Nagano, April 1962
Noa hatte nicht unbedingt so lange in dem Café am Bahnhof von Nagano verweilen wollen, aber andererseits wusste er nicht recht, wohin er seine Schritte lenken sollte. Er hatte keinen Plan, was ungewöhnlich für ihn war, aber nachdem er sich bei der Universität abgemeldet hatte, waren ihm seine Tage leer und sinnlos vorgekommen. Reiko Tamura, eine heitere Lehrerin an der Mittelschule, die immer freundlich zu ihm gewesen war, kam aus Nagano, und deshalb hatte er sich ihre Heimatstadt als einen Ort vorgestellt, in dem sanftmütige und wohlwollende Japaner lebten. Er erinnerte sich, dass diese Lehrerin Geschichten von ihrer Kindheit erzählt hatte, von heftigen Schneestürmen, bei denen sie auf dem Weg zur Schule kaum die Straßenlaternen vor sich sehen konnte. In Osaka gab es gelegentlich Schnee, aber nichts verglichen mit den Schneestürmen, von denen Tamura-san berichtete. Er hatte immer schon die Heimatstadt dieser Lehrerin besuchen wollen, die in seiner Vorstellung dauerhaft unter einer Decke frisch gefallenen Schnees lag. Als der Mann am Schalter ihn fragte, wohin er reisen wolle, hatte er »Nagano, bitte« gesagt. Und jetzt war er angekommen. Er fühlte sich in Sicherheit. Tamura-san hatte auch von Schulausflügen zu dem berühmten Zenkoji-Tempel gesprochen, wo ihre Mitschüler und sie ihr einfaches Bento im Freien gegessen hatten.
Noa saß allein an einem kleinen Tisch in der Nähe der Theke, trank seinen braunen Tee und aß ein wenig von seinem Reisomelett, und dabei überlegte er, dass er sich den Tempel ansehen könnte. Er war als Christ aufgewachsen, aber er achtete Buddhisten, besonders die, die sich von dem Überfluss in der Welt abwandten. Angeblich war der Herr überall, das hatte Noa in der Schule gelernt, würde Gott sich aber von Tempeln und Schreinen fernhalten? Empfand Gott sie als kränkend, oder verstand er, dass die Menschen etwas verehren wollten, ganz gleich, was? Auch jetzt wünschte Noa sich, er hätte mehr Zeit mit Isak gehabt. Der Gedanke an ihn machte Noa traurig, während der Gedanke an Hansu, seinen leiblichen Vater, ihn mit Scham erfüllte. Koh Hansu glaubte an nichts – nicht an Gott, an Jesus, an Buddha, auch nicht an den Kaiser –, sondern nur an seine eigenen Werke.
Der kleine, gedrungene Kellner kam mit der Teekanne an seinen Tisch.
»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Sir?«, fragte er und füllte Noas Teetasse auf. »Ist das Omelett nicht nach Ihrem Geschmack? Zu viele Zwiebeln? Ich sage dem Koch immer, er nimmt zu viel –«
»Der Reis ist sehr gut, danke«, sagte Noa; in dem Moment wurde ihm bewusst, dass er seit geraumer Zeit mit niemandem gesprochen hatte. Der Kellner hatte ein breites Lächeln, schmale, wie Kaulquappen geformte Augen und schief stehende Zähne. Außerdem hatte er riesige Ohren und fleischige Ohrläppchen. Er sah Noa unverwandt an, anders als andere Japaner, die aus Höflichkeit weggesehen hätten.
»Sind Sie hier zu Besuch?« Der Kellner warf einen Blick auf Noas Koffer.
»Wie?« Noa war von der Frage des Kellners überrascht.
»Entschuldigen Sie bitte meine Neugier. Meine Mutter sagt immer, ich kriege nur Ärger, wenn ich so neugierig bin. Verzeihen Sie, Sir, ich bin einfach ein redseliger Junge vom Lande«, sagte der Kellner und lachte. »Ich habe Sie hier noch nicht gesehen. Verzeihen Sie, dass es im Café so still ist. Normalerweise haben wir viele Gäste. Sehr achtbare und interessante Gäste. Immer, wenn ich jemanden kennenlerne, fallen mir lauter Fragen ein, aber ich weiß, dass ich sie nicht stellen sollte.«
»Nein, nein. Es ist nur natürlich, neugierig zu sein. Ich verstehe das. Ich bin hier auf Besuch. Ich habe so viele gute Dinge über Nagano gehört, dass ich dachte, vielleicht würde ich gern hier leben.« Noa war überrascht, als er sich das sagen hörte. Es war so leicht, mit diesem Fremden zu sprechen. Bisher hatte er noch nicht daran gedacht, in Nagano zu leben, aber warum nicht? Zumindest für ein Jahr? Nach Tokio oder Osaka würde er nicht wieder gehen, das hatte er fest beschlossen.
