13. Kim
H
allo Mutsch! Ich bin wieder dahaaaa!«, rufe ich so laut, dass die Wände wackeln.
»Na endlich!«, ruft Mutter zurück.
Sie kommt aus der Küche. Ihre Schürze ist voller Tomatensoßenspritzer. Herrliche Düfte streichen mir um die Nase. Es ist schön, Zuhause zu sein. Allerdings trage ich ein kleines Geheimnis mit mir, was es mir schwer macht, Mutters leuchtenden Augen offen zu begegnen.
Ich darf mir nicht anmerken lassen, was im Urlaub passiert ist. Niemand. Niemand darf es wissen. Vorerst zumindest. Bis ich die zehnte Klasse geschafft und die Schule verlassen habe.
Das habe ich Fiona versprochen. Und daran werde ich mich halten.
»Komm her, mein Schatz. Gut siehst du aus. So erholt. Und fit für die letzten Wochen?«
Mutter zieht mich an ihre Brust. Ihre Kleidung, ihr Haar und ihre Haut riechen nach Knoblauch und Zwiebeln.
»Du hast doch hoffentlich Hunger mitgebracht. Ich habe dein Lieblingsessen gekocht.«
Mutter schiebt mich ein Stück von sich und schaut mich aufmerksam an.
»Braun bist du geworden. Hattest du eine schöne Zeit? War mit Lena auch alles in Ordnung? Hast du Bilder gemacht?«
Ich sacke in mich zusammen. Natürlich habe ich Bilder gemacht. Wenn Mutter sie aber sofort sehen will, gerate ich in Erklärungsnot.
»Ich zeige dir die Bilder, wenn ich ausgepackt und geduscht habe.«
»Nur die Ruhe. Das hat doch keine Eile.«
Mutter ist so verständnisvoll, dass es mir ganz warm wird ums Herz. Verreisen ist schön. Nach Hause kommen und so empfangen werden, ist noch schöner.
Eine gute Stunde später sitzen Mutter und ich beim Essen. Sämtliche Bilder, die in irgendeiner Weise verräterisch sein könnten, habe ich in der Zwischenzeit in einen geschützten Ordner verschoben. Nun kann ich Mutters Wunsch, wenigstens ein bisschen an meinen Erlebnissen teilhaben zu dürfen, ohne Vorbehalte nachkommen.
»Erzähl schon, Schatz, wie war es?«
»Es war sagenhaft.«, nuschle ich und gehe jede Wette ein, dass meine Augen vor Begeisterung leuchten.
Wie gut, dass Mutter keinen blassen Schimmer hat, welche Erinnerung mich so zum Strahlen bringen.
Ich schmatze ein bisschen. Wie immer, wenn ich Mutters Soße esse. Allerdings muss ich aufpassen, dass mir nicht aus Versehen eine Spaghetti-Nudel aus dem Mund hängt.
Mutters Bolognese ist die Beste. Mit Abstand. Wirklich. Ich lüge nicht. Schon seit meiner Kindheit habe ich diese Soße geliebt. Und zwar so sehr, dass ich mich manchmal am Liebsten rein gelegt hätte.
»Ihr wart doch nicht nur am Pool, oder?«, fragt Mutter skeptisch und ich schüttle den Kopf.
Nun ist es passiert. Eine Nudel hat sich vorwitzig zwischen meine Lippen geschoben. Nun habe ich einen Soßenfleck. Genau in der Mitte meines Oberteils. Zwischen den Brüsten.
Eine Erinnerung treibt meine Körpertemperatur ein ganzes Stück höher. In Griechenland ist mir so was auch passiert. Ich war so sehr in unsere Gespräche vertieft und habe, wie so oft, wenn mir etwas wichtig ist, wild gestikuliert. Dabei hat sich ein Stückchen Fleisch, das ich kurz zuvor auf meine Gabel gespießt habe, gelöst und ist abgestürzt. Genau zwischen meine Brüste. Fionas Schnaufen und ihr Blick. Das war es wert. Herrje. Mir wird heiß. Und kalt. Ich schnappe nach Luft und fange an zu husten. Mutter springt auf und klopft mir voller Sorge auf den Rücken.
