Kapitel 16
Mit gesenktem Kopf hatte Jack Grace im Verhörraum der Polizeiwache gegenüber gesessen. Sie hatte nicht lange gebraucht, um alles, was er wusste, aus ihm rauszubekommen. Er hatte wie ein kleines Kind geheult und sich gefühlt tausendmal entschuldigt. Er tat Grace leid und sie war froh, dass Jenny ihn nicht so sah. Natürlich wusste der Junge nicht, wer der große Boss des Mädchenhändlerrings war, aber immerhin konnte er ihr seinen Kontaktmann in Tulsa nennen. Miguel Santiano. Nachdem die Polizei den Namen hatte, waren mehrere Beamte sofort losgefahren, um den Kerl zu suchen. Er war kein Unbekannter, wie sich herausstellte, vorbestraft vor allem wegen Drogendelikten. Er wusste, wo die Mädchen »zwischengelagert« wurden, hatte Jack ausgesagt.
»Sagen Sie Eve, Bobby und auch Jenny, dass es mir leidtut, ja, Agent Lewis?«
Sie nickte und sah dabei zu, wie er abgeführt und in Untersuchungshaft gebracht wurde. Endlich hatte sie Zeit zum Durchatmen und gönnte sich einen Kaffee aus dem Automaten, dessen Geschmack sie an Altöl erinnerte.
»Sagt Ihnen unser Kaffee nicht zu, Agent Lewis?«, fragte der dunkelhäutige Chief, als er im Vorbeigehen ihren angewiderten Gesichtsausdruck sah.
»Ich nehme an, der steht auf keiner Liste heimischer, kulinarischer Köstlichkeiten, oder? Darf sich so etwas überhaupt Kaffee nennen?«
Der Chief lachte schallend.
»Wollen Sie beim Verhör des Mexikaners auch dabei sein, Agent?«
»Sicher.« Sie folgte ihm. »Ich werde mir ein Zimmer in der Stadt nehmen, so können Sie mich jederzeit erreichen, sobald Sie ihn haben.«
»Gut, gut. Wirklich gute Arbeit, die sie da geleistet haben, Agent. Wenn Sie mal die Nase voll vom FBI haben, wir könnten jemanden wie Sie gebrauchen.«
»Bieten Sie mir gerade einen Job an?« Grace warf den Plastikbecher, in dem sich noch ein Schluck des scheußlichen Gebräus befand, in den nächstbesten Mülleimer.
»Warum nicht? Vielleicht sind Sie dem Charme von Oklahoma verfallen. Also Agent, mein Angebot steht, sofern Sie irgendwann Interesse habe. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte.«
»Natürlich«, sagte Grace in Gedanken. War das der Wink des Schicksales? Der mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl? Wäre das der Weg in eine Zukunft mit Jenny? Noch ehe sie weiter darüber nachdachte, hatte sie ihr Handy gezückt und tippte eine Nachricht an Jenny.
Jack hat ausgepackt und befindet sich jetzt in U-Haft. Wir haben einen Namen und die Kollegen sind auf dem Weg, den Mistkerl einzusacken. Ich lass dich wissen, wenn wir etwas aus ihm herausbekommen haben. Ich bleibe über Nacht in der Stadt, damit ich beim Verhör dabei sein kann.
Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Danke, dass du uns informierst.
Grace schluckte. Das war alles? Doch schon piepte ihr Mobiltelefon erneut.
Soll ich dir frische Sachen bringen? Und eine Pizza? Natürlich nur, wenn du Gesellschaft möchtest.
Grace grinste.
Ja, ich hätte sehr gerne deine Gesellschaft, Cow Girl. Ich bin im South Broken Arrow.
Nachdem sie ihre Pizza gegessen hatten - Grace ließ es mittlerweile um einiges gemütlicher angehen bei der Nahrungsaufnahme - zog Grace Jenny dicht an sich heran.
»Ich freue mich, dass du da bist.« Grace drückte ihr einen Kuss aufs Haar. Jenny duftete immer so gut. Nicht künstlich, es war ihr eigener Körperduft, den sie unheimlich anziehend fand. Warm, süß und irgendwie puderig. »Es war ein richtiger Scheißtag heute. Ich hasse es, wenn ich junge Menschen vor mir sitzen habe, die in den meisten Fällen in irgendetwas Dummes hineinschlittern und dann die Konsequenzen tragen müssen.« Sie seufzte.
»Wird Jack eine Jugendstrafe bekommen?« Jenny kuschelte sich näher an Grace heran.
»Das hängt vom Richter ab. Er ist fast achtzehn, also kein Kind mehr. Auf der anderen Seite wird wohl sein soziales Umfeld und der Tod der Mutter berücksichtigt werden. Und er war geständig, das ist ein weiterer Pluspunkt.« Wieder seufzte sie. »Wir werden abwarten müssen.«
»Ich hoffe, die Polizei findet diesen Mistkerl schnell. Und ich bete, dass sie Melanie finden und dass es ihr gut geht.«
»Das hoffen wir alle.«
Grace begann, Jennys Arm zu streicheln und spürte, wie sich darauf eine Gänsehaut ausbreitete.
»Jenny, ...« Sollte sie erzählen, was der Chief ihr vorgeschlagen hatte? Sie wollte nicht neue Hoffnungen wecken, die sie dann vielleicht doch nicht erfüllen konnte.