»Hierherziehen? Um hier zu leben? Honto? Das ist wunderbar. Nagano ist eine ganz besondere Stadt«, sagte der Kellner mit Stolz. »Meine ganze Familie ist von hier. Wir leben schon immer hier. Seit achtzehn Generationen, und ich bin der Dümmste in der Familie. Dies hier ist mein kleines Café, das meine Mutter mir gekauft hat, damit ich was Anständiges zu tun habe.« Er lachte. »Alle nennen mich Bingo. Das ist ein Spiel aus Amerika. Einmal habe ich es gespielt.«
»Nobuo desu«, sagte Noa und lächelte. »Nobuo Ban desu.«
»Ban-san, Ban-san«, zwitscherte Bingo glücklich. »Einmal habe ich ein Mädchen aus Tokio geliebt, sie hieß Chie Ban, aber sie hat mich nicht geliebt … Natürlich nicht! Hübsche Mädchen lieben mich nicht. Meine Frau ist groß und nicht hübsch, aber sie liebt mich trotzdem!« Er lachte wieder. »Wissen Sie, es ist klug, dass Sie sich in Nagano niederlassen wollen. Ich war nur einmal in Tokio, aber das hat mir gereicht. Es ist schmutzig und teuer, und überall gibt es diese schnellen –« Der Kellner hielt inne. »Moment mal. Sie sind nicht aus Tokio, oder?«
»Nein, ich bin aus Kansai.«
»Ah, Kansai liebe ich. Ich war zwar nur zweimal in Kyoto, und obwohl es für einen einfachen Menschen wie mich zu teuer ist, bin ich von dem wahrhaftig köstlichen Udon begeistert, und ich glaube, ich kann dort ein köstliches Udon für einen angemessenen Preis bekommen. Am liebsten mag ich Udon mit Einlage.«
Noa lächelte. Er hörte dem Mann gern zu.
»Und was für eine Arbeit suchen Sie?«, fragte der Kellner. »Ein Mann muss eine Arbeit haben. Das sagt meine Mutter immer.« Bingo schlug sich die rechte Hand vor den Mund, aus Verlegenheit, weil er so ungehemmt redete, aber er konnte sich nicht bremsen. Der Fremde wirkte so attraktiv und bescheiden, und Bingo bewunderte stille Menschen. »Hatten Sie in Kansai eine Arbeit, die Ihnen gefiel?«, fragte er und zog die spärlichen Augenbrauen in die Höhe.
Noa senkte den Blick auf sein Essen, das er kaum angerührt hatte.
»Ich habe als Buchhalter gearbeitet. Außerdem kann ich Englisch lesen und schreiben. Vielleicht braucht ein kleiner Betrieb einen Buchhalter. Oder vielleicht gibt es ein Handelsgeschäft, wo Dokumente übersetzt werden müssen –«
»Ein junger Mann wie Sie kann überall Arbeit finden. Lassen Sie mich überlegen.« Bingos rundes Gesicht wurde ernst. Er tippte sich mit dem Zeigefinger aufs Kinn. »Sie scheinen ja sehr klug zu sein.«
»Das weiß ich nicht, aber es ist nett, dass Sie das sagen.« Noa lächelte.
