12. Fiona
J ulia und ich sind fix und fertig. Welcher Idiot hat eigentlich den Weg durch die Felder gewählt? Soweit ich sehe, hätten wir auch ganz bequem am Meer entlang fahren können. Aber nööö! Wer braucht schließlich eine asphaltierte Straße, wenn er sich auch über Feldwege quälen kann? Mir wird jetzt noch ganz schlecht, wenn ich nur an das Holpern denke.
Mein Gott, was war ich froh, als wir endlich das Dörfchen entdeckt haben. Kurz, bevor ich aufgeben wollte.
Julia und ich haben uns so abgemüht und einem älteren Herrn mit lateinischen Wortfetzen erklärt, was wir suchen. Er hat uns dann, auf Deutsch, den Weg hierher erklärt.
Dieser Ort ist wunderschön.
Aber vor allem bietet er eine Taverne und ist somit zum schönsten Ort auf der ganzen Welt aufgestiegen.
Ich steige vom Roller und fühle mich wie durchgekaut und ausgekotzt. Breitbeinig wackle ich an Julia vorbei, die stehen geblieben ist und mit weit geöffneten Augen zwei junge Frauen fixiert, die an einem Tisch sitzen und in unsere Richtung schauen. Ich sehe in der Ferne nicht so gut, weswegen ich näher an die zwei Frauen heran treten muss.
Ich erstarre in meiner Bewegung. Das ist doch... unmöglich. Wie kann das sein?
Julia schlurft an mir vorbei und geht auf den Tisch der zwei Frauen zu.
»Was wollt ihr zwei denn hier?«, höre ich sie zischen.
»Mittagspause machen.«, antwortet Lena salopp.
»So weit ich weiß, sind wir freie Menschen. Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Wenn Sie möchten, können Sie sich gerne zu uns setzen.«
Julia und ich schauen uns um. Ich schüttle innerlich den Kopf, trete dann aber an den Tisch von Kim und Lena.
»Vielen Dank für das Angebot.«, sage ich freundlich und setze mich hin.
Eine andere Wahl habe ich nicht. Sämtliche Tische sind besetzt.
Beim Anblick der Fischplatten läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ohne zu fragen, greife ich nach Kims Bier und nehme einen großen, einen sehr großen, Schluck. Nach meinem Überfall ist das Glas leer.
»Tut … tut mir leid.«, stammle ich.
»Aber ich bin am Verdursten.«
Lena hebt den Arm und zeigt vier Finger. Wenige Tische von uns entfernt nickt eine dickliche ältere Frau und verschwindet in dem Häuschen mit dem abgeblätterten Putz. Ein frischer Anstrich würde der Taverne sicher nicht schaden, aber das sind nur Äußerlichkeiten. Es gibt Bier, etwas zum Essen und Sitzgelegenheiten. Somit ist es die beste Taverne überhaupt, selbst wenn ich im normalen Leben wahrscheinlich einen großen Bogen um diese Lokalität machen würde. Keine fünf Minuten später stehen vier gefüllte Biergläser vor Julia, Lena, Kim und mir.
»Essen?«, fragt die dickliche Frau, deren Kleidung ein Waschgang sicher auch nicht schaden würde.
Ich sollte lieber nicht darüber nachdenken. Besser ist das. Sonst kommen Essen und Bier bei nächster Gelegenheit retour.
Julia und ich sind uns schnell einig und bestellen eine Fischplatte. Für uns zwei. Das reicht. Definitiv.
Lena, Kim, Julia und ich heben die Gläser und stoßen an. Dass Kim mir tief in die Augen schaut, will ich lieber ignorieren. Das nervöse Kribbeln in meinem Bauch lässt sich hingegen nicht einfach wegschieben. Es ist einfach da. Und geht nicht wieder weg. Eigentlich ein sehr schönes Gefühl. Aber … Nein. Für den Moment werde ich nicht darüber nachdenken.
Ich bin im Urlaub und Kim und Lena sind genauso Touristen wie Julia und ich. Nicht mehr und nicht weniger.
»Danke, dass wir bei euch sitzen dürfen.«, sage ich leise.
»Logo. Ist doch kein Problem, oder?«
Kim schenkt mir einen neckischen Augenaufschlag. Meine Beine fühlen sich seltsam an. Fast so, als hätte ich keine Muskeln mehr. Daran ist nur die blöde Fahrt über die holprigen Feldwege schuld.
Aus den Augenwinkeln schaue ich mir Kim genauer an. Gut sieht sie aus. So entspannt und braun gebrannt. Und staubig. Ziemlich staubig sogar.
»Seid ihr etwa auch durch die Felder gefahren?«, platzt es aus mir heraus.
Lena nickt lachend, während Kim dabei ist, den Tisch zu betrachten. Seltsam. Seit wir hier angekommen sind, schaut sie mich zwar immer wieder an, sagt aber nicht viel. Sie wirkt regelrecht zugeknöpft. Julia runzelt die Stirn.
Sie schaut in Lenas Richtung, doch die zuckt nur mit den Schultern. Keine Ahnung, was mit der wieder los ist., sagt ihr Blick.
Während der nächsten halben Stunde versuche ich, mit Kim ins Gespräch zu kommen, doch außer Nicken, Schulterzucken, Kopfschütteln oder dem einen oder anderen verlegenen Lächeln bekomme ich keine brauchbaren Reaktionen. Ist es ihr womöglich doch unangenehm, dass Julia und ich an ihrem Tisch sitzen? Unauffällig schaue ich mich um. Immer noch alle Tische belegt und so, wie es aussieht, wird sich daran auch so schnell nichts ändern.
