Eine Woche später fuhren Yangjin, Sunja und Isak mit der Morgenfähre nach Busan. Unter ihren wattierten Winterjacken trugen die Frauen frisch gewaschene Hanboks aus weißem Hanf; Isaks Anzug und Mantel waren sauber gebürstet und seine Schuhe glänzend geputzt. Pastor Shin erwartete sie nach dem Frühstück.
Als sie in der Kirche ankamen, erkannte die Kirchendienerin Isak und führte die Gruppe zu Pastor Shins Büro.
»Da sind Sie ja«, sagte der ältere Pastor und erhob sich von seinem Sitz am Boden. »Kommen Sie herein, kommen Sie.« Yangjin und Sunja verneigten sich tief. Sie waren noch nie in einer Kirche gewesen. Pastor Shin war ein dünner Mann, und seine Kleider waren ihm zu groß. Die Ärmelenden an seinem alten schwarzen Anzug waren zerschlissen, aber der Kragen seines Hemdes war sauber und gestärkt. Unter der steifen dunklen Bekleidung fiel die Krümmung seiner Schultern weniger auf.
Die Kirchendienerin brachte drei Bodenkissen für die Gäste und legte sie um die Kohlenpfanne in der Mitte des kalten Raums.
Die drei Gäste standen verlegen umher, bis Pastor Shin sich gesetzt hatte. Isak nahm neben dem Pastor Platz, Yangjin und Sunja setzten sich dem älteren Geistlichen gegenüber.
Auch nachdem alle sich gesetzt hatten, schwiegen sie und warteten darauf, dass Pastor Shin die Begegnung mit einem Gebet eröffnen würde. Als das Gebet gesprochen war, betrachtete der ältere Pastor ausgiebig die junge Frau, die Isak zu heiraten gedachte. Seit dem Besuch des jungen Pastors hatte er intensiv über sie nachgedacht. Zur Vorbereitung des Gesprächs hatte er sogar das Buch Hosea wieder gelesen. Der elegante junge Mann in seinen anthrazitschwarzen Wollsachen hob sich dramatisch von dem stämmigen Mädchen ab – Sunjas Gesicht war rund und ohne Reiz, sie hielt die Augen gesenkt, sei es aus Bescheidenheit, sei es aus Scham. Nichts in ihrer prosaischen Erscheinung beschwor das Bild der Hure, die der Prophet Hosea hatte heiraten müssen. Sunja war in allem völlig unauffällig. Pastor Shin hielt nichts davon, das Schicksal der Menschen von ihren Gesichtern ablesen zu wollen, wie es sein Vater getan hatte, aber wenn er Sunjas Schicksal durch die Augen seines Vaters erahnen sollte, gewann er weder den Eindruck, dass ihr Leben leicht verlaufen würde, noch, als stünde es unter einem Fluch. Er warf einen Blick auf ihren Bauch, aber unter dem dicken Chima und der Jacke konnte er nichts erkennen.
»Wie gefällt Ihnen die Vorstellung, mit Isak nach Japan zu gehen?«, fragte der ältere Pastor sie.
Sunja hob den Blick, dann senkte sie ihn wieder. Sie wusste nicht genau, was die Geistlichen taten und wie sie ihre Macht ausübten. Pastor Shin und Pastor Isak sahen nicht so aus, als würden sie in Trance fallen wie die Schamanen oder einen Sprechgesang anstimmen wie die Mönche.
»Ich würde gern hören, was Sie denken«, sagte Shin und lehnte sich zu ihr vor. »Sagen Sie bitte etwas. Ich möchte nicht, dass Sie wieder gehen, ohne dass ich Ihre Stimme gehört habe.«
Isak lächelte den Frauen zu, er wusste nicht recht, wie er den strengen Tonfall des älteren Pastors deuten sollte, und wollte ihnen das Gefühl geben, dass der Pastor es gut mit ihnen meinte.
Yangjin legte Sunja sanft die Hand aufs Knie. Sie hatte mit einer Art Befragung gerechnet, aber dass Pastor Shin schlecht von ihnen denken könnte, war ihr bis zu diesem Moment nicht in den Sinn gekommen.
»Sunja-ya, sag Pastor Shin, wie du darüber denkst, dass du Baek Isak heiraten wirst«, sagte Yangjin.