»Alles in Ordnung, Schatz? Ist die Soße zu scharf?«
»Nein. Nein.«, beeile ich mich zu erwidern.
»Die Soße nicht.«
Dafür sind meine Gedanken ziemlich … äh … scharf. Ich muss mich besser konzentrieren. Meine Gedanken beieinander behalten. Sonst wird das hier eine Katastrophe. Nicht nur für mich.
Hektisch trinke ich einen Schluck Wasser und versuche, mich zu beruhigen. Ich. Darf. Jetzt. Nicht. An. Fiona. Denken.
Nicht jetzt!
»Dann erzähl doch mal und lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Was habt ihr denn alles unternommen?«
»Oh, wir sind ein paar Mal mit dem Moped über die Insel getuckert. Das war ziemlich cool. Vor allem mit Julia und F … «
Zack. Da ist es schon passiert. Ich bin so ein Mondkalb.
»Ah, ihr habt Leute kennengelernt. Das ist doch schön.«
Schön trifft die Sache zwar nicht ganz, aber …
»Kommen die Leute vielleicht sogar aus unserer Nähe?«
»Oh ja. Sogar aus unserer Stadt.«
»Na, das ist doch ein schöner Zufall. Dann könnt ihr euch ja ab und zu treffen. Das ist doch schön. Wenn solche Freundschaften über einen Urlaub hinausgehen.«
Ob Mutter das wohl auch noch so schön
fände, wenn sie wüsste, wer diese Freundin
ist?
»Wie alt sind die Mädchen? So alt wie Lena und du?«
»Ein bisschen älter. Julia ist schon fast Mitte dreißig.«
»Oh, so alt schon. Uff. Aber wenn ihr euch versteht, warum nicht? Ich hatte auch eine Freundin, die einige Jahre älter war als ich. Wir haben uns dann aber irgendwann aus den Augen verloren.«
Der Blick meiner Mutter wirkt in sich gekehrt und traurig. Das tut mir leid.
»Und warum habt ihr euch aus den Augen verloren?«, werfe ich ein, um vom eigentlichen Thema abzulenken.
»Dein Vater mochte Johanna nicht. Sie war ihm zu … zu … lesbisch. Er hatte immer Angst, dass sie mich umdrehen könnte.«
So ein Schwachsinn. Das ist wieder so typisch für meinen Erzeuger. Er kennt nur schwarz oder weiß. Die vielen faszinierenden Zwischentöne nimmt er gar nicht wahr. Sein Pech.
»Aber egal. Das ist Schnee von gestern. Erzähl mir von Julia. Wer ist sie? Was macht sie? Hat sie einen Freund?«
»Sie ist Lehrerin.«
»Dass ich das noch erleben darf … «
Mutter wedelt mit den Armen durch die Luft und applaudiert.
»Meine Tochter verbringt freiwillig Zeit mit einer Lehrerin.«
Wenn Mutter wüsste, WIE gerne ich Zeit mit einer ganz bestimmten Lehrerin verbringe … Wie gut, dass sie es nicht weiß. Bis ich die Zehnte geschafft habe und endlich die Schule verlassen kann, soll das auch so bleiben. Es muss so bleiben, selbst, wenn ich dafür immer ein bisschen lügen muss. Ich hasse Lügen. Außerdem bin ich nicht besonders gut darin. Früher oder später verheddere ich mich immer. Aber … in diesem besonderen Fall … muss ich es schaffen.