Dann muss Madame eben durch. Und ich auch. Julia und Lena unterhalten sich angeregt. In Gedanken versunken nehme ich kleine Schlucke von meinem Bier. Dass mir dabei ein Tropfen verlorengeht und über meinen Mundwinkel rinnt, nehme ich erst bewusst wahr, als mir Kims Blick auffällt. Kims Blick folgt dem Tropfen über mein Kinn und meinen Hals. Ich bin mir nicht sicher, ob Kim bewusst ist, was sie da tut. Ich bin mir dessen jedenfalls sehr viel mehr als nur bewusst. Mein Bauch kribbelt. Verdammt! Kim! Hör auf, mich so anzuschauen. Du bist immer noch meine Schülerin, selbst wenn wir hier ganz entspannt zusammen sitzen und unseren Urlaubstag genießen.
Solche Blicke dürfen nicht sein. Aber noch viel weniger dürfen meine Reaktionen so sein, wie sie sind. Es fällt mir immer schwerer, mich zu wehren. Weil Kim auf ihre ganz eigene Art zuckersüß ist.
Alles in mir schreit danach, diese junge Frau zu berühren. Ihr nahe zu sein und all das zu genießen, was sie zu geben hat.
Dabei war ich es doch, die immer sehr hart mit Kollegen ins Gericht gegangen ist, wenn sie dem Charme eines Schülers oder einer Schülerin erlegen sind und sich auf eine verbotene Beziehung mit ihnen eingelassen haben. Mir würde so etwas niemals passieren. Dachte ich immer. Mittlerweile bin ich mir in diesem Punkt nicht mehr ganz so sicher.
Julia weiß das. Und Kims Freundin Lena weiß es vermutlich auch. Spätestens jetzt. Sie sieht mich an. Mit einem Blick, den ich nicht deuten kann. Eine Spur zu hektisch wische ich mir mit der labbrigen Papierserviette übers Dekolletee. Dass mein Blick Kims gefangen hält, geschieht wohl eher unbewusst.
Kim schließt die Augen. Hilfe! Sie reißt sie wieder auf. Dann steht sie auf, streckt sich und murmelt irgendetwas vor sich hin, was ich nicht verstehe.
Erst als sie den Tisch verlässt und sich ein paar Schritte Richtung Wasser entfernt, wache ich wieder auf. Ich drehe mich um und schaue ihr hinterher.
Süße Rückseite.
Julia und Lena stecken die Köpfe zusammen. Dann schauen mich beide erwartungsvoll an.
»Jemand sollte zu ihr gehen, findest du nicht?«, fragt Julia.
Ich schüttle den Kopf. Doch dann … nicke ich und versuche Lena mit Blicken zu sagen, dass sie diejenige ist, die Kim folgen sollte. Doch Lena rührt sich nicht.
»Ich denke, Sie sollten zu ihr gehen.«, sagt sie so ruhig, dass mir ein bisschen anders wird.
Sollte ich wirklich? Ob das eine gute Idee ist? Nein. Ist es nicht. Ganz sicher nicht. Trotzdem kann ich nicht anders. Ich stehe auf. Und strecke mich. Aua! Verflucht, tut das weh. Ich bin eben nicht für Ausflüge mit dem Roller gemacht. Und schon gar nicht, wenn es über holprige Feldwege geht. Für so einen Scheiß bin ich zu alt. Im Moment fühle ich mich als wäre ich achtzig.
Gleichzeitig breitet sich ein Kribbeln in meinem Bauch aus, das mir suggeriert, gerade mal achtzehn zu sein.
Nicht falsch verstehen, ich bin froh, keine achtzehn mehr zu sein. Trotzdem wäre es in diesem Fall wahrscheinlich einfacher. Dann könnte ich meine komplett durcheinander geratene Gefühlswelt damit begründen, dass die Hormone durchdrehen. Weil ich eben noch sehr jung und unerfahren bin. Dummerweise kann ich mich hinter dieser Ausrede nicht verstecken.
Auf wackeligen Füßen stakse ich in die Richtung, die Kim eingeschlagen hat.
Ich finde Kim am Wasser sitzend vor. Sie hat die Beine angezogen und schaut aufs Meer. Die Strahlen der Sonne zeichnen sehr spezielle Schimmer auf ihr Haar. Kim sieht wirklich gut aus. Und vermutlich weiß sie das auch. Sie rührt sich nicht, obwohl meine viel zu laute Atmung dafür sorgen muss, dass sie meine Anwesenheit wahrnimmt.
Ich trete von hinten an sie heran und lege meine Hand auf ihre Schulter. Kim zuckt zusammen. Ich auch.
»Alles in Ordnung?«, raune ich zaghaft und bin von dem nervösen Beben in meiner Stimme wahrscheinlich noch überraschter als Kim.
Kim nickt. Doch dann schüttelt sie den Kopf.
»Nicht wirklich.«, murmelt sie, dreht sich aber immer noch nicht zu mir um.
Eine Einladung, mich zu ihr zu setzen, erteilt sie mir auch nicht. Dann setze ich mich eben ohne Einladung neben sie und ziehe ebenfalls die Beine an. Dicht nebeneinander schauen wir aufs Wasser. Es ist nicht einfach, die Nähe und die Wärme, die von ihrem Körper ausgehen, zu ignorieren. Nicht nur nicht einfach, nahezu unmöglich sogar. Kim strahlt eine Wärme aus, wie ich es noch nie erlebt habe. So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man an einem Hochofen arbeitet.
Mein Hirn arbeitet nur noch auf Sparflamme. Dicht neben mir sitzt eine wunderschöne junge Frau und ich bin kurz davor, ihr das Herz zu brechen. Ich will nicht, dass sie leidet und schon gar nicht wegen mir. Aber es geht nicht anders. Nicht, weil ich Kim nicht mag, sondern weil ich sie mag. Ich schätze die junge Frau sehr. Trotzdem darf das, was sich immer mehr in meinem Herzen in den Vordergrund drängt, nicht sein. Eine Lehrerin darf nun mal keine Gefühle für ihre Schülerin entwickeln. Es geht einfach nicht. Selbst wenn ich meine Position als Lehrerin niemals ausnutzen würde, ist Kim von mir und meiner Benotung abhängig.
