21. Kim
I
ch halte es nicht länger aus. Ich will Fiona sehen. Ich muss sie sehen. Seit fast zwei Wochen sind wir aus Irland wieder zurück. Das Schuljahr ist so gut wie gelaufen. Ich will so gerne mit ihr meinen Abschluss feiern, aber sie geht mir aus dem Weg.
Meine Anrufe nimmt sie nicht an, Nachrichten lässt sie unbeantwortet. Von einem persönlichen Treffen ganz zu schweigen.
Ich komme mir so verloren vor. Dabei hat sie meiner Mutter versprochen, mich nicht zu verletzen. Doch genau das tut sie.
Meine Mutter hat noch an dem Tag, an dem sie mit Fiona geredet hat, das Gespräch mit mir gesucht. Sie hat sich bei mir entschuldigt, dass sie meine Bilder und die Briefe an Fiona, in denen ich meine Gefühle offen gelegt habe, entwendet hat.
Wir haben sehr lange miteinander geredet. Im ersten Moment war ich ganz schön sauer, dass sie meine Sachen an sich genommen hat, aber sie hat mir erklärt, dass sie eher zufällig darauf gestoßen ist. Als sie nach einer Bluse gesucht hat, die aus Versehen in meinem Schrank gelandet ist.
Was soll ich sagen? Meine Mutter ist die Beste. Sie hat so toll reagiert. Hat mir keinerlei Vorhaltungen gemacht. Sie wollte nur wissen, warum ausgerechnet Fiona. Warum ausgerechnet meine Lehrerin. Eine Frau, die in der Schule Lehrerin ist, die ich besuche und die meine Mutter leitet.
Ich konnte nicht viel sagen. Es ist eben einfach so passiert. Wahrscheinlich habe ich mich bereits beim ersten Blick in Fionas Augen in sie verliebt.
Mutter und ich haben auch über die Option gesprochen, dass ich weiterhin die Schule besuche, aber diesen Zahn habe ich ihr gleich gezogen. Ich habe einen Vertrag unterschrieben und dazu stehe ich. Mit allen Konsequenzen. Selbst, wenn es für mich bedeutet, mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mich normalerweise gar nicht beschäftigen würden.
Es ist also alles geklärt. Ich verstehe nicht, warum Fiona sich so rar macht. Warum sie mich am ausgestreckten Arm verhungern lässt.
Ich bin verletzt. SIE verletzt mich mit ihrem ausweichenden Verhalten. Es tut höllisch weh. Ich brauche Fiona. Ich sehne mich nach ihrer Nähe, vermisse sie mit jedem Atemzug mehr.
Aber sie ist einfach nicht bereit, mit mir zu reden. War es das jetzt? War das zwischen uns für sie vielleicht doch nur ein netter kleiner Flirt? Eine Abwechslung in ihrem sonst so klar strukturierten Alltag? Ich weiß es nicht und das macht die Sache noch schwerer für mich.
Heute ist Freitag. Und ich bin auf dem Weg zu ihr.
Von Lena und Julia weiß ich, dass sie Zuhause ist.
Meine Schritte sind lang und energiegeladen. Jeder, der mich sieht, wird der Überzeugung sein, dass ich vor Selbstbewusstsein nur so strotze. Allerdings bin ich im Moment so gar nicht selbstbewusst. Unsicher trifft es besser. Ich weiß, was ich für Fiona empfinde. Ich weiß, was ich will. Was Fiona empfindet, oder was sie will, weiß ich hingegen nicht. Das zermürbt mich seit Tagen.
Je näher ich ihrem Zuhause komme, desto mehr nagt die Frage, ob es eine gute Idee ist, sie zu besuchen, an mir. Ich meine … irgendwie dränge ich mich ihr ja auf. Eigentlich bin ich nicht so ein Mensch. Ich möchte geliebt werden, einfach um meiner Selbst willen. Weil ich so bin, wie ich bin.
