14. Kim
F
iona steht an der Tafel und erläutert unser Programm für den Schüleraustausch. Ich kann ihr kaum folgen, dabei höre ich ihr sonst so gerne zu. Seit wir wieder in der Schule sind, ist alles so ganz anders, als ich es mir erträumt habe. Von heißen Küssen in versteckten Winkeln habe ich geträumt. Und von Fionas Händen auf meiner nackten Haut.
Die Realität ist von meinen Träumen meilenweit entfernt.
Dabei sieht Fiona zur Abwechslung zum Anbeißen aus. So richtig heiß. Sie trägt eine locker auf den Hüften sitzende dünne Hose und ein weißes Top. Ihre Füße stecken in bunten Flip-Flops. Ich hasse Flip-Flops. Bei Fiona … liebe ich sie.
Ich gebe mir wirklich Mühe, ihr zu folgen, doch das ist gar nicht so einfach. Ihre Haut hat noch mehr Bräune abbekommen. Bestimmt war sie jeden Tag nach der Schule am See oder im Freibad.
Warum sieht Fiona mich nicht? Sie wirkt, als würde sie mich gar nicht wahrnehmen. Ich melde mich.
»Ja, Kim?«
»Kann ich kurz zur Toilette?«, platze ich heraus.
»Und ich dachte schon, dass du mal eine echte Frage für mich auf Lager hast.«
»Kein Problem. Während ich pinkle, kann ich mir ja was einfallen lassen.«, kontere ich und zwinkere Fiona zu.
Fiona schüttelt den Kopf. Meine Klassenkameradinnen brüllen vor Lachen.
Ich zucke mit den Schultern, stehe auf und gehe Richtung Tür. Fionas Blicke folgen mir. Na, immerhin was. Kurz bevor die Tür ins Schloss fällt, höre ich Fiona etwas zu den anderen sagen. Es klingt wie »Moment, ich muss noch kurz Kim küssen.«, aber höchstwahrscheinlich spielen meine Phantasien nur verrückt.
So etwas würde sie doch nicht sagen. Oder doch? Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Realität und Wunschdenken verfließen immer mehr. Herrje.
»Kim! Warte kurz!«, ruft Fiona und ich bleibe stehen.
Mein Herz schlägt bis zum Hals. Mindestens. Es klopft so laut, dass ich mir ganz sicher bin, dass es jeder im Umkreis mehrerer hundert Meter hören muss.
Fiona tritt zu mir. Und schließt die Tür hinter sich.
»Was gibt es denn?«, frage ich mit neutralem Tonfall und grinse Fiona an.
Überraschung! Überraschung! Fiona grinst nicht.
»Hör auf, dich wie ein kleines Kind zu benehmen!«, schnappt meine Lieblingslehrerin.
Schade, dass sie nicht Bio unterrichtet. Wäre doch lustig gewesen, wenn sie bei uns hätte Aufklärungsunterricht geben müssen. Also … ich würde mich ja schon gerne von ihr aufklären lassen. Boah, bin ich primitiv. Peinlich. Peinlich.
»Frau Lehrerin, ich brauche Hilfe. Ich kann mich noch nicht selbst abputzen!«, nörgle ich.
Fiona starrt mich an. Aus zusammengekniffenen Augen. Ihr Blick erdolcht mich. Ubbs. Habe ich es vielleicht doch eine Spur zu dick aufgetragen?
»Du benimmst dich unmöglich!«
»Ich vermisse dich so sehr.«, gebe ich kleinlaut zu.
»Das kann schon sein. Trotzdem kannst du dich hier nicht wie ein kleines Kind benehmen.«
»Aber Fiona … können wir uns irgendwie treffen? Bitte. Ich halte es nicht mehr aus.«
»Mann. Kim. Das geht nicht. Wie oft denn noch? Du bist meine Schülerin und ich deine Lehrerin. Es gehört sich nicht … «
»Und die Küsse? Unsere Zeit in Griechenland? Hast du das alles schon vergessen?«
Ich komme mir vor wie der letzte Depp. Warum musste ich ausgerechnet meiner Lehrerin mein Herz schenken? Es gibt so viele Menschen auf der Welt. Warum ausgerechnet sie?
Weil sie … einfach sie ist. Sie ist verdammt attraktiv. Und zuckersüß. Sogar, wenn sie sauer ist. So wie jetzt.
Ich kann nicht anders. Ich muss sie einfach anglotzen. Wie ein Mondkalb, das zum ersten Mal in seinem Leben Gras sieht, schaue ich Fiona an. Meine Fresse. Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Fiona könnte alles von mir verlangen. Ich würde es tun. Ganz sicher. Selbst, wenn sie von mir verlangen würde, mich für sie von einer Brücke zu stürzen. Ohne schützendes Seil. Ich würde es tun. Alles würde ich für sie tun. Nur einem Wunsch kann ich nicht folgen. Sie aus meinem Herzen zu verbannen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
»Wir könnten doch einfach übers Wochenende weg fahren. In eine andere Stadt oder so.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich hole dich daheim ab? Gehe zu deiner Mutter und sage ihr, dass ich dich für ein Wochenende entführen werde?«
Oh ja. Das würde mir gefallen. Denke ich. Allein die Vorstellung, wie Fiona vor meiner Mutter steht und mich abholt, ist so … cool, dass meine Augen ganz von selbst zu leuchten beginnen.