»Sagst du mir, was mit dir los ist?«
Kim schüttelt den Kopf. Mal wieder. Im nächsten Moment dreht sie sich so heftig zu mir herum, dass ich überrumpelt zusammenzucke.
Kims Blick dringt tief in mich. Ich schließe die Augen, will das, was ich erkenne, nicht sehen. Als Kims Lippen meine berühren, ist es so, als würde die Welt stehen bleiben. Ihr Kuss ist so voller Wärme, voller tiefer Gefühle. Sanft und weich und gleichzeitig so voller Sehnsucht. Für einen Augenblick vergesse ich mich und meine Position als ihre Lehrerin und gebe mich den Zärtlichkeiten hin. Ich lasse mich küssen und erwidere das sanfte Streicheln von Kims Zunge.
Kim hat es geschafft. Sie hat das kleine Türchen zu meinem Herz, das ich für fest verschlossen hielt, geöffnet. Einen Spalt nur und doch reicht dieser Spalt aus, dass ich mehr will. Ich will, dass sie niemals aufhört, mich so zu küssen. Ich bin wieder der Teenager, der verrückt nach den Küssen seiner Freundin ist. Ich bin wieder der Teenager, der jede Form rationalen Denkens ausschaltet. Ich bin wieder der Teenager, der nur noch fühlen will. Ich will führen. Und gleichzeitig will ich geführt werden. Von Kim.
Viel zu bereitwillig öffne ich die Lippen und heiße Kims Zunge willkommen. Der Kuss verändert sich. Zartheit und vorsichtiges Erkunden verlieren sich in Sehnsucht und Leidenschaft. Kim gibt das Tempo vor. Ich folge ihr. Und fühle mich frei. So frei wie schon lange nicht mehr. Oder besser … so frei, wie noch nie.
Kim legt ihren Arm um mich und zieht mich an sich. Unter dem Stoff ihres hauchdünnen Oberteils sind die festen Nippel nur zu deutlich spürbar. Innerlich schreie ich auf. Zärtlich streichle ich über Kims weiches Haar und halte sie fest. Doch dann …
Verdammt! Sie ist meine Schülerin!
Mein Hirn ist doch nicht vollständig dem Hitzetod erlegen. Ein paar graue Zellen arbeiten noch. Und sorgen dafür, dass der Denkprozess nicht langsam wieder in Gang kommt, sondern so abrupt, dass ich Kim mit einem Ruck von mir weg stoße und aufspringe.
Mir ist schwindelig. Mein Herz rast. Ich kann nicht mehr. Mir ist nur noch nach Flucht zumute.
»Jetzt weißt du, was mit mir los ist.«, sagt Kim ohne jegliche Arroganz in der Stimme, obwohl sie sich damit brüsten könnte, dass sie mich dazu gebracht hat, meinen Schutzwall einzureißen und sie zu küssen.
Aber so ist Kim anscheinend nicht. Dafür ist ihr Blick unendlich tief.
Ich öffne den Mund und will etwas sagen. Muss etwas sagen. Doch Kim winkt ab.
»Bitte erspar uns das. Ich weiß sowieso schon, was du zu sagen hast.«
Ach ja? Wunderbar. Dann weiß es wenigstens eine von uns. Ich selbst habe nämlich keinen blassen Schimmer, was ich ihr sagen soll, oder besser … wie.
Natürlich weiß ich, was ich ihr sagen muss. Und mir selbst. Aber … es geht nicht. Nicht so einfach jedenfalls. Dafür war das, was gerade zwischen uns passiert ist, viel zu intensiv. Zu weltverändernd. Und viel zu schön.
Kim schaut mich von unten herauf an. Wie ein geprügelter Hund schaut sie aus. Mir zerreißt es das Herz. Ich will nicht, dass sie leidet. Ich möchte auch nicht leiden.
Kim und ich haben zusammen die Büchse der Pandora geöffnet und nun müssen wir sehen, wie wir damit klarkommen.
»Du weißt, dass das, was gerade passiert ist, niemals hätte passieren dürfen.«, murmle ich hilflos und Kim nickt.
Sie schlägt die Augen nieder. Ihre Hände verknoten sich. Mein Herz verknotet sich auch.
»Es tut mir leid.«, stammelt sie und hebt hilflos die Arme.
Dann lässt sie sie wieder sinken. Und springt auf.
»Es tut mir nicht leid.«, haucht sie so nah an meinem Ohr, dass ihr warmer Atem meine Haut zum Kribbeln bringt.
»Ich würde es sofort wieder tun.«
Ich auch! Verdammt! Aber das ist es ja gerade. Wir dürfen nicht. Warum hilft mir nicht irgendjemand? Ein kleiner Blitz, der zwischen uns in den Boden zuckt und unsere Erinnerung an den Kuss von jetzt auf gleich aus unserem Gedächtnis löscht? Das wäre es doch. Ich hebe den Kopf und schaue in den Himmel. Strahlend blauer Himmel. Kein einziges Wölkchen. Also auch kein Blitz.
Somit werde ich mich wohl für immer an diesen Kuss erinnern … müssen. Nein. Nicht müssen. Dürfen. Denn dieser Kuss war das Intensivste, was ich jemals erlebt habe.
Keine andere Frau hat mich mit ihren Küssen je so empfinden lassen wie Kim. Keine andere Frau hat es geschafft, dass ich mich komplett verloren habe.
Ich weiß nicht, ob das, was ich empfinde, gut für mich ist. Doch. Ich weiß es. Es ist nicht gut. Überhaupt nicht gut.
Aber … Verdammt! Ich fühle nun mal so. Nur, wie gehe ich jetzt damit um? Ich bin mit meinem Latein am Ende. Das allererste Mal in meinem Leben. So hilflos wie im Moment habe ich mich noch nie fühlen müssen. Gott sei Dank. Es fühlt sich nämlich nicht besonders gut an, hilflos zu sein.