In meinem Leben ist vor Fiona noch niemand aufgetaucht, mit dem ich alles teilen wollte, mit dem ich über alles sprechen wollte. Mit Fiona ist alles anders. Irgendwie. Sie hat mein Herz gestohlen. Einfach so. Ohne, dass ich sie darum gebeten hätte. Und jetzt stehe ich da. Vor der Eingangstür zu dem Haus, in dem sie wohnt, und frage mich, was ich hier eigentlich mache.
Für einen Moment denke ich darüber nach, ob es nicht besser ist, wieder zu gehen. Ich könnte ihr auch einfach eine Nachricht im Briefkasten hinterlassen und hoffen, dass sie sich diesmal meldet. Aber dann hätte ich mir den Weg hierher auch sparen können.
Ich atme mehrmals tief durch und drücke dann den Finger auf den obersten Klingelknopf. Wie Julia auch wohnt Fiona ganz oben. Allerdings gehört ihr ihre Terrasse ganz alleine. Und sie ist uneinsehbar. Fast wie ein kleiner Garten. Nur eben auf dem Dach.
Mein Handy brummt im gleichen Moment wie der Türsummer. Soll ich auf das Handy schauen? Nein. Ganz sicher nicht. Wenn Fiona mich schon herein lässt, darf ich keinen Moment verstreichen lassen.
Fiona wohnt nicht ganz so weit oben wie Julia. Es dauert nicht lange, bis ich die Treppe hinauf gerannt bin und vor ihrer Tür stehe.
Fiona steht an den Türstock gelehnt und sieht zum Anbeißen aus. Ihr Haar steht wirr vom Kopf ab. Sie sieht aus, als hätte sie soeben einen Kampf mit wem auch immer hinter sich gebracht. Ihre Hosen sehen ziemlich bequem aus. Ebenso das Shirt. Die Wangen sind gerötet, die Augen geweitet.
»Was? Wie? Wie kann das sein, dass du so schnell hier bist?«, krächzt sie und nun bin ich es, die blöd aus der Wäsche schaut.
»Häh?«
»Na, ich habe dir doch gerade erst geschrieben.«
»Oh. Das … also … «
Ich starre Fiona immer noch an wie das zehnte Weltwunder. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, schiebe ich die Hand in meine Umhängetasche und hole das Handy heraus. Tatsächlich. Eine Nachricht. Von Fiona.
Ich überfliege die Nachricht. Meine Augen weiten sich. Ich fange an zu gackern und muss so sehr lachen, dass mir Tränen über die Wangen kullern. Diesmal nicht vor Traurigkeit oder Sorge, wie in den letzten Tagen ab und zu, sondern Tränen der Freude.
»Eigentlich wollte ich dich nicht in diesem Aufzug empfangen, aber wenn du schon hier bist, komm rein. Gib mir ein paar Minuten.«
Fiona wartet, dass ich an ihr vorbei gehe, aber das geht nicht. Nicht ohne einen Kuss. Wenigstens das will ich haben.
»Warum hast du dich nicht gemeldet?«, frage ich mit dünner Stimme.
»Das erkläre ich dir später. Lass mich erst mal meinen angeschlagenen Zustand beseitigen.«
»Du siehst zum Anbeißen aus.«, murmle ich und kann meine Augen nicht von ihr abwenden.
»Ja. Nee. Ist klar.«
Fiona lächelt.
»Trotzdem springe ich jetzt schnell unter die Dusche.«
Meine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen.
»Du bleibst hier. Wenn du willst, kannst du auch raus gehen. Fühl dich einfach wie daheim.«
Fiona kommt auf mich zu, legt ihren Arm um mich und haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Na, wenigstens was. Sie wird mir also wahrscheinlich nicht den Kopf abreißen. Die Hoffnung, dass sie dem, was gerade erst zwischen uns entsteht, nicht den Todesstoß versetzt, lässt mich lächeln. Es fällt mir wahnsinnig schwer, mich von ihr zu lösen. Sie riecht so gut. Ein bisschen nach Schweiß und Anstrengung. Ich wüsste ja schon gerne, womit sie die letzten Stunden verbracht hat, aber das wird sie mir wohl nicht erzählen. Also lasse ich es zu, dass sie sich aus meiner Umarmung windet und Richtung Bad abdampft.