»Was unterrichtet sie denn? Welche Schule? Vielleicht kenne ich sie ja sogar.«
»Sie heißt Julia Merkel und arbeitet in der Grundschule am Stadtpark.«
»Ah. Okay. Von dort kenne ich niemanden. Schade.«
Glück gehabt. Ich atme tief durch. Es wäre fatal, wenn Mutter Verbindungen zu Fiona herstellen würde. Ei. Ei. Ei. Ich muss echt vorsichtig sein. Im Moment fühle ich mich wie... keine Ahnung … ich fühle mich jedenfalls ziemlich komisch. Mein Herz macht Verrenkungen, wie ich es noch nie erlebt habe. Eine kleine Katastrophe. Unauffällig lege ich die Hand auf die Brust.
»Und? Was macht sie sonst so?«
Warum fragt Mutter so … komisch? Ich runzle die Stirn.
»Stell dir vor, Mutsch, Lena hat sich in Julia verliebt.«
»Echt jetzt? Wow. Aber … Schatz … Das ist doch … Geht es dir gut?«
Häh? Was ist denn nun schon wieder? Ich raffe gar nichts mehr.
»Natürlich geht es mir gut. Ich freue mich für Lena.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein. Lena bricht dir das Herz und du freust dich für sie? Das musst du mir erklären. Ich verstehe es nämlich nicht.«
Die Falten auf meiner Stirn werden tiefer. Ich schaue meine Mutter an. Ihr Blick ist voller Sorge. Und endlich … kapiere ich es. Sie dachte wohl, dass Lena und ich … Oha.
»Mutsch, Lena und ich waren kein Paar. Wir sind nur befreundet.«
»Ach so. Und ich dachte … Ihr habt so schön zusammen gepasst. Ich dachte schon, dass sie eines Tages meine Schwiegertochter wird.«
Oh, Mutsch, du bist so süß. Am Anfang hast du dir so schwer getan und jetzt … Ich lege das Besteck zur Seite und stehe auf. Liebevoll lege ich beide Arme um meine Mutter.
»Mutsch, du bist die Beste.«, nuschle ich mit vor Rührung bebender Stimme.
Mutter lehnt sich an mich.
»Ich will doch nur, dass es dir gut geht. Niemand darf sich das Recht heraus nehmen, dir das Herz zu brechen.«
Mein Herz wird immer schwerer. Ich würde ihr so gerne von Fiona erzählen. Verdammt. Ist das eine blöde Situation. So kompliziert habe ich es mir nicht vorgestellt. Ein bisschen kompliziert vielleicht schon, aber so? Ganz sicher nicht. Mann, bin ich naiv. Fiona hat schon recht. Manchmal bin ich wie ein kleines Mädchen. Aber … manchmal auch wie eine erwachsene junge Frau.
»Mutsch, ich muss mit dir reden.«, fange ich leise an.
»Ich habe viel nachgedacht. Ich möchte die Zehnte fertig machen.«
»Gute Entscheidung.«
»Und danach werde ich die Schule verlassen. Ich besorge mir eine Stelle für ein FSJ und dann schaue ich weiter.«
»Aber Schatz … Du bist doch viel zu schlau, um einfach aufzugeben.«
»Ich gebe doch nicht auf. Außerdem habe ich einen Plan. Erst ein FSJ und dann mache ich eine Ausbildung. Ich will Hairstylistin werden und Tattoo-Künstlerin.«
»Und davon wird man reich?«
»Das vielleicht nicht. Aber mich macht es glücklich, Menschen glücklich zu machen.«
»Ist das dein letztes Wort?«
»Mein allerletztes.«
»Dann muss ich das wohl so akzeptieren. Trotzdem muss ich dir sagen, dass ich deine Entscheidung nicht gut finde. Du könntest alles erreichen. Frauen wie dir gehört die Welt. Du bist selbstbewusst und stark. Du könntest alles erreichen, wenn du nur wolltest.«
Aber genau das ist es ja. Ich will das erreichen, was ich mir als Ziel gesetzt habe. Ich. Nicht meine Mutter. Mein Ziel ist, glücklich zu sein. Mit Fiona.