Sunja machte den Mund auf, dann wieder zu. Dann öffnete sie ihn wieder, und ihre Stimme klang unsicher.
»Ich bin sehr dankbar. Ich bin Pastor Baek dankbar für sein großes Opfer. Ich werde mich sehr anstrengen, ihm zu dienen. Ich werde alles tun, was mir möglich ist, um sein Leben in Japan besser zu machen.«
Isak runzelte die Stirn. Er begriff, warum Sunja das sagte, trotzdem betrübte ihn Sunjas Haltung.
»Ja.« Der ältere Pastor faltete die Hände. »Es ist zweifellos ein schmerzliches Opfer. Isak ist ein tüchtiger junger Mann aus guter Familie, und es kann ihm nicht leichtfallen, angesichts Ihrer Situation die Ehe mit Ihnen einzugehen.«
Isak hob leicht die rechte Hand in schwachem Protest, blieb aber aus Achtung vor dem Älteren still. Sollte sich Pastor Shin jedoch weigern, sie zu trauen, würde das Isaks Eltern und Lehrer sehr bekümmern.
Pastor Shin sagte: »Sie sind aus freien Stücken in diesen Zustand geraten, habe ich recht?«
Isak war Sunjas gequälter Ausdruck unerträglich, am liebsten wäre er mit ihr und ihrer Mutter wieder ins Logierhaus gefahren.
»Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht. Es tut mir sehr leid, dass ich meiner Mutter das angetan habe und dass ich dem freundlichen Pastor eine Bürde sein werde.« Tränen füllten Sunjas dunkle Augen. Sie sah noch jünger aus als sonst.
Yangjin nahm die Hand ihrer Tochter und hielt sie fest, wusste aber nicht, ob das richtig oder falsch war. Dann fing auch sie an zu weinen.
»Pastor Shin, sie leidet auch so schon«, sagte Isak unvermittelt.
»Sie muss ihre Sünde erkennen und um Vergebung bitten. Wenn sie darum bittet, wird der Herr ihr vergeben.« Shin sprach die Worte mit Nachdruck.
»Das möchte sie sicherlich.« Isak wollte nicht, dass Sunja auf diese Weise zu Gott kam. Die Liebe zu Gott sollte natürlich entstehen, nicht aus Angst vor Strafe.
Pastor Shin sah Sunja eindringlich an.
»Möchten Sie das, Sunja? Möchten Sie, dass Ihnen für Ihre Sünden vergeben wird?« Pastor Shin wusste nicht, ob Sunja verstand, was Sünde war. Hatte Isak in seiner Begeisterung, die Rolle des Märtyrers oder Propheten zu übernehmen, übersehen, ihr das zu erklären? Wie konnte er eine sündige Frau heiraten, die vielleicht nicht von der Sünde abließ? Dabei war es genau das, was Gott dem Propheten Hosea aufgetragen hatte. Begriff Isak das?
»Mit einem Mann zusammen sein, ohne mit ihm verheiratet zu sein, ist in den Augen Gottes eine Sünde. Wo ist dieser Mann? Warum muss Isak für Ihre Sünden bezahlen?«, fragte Shin.
Sunja versuchte, sich mit dem Jackenärmel die Tränen von ihren heißen Wangen zu wischen.
Die taube Kirchendienerin in der Ecke verfolgte das Gespräch, sie konnte von den Lippen lesen. Sie zog ein sauberes Tuch aus der Jackentasche und gab es Sunja. Sie erklärte mit einer Geste, dass Sunja sich das Gesicht wischen sollte, und Sunja lächelte ihr zu.
Pastor Shin seufzte. Zwar wollte er das junge Mädchen nicht noch unglücklicher machen, aber er hatte das starke Bedürfnis, den jungen Geistlichen zu beschützen.
»Wo ist der Vater Ihres Kindes, Sunja?«, fragte Pastor Shin.