Gemächlich schlendere ich durch ihr Wohnzimmer und folge dem Ruf der Terrasse.
Wow. Ist das schön hier. Ich meine … Julia hat ja schon eine geile Dachterrasse, die sie sich allerdings mit ihren Nachbarn teilen muss. Aber das hier … ist keine Terrasse. Das ist ein Traum.
Fiona hat mehrere Pflanzenkübel gleichmäßig verteilt. Hier oben lebt sogar eine Palme. Und Olivenbäumchen. Es riecht fast ein bisschen wie auf Kreta. Sogar einen kleinen Pool hat sie aufgestellt. Oh, mein Gott. So lässt sich das Leben genießen.
Ich gehe an den Pool und spiele ein bisschen mit dem kühlen Wasser. Nebenbei lasse ich meine Blicke weiter wandern. Unter einem Sonnenschirm steht ein für zwei Personen gedeckter Tisch. Mein Herz schlägt schneller.
Vorsichtig hole ich das Handy noch mal aus der Tasche und lese ihre Nachricht erneut. Für einen kurzen Moment stockt mein Herzschlag.
Fionas Worte sind so lieb und warm. Und sie hat mich zum Abendessen eingeladen. Für zwanzig Uhr. Es ist gerade mal neunzehn Uhr. Uff. Ich habe sie also bei ihren Vorbereitungen gestört. Deswegen hat sie mich so angestarrt. Soll ich wieder gehen und erst um acht zurück kommen? Nein. Blödsinn. Natürlich bleibe ich.
Ich nehme auf einem Liegestuhl Platz und schicke meine Gedanken auf die Reise.
Meine Mutter hat schon recht, wenn sie behauptet, dass Fiona und ich an grundverschiedenen Punkten in unserem Leben stehen. Sie hat im Prinzip schon alles und ich … stehe ganz am Anfang. Aber … vielleicht ist es gerade das, was uns zueinander zieht.
Ich weiß es nicht. Und ich will auch nicht darüber nachdenken. Die letzten Tage seit unserer Rückkehr aus Irland waren der blanke Horror für mich. Fiona nur in der Schule sehen zu können, ihr nicht nahe sein, geschweige denn, sie küssen zu dürfen, hat mich gequält.
Aber jetzt bin ich hier und sie steht nur ein paar Meter von mir entfernt unter der Dusche. Ob ihr Herz auch vor Aufregung hüpft?
Es dauert eine Weile, bis sie wieder auftaucht. Sie sieht einfach umwerf … Ich kann nicht länger sitzen bleiben. Hektisch springe ich auf und falle fast über meine eigenen Füße, so aufgeregt bin ich.
Fiona fängt mich gerade noch auf.
»Hoppla. Nicht so schnell.«, murmelt sie.
Ihr Gesicht ist meinem so nah. Ich will sie küssen, doch sie macht einen Schritt zurück.
Ihr Haar ist noch ein wenig feucht. Aus einer Strähne löst sich ein Tröpfchen und rollt über ihre Wange und ihren Hals. Das sieht so sexy aus, dass ich schlucken muss. Die Frau macht mich wahnsinnig.
Wie kann ein Mensch nur so süß und gleichzeitig so sexy sein?
»Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht.«, sagt Fiona und dirigiert mich zum gedeckten Tisch.
»Ja. Ja natürlich.«, brummle ich und weiß für den Moment nicht, was ich denken soll.
Fiona ist da. Ich bin da. Wir sind uns so nah. Und doch hält sie sich zurück. Warum? Das Schuljahr ist so gut wie vorbei. Ich stehe also kurz davor, nicht mehr ihre Schülerin zu sein.
Wieso gibt sie sich dann so distanziert?