»Hmm.« Der Kellner verzog das Gesicht. »Sir, ich weiß nicht, ob Sie sehr wählerisch sind, aber wenn Sie gleich eine Arbeit brauchen – im Pachinko-Lokal werden Leute von außerhalb eingestellt. Büroarbeit ist in letzter Zeit eher selten.«
»Pachinko?« Noa versuchte, nicht gekränkt zu wirken. Hielt der Kellner ihn für einen Koreaner? Die meisten Japaner kamen nicht darauf, dass er Koreaner sein könnte, oder erst, wenn er seinen koreanischen Nachnamen, Boku, nannte. Auf seinem Universitätsausweis war sein Tsumei-Name angegeben, Nobuo Bando. Noa war sich nicht sicher, warum er das »-do« von seinem Nachnamen weggelassen hatte, als er sich Bingo vorstellte, aber jetzt konnte er das nicht mehr rückgängig machen. »Ich weiß nicht viel über Pachinko. Ich habe nie –«
»Ich wollte Sie nicht kränken. Sie zahlen gut, habe ich gehört. Takano-san, der Manager des besten Lokals in Nagano, ist ein echter Gentleman. Vielleicht möchten Sie nicht in einem gewöhnlichen Pachinko-Lokal arbeiten, aber Cosmos Pachinko ist ein fantastischer Betrieb, der von einer alten Familie aus der Gegend geführt wird. Sie wechseln oft die Maschinen aus! Allerdings stellen sie keine Ausländer ein.«
»Wie bitte?«
»Keine Koreaner oder Chinesen, aber das betrifft Sie ja nicht, Sie sind ja Japaner.« Bingo nickte mehrmals hintereinander.
»Soo desu«, stimmte Noa ihm zu.
»Takano-san ist immer auf der Suche nach mehr klugen Büroarbeitern. Er zahlt anständig. Aber wie gesagt, er kann keine Ausländer einstellen.« Wieder nickte Bingo.
»Ja, ja«, sagte Noa verständnisvoll und gab vor zu verstehen. Vor langer Zeit hatte er gelernt, einfach zu nicken, auch wenn er nicht einverstanden war, denn allein das Nicken veranlasste die Menschen, weiterzureden.
»Takano-san ist hier Stammgast. Er war erst heute Morgen hier. Jeden Tag trinkt er seinen Kaffee am Fenster.« Bingo zeigte auf den Platz. »Schwarzer Kaffee, zwei Würfel Zucker. Nie Milch. Heute Morgen hat er zu mir gesagt: ›Bingo-san, es macht mir Kopfzerbrechen, dass ich keine guten Arbeiter finden kann. Die Leute hier haben Kürbisse statt Köpfe, und Kürbiskerne sind kein Ersatz für Verstand.‹« In komischer Nachahmung des geplagten Takano-san faltete der Kellner seine kurzen, fleischigen Finger über dem Kopf.
»He, warum gehen Sie nicht einfach rüber und sagen Takano-san, ich habe Sie geschickt?«, sagte Bingo und lächelte. So etwas mochte er besonders – behilflich sein und Menschen miteinander bekannt machen. Für seine Schulfreunde hatte er schon drei Hochzeiten in die Wege geleitet.
Noa nickte und dankte ihm. Jahre später erzählte Bingo allen, dass er Ban-sans erster Freund in Nagano gewesen war.
Takano-sans Geschäftsbüro befand sich in einem anderen Gebäude, fast zwei Blöcke von dem riesigen Pachinko-Lokal entfernt. Dem unauffälligen Äußeren nach hätte man nie den Zweck des Büros erahnt. Noa wäre wahrscheinlich daran vorbeigegangen, hätte Bingo ihm nicht die Lage auf einem Blatt aufgezeichnet. Abgesehen von der Nummer gab es an dem Gebäude kein Schild.