Gleichzeitig tanzt mein Herz vor Freude. Meinem Herz ist es schlicht und ergreifend egal, dass Kim meine Schülerin ist. Und ich ihre Lehrerin. Mein Herz interessiert es nicht, dass ich auf dem besten Weg bin, mich und meine Karriere zu ruinieren. Alles, was ich mir mit Fleiß, harter Arbeit, jeder Menge Schweiß und Tränen aufgebaut habe, gerät plötzlich ins Wanken. Spätestens, wenn Kim … Nein, daran darf ich nicht denken. Kim würde mich niemals irgendwo öffentlich denunzieren. Das ist nicht ihre Art. Hoffe ich jedenfalls.
Ich schaue in Kims Richtung. Die junge Frau lächelt.
»Du fühlst es doch auch, oder?«, fragt sie mit einem Hauch Unsicherheit in der Stimme.
Ehe ich mir dessen bewusst werde, fängt mein Kopf an, sich auf und ab zu bewegen. Ich brauche alle Kraft, die ich besitze, um mich zu bremsen.
»Nein. Kim. Ich empfinde nichts für dich.«, lüge ich.
Kim behält ihr Lächeln dennoch bei.
»Na klar. Du hältst mich für ein kleines Mädchen, das keine Ahnung hat, wie das mit den Gefühlen funktioniert.«
Das nun nicht gerade. Nun verknoten sich meine Finger. Unruhig trete ich von einem Fuß auf den anderen. Ich fühle mich komisch. Ein bisschen schwindelig. Mit rasendem Herzen. Kim ist zuckersüß. Aber sie ist zu jung. Und ich bin zu alt. Außerdem … Allmählich fangen meine eigenen Gedanken an, mich zu nerven. Ich will nicht mehr darüber nachdenken, dass Kim meine Schülerin ist und ich ihre Lehrerin. Für den Moment sind wir einfach nur zwei Frauen, die einen wundervollen Moment lang die Welt um sich herum vergessen haben. Dieser Kuss … meine Lippen kribbeln immer noch.
Wieder blicke ich in Kims Richtung. In Kims Lächeln liegt eine große Portion Unsicherheit.
»Ich habe es verkackt, oder?«, fragt sie und ich schüttle den Kopf.
Obwohl ich weiß, dass ich auf dem Weg bin, einen weiteren groben Fehler zu machen, gehe ich einen Schritt auf Kim zu und lege beide Arme auf ihre Schultern.
»Du hast es nicht … verkackt.«
Es fällt mir schwer, dieses Wort auszusprechen.
»Ganz sicher nicht. Trotzdem … Bitte Kim, lass uns einfach vergessen, was gerade passiert ist.«
»Aber ich kann es nicht vergessen. Ich will es doch auch gar nicht vergessen.«
Ihr Lächeln ist verschwunden. Über ihre Wangen kullern Tränen.
»Ich will dich so sehr.«, stöhnt sie.
Dieses Stöhnen zuckt wie ein Blitz durch meinen Körper.
»Wir dürfen nicht.«
»Wenn ich nicht deine Schülerin wäre … «
»Darüber brauchen wir uns nicht den Kopf zerbrechen, denn du bist meine Schülerin.«
»Aber nicht mehr lange. Ich werde nach diesem Jahr die Schule verlassen.«
Immer noch kullern Tränen über Kims Wangen, wenn sich auch ein Hauch Hoffnung in ihren Augen abzeichnet.
»Kim, hör mir bitte zu. Deine Mutter ist meine Vorgesetzte. Stell dir doch nur mal vor, wie es wäre, wenn … «
»Na und?«, fällt die junge Frau mir ins Wort.
»Sie lebt ihr Leben doch auch, so, wie sie es für richtig hält. Ohne mich zu fragen. Ich beschwere mich doch auch nicht, wenn sie mal wieder einen Kerl mit nach Hause bringt. Die Typen müsstest du mal sehen. Uäääh.«
Kim streckt die Zunge heraus. Da ist es wieder, das kleine Teenager-Mädchen. Ich kann mir ein Lachen nicht verbeißen. Kim ist wirklich goldig.
Sie kommt mir näher. Ganz vorsichtig. Nur noch wenige Millimeter trennen unsere Nasen voneinander.
»Ich will dich, Fiona.«, sagt sie so klar, dass ein heißer Schauer über meinen Rücken jagt.
»Ich werde alles tun, damit du glücklich bist.«
»Dann tu mir den Gefallen und schlag dir mich aus dem Kopf.«
»Das werde ich nicht. Aber ich werde warten. Bis du eines Tages bereit bist, mir eine Chance zu geben. Solange werde ich mich an unseren Kuss erinnern.«
Irgendetwas sagt mir, dass Kim jedes Wort ernst mein. Sie wird warten. Und sie wird nicht aufgeben. Weil aufgeben für sie keine Option ist.
»Bitte. Bitte gib mir noch einen Moment, der nur dir und mir gehört.«, fleht sie und rückt wieder näher.
Ihre Augen suchen meine. Ihr Blick wechselt zwischen meinen Augen und meinen Lippen. Ich fange an zu zittern.
»Bitte. Fiona. Ein letztes Mal, damit ich etwas habe, wovon ich zehren kann.«
Ich seufze auf. Mein Bauch kribbelt so sehr. Das ist doch nicht mehr normal.
Was soll ich tun? Und wie fange ich es an? Wenn ich einen Schritt auf Kim zu mache … wird sie sofort die richtigen Schlüsse ziehen. Und dann bin ich verloren.
Ich strecke die Hand aus und mit dem Zeigefinger ihren Kopf am Kinn ein bisschen an. Ich schaue Kim tief in die Augen und weiß nun eines ganz klar. Das, was diese junge Frau für mich empfindet, ist nicht nur eine kleine Teenager-Schwärmerei, sondern viel, viel mehr. Sie liebt mich.