Ich brauche kein Bankkonto, das so voll ist, dass es aus den Nähten platzt. Ein sicheres Einkommen wünsche ich mir schon. Gehalt, das mir den einen oder anderen Urlaub finanziert. Und eine schöne Wohnung. Gelegentlich Essen gehen mag ich auch gerne. Mehr … brauche ich nicht. Das, was ich brauche, kann man nicht mit Geld bezahlen. Liebe, Lust, Leidenschaft, einen Menschen, der bedingungslos hinter mir steht und meine manchmal etwas wechselhaften Launen aushalten kann. Vielleicht bin ich naiv. Vielleicht bin ich in der Beziehung wie ein kleines Kind. Kann alles sein. So what? Dann ist es eben so. Aber … ich wünsche mir einfach, glücklich sein zu dürfen.
Zwei Jahre länger auf der Schule würden mich nicht glücklich machen.
»Mutsch, bitte versteh mich doch.«
»Das versuche ich ja. Aber es ist so verdammt schwierig. Gerade, weil ich weiß, dass du die Welt erobern könntest.«
»Was ist, wenn ich das gar nicht will? Ich habe nicht das Bedürfnis, die Weltherrschaft an mich zu reißen. Ein bisschen Glück und Zufriedenheit reichen mir vollkommen.«
Meine Mutter streichelt mir über den Kopf. Ihr Blick ist voller Wärme und Liebe.
»Du warst schon immer ein bisschen anders als alle anderen. Das muss ich wohl akzeptieren. Versprich mir, dass du das Abi in der Abendschule nachholst, wenn du merkst, dass der Weg, den du eingeschlagen hast, doch nicht so gut ist wie du es dir im Moment vorstellst.«
»Versprochen. Du, Mutsch, was ich dich noch fragen wollte … «
Mir ist klar, dass ich mich auf ganz dünnem Eis bewege. Trotzdem brennt mir diese Frage so sehr unter den Nägeln, dass ich mich nicht länger zurückhalten kann.
»Hättest du eigentlich ein Problem damit, wenn ich eines Tages mit einer Frau, die ein paar Jahre älter als ich ist, ankomme?«
Mutter wiegt den Kopf. Sie bedeutet mir, mich wieder hinzusetzen und greift nach ihrem Besteck. Dass sie gedankenverloren in die Ferne starrt, gibt mir das Gefühl, dass sie meine Frage wieder vergessen hat.
»Mutsch?«
»Gib mir einen Moment … «
Mutter legt die Stirn in Falten. Anscheinend ist sie sich nicht einig, was sie sagen soll. Mir bleibt nur … abzuwarten.
»Ich kann das nicht so pauschal sagen. Tut mir leid. Es kommt auch ein bisschen darauf an, wie alt sie ist. Du sollst schließlich eine Partnerschaft genießen können und nicht viel zu früh Pflegekraft für deine Freundin sein. Verstehst du?«
Mutter schließt die Augen.
»Gibt es einen Grund, dass du mir so eine Frage stellst? Gibt es jemanden, die du interessant findest?«
Oh ja. Ja. Verdammt.
»Nein. Nein.«, wehre ich ab.
»Ich wollte es nur grundsätzlich wissen, du weißt doch … Lena und Julia und so … «
»Ach so. Na dann. Meinst du nicht, dass es müßig ist, über ungelegte Eier zu sprechen? Lass uns reden, wenn es so weit ist.«
Aber es ist doch schon so weit., schreit alles in mir.
Es fällt mir unendlich schwer, ruhig zu bleiben. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Warum kann ich nicht eine ganz normale Frau zur Mutter haben? Warum muss ausgerechnet meine Mutter Direktorin des Gymnasiums sein? Verdammt!
»Ich bin so müde.«, murmle ich und gähne übertrieben herzhaft.
Mutter schenkt mir ein Lächeln.
»Dann ab ins Bett mit dir, mein Schatz. Schön, dass du wieder da bist. Es war komisch ohne dich. Wenn ich daran denke, dass ich dich schon bald wieder ziehen lassen muss … «
Die Frau mir gegenüber verzieht so offensichtlich die Lippen, dass es sogar mir blindem Huhn nicht entgeht, wie wenig ihr dieser Gedanke schmeckt.