Hideo Takano, der Manager des Lokals, war ein schnittig aussehender Japaner Ende dreißig. Er trug einen schönen Anzug aus dunkler Wolle, dazu eine gestreifte Krawatte und ein passendes Einstecktuch; jede Woche bezahlte er einen Schuhputzjungen in der Nachbarschaft, der ihm alle seine Lederschuhe auf Hochglanz polierte. Er war so gut angezogen, dass man ihn eher für einen Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft gehalten hätte statt für jemanden, der in einem Büro arbeitete. Hinter seinem Schreibtisch waren zwei schwarze Safes, so groß wie Zimmertüren. Von seinem geräumigen Büro ging es in ein halbes Dutzend Büros mittlerer Größe, wo Mitarbeiter in weißen Hemden saßen – größtenteils junge Männer und unauffällige Bürodamen. Takano hatte einen kleinen Höcker auf seiner hübschen Nase und schwarze Augen mit nach unten gezogenen Augenwinkeln, und wenn er sprach, hatten sie einen samtenen, ansprechenden Ausdruck.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Takano. »Meine Sekretärin sagte, Sie suchen eine Bürostelle.«
»Ich heiße Nobu Ban desu. Bingo-san vom Café sagte mir, Sie suchen neue Mitarbeiter. Ich bin vor Kurzem aus Tokio gekommen, Sir.«
»Ha! Bingo hat Sie geschickt? Aber ich brauche hier niemanden, der mir Kaffee einschenkt.« Takano lehnte sich hinter seinem großen, metallenen Schreibtisch nach vorn. »Dann hört Bingo sich meine traurigen Klagen doch an. Ich dachte, es sei hauptsächlich andersherum.«
Noa lächelte. Der Mann schien umgänglich; er wirkte nicht wie jemand, der Koreaner hasste. Noa war froh, dass er ein sauberes Hemd und eine Krawatte angezogen hatte; Koh Hansu hatte oft gesagt, ein Mann solle jeden Tag versuchen, so gut wie möglich angezogen zu sein. Das sei besonders für Koreaner wichtig.
»Nun gut, Freund von Bingo-san, was haben Sie anzubieten?«, fragte Takano.
Noa reckte sich. »Ich bin gelernter Buchhalter und habe für einen Vermieter in Kansai gearbeitet. Ich habe mehrere Jahre lang Mieten einkassiert und die Bücher geführt, bevor ich zur Universität gegangen –«
»Ja? Universität? Wirklich? Welche Universität?«
»Waseda«, sagte Noa. »Aber ich habe mein Literaturstudium nicht abgeschlossen. Ich habe drei Jahre lang studiert.«
»Literatur?« Takano schüttelte den Kopf. »Angestellte, die Bücher lesen, wenn sie arbeiten sollen, brauche ich nicht. Ich brauche einen Buchhalter, der gescheit, sorgfältig und ehrlich ist. Er muss jeden Morgen pünktlich zur Arbeit erscheinen, nicht verkatert und nicht in Liebesdramen verstrickt. Ich will keine Versager. Versager werden gefeuert.« Nachdem Takano das gesagt hatte, legte er den Kopf auf die Seite. Noa sah anständig aus; Takano verstand, warum Bingo ihn geschickt hatte.
»Ja, Sir. Natürlich. Ich bin ein sehr exakter Buchhalter und kann sehr gut Briefe schreiben, Sir.«
»Bescheiden.«
Noa entschuldigte sich nicht. »Ich werde mich sehr anstrengen, wenn Sie mich einstellen.«
»Wie war noch Ihr Name?«
»Nobuo Ban desu.«
»Sie sind nicht von hier.«
»Nein, Sir. Ich bin aus Kansai.«
»Warum haben Sie Ihr Studium abgebrochen?«
»Meine Mutter ist gestorben, und ich hatte nicht genug Geld, um das Studium abzuschließen. Ich hoffe, ich kann jetzt Geld verdienen, um eines Tages wieder zur Universität zu gehen.«
»Und Ihr Vater?«
»Er ist tot.«
Takano glaubte zwar nicht, wenn Leute von außerhalb behaupteten, ihre Eltern seien tot, andererseits war es ihm gleichgültig.
»Warum sollte ich Sie ausbilden, wenn Sie doch nur weggehen und weiter Literatur studieren wollen? Ich habe keine Lust, Ihnen dabei zu helfen, Ihr Universitätsstudium zu beenden. Ich brauche einen Buchhalter, der bleibt. Sind Sie dazu bereit? Am Anfang werde ich Sie nicht sehr gut bezahlen, aber es wird Ihnen reichen. Was wollen Sie mit Literatur überhaupt anfangen? Damit kann man doch kein Geld verdienen. Ich habe die Schule nicht zu Ende gemacht, aber ich kann Sie einstellen und wieder feuern, sooft es mir passt.«
Noa antwortete nicht. Seine Familie hatte geglaubt, er wolle nach dem Studium in einem Betrieb arbeiten, aber insgeheim hatte er davon geträumt, Englischlehrer an einer Oberschule zu werden. Er hatte gehofft, mit einem Abschluss von der Waseda eine Stelle als Lehrer an einer Privatschule zu bekommen. Vielleicht würden sich irgendwann die Gesetze für öffentliche Schulen ändern, die immer noch keine Koreaner einstellten. Er hatte sogar erwogen, die japanische Staatsbürgerschaft anzunehmen.