Genau aus diesem Grund ist es wahrscheinlich keine gute Idee, ihr einen weiteren Kuss zu erlauben. Aber … ich kann nicht mehr. Ich lasse es zu, dass ihre Lippen meine finden. Ich lasse es zu, dass ihre Zunge meine streichelt. Ich lasse es nicht nur zu. Ich genieße es. Ein paar herrliche Sekunden lang. Sekunden, die mir die Erlaubnis geben, zu träumen. Sekunden, die mir wie eine kleine Ewigkeit vorkommen. Sekunden, die mir klar machen, dass auch ich auf dem besten Weg bin, mich in die junge Frau zu verlieben.
Nach einer Weile löst Kim sich von mir. Sie schenkt mir ihr schönstes Lächeln.
»Danke.«, murmelt sie.
»Darf ich dich noch etwas fragen?«
Ich nicke, was vermutlich wieder keine besonders gute Idee ist.
»Darf ich mir Hoffnungen machen, dass du irgendwann vielleicht doch bereit bist, dich auf mich einzulassen?«
Ich nicke. Doch dann schüttle ich den Kopf.
»Tu dir selbst den Gefallen und warte nicht auf mich. Genieße dein Leben und mach alles, was dir Spaß macht. Du bist jung und frei. Willst du nicht …? «
»Nein. Ich will nur eines. Dich.«, sagt Kim voller Inbrunst.
Ihre Worte sind so überzeugend und unterstrichen mit dem warmen Ausdruck in ihren Augen, berühren sie mich an meiner schwächsten Stelle. Meinem Herz.
»Ich werde auf dich warten. Das verspreche ich dir. Keine andere Frau wird jemals solche Gefühle in mir auslösen können, wie du.«
Kim reicht mir die Hand. Unsere Finger verflechten sich miteinander. Es fühlt sich so richtig an und doch ist es s o falsch. Ich kneife die Augen ein bisschen zusammen und betrachte unsere Hände. Kims Blick folgt meinem. Die junge Frau lächelt.
»Ich möchte deine Hand nie mehr loslassen müssen.«, murmelt sie und nickt bekräftigend.
»Das wirst du aber müssen. Wir müssen. Und das weißt du auch.«
»Ja. Ich weiß. Trotzdem. Warum muss ich loslassen, wenn es sich doch so gut anfühlt, dich festzuhalten?«
»Das weißt du ganz genau.«
Meine Stimme klingt ein bisschen ungeduldig, was ausschließlich daran liegt, dass mir nach Schreien zumute ist. Endlich begegnet mir mal jemand, der mein Herz in Aufruhr versetzt und dann … darf ich nicht. Es ist zum aus der Haut fahren.
»Bitte, Kim. Du hast mir versprochen, kein Drama zu machen.«
»Ich mache doch gar kein Drama … Ich will doch nur … dich. Was ist daran so schlimm?«
Sie dreht den Kopf. Und schaut mich an. Meine Hand lässt sie nicht los.
»Schläfst du mit Julia?«
»Blödsinn! Wie kommst du nur auf so etwas?«
»Na ja … «
Die junge Frau stottert und stammelt. Es ist nicht zu übersehen, dass die Vorstellung, wie ich mit Julia schlafe, ihr höllisch weh tut. Ich möchte nicht, dass sie Schmerz aushalten muss. Am Liebsten würde ich allen Schmerz und alle Ängste und Sorgen von ihren Schultern nehmen.
Ihre Augen sind so dunkel und unergründlich. Und so voller Schmerz.
»Ich … «
Ich kann nicht mehr reden. Mir fehlen schlicht und ergreifend die Worte. Außerdem muss ich gar nicht reden. Kim weiß auch so, was ich zu sagen habe.
»Bitte, nimm mir nicht die Hoffnung.«, haucht sie.
»Lass uns zu Julia und Lena gehen.«, werfe ich ein, weil es nicht mehr zu sagen gibt.
Meine Lippen kribbeln immer noch. Genauso wie mein Bauch. Mein Herz klopft. Eine Spur zu schnell für meinen Geschmack. Bitte küss mich noch einmal. Bitte küss mich nicht noch einmal, denn wenn du mich noch einmal küsst, bin ich endgültig verloren. Dann kann ich für Nichts mehr garantieren.
»Okay. Eine Bitte habe ich allerdings noch. Verletz mich nicht. Okay?«
»Ich werde es versuchen. Mach dir aber nicht allzu große Hoffnungen. Das, was du dir wünscht, hat keine Zukunft.«
Bereits in dem Moment, in dem ich die Worte ausspreche, weiß ich, dass ich mich selbst verarsche. Mein Herz weiß ganz genau, was es will. Mein Kopf, nun, der spricht eine andere Sprache. Aber … das ist meinem Herzen herzlich egal.
Wie konnte das nur passieren? Wie konnte es so weit kommen, dass ich es zulasse, dass eine Schülerin mich küsst. Wie konnte es so weit kommen, dass ich die Küsse der jungen Frau genossen habe, statt sie sofort zu beenden? Wie kann es sein, dass mir etwas passiert, was ich für völlig unmöglich gehalten, ja, sogar verurteilt habe? Ich bin doch nicht notgeil. Ich stehe doch nicht auf kleine Mädchen.
Aber Kim ist kein kleines Mädchen mehr. Ich schaue sie an und sehe eine erwachsene junge Frau, die ganz genau weiß, was sie will.
»Wenn ich von der Schule gehe … «, überlegt sie laut.
Mit beiden Händen auf ihren Schultern drehe ich Kim so, dass sie mich anschauen muss.
»Hör auf. Du wirst die Schule beenden. Hast du verstanden? Du bist gut. Wenn du dich ein bisschen mehr anstrengen würdest, würde es locker zum Abi reichen.«
»Aber … «
»Hör auf, mit mir zu diskutieren. Du machst die Schule fertig. Keine Widerrede.«
Kim gerät ins Straucheln. Sie stolpert und sackt in sich zusammen. Nur ein beherzter Griff unter ihre Achseln verhindert, dass sie auf den Boden fällt.