»Hm?«
»Ach nichts.« Jetzt war nicht der Zeitpunkt. »Sollen wir zu Bett gehen?«
»Bist du müde?« Jenny setzte sich kerzengerade auf. »Kein Wunder nach dem ...«
Grace brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen.
»Ehrlich gesagt, bin ich alles andere als müde, Miss Porter. Mir ist nach ein wenig Entspannung.«
»Na, wenn das so ist, Agent Lewis ...« Jenny erhob sich grinsend, zückte ihr Handy, suchte Musik aus und bewegte sich langsam im Takt. »Lehnen Sie sich zurück und entspannen.«
Zu einer soften R&B Nummer, begann sie ihr Hemd aufzuknöpfen. Grace lächelte. Ernsthaft? Bekam sie jetzt den ersten Striptease ihres Lebens? Ich verliebe mich noch in diese Frau,
dachte sie, während Jenny ihr den Rücken zugedreht hatte und sich mit wackelndem Po ihrer Shorts entledigte. Splitterfasernackt, nur noch die schwarzen Cowboystiefel an den Füßen, räkelte sich Jenny lasziv auf dem Bett und winkte Grace mit einem verführerischen Augenaufschlag zu sich. Grace ließ sich nicht lange bitten. Etwas Erotischeres hatte sie noch nie gesehen. Sie war so dermaßen angetörnt, dass sie am liebsten über Jenny hergefallen wäre. Aber sie zügelte sich. Wollte diesen Moment, der so perfekt war, hinauszögern.
»Du bist so herrlich durchgeknallt«, raunte sie Jenny ins Ohr, als sie sich neben ihr niederließ und es genoss, wie Jenny sie aufs Bett drückte, sich breitbeinig auf sie setzte und ihr seelenruhig die Kleider vom Leib schälte.
Grace machte in der Nacht kein Auge zu, während Jenny leise schnarchend und nackt neben ihr lag. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf umher. Normalerweise litt sie nicht an Schlaflosigkeit, hatte sich gut im Griff und trennte Arbeit und Privatleben. Was sie ja gar nicht hatte, wenn man es genau nahm. Doch das war jetzt anders. Ihre Gefühle für Jenny wurden immer stärker. Mit jeder Minute, die sie zusammen waren, schlich sie sich mehr in Graces Herz. Dabei war sie immer der festen Überzeugung gewesen, dass das niemand schaffen würde. Wie sollte es nun weitergehen? Selbst wenn ... wie hieß dieser Mexikaner noch gleich ... selbst wenn er gefasst war, bedeutete das nicht, dass der Fall beendet war. Es würde weitergehen, es ging immer weiter. Ob überhaupt jemals die Köpfe hinter dem Ganzen gefasst wurden, stand sowieso noch auf einer ganz anderen Karte. Aber sie wollte nicht aufgeben. Es war ihr Fall, sie war von Anfang an dabei und sie wollte so viele von
diesen Scheißkerlen hinter Gitter bringen wie möglich. Das bedeutete aber auch, dass sie unmöglich zur örtlichen Polizei wechseln konnte, selbst wenn es ihr schon jetzt das Herz brach, Jenny verlassen zu müssen.
Grace zog Jenny näher an sich heran. Ein wohliges Seufzen perlte von den Lippen der Schlafenden und sie lächelte. Noch nie hatte Grace so grandiosen Sex erlebt. Sich noch nie so wohl bei einer Person gefühlt. Sie spürte Jennys Busen an ihrem Arm. Die kleinen, harten Knospen, die sich gegen ihre Haut drückten und die in ihr erneut ein Feuer auslösten. Vielleicht könnte sie ...? War das fair, wo Jenny doch so selig schlummerte? Grace grinste in sich hinein, als sie sich vorsichtig von ihr löste und begann, die verführerischen Knospen zwischen ihre Lippen zu nehmen und daran zu knabbern. Jenny schlief unbeeindruckt weiter, schmatzte nur einmal kurz und drehte sich um.
»Das gibts doch nicht«, murmelte Grace.
Mit der Zunge umkreiste sie Jennys Bauchnabel und streichelte sanft ihren Oberschenkel, bis sie eine verräterische Feuchte spürte.
»Gut so, Kleine.« Fast schon schadenfroh lächelnd ließ sie ihre Zunge weiterwandern und als sie zum Zentrum vorstieß, wurde sie mit einem leisen Stöhnen belohnt. Immer noch in der Annahme, Jenny würde schlafen, ließ Grace ihre Zunge tun, was getan werden musste, bis sie ein Kichern vernahm.
»Echt jetzt? Wolltest du mir einen feuchten Traum bescheren?« Grace grinste, sah kurz auf und direkt in Jennys amüsiert blitzende Augen.
»Wenn du wach bist, macht es mehr Spaß.«
»Wenn dem so ist, bedien dich.« Jenny spreizte die Beine und ließ sich zurück ins Kissen sinken.
Nachdem sie sich noch ein zweites und drittes Mal geliebt hatten, war Grace doch noch eingeschlafen, bis sie von ihrem Handy geweckt wurde.
»Agent Lewis?«
»Ja.« Sie rieb sich verschlafen die Augen und stand gleichzeitig auf.
»Wir haben ihn.«
»Bin gleich da. Danke Chief.«
Mit einem letzten, wehmütigen Blick auf Jenny verschwand Grace ins Bad.