»Na gut. Sie haben jetzt kein Geld für die Universität, und Sie brauchen Arbeit, sonst wären Sie nicht hier. Wo wohnen Sie?«
»Ich bin heute erst in Nagano angekommen. Ich wollte mir ein Logierhaus suchen.«
»Sie können in den Schlafräumen hinter dem Pachinko-Lokal schlafen. Am Anfang müssen Sie ein Zimmer teilen. Rauchen ist in den Zimmern nicht gestattet, auch kein Frauenbesuch. Ihnen stehen täglich drei Mahlzeiten in der Cafeteria zu. So viel Reis, wie Sie wollen. Zweimal in der Woche gibt es Fleisch. Und was Mädchen angeht, dafür gibt es Hotels. Was Sie in Ihrer Freizeit machen, ist mir gleichgültig, aber Ihre oberste Pflicht ist die Firma. Ich bin ein großzügiger Manager, aber wenn Sie Mist bauen, fliegen Sie sofort raus, und zwar ohne den Lohn, der Ihnen zustünde.«
Noa fragte sich, ob sein jüngerer Bruder auch so mit Angestellten sprach. Er fand es erstaunlich, dass er in einem Pachinko-Betrieb arbeiten würde, genau wie Mozasu, der die Schule geschmissen hatte.
»Sie können gleich anfangen. Gehen sie zu Ikeda-san im Büro nebenan. Tun Sie das, was er Ihnen sagt. Er ist der Leiter der Buchhaltung. Ich gebe Ihnen eine Probezeit von einem Monat. Wenn Sie zufriedenstellend arbeiten, zahle ich Ihnen ein anständiges Gehalt. Sie bekommen mehr, als Sie brauchen. Davon können Sie eine Menge sparen.«
»Danke, Sir.«
»Woher kommt Ihre Familie?«
»Kansai«, sagte Noa.
»Ja, das haben Sie gesagt. Wo in Kansai?«
»Kyoto«, sagte Noa.
»Was machen Ihre Eltern?«
»Sie sind tot«, sagte Noa und hoffte, damit die Fragen zu beenden.
»Ja, das haben Sie gesagt. Was haben sie gemacht?«
»Mein Vater hat in einem Udon-Restaurant gearbeitet.«
»Ach?« Takano war erstaunt. »Ein Nudelmann schickt seinen Sohn auf die Universität Waseda? Wirklich?«
Noa wünschte, er könnte besser lügen.
»Sie sind kein Ausländer? Das schwören Sie.«
Noa versuchte, bei dieser Frage ein erstauntes Gesicht zu machen. »Nein, Sir. Ich bin Japaner.«
»Gut, gut«, sagte Takano. »Gehen Sie jetzt, und sprechen Sie mit Ikeda-san.«
In den Schlafräumen des Pachinko-Lokals waren sechzig Mitarbeiter untergebracht. In der ersten Nacht schlief Noa in einem der kleinsten Zimmer zusammen mit einem älteren Mann, der Geräusche wie ein defekter Motor machte. Innerhalb einer Woche hatte Noa einen Rhythmus gefunden. Wenn er aufwachte, wusch er sich schnell das Gesicht. Gebadet hatte er am Abend zuvor in der öffentlichen Badeanstalt. Dann ging er in die Cafeteria, wo der Koch Reis, Makrele und Tee servierte. Noa arbeitete unbeirrt und imponierte Ikeda-san, der nie einem so klugen Buchhalter begegnet war. Nach dem Probemonat durfte Noa bleiben. Jahre später erfuhr Noa, dass der japanische Inhaber ihn von Anfang an mochte. Nach Ablauf des ersten Monats bestimmte der Inhaber, dass Noa eine Gehaltserhöhung und ein besseres Zimmer bekommen sollte, allerdings erst zum Jahresende, damit er anderen Mitarbeitern gegenüber nicht bevorzugt wurde. Der Inhaber hatte die Vermutung, dass Noa Koreaner war, aber er sagte nichts, denn solange niemand es wusste, war es ohne Belang.