»Und dann? Du und ich Hand in Hand? Oder wie stellst du dir das vor?«
Ich räuspere mich. Und hüstle. Meine Stimme habe ich noch nicht wieder gefunden.
Ich bin so nervös. Das ist kaum noch auszuhalten. Fiona ist mir so nahe. Ich müsste die Hand nur wenige Zentimeter ausstrecken, dann könnte ich sie berühren. Ihr über die Wangen streicheln. Oder noch besser … die Brüste. Mir wird heiß und kalt. Ich schaue mich um. Außer uns ist niemand im Flur unterwegs. Soll ich es wagen? Kann ich es wagen? Noch einmal schaue ich mich um. Dann mache ich einen kleinen Schritt auf Fiona zu. Fiona weicht zurück.
»Nicht.«, fleht sie so leise, dass es kaum zu hören ist.
»Nicht hier.«
»Aber wo denn dann?«
Mein Selbstbewusstsein hat nach meinem Höhenflug in Griechenland während der letzten Woche einen ordentlichen Dämpfer kassiert. Ich fühle mich klein. Und das ist nicht gut. Kein schönes Gefühl.
»Kim … «, sagt sie und schaut mich so ernst an, dass mir ganz anders wird.
»Schlag dir das mit uns aus dem Kopf. Uns verbindet ein netter Urlaubsflirt. Vielleicht auch ein schöner Traum.«
Ich höre ihr weiter zu, doch das einzige, was ich wahrnehme ist … ein schöner Traum. Ich verliere den Boden unter den Füßen und fange an zu schweben. Wahnsinn. Ist es wirklich möglich, dass wir den gleichen Traum teilen?
»Aber nun sind wir aufgewacht. Unsere Realitäten passen nicht zusammen.«
Kabumm. Da liege ich nun. Mit verkrampften Herzen auf dem Boden der grausamen Realität. Ein Tränchen löst sich aus meinem Auge und kullert mir langsam über die Wange.
»Mensch, Kim. Schau doch nur. Ich bin Lehrerin. Und du bist Schülerin. In zwei Jahren schreibst du das Abitur. Dann wirst du zum Studieren gehen.«
Bilde ich es mir nur ein, oder klingt ihre Stimme wirklich nach Schmerz?
»Ich werde die Schule nach Ende des Schuljahres verlassen und ein Jahr Bufdi machen. Danach werde ich eine Ausbildung anfangen.«
Fiona kratzt sich am Kopf.
»Weiß deine Mutter schon von deinen Plänen?«
»Natürlich. Und sie hat zugestimmt.«
Fiona schaut mich an. Lange. Ihr Blick dringt so tief in mich, dass ich das Gefühl habe, dass sie mir direkt ins Herz schauen kann.
»Du siehst also, dass alles kein Problem mehr ist. In ein paar Wochen bin ich hier durch.«
Fiona nickt. Und schaut nachdenklich aus. Unauffällig spähe ich in alle Richtungen und hole tief Luft. Wie immer riecht es ein bisschen komisch. Wie eine Mischung aus abgestandener Luft, Käsefüßen, Pizza und nassem Schwamm.
Der Schritt auf Fiona zu fällt mir ziemlich leicht. Diesmal weicht sie auch nicht zurück. Sie lässt es sogar zu, dass ich ihre Wange streichle. Als sie ganz leise seufzt, fängt mein Herz an zu hüpfen. Es besteht zumindest ein Hauch einer Chance, dass sie mich irgendwann an sich heranlässt und es zulässt, dass ich ihre Nummer eins bin. Sagt mein Kopf. Mein Herz … sagt etwas ganz anderes. Es sieht nicht nur eine kleine Chance, sondern eine ganz große. Alles in mir jubelt und jauchzt. Jede Zelle tanzt Samba. Und ich stehe einfach da, schaue Fiona in die Augen und streichle sie immer weiter. Ihre Wange schmiegt sich in meine Hand. Der Wahnsinn.
Es fühlt sich an, als würde dieser Moment ewig dauern, doch leider dauert es maximal eine Minute bis Fiona doch noch zurückweicht und sich von mir entfernt.
»Soweit ich mich erinnere, wolltest du doch zur Toilette gehen.«
Ich nicke, mache aber keine Anstalten zu gehen. Fiona wendet sich ab und greift nach dem Türgriff. Das ist dann wohl der Moment, in dem ich mich entfernen sollte.
»Fiona, ich liebe dich.«, sage ich leise, mache auf dem Absatz kehrt und verschwinde.