»Nimm Platz. Möchtest du einen Wein? Oder lieber ein Bier? Alkoholfreie Getränke sind auch im Haus.«
Was wird das hier? Sie spricht mit mir, als wären wir uns total fremd.
»Alles in Ordnung?«, frage ich skeptisch.
»Ja. Ja klar. Lass mich nur erst das Essen fertig machen. Dann können wir es uns gemütlich machen.«
Obwohl es mich juckt, ihr in die Küche zu folgen, setze ich mich an den Tisch und versuche, mich zu beruhigen.
Fiona tischt Salat auf, Soßen, Knoblauchquark mit Gurken und einen Teller voll mit Grillsachen. Erneut lasse ich meine Blicke schweifen und entdecke tatsächlich einen Grillkamin. Der Wahnsinn.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Mein Herz hüpft ein wenig. Während Fiona in der Küche war, hat sie ihre Bluse über dem Bauchnabel zusammengebunden. Der Anblick ihres Bauches treibt meinen Puls in die Höhe. Wie gerne würde ich aufstehen und sie vom lästigen – und abgesehen davon völlig überflüssigen – Stoff befreien, aber das würde sie wohl eher nicht gut heißen.
Seite an Seite stehen wir am Grill und unterhalten uns ganz entspannt.
Ich erzähle ihr von dem Gespräch mit meiner Mutter.
»Weißt du eigentlich, was wir für ein Glück haben?«, fragt sie ernst.
»Deine Mutter hätte mich anzeigen können.«
»Aber ich bin nicht mehr minderjährig. Ich kann selbst entscheiden, wen ich lieben möchte.«
»Trotzdem haben wir etwas getan, was wir nicht hätten tun dürfen. Du bist immer noch meine Schülerin.«
Das stimmt so nicht ganz, da ich quasi den Schulabschluss schon in der Tasche habe. Ich runzle die Stirn. Dass Fiona so tut, als hätte sie überhört, dass ich sie liebe, macht mich ganz zittrig. Ich drehe mich zu ihr und schaue sie an.
»Sagst du mir jetzt bitte, was los ist?«, wage ich einen Vorstoß.
»Es ist nichts. Wirklich nicht.«
Mir ist der Appetit vergangen. Eine Spur zu hektisch lege ich die Grillgabel neben den Kamin, bedanke mich artig für die Einladung und mache mich auf den Weg zur Tür. Fiona folgt mir nicht. Dicke Tränen rinnen über meine Wangen. Wenn sie mir doch wenigstens folgen und mich zurückhalten würde.
Mit von Tränen nassen Wangen öffne ich die Tür und verlasse Fionas Wohnung. Und unser Leben. Ich schließe die Tür so leise, dass man es kaum hören kann, dabei würde ich sie viel lieber zu knallen.
Wie unter Drogen schwanke ich die Treppe hinunter. Ein Stockwerk, dann das nächste. Jemand packt mich von hinten an die Schulter und hält mich fest.
»Warum lässt du mich allein und haust einfach ab? Es ist wirklich nichts. Nichts Schlimmes jedenfalls.«, raunt Fiona mir ins Ohr.
»Weil du nicht ehrlich bist. Ich will, dass du mir die Wahrheit sagst. Wenn du nichts mehr von mir willst, akzeptiere ich das. Aber dann lass mich wenigstens gehen.«
»Wer hat denn gesagt, dass ich nichts mehr von dir will? Ich liebe dich, Kim.«
Gerade noch im Begriff, mich aus Fionas Umarmung zu lösen, bleibe ich nun wie angewurzelt stehen. Da sind sie, die magischen drei Worte, die die Welt für mich bedeuten. So zärtlich gehaucht und doch so kraftvoll und überzeugt, dass es mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Ich taumle. Jeglicher Kraft beraubt sinke ich in Fionas Arme.
Fiona fängt mich auf und hält mich ganz fest. Sie streichelt mir über den Kopf.
