfanne einfach rüber.« So hatte Hoonie, ihr Mann, es auch gemacht.
Als sie bei ihm war, sah er sich um, ob die anderen sie hören konnten.
»Ajumoni«, flüsterte er. »Glauben Sie, Sunja würde mich zum Mann nehmen? Wenn ich sie bitte?«
Yangjins von Fältchen umrandete Augen öffneten sich weit, und sie ließ den Schürhaken krachend zu Boden fallen. Sie hob ihn schnell wieder auf und legte ihn zur Seite, als wollte sie ihre Unachtsamkeit korrigieren. Sie ließ sich neben ihm auf den Boden sinken.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
»Warum? Warum wollen Sie das tun?«
»Wenn ich eine Frau hätte, wäre mein Leben in Osaka sicherlich leichter. Meinem Bruder habe ich schon geschrieben. Ich weiß, dass er und seine Frau Sunja willkommen heißen würden.«
»Und Ihre Eltern?«
»Sie wollen seit Jahren, dass ich heirate. Ich habe immer Nein gesagt.«
»Warum?«
»Weil ich immer krank war. Zurzeit geht es mir gut, aber das kann sich auch wieder ändern. Sunja weiß das schon.«
»Aber Sie wissen, dass Sunja –«
»Ja. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass ich sie jung zur Witwe machen werde. Und das ist nicht leicht, wie Sie selbst wissen, aber ich wäre für immer der Vater.«
Yangjin schwieg. Isak hatte recht. Ihr Mann war ein ehrlicher Mann gewesen, der trotz seiner schwierigen Voraussetzungen das Beste aus seinem Leben gemacht hatte. Nach seinem Tod verstand sie erst, dass er ein sehr besonderer Mensch gewesen war. Sie wünschte, er wäre jetzt bei ihr und könnte sie beraten.
»Ich wollte Sie nicht überrumpeln«, sagte Isak, als er ihr überraschtes Gesicht sah. »Ich dachte, vielleicht wäre Sunja froh darüber. Der Zukunft des Kindes zuliebe. Glauben Sie, sie wäre einverstanden? Vielleicht möchte sie lieber hier bei Ihnen bleiben. Wäre das für Sunja und das Kind besser?«
»Nein, nein«, sagte Yangjin, denn sie kannte die harte Wahrheit. »Das Kind hätte hier ein schreckliches Leben. Außerdem würden Sie meiner Tochter das Leben retten. Ich wäre bereit, mit meinem Leben dafür zu bezahlen, wenn Sie sich meiner Tochter annähmen. Ich würde auch doppelt bezahlen, wenn ich könnte.« Sie verneigte sich so tief, dass ihr Kopf beinah den gelben Boden berührte, und wischte sich die Augen.
»Nein, das dürfen Sie nicht sagen. Sie und Ihre Tochter waren Engel.«
»Ich will gleich mit ihr sprechen, Sir. Sie wird so dankbar sein.«
Isak schwieg. Er wollte das, was er zu sagen hatte, richtig sagen.
»Das möchte ich lieber nicht«, sagte er und war verlegen. »Ich möchte sie selbst fragen, möchte fragen, wie es um ihr Herz steht. Ich würde gern wissen, ob sie mich vielleicht eines Tages lieben könnte.« Isak war immer noch verlegen, weil ihm bewusst geworden war, dass er wie jeder gewöhnliche Mann eine Frau haben wollte, die ihn liebte und sich ihm nicht nur verpflichtet fühlte.
»Was glauben Sie?«
»Sprechen Sie mit ihr.« Wie konnte Sunja einen Mann wie ihn nicht lieben?
Isak flüsterte: »Sie macht kein gutes Geschäft. Ich kann schon bald wieder krank werden. Aber ich würde wenigstens versuchen, ein anständiger Ehemann zu sein. Und das Kind würde ich lieben. Es wäre auch mein Kind.« Isak machte der Gedanke glücklich, dass er hoffentlich lange genug leben würde, um das Kind aufwachsen zu sehen.
»Bitte, machen Sie morgen einen Spaziergang mit ihr. Dann können Sie über alle diese Dinge sprechen.«
Sunjas Mutter erzählte ihr von Baeks Absichten, und Sunja bereitete sich darauf vor, seine Frau zu werden. Wenn Baek sie heiratete, würde die schmerzliche Strafe nicht nur von ihrer Mutter genommen, sondern auch vom Logierhaus, von ihr selbst und von dem Kind. Ein ehrenhafter Mann aus guter Familie würde dem Kind seinen Namen geben. Seine Beweggründe begriff Sunja nicht. Ihre Mutter versuchte es ihr zu erklären, aber sie fanden beide, dass das, was sie für ihn getan hatten, nicht so ungewöhnlich war. Sie hätten es für jeden Logiergast getan, und Isak hatte sogar pünktlich für seine Unterkunft bezahlt. »Kein normaler Mann würde das Kind eines anderen Mannes aufziehen wollen, es sei denn, er ist ein Engel oder ein Tor«, sagte die Mutter.