»Du willst mich nicht.«, wimmert sie voller Schmerz.
»Das hat doch damit nichts zu tun. Es geht um deine Zukunft, verdammt! Du willst doch später auch Reisen machen, ein eigenes Auto haben, vielleicht eine eigene Wohnung. Denkst du, dass das möglich ist, wenn du … deinen Schulabschluss in die Tonne wirfst? Denk doch nur mal einen Augenblick nach. Selbst, wenn wir zusammenkommen sollten, heißt das doch noch lange nicht, dass wir auch zusammen bleiben. Dann hast du nichts.«
Ich schüttle den Kopf.
»Du könntest studieren und richtig erfolgreich werden.«
»Ich kann auch ohne Studium erfolgreich sein. Als Tattoo-Künstlerin.«
Ich gebe es auf. Kim hat ihren eigenen Kopf. Sie wird sich sowieso nicht bremsen lassen. Da kann ich mich auch auf den Kopf stellen und mit den Füßen Fliegen fangen. Meine Worte treffen auf taube Ohren. Kim will die Realität nicht sehen.
»Du machst deinen Abschluss! In jedem Fall. Wenigstens den mittleren. Haben wir uns verstanden?«
Von der Strenge in meinen Worten getroffen, zucke ich selbst zusammen. Kim schaut mich an. Wie ein geprügelter Hund.
»Mann, Kim, es sind doch nur noch ein paar Monate. Hast du dir Gedanken wegen eines Ausbildungsplatzes gemacht?«
»Du klingst gerade wie meine Mutter.«
»Das war nicht meine Absicht. Aber ich bin nun mal deine Lehrerin.«
»Lass uns gehen.«
Die Stimme der jungen Frau ist voller Schmerz. Ihr Blick ebenso.
Ich nicke und lasse sie los. Seite an Seite gehen wir zurück.
Julia und Lena schauen uns entgegen. Lena grinst. Julia … auch. Verdammt, was wird denn bitte hier gespielt? Fragend schaue ich Julia an. Meine beste Freundin zuckt mit den Schultern.
»Na, ihr zwei.«, sagt Julia sanft.
»Konntet ihr reden?«
Klar konnten wir das. Allerdings interessiert es mich viel mehr, was Julia und Lena ausgeheckt haben.
»Hast du was dagegen, wenn wir in den nächsten Tagen ab und zu etwas zu viert unternehmen?«, fragt Julia auch schon.
»Kim und Lena haben einige Ziele auf dem Radar, die mich auch interessieren würden.«
Na toll. So haben wir aber nicht gewettet.
Ich weiß nicht recht, ob ich mich über Julias und Lenas Komplott ärgern sollte, oder ob ich es nicht einfach genießen sollte, unbefangen Zeit mit Kim zu verbringen.
Kims Augen leuchten.
»Coole Idee. Das machen wir.«, jauchzt die junge Frau.
W ährend der restlichen Urlaubstage waren wir nicht nur ab und zu mit Kim und Lena unterwegs, sondern jeden Tag. Was soll ich sagen? Kim bemüht sich sichtlich um mich. Sie ist aufmerksam und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Das imponiert mir und sorgt dafür, dass mein Herz stetig ein bisschen lauter jubelt. Wovor habe ich eigentlich so Angst? Wenn Kim nach den Sommerferien die Schule verlässt, ist sie doch quasi nicht mehr meine Schülerin, oder? Ich meine … jung ist sie dann immer noch, verdammt jung sogar … Aber ich wäre nicht mehr ihre Lehrerin.
Mein Bauch zwickt. Mein Herz … nun ja, was mein Herz macht, brauche ich niemandem erzählen, der schon einmal so richtig verliebt war. Uuubs. Verliebt? Ich bin nicht verliebt. Ganz sicher nicht. Okay. Vielleicht ein bisschen.
»Worüber denkst du nach?«, fragt Julia.
Sie hockt auf ihrem Koffer und versucht, ihn zu schließen.
»Kannst du mir mal helfen?«, jammert sie.
»Der verdammte Koffer sträubt sich.«
»Das sehe ich.«
Grinsend gehe ich auf meine verzweifelte Freundin und ihren widerspenstigen Koffer zu. Ein paar Klamotten schauen noch heraus, was wohl an Julias Begeisterung fürs Shoppen liegt.
Mit den Fingerspitzen schiebe ich die Klamotten in den Koffer. Anschließend vergewissere ich mich, dass wirklich nichts mehr herausschaut und zerre dann am Reißverschluss.
Ich ächze und stöhne.
»Du bist bekloppt, weißt du das eigentlich?«, knurre ich.
»Das weiß ich. Ich weiß aber auch, dass du mich gerade deswegen so liebst.«
Julia grinst. Und schaut so gar nicht mehr verzweifelt aus.
»Müssen wir wirklich schon zurück? Ich hätte es gut noch ein paar Wochen aushalten können.«
Geht mir ähnlich. So ein Urlaub hat schon was. Wenn dann noch eine süße Frau mit einem flirtet und alles tut, dass es einem gut geht … dann ist doch alles perfekt.
»Sagst du mir jetzt, worüber du gerade nachgedacht hast? Du hast so … keine Ahnung wie ausgesehen. Glücklich vielleicht? Bist du glücklich?«
Ich zucke mit den Schultern. Irgendwie bin ich glücklich. Aber ich habe auch Angst. Vor der Zukunft. Was, wenn jemand etwas mitbekommt?
Was, wenn … Kim mich auflaufen lässt? Oder wenn Lena einen Rappel bekommt?
»Was ist los, Süße?«, fragt Julia.
Sie springt vom Koffer. Im nächsten Moment finde ich mich in ihren Armen wieder.
»Ich habe Angst.«, gebe ich offen zu.
Leugnen wäre sowieso zwecklos. Julia kennt mich einfach zu gut.