»Komm schon, Süße.«, murmelt sie und hilft mir, damit ich die Treppenstufen zurück zu ihrer Wohnung bewältigen kann.
Meine Beine wackeln und zittern immer noch. Ich zittere. Hat sie mir wirklich gerade gesagt, dass sie mich liebt? Oder war das auch wieder nur Einbildung?
»Was hast du gesagt?«, quetsche ich über zusammengepresste Lippen.
Ich muss es noch einmal hören, sonst glaube ich es nicht.
»Was meinst du? Dass nichts ist? Oder dass du mit mir kommen sollst?«
Ich schüttle den Kopf. Ist Fiona so schwer von Begriff, oder tut sie nur so? Es kann doch nicht sein, dass sie nicht weiß, worauf ich anspiele.
»Ich meine das andere.«
»Ach … oh.«
Sie dreht mich so, dass wir uns anschauen können. Ihr Blick dringt in mich und berührt mich an meiner empfindlichsten Stelle. Mein Herz jagt. Ich schnappe nach Luft. Sag es. Bitte.
»Meine süße kleine Kim.«
Ich bin nicht klein. Okay. Ein bisschen schon.
»Ich liebe dich. Mehr als du ahnst. Die letzten Tage waren der Horror für mich. Aber es ging nicht anders. Weil … äh … Ich kann es dir nicht sagen. Noch nicht. Erst essen wir.«
Apropos Essen. Die Bratwürste hatten vorhin schon einen leichten Braunton. Seitdem sind einige Minuten vergangen. Bestimmt sind sie mehr als gut durch. Na und? Was macht das schon? Essen wir eben Kohle. Auch nicht so schlimm. Solange Fiona bei mir ist. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt. Aber nicht nur das. Ich habe es in ihren Augen gesehen. Wie sie mich angeschaut hat. Ihr Blick war voller Liebe und Zärtlichkeit. Oh, mein Gott. Ich kann nicht mehr. Ich liebe sie so sehr.
»Komm.«, sagt sie sanft und reicht mir die Hand.
Anscheinend spürt sie, dass ich ihre Hilfe brauche. Hand in Hand gehen wir erst in die Küche und holen Wein. Je näher wir der Terrasse kommen, desto intensiver wird der Duft des gegrillten Essens.
»Hoffentlich sind die Bratwürste noch zu retten.«, brummt Fiona, lässt meine Hand los und hechtet zum Grill.
Ihr Stöhnen geht mir durch und durch.
»Schei … benkleister. Ich hoffe, du magst Bratwürste Brandenburger Art.«
Sie dreht sich zu mir um. In ihrer Grillzange baumelt ein schwarzes Etwas, was vermutlich ursprünglich mal eine Bratwurst war. Ich kann nicht mehr. Meine Beherrschung ist dahin. Wie sie da steht und mich anschaut. Ich fange an zu gackern. Wie eine dicke, fette alte Henne.
»Brandenburger Art ist toll.«, japse ich und halte mir den Bauch.
»Wunderbar. Wir haben nämlich ganz viele davon.«
Das schwarze Bratwurstding landet mit einem Schwung auf meinem Teller. Ein zweites kommt dazu. Fiona legt sich auch zwei Würstchen auf den Teller. Wir setzen uns hin.
Fiona stochert auf dem Teller herum und schiebt sich mit verächtlichem Blick ein Stück Bratwurst in den Mund. Sie fängt an zu kauen.
»Mhm … sehr lecker.«, brummelt sie und nimmt einen Schluck Wein, ohne mit mir anzustoßen.
»Sorry. Aber … Gib mir deinen Teller. Die Würste sind nicht mehr genießbar.«
Womit sie leider recht hat. Ich habe auch probiert und nun hängt mir die schwarze Haut zwischen den Zähnen. Ein bisschen ekelig ist das schon, aber das würde ich ganz sicher nicht sagen.
»Nein. Nein. Nicht nötig.«, flunkere ich.