Er kam ihnen nicht wie ein Tor vor. Vielleicht brauchte er eine Haushälterin, aber das passte nicht zu ihm. Seit sich der Pastor wieder besser fühlte, und selbst davor, als er noch recht schwach war, hatte er sein Tablett am Ende der Mahlzeit zur Küchenschwelle gebracht. Morgens schüttelte er seine Decke aus und räumte seine Matratze weg. Er pflegte sich besser als die anderen Logiergäste. Sie hätte nie gedacht, dass ein gebildeter Mann aus einer Familie der Oberschicht, der in einem Haushalt mit Personal aufgewachsen war, diese Arbeiten verrichten würde.
Sunja nahm ihren dicken Mantel. Sie trug Strohsandalen über zwei Paar Baumwollsocken und wartete draußen vor der Tür. Die Luft war kalt und dunstig. In einem Monat wäre es Frühling, aber noch war es winterlich. Ihre Mutter hatte den Pastor gebeten, sich draußen mit ihr zu treffen, da sie nicht wollte, dass die Dienstmädchen sie zusammen sahen.
Isak kam sofort nach ihr nach draußen, den Filzhut in der Hand.
»Wie geht es dir?« Isak stellte sich neben sie, weil er nicht wusste, wohin sie gehen sollten. Er war noch nie mit einer jungen Frau ausgegangen. Er versuchte, so zu tun, als würde er ein weibliches Gemeindemitglied treffen; das hatte er zu Hause viele Male getan.
»Sollen wir in die Stadt gehen? Wir könnten mit der Fähre fahren.« Der Vorschlag kam unvermittelt.
Sunja nickte und wickelte sich den dicken Musselinschal um den Kopf und die Ohren. So ähnelte sie den Fischverkäuferinnen auf dem Markt.
Sie gingen schweigend zum Fähranleger; wie sie auf die Menschen wirkten, die sie miteinander sahen, wussten sie nicht. Der Fährmann nahm ihr Fahrgeld entgegen.
Das hölzerne Fährboot war so gut wie leer, und sie saßen während der kurzen Überfahrt nebeneinander.
»Deine Mutter hat mit dir gesprochen?«, sagte Isak und versuchte, sachlich zu klingen.
»Ja.«
Er bemühte sich, in dem hübschen, jungen Gesicht zu lesen, was in ihr vorging. Sie sah verängstigt aus.
»Danke«, sagte sie.
»Was denkst du darüber?«
»Ich bin sehr dankbar. Sie nehmen eine schwere Last von unseren Schultern. Wir wissen nicht, wie wir Ihnen danken sollen.«
»Mein Leben wäre völlig bedeutungslos, wenn ich es nicht zu etwas Gutem nutzen würde. Meinen Sie nicht?«
Sunja spielte mit dem Rand ihres Chima.
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Isak.
Sunja hielt den Blick gesenkt.
»Glaubst du, du kannst Gott lieben lernen?« Er atmete ein. »Wenn du Gott lieben könntest, dann würde alles gut. Ich weiß, es ist eine große Bitte, die für dich im Augenblick vielleicht keinen Sinn ergibt. Das braucht Zeit. Das verstehe ich.«
Am Morgen war es Sunja eingefallen, dass er sie so etwas fragen könnte, und sie hatte über den Gott nachgedacht, an den der Pastor glaubte. Geisterwesen existierten in der Welt – daran glaubte sie, obwohl ihr Vater das nicht geglaubt hatte. Nach seinem Tod hatte sie gespürt, dass er bei ihr war. Wenn sie und ihre Mutter an Jesa zu seinem Grab gingen, war es leicht, seine tröstliche Nähe zu spüren. Wenn es viele Götter und Geisterwesen gab, dann glaubte sie, seinen Gott lieben zu können, besonders wenn dieser Gott Baek Isak zu einem so freundlichen und rücksichtsvollen Menschen gemacht hatte.
»Ja«, sagte sie, »das kann ich.«
Das Fährboot legte an, und Isak half ihr an Land. Auf dem Festland war es sehr kalt, und Sunja steckte sich die Hände tief in die Ärmel ihrer Jacke. Der scharfe Wind fuhr ihnen unter die Kleider. Sunja befürchtete, das kalte Wetter würde dem Pastor schaden.
Keiner von beiden wusste, wohin sie gehen sollten, und Sunja deutete auf die Straße mit den Geschäften unweit der Fähre. Das war die einzige Straße auf dem Festland, wo sie auch mit ihren Eltern gewesen war. Sie schlug diese Richtung ein, obwohl sie nicht die Führung übernehmen wollte, aber ihm schien es gleichgültig. Er ging mit.
»Ich bin froh, dass du versuchen willst, Gott zu lieben. Das bedeutet mir sehr viel. Ich glaube, wir können eine gute Ehe führen, wenn der Glaube uns verbindet.«
Sie nickte wieder, obwohl sie nicht richtig verstand, was er meinte, aber sie vertraute darauf, dass er einen guten Grund für seine Bitte hatte.