»Weil du auf dem Weg bist, dich in Kim zu verlieben?«
Ich nicke zaghaft. Julia spricht die Fakten einfach so aus, als wäre es das Normalste der Welt. Für mich ist überhaupt nichts mehr normal.
»Du solltest auch Angst haben. Immerhin ist Kim deine Schülerin. Aber … ich kann dich auch verstehen. Kim ist süß. Und sie gibt sich so viel Mühe.«
Tja. Das ist ja gerade das, was mir so Angst macht. Kim wirbt offensichtlich um mich. Sie muss damit aufhören. Sobald wir in der Schule sind, muss wieder alles ganz normal sein. Sonst laufen wir beide auf eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu.
»Lena hat mir erzählt, dass Kim schon eine ganze Weile in dich verliebt ist.«, gibt Julia offen zu.
»Du hältst ihr Herz in der Hand. Wie auch immer du dich entscheidest, es wird unmittelbar Folgen für Kim haben.«
Ich weiß. Wieder so ein Punkt, der mir Angst macht.
»Wenn ich doch nur wüsste, was ich tun soll.«
»Normalerweise würde ich dir sagen, dass du auf dein Herz hören sollst. Aber in diesem Fall, solltest du wohl lieber auf deinen Kopf hören.«
Ich weiß, dass Julia recht hat. Sie hat es leichter. Lena ist nicht ihre Schülerin. Ich bin nicht blind. Natürlich habe ich mitbekommen, dass Lena in Julias Nähe immer nervöser geworden ist. Und natürlich sind mir auch Julias Blicke nicht entgangen.
»Fühlt es sich für dich eigentlich komisch an, dass du dich plötzlich für eine so viel jüngere Frau interessierst?«, frage ich.
»Ein bisschen schon. Aber … ach, ich weiß auch nicht. Gefühle sind eine komische Sache. Sie machen einfach das, wonach ihnen ist. Ohne zu fragen.«
So ist es wohl.
»Wenn ich während der letzten Tage etwas begriffen habe, dann, dass Liebe nichts mit dem Alter zu tun hat. Du kannst alt werden wie eine Kuh und lernst immer noch dazu.«
»Sind wir heute aber philosophisch.«
Ich grinse. Julia grinst auch.
»Lena ist einfach süß. Und deine Kim … ist auch süß. Aber … sieh dich vor. Bei dir geht es um mehr als bei mir. Du kannst dir so richtig schön die Karriere ruinieren.«
»Danke.«, grunze ich.
»Du bist wirklich eine tolle Freundin.«
Meine Stimme trieft vor Sarkasmus.
»Musst du mir ausgerechnet das vor Augen führen, was ich sowieso schon selbst weiß? Kannst du mir nicht ausnahmsweise das sagen, was ich hören möchte?«
»Nope. Das fällt leider nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.«
»Auch egal. Und überhaupt. Ich habe gar nicht vor, mich auf Kim einzulassen.«
»Hast du nicht?«, kiekst Julia verblüfft.
»Also, während der letzten Tage hatte ich ja schon den Eindruck, dass du nicht immun bist. Deine Augen haben gestrahlt. Ganz ehrlich, Fiona, so habe ich dich noch nie erlebt. So glücklich und frei.«
»Tja. Aber jetzt ist der Urlaub vorbei und damit endet auch der Flirt.«
»Tu dir selbst und Kim den Gefallen und verleugne deine Gefühle nicht.«
»Du redest dich so leicht. Kim ist meine Schülerin. Schon die Tatsache, dass ich sie geküsst habe, könnte mich in den Knast bringen.«
»Ich weiß, dass du dich in einer Zwickmühle befindest. Trotzdem … Mann, Fiona … «
Meiner besten Freundin fehlen die Worte, was nur äußerst selten vorkommt. Eigentlich so gut wie nie. Dass sie so um Worte ringt, zeigt mir deutlich, in welch ungünstiger Lage ich mich befinde.
Die Situation ist so verzwickt, dass ich aufpassen muss, mich nicht so zu verstricken, dass ich mich in einen Knoten verheddere, aus dem es keinen Weg heraus gibt.
Mist! Verdammter! Ich habe mir so sehr gewünscht, einer Frau zu begegnen, in die ich mich so richtig verlieben kann und die sich in mich verliebt. Einfach, weil ich ich bin. Und dann … passiert genau das und ich kann es nicht genießen. Das Leben ist nicht fair. Zu mir jedenfalls nicht.
Ja, ich weiß, dass das Jammern auf hohem Niveau ist. Schließlich bemüht Kim sich wirklich rührend um mich. Sie ist charmant und zuckersüß. Ihre Küsse schmecken … wie Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Ich liebe Vanilleeis. Und Himbeeren liebe ich auch.
»Vielleicht solltest du nicht so viel nachdenken, sondern die Sache einfach auf dich zukommen lassen.«, schlägt Julia vor.
Ich zucke mit den Schultern. Ist Julias Ratschlag klug, oder wird er mich in eine Sackgasse führen?
Fragen über Fragen, auf die es im Moment noch keine Antworten gibt.
Möglicherweise sollte ich tatsächlich erst mal abwarten. Es könnte doch immerhin sein, dass sich, sobald wir zurück sind, alles normalisiert. So wirklich daran zu glauben … fällt mir schwer.
Denn es würde bedeuten, dass Kim und ich zum Alltag zurückkehren und nur noch Schülerin und Lehrerin füreinander sind. Die Küsse voller Sehnsucht wären dann wirklich nur noch eine Erinnerung an einen schönen Urlaub in Griechenland.
Eine Erinnerung, die so viel mehr beinhaltet. Endlos erscheinende Spaziergänge durch Olivenhaine, Gespräche bis in die Nacht, griechischen Wein und die romantische Stimmung wenn die Sonne unterging, Fischplatten, Fleischplatten, Knoblauch und Zwiebeln, Schafskäse und … so viel mehr. Und Küsse. Zärtliche Küsse. Küsse voller Liebe und Sehnsucht. Küsse, die so viel mehr ausgelöst haben als sexuelles Verlangen. Küsse, die dafür gesorgt haben, dass die Welt sich ein kleines bisschen langsamer gedreht hat.