»Ich muss nicht … «
»Doch Schatz. Du musst. Früher oder später werde ich deinen Bruder und dich sowieso ziehen lassen müssen, ob es mir gefällt oder nicht.«
Tja, so ist das wohl. Der Lauf der Dinge lässt sich nicht aufhalten. Kinder werden groß und verlassen ihr Elternhaus um auf eigenen Füßen zu stehen und die Welt für sich zu erobern. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Meine Fresse, ich werde ja immer erwachsener. Haben andere Achtzehnjährige auch so seltsame Gedanken? Oder bin ich wirklich anders, wie meine Mutter meint? Ich schüttle über mich selbst und meine komischen Gedanken den Kopf.
»Natürlich wirst du nach Irland fahren. Ich weiß doch, wie sehr du dich darauf freust.«
Nun, auf Irland freue ich mich nicht so sehr. Allerdings erhoffe ich mir, ein bisschen Zeit mit Fiona verbringen zu können. DARAUF freue ich mich. Ich muss eine Kerze mitnehmen. Und ein Feuerzeug. Nur für den Fall der Fälle. Man muss schließlich vorbereitet sein, ne?
»Bist du mir böse, wenn ich mich hinlege?«, frage ich vorsichtig.
»Ich bin schon ganz schön müde.«
»Kein Problem. Morgen musst du schließlich fit sein.«
Oh ja. Erinnere mich nicht daran. Ich habe so gar keine Lust auf Schule. Das Wetter ist so schön. Es gibt einiges, womit ich meine Zeit gerne vertrödeln würde. Schule gehört nicht dazu. Außer die Stunden von Fiona.
Vielleicht sollte ich mich doch auf einen Job bewerben, bei dem ich viel Zeit draußen verbringen kann. Gärtnerin oder Landschaftsgestalterin oder so. Das Problem ist, dass ich einen tiefschwarzen Daumen habe. Bei mir gehen sogar Papierblumen ein. Ahnung von Farben, Formen und Gestaltung habe ich auch nicht. Dafür kann ich geile Bilder zeichnen. Mir kommt eine Idee. Genau das werde ich machen. Ich werde Fiona fragen, ob ich sie zeichnen darf. Nackt … versteht sich. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, das meine Mutter nur nicht sieht, weil ich schon auf dem Weg in mein Zimmer bin.
Ich hole meinen großen Block und die Bleistifte aus dem Schrank. Dann schmeiße ich mich aufs Bett und fange an, die ersten Linien zu ziehen. Fiona hat das attraktivste Gesicht, das ich jemals gesehen habe. Ihre Gesichtszüge sind weich und feminin. Die Nase ist perfekt. Nicht zu klein und nicht zu groß. Allerdings hat sie einen kleinen Höcker auf dem Nasenrücken. Bestimmt hatte sie mal einen Unfall, dem dieser kleine Höcker zu verdanken ist. Ihre Augenbrauen sind so … Oh Gott, mein Herz rast. Mit jedem Strich, den ich setze, nimmt Fionas Gesicht mehr Gestalt an. Die Augenbrauen sind so sanft und ebenmäßig gezogen, dass ich mich schon frage, ob Fiona da nicht gelegentlich der Natur ein bisschen auf die Sprünge hilft. Aber irgendwie kann ich es mir nicht vorstellen. Sie wirkt so natürlich auf mich. So, als würde sie sich einfach so mögen, wie sie ist. Wieder ein Punkt, der meine Faszination für sie noch steigert.
Je mehr das Bild vor meinen Augen Gestalt annimmt, desto mehr kribbelt mein Bauch. Es ist kaum noch auszuhalten. Wahnsinn. Ich lege all die zärtlichen Gefühle, die Fiona in mir erzeugt, in dieses Bild.