»Am Anfang wird unser Leben uns fremd vorkommen, aber wir werden Gottes Segen erbitten – für uns und für das Kind.«
Sunja stellte sich vor, dass sein Gebet sie wie ein dicker Mantel beschützen würde.
Möwen kreisten über ihnen, kreischten laut und drehten ab. Sie verstand, dass die Ehe an eine Bedingung geknüpft war, aber die konnte sie leicht hinnehmen. Er konnte ihren Glauben nicht prüfen. Wie bewies man, dass man Gott liebte? Wie bewies eine Frau, dass sie ihren Mann liebte? Sie würde ihn nie betrügen, sie wäre unermüdlich um sein Wohl bemüht – dazu war sie imstande.
Vor einem ordentlich wirkenden japanischen Nudelrestaurant blieb Isak stehen.
»Hast du schon einmal Udon gegessen?« Er hob fragend die Augenbrauen.
Sie schüttelte den Kopf.
Er ging ihr voran hinein. Die anderen Gäste waren Japaner, und sie war die einzige Frau. Der Besitzer, ein Japaner mit einer reinen Schürze, begrüßte sie auf Japanisch. Die beiden verneigten sich.
Isak bat auf Japanisch um einen Tisch für zwei, und der Besitzer war darüber sichtlich erleichtert. Isak und der Besitzer wechselten ein paar freundliche Worte, und der Besitzer bot ihnen zwei Plätze am Ende der langen Tafel an, bei der Tür, wo niemand neben ihnen sitzen würde. Isak und Sunja setzten sich einander gegenüber, und es war unmöglich, sich nicht anzusehen.
Sunja konnte die handgemalte Speisekarte auf der Sperrholztafel nicht lesen, erkannte aber ein paar Zahlen. Büroarbeiter und Ladenbesitzer saßen an drei langen Tischen und schlürften Nudelsuppe aus dampfenden Schalen. Ein japanischer Junge mit rasiertem Kopf ging im Lokal herum und goss aus einem schweren Kupferkessel braunen Tee ein. Vor ihr neigte er leicht den Kopf.
»Ich war noch nie in einem Restaurant«, sagte Sunja, weniger aus dem Wunsch, etwas zu sagen, als aus Überraschung.
»Ich war auch noch nicht in vielen. Dieses Lokal sieht sauber aus. Mein Vater sagte, das sei wichtig, wenn man außer Haus essen möchte.« Isak lächelte, er wollte, dass Sunja sich entspannte. Die Wärme des Raumes hatte Farbe in ihr Gesicht gebracht. »Hast du Hunger?«
Sunja nickte. Sie hatte am Morgen nichts gegessen.
Isak bestellte zwei Schalen Udon für sie.
»Es ist wie Kalguksu, nur dass die Brühe anders ist. Vielleicht schmeckt es dir. Ich bin mir sicher, dass man das in Japan überall bekommen kann. Da wird alles neu für uns sein.« Die Idee, dass sie mit ihm kommen würde, gefiel Isak immer mehr.
Sunja hatte von Hansu viele Geschichten über Japan gehört, aber das konnte sie Isak nicht sagen. Hansu hatte erzählt, dass Osaka eine Riesenstadt sei, wo man nur selten demselben Menschen zweimal begegnete.
Während Isak sprach, beobachtete er Sunja. Sie war ein sehr verschlossener Mensch. Auch im Haus sprach sie selten, sowohl mit den Mädchen, die dort arbeiteten, als auch mit ihrer Mutter. War sie immer schon so gewesen?, fragte er sich. Es war schwer vorstellbar, dass sie einen Geliebten gehabt hatte.
Isak sprach leise mit ihr, er wollte nicht, dass die anderen ihn verstehen konnten.
»Sunja, glaubst du, du wirst mich mögen können? Als deinen Ehemann?« Isak hatte die Hände gefaltet, wie zum Gebet.
»Ja.« Die Antwort kam schnell, für Sunja war es die Wahrheit. Sie mochte ihn schon jetzt, und sie wollte nicht, dass er etwas anderes dachte.
Isak hatte ein leichtes, sauberes Gefühl in seinem Inneren, als wären seine kranken Lungen gesund geschrubbt worden. Er holte tief Luft.
»Wahrscheinlich ist es schwierig, aber kannst du versuchen, ihn zu vergessen?« Da, er hatte es gesagt. Sie würden keine Geheimnisse voreinander haben.
Sunja zuckte zusammen; sie hatte nicht damit gerechnet, dass er darüber sprechen würde.
»Ich bin nicht anders als andere Männer. Ich habe meinen Stolz, auch wenn das falsch sein mag.« Er runzelte die Stirn. »Aber ich werde dieses Kind lieben. Und ich werde dich lieben und ehren.«
»Ich werde mir Mühe geben, eine gute Ehefrau zu sein.«
»Danke«, sagte er. Er hoffte, dass er und Sunja einander nah sein könnten, wie seine Eltern es waren.
Als die Nudeln kamen, neigte er den Kopf, um ein Dankgebet zu sprechen, und Sunja faltete die Hände wie er.