»Sie weiß es nicht«, sagte Yangjin, die selbst auch gern die Antwort gewusst hätte. »Es tut ihr sehr leid.« Yangjin wandte sich zu ihrer Tochter um. »Sag dem Pastor – sag ihm, dass du von dem Herrn Vergebung erbittest.«
Weder Yangjin noch Sunja wussten, was darauf folgen würde. Gäbe es ein Ritual, so, wie wenn man dem Schamanen ein Schwein oder Geld gab, damit er das Getreide wachsen ließ? Baek Isak hatte nicht ein einziges Mal von dieser Vergebung gesprochen.
»Können Sie das tun? Können Sie mir vergeben?«
Pastor Shin empfand Mitleid mit dem Mädchen.
»Sunja, nicht ich bin es, der Ihnen vergeben kann«, sagte er.
»Ich verstehe das nicht«, sagte sie. Sie konnte ihren Blick nicht länger gesenkt halten und sah Pastor Shin endlich ins Gesicht. Rotz lief ihr aus der Nase.
»Sunja, bitten Sie einfach den Herrn um Vergebung. Jesus hat unsere Schuld bezahlt, aber Sie müssen trotzdem um Vergebung bitten. Versprechen Sie, dass Sie sich von der Sünde abwenden werden. Zeigen Sie Reue, mein Kind, und sündigen Sie hinfort nicht mehr.« Pastor Shin erspürte, dass Sunja lernen wollte. Ein Gefühl regte sich in ihm, und er dachte an das Kind in ihr, das nicht gesündigt hatte. Dann fiel ihm Gomer ein, Hoseas Hurenweib, das keine Reue gezeigt und Hosea weiterhin betrogen hatte. Er runzelte die Stirn.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Sunja. »Ich werde es nie wieder tun. Ich werde nie wieder mit einem anderen Mann zusammen sein.«
»Es ist verständlich, dass Sie diesen jungen Mann heiraten möchten. Und er will Sie heiraten und sich um das Kind kümmern, aber ich weiß nicht, ob das weise ist. Vielleicht ist er zu idealistisch. Seine Familie ist nicht hier, und ich muss mich versichern, dass er im Sinne seiner Familie das Richtige tut.«
Sunja nickte zustimmend, und ihr Schluchzen ließ nach.
Yangjin atmete tief ein; all dies hatte sie befürchtet, als Baek Isak zum ersten Mal erwähnte, dass sie mit Pastor Shin sprechen mussten.
»Pastor Shin, ich glaube, dass Sunja eine gute Ehefrau sein wird«, sagte Isak. »Bitte trauen Sie uns. Ich bitte um Ihren Segen. Sie sprechen von tiefen und weisen Bedenken, aber ich glaube fest, dass dies Gottes Wunsch ist. Ich glaube, dass diese Ehe mir ebenso viel Gutes geben wird wie Sunja und dem Kind.«
Pastor Shin atmete langsam aus.
»Wissen Sie, wie schwierig es ist, die Frau eines Pastors zu sein?«, fragte er Sunja.
Sunja schüttelte den Kopf.
»Haben Sie mit ihr darüber gesprochen?«, fragte er Isak.
»Ich werde Assessor sein. Vermutlich wird nicht viel von ihr erwartet. Die Gemeinde ist nicht sehr groß. Sunja arbeitet viel und lernt schnell«, sagte Isak. Aber er hatte kaum über diesen Aspekt nachgedacht. Die Frau des Pastors in seiner Gemeinde in Pjöngjang war eine beeindruckende und unermüdliche Frau gewesen, sie hatte dem Pastor acht Kinder geschenkt und sich zusammen mit ihrem Mann um die Waisenkinder und die Armen gekümmert. Als sie starb, hatten die Gemeindemitglieder getrauert, als wäre ihre eigene Mutter gestorben.
Isak, Sunja und Yangjin saßen schweigend auf ihren Kissen.