»Die Bratwurst ist sehr lecker.«
Nun ist es Fiona, die sich nicht mehr bremsen kann. Sie lacht. Einfach so. Laut und unbeherrscht.
Nach einer Weile beruhigt sie sich, nimmt unsere Teller und geht in die Küche. Mit zwei frischen Tellern kehrt sie zurück und stellt die Teller auf dem Tisch ab.
»Bin gleich wieder da.«, murmelt sie und dampft wieder ab.
Ich starre ihr hinterher und warte ab. Was macht sie so lange? Warum kommt sie nicht zurück? Soll ich zu ihr gehen? Geht es ihr vielleicht nicht so gut? Ich überlege hin und her, entscheide mich dann aber, ihre Privatsphäre zumindest ein bisschen zu respektieren. Statt in die Wohnung zu gehen, widme ich meine Aufmerksamkeit dem Essen, das auf dem Grill sein Dasein fristet. Es riecht lecker. Wirklich gut. Die Spieße und der Schafskäse sehen herrlich lecker aus. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
»Da bin ich wieder!«, ruft Fiona fröhlich und kommt auf mich zu.
Ihre Augen leuchten. Ihre Wangen sind von einer zarten Röte überzogen. In ihrer Hand hält sie ein unförmiges Päckchen, dessen Verpackung so aussieht wie bei mir, wenn ich Geschenke einpacke. Krumm und schief. Das Kräuselband sieht alles andere als gekräuselt aus. Eher zerfetzt. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass sie einen harten Kampf mit dem Geschenkband hinter sich gebracht hat. Sieger war das Band. Eindeutig.
»Für mich?«, nuschle ich.
»Aber heute ist doch gar nicht mein Geburtstag.«
»Komm schon her und mach auf. Das hier ist nämlich der Grund, warum ich mich so rar gemacht habe. Wenn ich mich freue, dann verrate ich gerne aus Versehen mal ein Geheimnis und dieses Geschenk solltest du erst nach deinem Abschluss bekommen. Deswegen... Na ja, ich wollte mich halt nicht verplappern.«
Fiona streckt die Arme aus und reicht mir das Paket. Ich starre sie immer noch an. Wegen eines kleinen Pakets hat sie mich so lange warten lassen? Versteh einer die Frauen.
»Danke.«, hauche ich und wische mir ein Tränchen aus dem Augenwinkel.
»Finger weg. Das ist mein Job.«
Fiona kommt näher und ehe ich mich versehe, küsst sie mich auf die Augenwinkel.
»So. Und jetzt mach auf.«
Ich versuche, das Paket langsam zu öffnen, aber sie hat es zu getackert. Langsam das Klebeband lösen, ist also nicht. Ich rupfe und zerre. Das Paket ist offen und ich halte ein Paar Flip-Flops, ein riesiges Handtuch, Sonnenöl und einen Umschlag in Händen. Was hat das zu bedeuten?
»Was ist das?«, frage ich.
»Jetzt darfst du den Umschlag öffnen.«
Fiona sieht mich erwartungsvoll an. Meine Finger zittern so sehr, dass ich den Umschlag kaum geöffnet kriege.
Ich brauche erst eine Weile, bis ich den Sinn des Inhalts verstehe. Ein Flugticket. Nach Kreta. Und die Bestätigung für drei Wochen Hotel. Auf meinen Namen. Und auf den Namen von Fiona.
»Heißt das …?«, stammle ich, lasse alles fallen und reiße Fiona in die Arme.
»Heißt das …?«
Ich kann immer noch nicht richtig sprechen.
»Das heißt, dass wir beide drei Wochen nach Kreta fliegen. Nur du und ich. Ganz offiziell. Deine Mutter weiß Bescheid. Sie hat auch nur ein ganz kleines Bisschen gemeckert.«
Oh. Mein Gott.
Ich weiß nicht, warum, aber irgendetwas sagt mir, dass sie nicht ganz ehrlich ist. Bestimmt hat Mutter ihr die Hölle heiß gemacht. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Hier geht es nur um mich. Und um Fiona. Um uns beide.