Es klopft an der Tür. Hektisch schaue ich mich um. Verdammt. Gerade war ich noch so schön entspannt. Wohin jetzt mit dem Bild? Da ich so schnell keine andere Möglichkeit finde, hebe ich das Kissen und lege es vorsichtig auf mein Werk. Meine Finger sind schwarz. Mutter weiß, was das heißt. Hoffentlich will sie das Ergebnis meiner Arbeit nicht bewundern.
Meine Mutter ist meine größte Bewunderin. Und Kritikerin. In einer Person.
Es klopft noch einmal.
»Moment.«, brumme ich und gähne herzhaft.
Mutter soll ruhig denken, dass sie mich geweckt hat. Ächzend erhebe ich mich. Jeder Knochen tut weh. Meine Position war wohl doch nicht so vorteilhaft. Auf dem Bauch liegen und zeichnen, verzeihen auch in meinem Alter die Muskeln und Knochen nicht mehr so leicht. Ich trotte zur Tür.
»Oh je. Habe ich dich geweckt?«, fragt Mutter.
Dann jedoch fällt ihr Blick auf meine Hände. Herausreden ist zwecklos.
»Ich habe gemalt.«
»Oh. Schön. Darf ich das Ergebnis sehen?«
Mutter schaut sich aufmerksam in meinem Zimmer um. Ihr Blick spricht Bände. Enttäuschung pur, weil sie das Bild nirgends sehen kann.
»Noch nicht fertig.«, erkläre ich.
»Darf ich es sehen, wenn es fertig ist?«, fragt Mutter.
»Klar.«, flunkere ich am Ende der Sackgasse stehend.
»Eigentlich wollte ich dir nur kurz Gute Nacht sagen. Schlaf gut, Schatz.«
Meine Mutter haucht mir ein Küsschen auf die Stirn. So, wie es Fiona bei unserem Abschied gemacht hat. Allerdings fühlt sich dieses Küsschen ganz anders an. Auch schön, aber eben anders.
Als Mutter in ihrem Schlafzimmer verschwunden ist, stehe ich immer noch an der Tür und starre ihr hinterher. Seit einiger Zeit kommt Mutter mir wie weich gekocht vor. Vielleicht hat sie einfach Weichspüler getrunken, statt ihn in die Waschmaschine zu kippen. Möglich wäre es doch immerhin. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie neuerdings so überaus … liebenswürdig ist. Merkwürdig. Ich schüttle den Kopf.
Sonst streiten wir uns ständig. Und heute hat sie sogar mehr oder weniger begeistert hingenommen, dass ich die Schule in jedem Fall am Ende des Schuljahres verlassen werde. Das rechne ich ihr hoch an. Trotzdem bin ich auf der Hut. Wer weiß, was sie vorhat.
Kopfschüttelnd gehe ich ins Zimmer zurück und schließe die Tür hinter mir. Mein Kissen hat ein bisschen schwarze Farbe abbekommen. Na, hätte ich mir auch denken können. Aber … egal. Hauptsache Mutter hat das Bild nicht gesehen. Sonst hätte ich mir eine wirklich gute Ausrede einfallen lassen müssen. Mutter hat ein hervorragendes Personengedächtnis. Natürlich hätte sie Fiona sofort erkannt.
Da ich mittlerweile wirklich zu müde bin, hole ich eine Posterrolle aus dem Schrank. Ich hauche ein sanftes Küsschen auf meinen Zeigefinger und tippe der gezeichneten Fiona damit auf die Nasenspitze. Ein letzter Blick. Dann rolle ich das Bild ein und schiebe es in die Röhre. Deckel drauf und ab in den Schrank.
Noch kurz ins Bad, ein bisschen Wasser ins Gesicht, Zähne putzen und pinkeln und dann … ab ins Bett.
Seufzend kuschle ich mich ein. Mein Kopf sinkt ins Kissen. Ich schließe die Augen. Fiona strahlt mich an. Ich fühle mich wie im siebten Himmel. Mit dem Gefühl, ihre Hände auf meinem Körper zu spüren, schlafe ich irgendwann ein.