»Sie müssen geloben, diesem Mann treu zu sein. Sind Sie das nicht, bringen Sie eine noch größere Schande über Ihre Mutter und Ihren toten Vater als schon jetzt. Sie müssen den Herrn um Vergebung bitten, mein Kind, und von ihm Glauben und Mut erbitten, wenn Sie sich ein neues Zuhause in Japan schaffen wollen. Seien Sie möglichst ohne Fehl und Tadel. Jeder Koreaner muss sich dort drüben von seiner besten Seite zeigen. Auch so haben die Menschen dort keine gute Meinung von uns. Geben Sie ihnen keine Gelegenheit, noch schlechter von uns zu denken. Ein schlechter Koreaner zerstört vielen anderen Koreanern die Chancen. Und ein schlechter Christ schadet vielen anderen Christen in der ganzen Welt, besonders in einer Nation von Ungläubigen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich möchte es verstehen«, sagte Sunja. »Und ich möchte Vergebung erlangen, Sir.«
Pastor Shin ließ sich auf ein Knie nieder und legte ihr die rechte Hand auf die Schulter. Er sprach ein langes Gebet für sie und Isak. Als er fertig war, bat er das Paar, sich zu erheben, und traute sie. In wenigen Minuten war die Zeremonie vorüber.
Während Pastor Shin mit Isak und Sunja zum Standesamt und zur Polizeistation ging, um die Eheschließung eintragen zu lassen, machte Yangjin sich mit raschen, entschlossenen Schritten auf zur Geschäftsstraße. Am liebsten wäre sie gerannt. Bei der Trauungszeremonie hatte sie viele Wörter nicht verstanden. Es war vermessen und undankbar, sich unter den Umständen ein besseres Ergebnis zu wünschen, aber Yangjin, so pragmatisch sie von Natur aus auch war, hatte sich für ihr einziges Kind etwas Schöneres vorgestellt. Obwohl es sinnvoll war, die Hochzeit gleich zu halten, hatte sie nicht gewusst, dass es am selben Tag sein würde. Ihre eigene hastige Hochzeit hatte auch nur wenige Minuten gedauert. Vielleicht war es nicht so wichtig, dachte sie.
Als Yangjin die Schiebetüren des Reisladens erreichte, klopfte sie an den Türrahmen, bevor sie eintrat. Im Laden waren keine Kunden. Eine gestreifte Katze strich mit einem zufriedenen Schnurren zwischen den Strohsandalen des Reisverkäufers umher.
»Ajumoni, es ist lange her«, begrüßte Cho sie. Der Reisverkäufer lächelte Hoonies Witwe an. In ihrem Haarknoten war mehr Grau, als er in Erinnerung hatte.
»Ajeossi, guten Tag. Ich hoffe, Ihrer Frau und den Kindern geht es gut.«
Er nickte.
»Können Sie mir bitte etwas weißen Reis verkaufen?«
»Waaaaah, Sie müssen einen wichtigen Gast haben. Es tut mir leid, aber ich habe keinen weißen Reis. Sie wissen ja, wohin der verschwindet«, sagte er.
»Ich habe genug Geld«, sagte sie und setzte die verschnürte Geldbörse auf die Theke zwischen sich und den Händler. Sunja hatte den Beutel aus blauem Leinen mit gelben Schmetterlingen bestickt, zwei Jahre zuvor war es ihr Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter gewesen. Die blaue Börse war zur Hälfte gefüllt, und Yangjin hoffte, dass es reichen würde.
Cho verzog das Gesicht. Er wollte ihr den Reis nicht verkaufen, weil er ihr denselben Preis berechnen musste wie den Japanern.
»Ich habe kaum Vorräte, und wenn die japanischen Kunden kommen und ich kann ihnen keinen Reis verkaufen, machen sie mir das Leben schwer. Das werden Sie verstehen. Glauben Sie mir, es ist nicht so, dass ich Ihnen keinen verkaufen möchte.«
»Ajeossi, meine Tochter hat heute geheiratet«, sagte Yangjin und versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
»Sunja? Wen? Wen hat sie geheiratet?« Er sah das Mädchen an der Hand ihres missgestalteten Vaters vor sich. »Ich wusste nicht, dass sie versprochen war! Heute?«
»Den Gast aus dem Norden.«
»Den mit der Tuberkulose? Das ist Wahnsinn! Warum lassen Sie Ihre Tochter jemanden heiraten, der so eine Krankheit hat? Er kann jederzeit tot umfallen.«
»Er nimmt sie mit nach Osaka. Dort wird ihr Leben weniger schwierig sein als bei uns in dem Logierhaus mit den vielen Männern«, sagte sie und hoffte, damit wäre seine Neugier befriedigt.