Ich lache. Und weine. Gleichzeitig. Meine bebenden Lippen gleiten über Fionas Gesicht. Oh, wie sehr ich sie liebe.
I
ch bin so durch den Wind, dass ich kaum auf die Reihe bekomme, meinen Koffer anständig zu packen. Was nimmt man mit, wenn man drei Wochen mit der Liebsten in die Ferien fliegt und während dieser Zeit am Besten gar nichts anziehen möchte?
»Kommst du klar, Schatz?«, ruft Mutter und steht schon in meinem Zimmer.
»Na ja. Ich weiß nicht, was ich mitnehmen soll.«
Gemeinsam stehen meine Mutter und ich vor dem Kleiderschrank und inspizieren den Inhalt.
»Bikini, Unterhosen, Jeans, Oberteile, Bhs und Waschsachen wären sicher schon mal eine gute Idee. Vielleicht auch das süße Strandkleid, das du dir auf Kreta gekauft hast.«
Oh ja. Das mache ich. Eigentlich trage ich weder Röcke, noch Kleider. Aber dieses Kleidchen liebe ich. Und natürlich hoffe ich, dass ich Fiona damit umhaue.
Mit Mutters Hilfe ist der Koffer schnell gepackt und wir stehen zusammen vor dem Haus.
»Das Taxi kommt sicher gleich.«, murmle ich, während ich wartend in alle Richtungen schaue.
»Papperlapapp. Das Taxi habe ich natürlich abbestellt. Ich werde euch fahren.«
Meine Augen öffnen sich ganz weit. Ich schüttle mich und kann kaum glauben, was ich da höre.
»Bist du dir ganz sicher?«, frage ich skeptisch.
»Natürlich. Und jetzt steig ein. Wir müssen deine Freundin noch abholen.«
Immer noch fassungslos hocke ich neben meiner Mutter und leite sie durch die Stadt zu Fionas Wohnung. Fiona steht schon an der Straße. Wie es sich gehört, springe ich aus dem Auto und helfe ihr mit dem Gepäck.
Obwohl meine Mutter sich überraschend offen gibt, vermeiden wir es, uns vor ihr zu küssen.
»Hallo Frau Bernhard.«, sagt Fiona und schwingt sich auf die Rückbank.
»Hallo Fiona. Komm nach vorne. Kim kann hinten sitzen.«
Natürlich werde ich hinten sitzen. Liebend gerne sogar. So kann ich in aller Ruhe verarbeiten, was gerade passiert. Meine Lieblingsfrauen sitzen vorne und unterhalten sich wie alte Freunde.
Meine Mutter ist so locker, dass ich mich frage, ob sie vielleicht irgendwelche Drogen eingeworfen hat.
»Ich würde mich freuen, wenn du Monika zu mir sagst.«, höre ich sie gerade sagen.
Allmählich wird mir mulmig zumute. Was hat das alles zu bedeuten? Ist Mutter vielleicht von Aliens entführt worden? Meine Mutter ist toll, aber … dass sie nun so locker ist, wundert mich doch mehr als nur ein bisschen.
Während sie mit Fiona spricht, lenkt sie das Auto ganz entspannt durch die Stadt. Vierzig Minuten später hält sie vor dem Terminal und lässt uns aussteigen.
Sie zieht mich in ihre Arme und haucht mir ein Küsschen auf die Stirn. Dann zieht sie Fiona an ihre Brust und flüstert ihr etwas ins Ohr, das so klingt wie: »Pass gut auf mein kleines Mädchen auf.«.
Ich fühle mich glücklich. Unendlich glücklich. Ich bin der reichste Mensch auf der ganzen Welt.
Denn ich darf lieben und werde geliebt.
Etwas Größeres und Kostbareres kann es nicht geben. Diese Erkenntnis trifft mich so sehr, dass ich nach Luft schnappe. Das Leben ist so schön.