Niemals, in diesem Punkt bin ich mir sicher, werde ich den Geschmack von Kims Lippen vergessen. Oder den Geruch ihrer Haut. Diese herrliche Mischung aus Sonnenöl und Salz.
Selbst, wenn aus Kim und mir nie mehr wird, werde ich mich an die Zeit mit ihr gerne erinnern.
Die vielen Fotos, die ich während der letzten Tage gemacht habe, werden mich begleiten. Wo auch immer mich das Leben hin schicken wird.
Meine Güte, meine Gedanken triefen so sehr vor Melancholie, dass ich mich selbst nur schwer ertrage. Ich schüttle mich.
Im nächsten Moment huscht ein Lächeln über meine Lippen. Es ist noch nicht lange her, dass ich mich das letzte Mal so geschüttelt habe. Genau genommen nur wenige Tage. Kurz, bevor Kim mich das erste Mal geküsst hat.
Dieser süße Kuss. Ich werde noch wahnsinnig.
Mit »Ist dein Koffer eigentlich schon zu?« grätscht Julia zwischen meine Gedanken.
Ich nicke. Geistesabwesend.
»Perfekt. Dann können wir los, oder?«
Wieder nicke ich. Julia wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht.
»Erde an Fiona … Alles klar?«
Ich überlege einen Moment, doch dann … nicke ich erneut. Die Schränke und Schubladen, das Badezimmer und den Safe habe ich kontrolliert. Julia und ich haben nichts vergessen. Den Koffer hinter mir her ziehend wackle ich Richtung Tür. Ein letzter Blick, dann schließt Julia die Tür.
Als wir angekommen sind, waren wir so voller Aufregung. Jetzt ist alles ein bisschen anders. Wir sind beide traurig. Hätten gerne noch ein paar Wochen an diesem schönen Fleckchen Erde verbracht. Aber die Pflicht ruft. Die letzten Wochen des Schuljahres stehen vor der Tür. Es gibt noch viel zu tun. Außerdem fahre ich übernächste Woche mit ein paar Schülern und Schülerinnen nach Irland. In meine Heimat.
»Noch einen kleinen Absacker, bevor uns der Bus abholt?«, fragt Julia und ich nicke zustimmend.
Schon seit meiner Kindheit leide ich an fieser Flugangst. Ein kleines Gläschen Wein wird mir hoffentlich helfen, den Flug leichter zu ertragen.
Der Shuttle-Bus rumpelt viel schneller vor den Hoteleingang als es uns lieb ist. Julia übergibt unsere Koffer an den Busfahrer. Dann steigen wir ein. Zu unserem Erstaunen sitzen Kim und Lena bereits im Bus. Neben beiden jungen Frauen ist ein freier Platz. Julia setzt sich grinsend neben Lena. Sie beugt sich vor und haucht ein zärtliches Küsschen auf Lenas Lippen.
Ich stehe da. Wie bestellt und nicht abgeholt. Und starre den freien Platz neben Kim an. Kim strahlt.
»Willst du dich nicht zu mir setzen?«, fragt sie und zwinkert mir zu.
Einen Augenblick hadere ich mit mir, doch dann gebe ich dem liebevollen Drängen nach und lasse mich auf den freien Platz fallen. Genau im richtigen Moment. Denn der Busfahrer gibt so sehr Gas, dass ich vermutlich durch den halben Bus geflogen wäre.
Die Reifen quietschen. Mir wird übel. Die Idee, ein Gläschen Wein zu trinken, war wohl doch nicht so prickelnd wie gedacht. Mir ist kalt. Meine Hände zittern. Nur die Stellen, an denen Kims Körper meinen berührt, sind warm.
Mein Oberschenkel fängt an zu kribbeln. Aus zusammengekniffenen Augen schiele ich zu der Stelle, auf der Kims Hand liegt und mich ganz vorsichtig streichelt. Mal wieder bin ich kurz vor dem Durchdrehen. Ich raste aus. Das ist doch … Wahnsinn. Warum macht Kim das?
Aus dem Augenwinkel schaue ich unauffällig in Kims Richtung. Kim hält die Augen geschlossen. Sie scheint alles um sich herum auszublenden. Außer sich selbst. Und mich.
Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und kuschelt sich an mich. Einfach so. Als ob es das Normalste auf der Welt wäre.
Ich kann nicht anders. Wirklich nicht. Mein Hirn schaltet sich aus. Ich bestehe nur noch aus Gefühlen.
Vorsichtig schiebe ich meinen Arm zwischen die Lehne des Sitzes und Kims Rücken. Kim rutscht noch ein Stück näher. Ihr Kopf rutscht auf meine Brust. Ich seufze auf. Kim lächelt. Sie schmatzt leise.
Oh. Mein. Gott.
Diese Geräusche. Diese süße junge Frau. Mein Herz dreht sich gefühlt einmal im Kreis, verheddert sich mit den Gefäßen und landet auf den Kopf gestellt wieder dort, wo es hingehört.
Kim hört nicht auf, mich zu streicheln. Sie macht einfach immer weiter. Ihre Berührungen sind so unglaublich schön, dass mir die Worte fehlen.
Ich kann nicht mehr viel tun. Nur genießen. Mit jeder Faser meines Herzens. Und mit jeder Faser meines Körpers. Es fühlt sich an, als würden sämtliche Zellen einen Samba tanzen.
Gott, bitte lass diese Fahrt niemals enden.
Leider lenkt der Busfahrer seinen Bus so schnell durch die Straßen der Insel, dass wir den Flughafen innerhalb kürzester Zeit erreichen.
Auch am Check-In-Schalter kommen wir schneller voran als gedacht. Ohne uns abzusprechen reservieren wir die Sitzplätze so, dass wir so sitzen wie im Bus.