Sie sagte ihm nicht die Wahrheit, das wusste Cho. Das Mädchen musste sechzehn oder siebzehn sein. Sunja war ein paar Jahre jünger als seine zweitälteste Tochter; es war ein gutes Alter zum Heiraten für ein Mädchen, aber warum hatte dieser Mann sie zur Frau genommen? Jun, der Kohlenmann hatte gesagt, der Mann sei ein eleganter Kerl aus einer reichen Familie. Und im Blut der Familie des Mädchens lag Krankheit. Wer konnte sie zur Frau wollen? Vielleicht gab es in Osaka nicht so viele Mädchen, vermutete er.
»Hat er ein gutes Angebot gemacht?«, fragte Cho und sah die kleine Geldbörse skeptisch an. Kim Yangjin konnte einem solchen Mann keine anständige Mitgift geben, der Frau aus dem Logierhaus blieben kaum ein paar Messingmünzen, wenn sie die hungrigen Fischer und die beiden Schwestern, die sie besser nicht aufgenommen hätte, verköstigt hatte.
Seine eigenen Töchter hatten zwei Jahre zuvor geheiratet. Im vergangenen Jahr war der Mann der jüngeren in die Mandschurei geflohen, weil die Polizei hinter ihm her war, nachdem er eine Demonstration organisiert hatte, und jetzt ernährte Cho die Kinder dieses großen Patrioten, indem er seine besten Waren an reiche japanische Kunden verkaufte, die sein Schwiegersohn mit solcher Leidenschaft aus dem Land vertreiben wollte. Wenn seine japanischen Kunden nicht mehr bei ihm einkauften, konnte er den Laden schließen, und seine Familie würde hungern.
»Brauchen Sie den Reis für eine Hochzeitsfeier?«, fragte er, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie die Frau dafür bezahlen würde.
»Nein. Nur für die beiden.«
Cho nickte der kleinen, müden Frau zu, die vor ihm stand, ihn aber nicht ansah.
»Ich habe kaum etwas zu verkaufen«, wiederholte er.
»Ich möchte nur so viel, dass es für das Essen der Eheleute reicht – dass sie weißen Reis geschmeckt haben, bevor sie hier wegfahren.« Yangjins Augen füllten sich mit Tränen, und der Reisverkäufer wandte den Blick ab. Cho ertrug es nicht, wenn Frauen weinten. Seine Großmutter, seine Mutter, seine Frau, seine Töchter – sie alle weinten ohne Unterlass. Frauen weinen zu viel, fand er.
Seine ältere Tochter lebte im anderen Teil der Stadt mit einem Mann, der Drucker war, und seine jüngere Tochter wohnte mit ihren drei Kindern bei ihm und seiner Frau. Zwar klagte der Reisverkäufer ständig darüber, wie teuer der Unterhalt für seine Tochter und die Enkel sei, aber er arbeitete viel und erfüllte die Wünsche der japanischen Kunden, die die höchsten Preise bezahlten, weil es ihm unvorstellbar war, seine Familie nicht zu versorgen. Ihm war auch unvorstellbar, dass seine Töchter in der Ferne lebten – in einer Nation, wo Koreaner kaum besser als Tiere auf einem Bauernhof behandelt wurden. Er konnte sich nicht vorstellen, sein eigen Fleisch und Blut an diese Hurensöhne zu verlieren.
Yangjin zählte die Yen ab und legte sie auf das Holztablett auf der Theke neben dem Rechenschieber.
»Eine kleine Tüte, wenn es geht. Ich möchte, dass sie sich satt essen können. Wenn etwas übrig bleibt, mache ich ihnen süße Reiskuchen.«
Yangjin schob ihm das Tablett mit dem Geld hin. Wenn er sich weiter weigerte, würde sie alle Reisläden in Busan abklappern – ihre Tochter sollte zu ihrem Hochzeitsmahl weißen Reis essen.
»Reiskuchen?« Cho verschränkte die Arme und lachte laut. Wie lange hatte er das nicht mehr gehört – dass eine Frau weiße Reiskuchen machen wollte? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. »Vielleicht bringen Sie mir auch ein Stück vorbei.«
Als der Reisverkäufer in den Vorratsraum ging und den Reis holte, den er für Momente wie diesen beiseitegeschafft hatte, wischte sie sich die Augen trocken.